Der böhmische Dreyfus - Hilsner angbl. jüdischer Ritualmord

"Deutschland - aber wo liegt es?" Goethe

Moderator: Barbarossa

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Marek1964
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Ich vergleiche die französiche Dreyfus (man beachte nur ein "s") Affäre mit der österreichisch/böhmisch/tschechischen Dreyfus Affäre, die sogenannte "Hilsneriada". Hier wurde ein jüdischer Taglöhner, Leopold Hilsner, verdächtigt, eine tschechische Magd und Jungfrau Namens Aněžka (Agnes) Hrůzová ermordet zu haben, und zwar nach dem angeblichen jüdischem Ritualmord. Man muss erwähnen: Hilsner war nicht nur Jude, aber auch Deutscher.

Der Prozess war hanebüchen, unglaubwürdige Zeugenaussagen, aber er wurde zum Tode verurteilt. Kaiser Franz Joseph begnadigte ihn aber, angeblich auf Druck von London und Paris.

Wer sich hier aber für ihn eingesetzt hatte: Tomáš G. Masaryk, zwei Jahrzehnte später erster tschechoslowakischer Präsident und Volksheld. Zu dem Zeitpunkt war er allerdings für die allermeisten Tschechen ein Verräter, der einen deutschen Juden in Schutz nahm, der eine tschechische Jungfrau ermordet hatte (es gab zu diesem Thema auch Volkslieder).

Warum schreibe ich das alles? Weil ich einfach als Tscheche leider sagen muss, dass Masaryk bei der Verteidigung von Hilsner so ziemlich allein da stand. Im Vergleich zu Frankreich, wo ja immerhin die Hälfte der Nation sich für Dreyfus eingesetzt hatte. Und die Grenze zwischen den Parteien verlief zwischen den Familien, quer durch die ganze Gesellschaft (siehe Karikatur unten).

In Prag wurde aber Masaryk selbst von seinen Studenten als "Deutschenfreund" ausgepfiffen (er war Uniprofessor). So gesehen muss man kompromisslos sagen: Die tschechische Gesellschaft war noch lange nicht so weit wie die französische, wo immerhin die Hälfte der Gesellschaft auf der Seite des Rechts und der Wahrheit war. Masaryk war einer von den "very few", der die Werte der hussitischen Reformation "die Wahrheit siegt" hochgehalten hat. Am Ende hat er gesiegt, aber es war hart und er war nahezu alleine.

In Frankreich waren die Dreyfusards immerhin die Hälfte der Gesellschaft. Hier dazu die Karikatur:

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:C...supper.jpg

Der Text zum ersten Bild: Ein Familientreffen. Also, vor allem, heute abend wird nicht über Dreyfus gesprochen.

Der Text zum zweiten Bild: Man hat über Dreyfus gesprochen...


Hier eine zeitgenössische Karikatur einer tschechischen Zeitung, die Dreyfus und Hilsner ebenso Zola und Masaryk in einen Topf wirft... und damit, aus heutiger Sicht, ungewollte Selbstironie betreibt.

http://commons.wikimedia.org/wiki/File: ... 3%A1dy.JPG

Hier dann noch weiter Links zum Fall Hilsner:

http://www.jewishmuseum.cz/en/apolna.htm

http://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_Hilsner

Dein Beitrag deutet aber meiner Interpretation nach eine weitere richtige Richtung an: Die Spaltung der französischen Gesellschaft ging auch nach dem glücklichen Ausgang der Dreyfus Affäre weiter, wenn wir so wollen bis 1944, vielleicht auch noch weiter, das kann ich jetzt nicht wirklich beurteilen. Aber es war eine Sternstunde französischer Geschichte.
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