Die Ethnogenese der Türken in Kleinasien

Die Geschichte des Islam

Moderator: Barbarossa

Dietrich
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Die heutigen Türken sind zu einem Teil - vermutlich dem geringeren - unzweifelhaft Nachkommen der seit dem 11. Jh. in Anatolien eingedrungenen Turkvölker. Schicksalhaft war hier die Schlacht bei Manzikert im Jahre 1071, die mit einer vernichtenden Niederlage der Byzantiner endete. Damit war der Weg frei für die ungehinderte Einwanderung turkstämmiger Nomaden und Reitervölker, die das ganze byzantinische Kleinasien bis vor Konstantinopel überschwemmten. Staatsbildend waren hier zunächst die (Rum)seldschuken, die seit dem 11./12. Jh. ihr Reich mit der Hauptstadt Konia gründeten, das alte antike Ikonion.

Um 1300 machte der türkische Oghuse und Nomadenführer Osman sein kleines Fürstentum unabhängig, das in den nächsten Jahrhunderten alle benachbarten türkischen Kleinstaaten Anatoliens okkupierte und sich gewaltig über Südosteuropa, Vorderasien und Nordafrika ausbreitete.

Es ist anzunehmen, dass zwischen dem 11. und 13. Jh. ständig neue Scharen türkischer Hirten und Krieger aus dem Osten nachrückten. Gemessen an der altansässigen kleinasiatischen Bevölkerung wird das aber nur einen kleinen Teil der Gesamtbevölkerung ausgemacht haben. Die nomadischen Turkgruppen dominierten die unterworfene christliche Bevölkerunmg Kleinasiens also nicht aufgrund ihrer Bevölkerungsübermacht, sondern aufgrund ihrer Wehrhaftigkeit, wie sie Hirtennomaden eigen ist - man denke nur an Mongolen, Hunnen, Awaren usw.

Wie aber setzte sich die von Turkstämmen unterworfene kleinasiatische Bevölkerung zusammen?

Ihre ethnische Schichtung ist relativ gut bekannt! Die autochthone kleinasiatische Bevölkerung wurde seit dem 2. Jahrtsd. v. Chr. von indoeuropäischen Hethitern (plus Luwiern, Palaern usw.) überschichtet, später von Phrygern und Lydern, während die Perser seit dem 6. Jh. v. Chr. lediglich eine Oberhoheit ausübten. Während der Blütezeit der griechischen Polis setzten sich Griechen an der kleinasiatischen Westküste fest, auf sie folgten dann die Römer. Auch Armenier und Kurden kamen im Osten hinzu, sowie andere Völker, die ebenfalls ihre Spuren hinterließen.

Während der Römerzeit überwog im oströmischen Reichsteil, besonders auch in Kleinasien, die griechische Kultur, was sich zur Zeit des Byzantinischen Reichs noch verstärkte.

Dieses ethnische Völkergemisch - man könnte es als gräzisierte altkleinasiatisch-indoeuropäische Mischung bezeichnen - trafen die nomadisierenden Turkvölker an, als sie seit dem 12. Jh. Kleinasien besetzten. Wie homogen man es sich vorzustellen hat, entzieht sich meiner Kenntnis.

Wie hoch nun der Anteil der Turkvölker an der alteingesessenen kleinasiatischen Bevölkerung war, ist schwer zu sagen. Ich könnte mir vorstellen, dass er etwa 25% nicht überstieg, doch ist das lediglich Spekulation. Auf jeden Fall vermischte sich diese Turkbevölkerung in den nächsten Jahrhunderten völlig mit der Altbevölkerung, drückte ihr aber dennoch ihren kulturellen und religiösen Stempel auf.

Spätestens im 16. Jh. ist Kleinasien durchgreifend islamisiert, die einstige byzantinische Identität erloschen. Lediglich an der ägäischen Westküste gibt es ein uraltes griechisches Siedlungsgebiet (seit 800 v. Chr.), vereinzelt auch an der Schwarzmeerküste; im Osten sind Kurden und vor allem Armenier ansässig, was in der Neuzeit zu den bekannten ethnischen Konflikten führt.

Den meisten Türken ist heute nicht mehr bewusst, aus welch zahlreichen ethnischen Gruppen sich das türkische Volk zusammengesetzt hat, denn natürlich existiert heutzutage eine einheitliche türkische Identität - einmal abgesehen von der großen kurdischen Minderheit, die in Ostanatolien eine eigene Ethnie repräsentiert.
Wallenstein

Die Türken waren Steppennomaden in Zentralasien mit der Tendenz zur Erzeugung von Bevölkerungsüberschüssen und Suche nach neuen Weidegründen. Sie verfügten über eine ausgeprägte Stratifikation mit klaren Trennungslinien zwischen Adel und Gemeinen, Verwandschaftsbeziehungen spielten nicht mehr eine dominierend Rolle. Zwischen den Gruppierungen gab es in der Steppe ständig Konflikte und Verschiebungen, an ihrer Stelle bildeten sich neue, auf Gefolgschaftswesen beruhende Verbände. Mit dem Gefolgschaftswesen wurden Häuptlinge in die Lage versetzt, ihren politischen Führungsanspruch durchzusetzen. In periodischen Ansätzen kam es gelegentlich zu Staatsgründungen, allerdings ohne lange Lebensdauer. Die Konföderation der Gotürken in 6. Und 7. Jahrhundert war ein kurzfristiger Versuch, die asiatischen Handelswege zu kontrollieren.

Die Türken wurden oft mit den Germanen verglichen, da ihre Infiltration in die islamische Welt der Araber ähnlich erfolgte.
In der ersten Phase dringen sie in die heutigen Republiken Usbekistan und Tadschikistan ein und bekommen dort Kontakt mit dem Islam. Einzelne Gruppen von ihnen werden ab dem 9. Jahrhundert zu Söldnern und Prätorianergarden bei islamischen Herrschern, so bei den Tuluniden und Ihsididen in Ägypten und den Samaniden im Iran. Die Araber verloren allmählich ihre Funktion als staatstragende Elite und wurden zunehmend von Türken abgelöst.

In der zweiten Phase im 10. und 11. Jahrhundert dringen größere tribale Gruppen wie die Qurahaniden und Seldschuken in die islamische Welt ein. Die Seldschuken erobern Persien und in Bagdad überträgt man ihnen den Schutz des Kalifen und ruft den Führer Togril-Bek zum Sultan aus. Es entsteht ein großseldschukisches Reich mit Bagdad als Hauptstadt. Die Masse der türkischen Eroberer stellt nun die Verwaltung und das Heer und wird schnell sesshaft.

Doch am Rande des neuen Imperiums drängen immer neue Turkstämme nach. Um diese zu disziplinieren, dringen die Seldschuken in den Kaukasus ein und bei dieser Gelegenheit vernichten sie eher zufällig das byzantinische Heer 1071 bei Manzikert. Eine Eroberung erfolgte danach nicht, aber nun war der Weg frei für die türkischen Hirtenvölker in Zentralasien, die nun ungehindert nach Anatolien eindringen konnten. Vom 11.- bis zum 13. Jahrhundert kam es zu immer neuen Einwanderungsschüben, aus denen rivalisierende Emirate entstanden. In diesen Kämpfen konnte sich schließlich das Sultanat von Osman I durchsetzen.
Wallenstein

Die Schlacht von Manzikert 1071

Im 9. Jahrhundert begann sich das riesige Reich der Abasiden-Kalifen in Bagdad in eine Reihe von Einzelstaaten aufzulösen. Im Kampf mit rivalisierenden Clans und Provinzstatthaltern traf der Kalif Mutasim (833-842) eine verhängnisvolle Maßnahme. Er schuf aus persönlichen Klienten und Sklaven (meist türkischer Herkunft) eine Leibgarde als persönliche Elitetruppe. Das verschaffte ihm vorübergehend wieder Macht gegenüber seinen Gegnern, doch die Garde merkte schnell, dass der Kalif von ihnen genauso abhängig war wie sie von ihm. Von nun an waren die Herrscher Gefangene ihrer eigenen Truppe, das Machtzentrum verlagerte sich auf die türkischen Offiziere und das Kalifat wurde zum Spielball der rivalisierenden Cliquen in der Generalität.

945 verlieren die Abasiden in Bagdad ihre Macht an den persischen Stamm der Bujiden, die nun die Leibgarde stellen und den Kalifen völlig von sich abhängig machen. Diese kriegerischen Nomaden sind Schiiten, die das Land rücksichtslos ausbeuten.
In seiner Not wendet sich der Kalif an einen Stamm der Qghuzen, die sich nach ihrem Anführer Seldschuk, Seldschuken nannten. (Seldschuk heißt wahrscheinlich nur Führer). Die hatten um 1000 Weideland am Aralsee bezogen, richteten jetzt aber ihre Wanderung in das zerfallende Abasiden-Reich. Im Osten des Iran hatten sie bereits ein Reich errichtet, nun zieht ein Nachfolger Seldschuks, Thurig-Bel, auf Drängen des Kalifen in Bagdad ein und vertreibt die Bujiden. Der Herrscher ernennt ihn zum Sultan, was damals so viel bedeutete wie „Stellvertreter des Kalifen“.

Der neue Stellvertreter wird sehr schnell der eigentliche Herrscher. Der Stamm der Seldschuken stellt nun Militär und Verwaltung. Das Reich ist formal riesig, es umfasst: Arabien, Syrien, Palästina, Irak, Iran, Ägypten und Nordafrika. Doch in Ägypten und in Syrien herrscht ein anderer Kalif, die Dynastie der Fatimiden, gegen die nun ein Feldzug geführt werden soll. Der Sohn von Thurig-Bel, Alp Aslan (=die Macht des Reiches, der Vater des Mutes Mohammed) soll dies richten.

Doch zuerst muss ein anderes Übel beendet werden. Die oghuzischen Turkmenen, Verwandte der Seldschuken, die am Westufer des Kaspischen Meeres in Aserbeidschan leben, fallen immer wieder in den Iran und in das byzantinische Anatolien ein. Sie verschleppen Bauern, legen Dörfer und Marktflecken in Schutt und Asche. Sie wollen kein neues Land besetzen, sondern nur rauben.

Auch in Byzanz will man diesem Spuk ein Ende machen. Dort regierte seit 1067 ein ehemaliger General, Ramonos Diogenes, der ein großes Heer bei Erzurum in Armenien sammelt. In die gleiche Gegend marschiert jetzt auch Alp Aslan mit seiner Armee. Obwohl es ursprünglich gegen die Plünderer gehen sollte, fühlen sich beide Herrscher durch den Aufmarsch der Soldaten bedroht und nun kommt es zwischen beiden zur Konfrontation.

Manzikert liegt im armenischen Bergland, nördlich des Van-See. Der Basileus schlägt in der Nähe des Sees sein Heerlager auf. Dorthin zieht es auch Alp Aslan, der allerdings das Pech hat, das seine irakischen Truppen flüchten. Die Byzantiner hören davon und glauben, der Moment zum Angriff wäre günstig und die Armee marschiert los.

Vorneweg ziehen plündernde Söldner unter dem Kommando von Roussel de Bailleul, ein Schotte an der Spitze fränkischer Söldner, die eine Spur der Verwüstung hinterlassen, den Ort Manzikert besetzen, niederbrennen und ausrauben.

Alp Aslan hat etwa zehn- bis fünfzehntausend Kurden und Turkmenen zur Verfügung, alles berittene Bogenschützen. Die Truppe der Byzantiner soll viel größer gewesen sein und besteht aus Griechen, Franken, Petschenegen, Georgiern, Russen und Alanen, Ritter, Fußsoldaten, Lanzenreiter und Bogenschützen, zum größten Teil Söldner. Sie haben viele Fahrzeuge bei sich mit hunderten von Kriegsmaschinen, die in der Steppe völlig nutzlos sind.

Am 16. August gerät die Streitmacht in einen Pfeilhagel der Turkmenen und muss sich verschanzen. Doch der Ort war vorher von Bailleul verwüstet worden und es gab keine Lebensmittel. Um solche zu besorgen, schwärmen die Soldaten aus und werden dabei vielfach von dem Gegnern getötet. Am anderen Tag greifen die Seldschuken an und reiten auf die Mitte des byzantinischen Heeres zu, wenden sich dann aber scheinbar zur Flucht. Die Byzantiner stürmen hinterher, geraten aber in eine Zange als sie von links und rechts angegriffen werden. Ihre Truppe löst sich in wilder Flucht auf und der Basileus selber gerät in Gefangenschaft. Der wird aber gegen ein Lösegeld wieder freigelassen. Der folgende Dialog wurde übermittelt:

Alp Arslan: „Was würdest du tun, wenn ich als Gefangener zu dir gebracht würde?“
Romanos: „Vielleicht hätte ich dich getötet oder dich in den Straßen Konstantinopels ausgestellt.“
Alp Arslan: „Meine Strafe ist weitaus härter. Ich vergebe dir und lasse dich frei.“

Zu Hause in Konstantinopel hat inzwischen Michael Dukas, ein Gegner des Kaisers, die Macht ergriffen. Er läßt den besiegten Romanos blenden und ins Gefängnis werfen, wo er ein Jahr später stirbt.

Byzanz verlor durch die Niederlage Anatolien, aber Alp Arslan zog sich wieder zurück. Die eigentlichen Gewinner waren die Turkstämme aus Aserbeidschan, die nun ungehindert nach Kleinasien einströmen konnten.
Wallenstein

Bevor dies Thema hier wie die meisten historischen threads spurlos im Nirwana verschwindet, vorher noch ein Beitrag. Was geschah mit der gräzisierten Bevölkerung in Anatolien, nachdem 1071 immer mehr Turkvölker in die Region einbrachen?

Ich weiß nicht, wer Anatolien kennt, ich bin dort früher auf dem Weg nach Persien häufiger durchgefahren. Es handelt sich zum größten Teil um eine endlose steppenähnliche Landschaft, im Winter eisig kalt, im Sommer brütend heiß, oder wie meine Freunde sagten: nicht als Gegend hier, überall nur Gegend. Schön sind der Ararat und die Bergkette zum Schwarzen Meer. Die Hochfläche war vermutlich auch früher nicht dicht besiedelt gewesen. Viele Areale sind nicht besonders fruchtbar. Die Nomaden betrieben Weidewirtschaft, dafür ist es dort gut geeignet. Ich vermute, dass es zu einem Agreement gekommen ist, zwischen den Eroberern und den ursprünglichen Bewohnern und nicht zu deren Ausrottung, wie dies Paul einmal behauptet hat. Wohl aber sind vermutlich viele Griechen im Laufe der Jahrhunderte an die Küste abgewandert, wo es mehr Möglichkeiten gab, als im Inland. Von einem Völkermord hören wir nichts.
Die amtliche Statistik des Osmanischen Reiches im Jahre 1910 zeigt folgende Bevölkerungsverteilung auf dem Gebiet der heutigen Türkei:
Provinz ---- Türken---- Griechen---- Armenier
[*]Istanbul ----- 135.681---- 70.906----- 30.465
(Asiatisches Ufer)
Izmit---- ---- 189.960---- 78.564 ---- 50.935
Smyrna ---- ---- 974.225---- 629.002---- 17.247
Bursa ---- ---- 1.346.387 ---- 574.530---- 87.932
Konya ---- ---- 1.143.335---- 85.320---- 9.426
Ankara ---- ---- 991.666---- 54.280---- 101.388
Trabzon ---- ---- 1.047.889---- 351.104---- 45.095
Sivas ---- ------ 933.572---- 98.270---- 165.741
Kastamon ---- -- 1.086.420---- 18.160---- 3.061
Adana ---- ---- 212.454---- 88.010 ---- 81.250
Bigha ---- ---- 136.000---- 29.000---- 2.000
Gesamt---- ---- _ 7.048.662---- 1.788.582---- 608.707

Wie man sieht, lebten damals auch noch viele Griechen in den anatolischen Regionen bis zu ihrer Vertreibung nach dem Ersten Weltkrieg. (Wer sich in der Türkei nicht auskennt, sollte sich einen Atlas holen) In manchen anatolischen Dörfern sieht man auch noch heute Überreste griechischer Kirchen, die seit der Vertreibung verfallen.
Die Zahlen laufen durcheinander, wenn man sie speichert
Dietrich
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Wallenstein hat geschrieben:
Wie man sieht, lebten damals auch noch viele Griechen in den anatolischen Regionen bis zu ihrer Vertreibung nach dem Ersten Weltkrieg. (Wer sich in der Türkei nicht auskennt, sollte sich einen Atlas holen) In manchen anatolischen Dörfern sieht man auch noch heute Überreste griechischer Kirchen, die seit der Vertreibung verfallen.
Die Zahlen laufen durcheinander, wenn man sie speichert
Prozentual war der Anteil griechischer Siedlung an der Ägäisküste und der Schwarzmeerküste mit Abstand am größten. Was in Anatolien an Griechen siedelte, war kein Überbleibsel aus der byzantinisch-griechischen Zeit, sondern eine Ansiedlung aus neuerer Zeit. Es gab also keine Siedlungskontinuität über tausend oder gar zweitausend Jahre.

Die griechische Besiedlung der Ägäisküste geht allerdings tatsächlich auf die Zeit vor der türkischen Eroberung zurück. Das war uraltes griechisches Land seit der Einwanderung griechischer Bevölkerungsgruppen ab 800 v. Chr. (!).
Wallenstein

Dietrich
Was in Anatolien an Griechen siedelte, war kein Überbleibsel aus der byzantinisch-griechischen Zeit, sondern eine Ansiedlung aus neuerer Zeit. Es gab also keine Siedlungskontinuität über tausend oder gar zweitausend Jahre.
Diese Theorie ist mir bekannt.
http://www.allmystery.de/themen/pr37356#id1385291

In einem anderen Blog wird dann aber behauptet:

„Osmanische Register im 16. Jahrhundert zeigen denn auch noch eine weithin vorhandene christliche Bevölkerung, aber in unterschiedlicher Dichte. Das Gebiet Trapezunt (Trabzon) ist noch zur Hälfte christlich, das Marmaragebiet mit Istanbul hat stattliche Gemeinden, in Zentralanatolien sind noch 10% christlich, dort wo die Seldschuken eben länger geherrscht hatten, als an den Küsten.“
http://lynxx-blog.blogspot.de/2010/12/w ... h-und.html

Ich habe widersprüchliche Angaben in unterschiedlichen Quellen darüber gefunden und deshalb werde ich auch kein endgültiges Urteil abgeben. Teile der Bevölkerung sind nach der Invasion ab 1071 vermutlich später abgewandert, andere nicht.

Ich persönlich halte folgende Annahme allerdings für realistisch:
Es gab sicherlich im 19. Jahrhundert Rückwanderer aus Griechenland nach Anatolien, doch ist unklar, wie groß der quantitative Teil tatsächlich gewesen war. Darüber habe ich auch keine Unterlagen gefunden. Ich gehe davon aus, dass die griechische Bevölkerung in Anatolien Anfang des 20. Jahrhunderts eine Mischung darstellte aus Alteingesessenen und Neuzuwanderern. Letztere sind vermutlich dorthin gezogen, wo bereits Griechen ansässig waren. Das die gesamte griechische Bevölkerung in Anatolien aus Neuzuwanderern bestand, halte ich nicht für sehr wahrscheinlich
Paul
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Die Griechen haben sich auch in byzantinischer Zeit ausgebreitet und vermehrt. Ihre Sprache war die Staatssprache in Byzanz. Sie lebten also auch schon lange z.B. in Anatolien. In Anatolien lebten natürlich vor allem auch Armenier und assyrische Christen, möglicherweise damals auch noch mehr kurdische Christen, obwohl die Kurden wohl überwiegend Eziden waren.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Dietrich
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Wallenstein hat geschrieben: Es gab sicherlich im 19. Jahrhundert Rückwanderer aus Griechenland nach Anatolien, doch ist unklar, wie groß der quantitative Teil tatsächlich gewesen war. Darüber habe ich auch keine Unterlagen gefunden. Ich gehe davon aus, dass die griechische Bevölkerung in Anatolien Anfang des 20. Jahrhunderts eine Mischung darstellte aus Alteingesessenen und Neuzuwanderern. Letztere sind vermutlich dorthin gezogen, wo bereits Griechen ansässig waren. Das die gesamte griechische Bevölkerung in Anatolien aus Neuzuwanderern bestand, halte ich nicht für sehr wahrscheinlich
Ich halte es für wenig wahrscheinlich, dass gerade im Gebiet stärkster turkstämmiger Besiedlung - nämlich auf der anatolischen Hohfläche - byzantinische Griechen überdauert haben sollten. Die anatolische Hochfläche war seit dem 11. Jh. Standort nomadischer und halbnomadischer Turkstämme, die mit der osmanischen Zentralregierung in Konstantinopel häufig auf dem Kriegsfuß standen und sogar mehrfach revoltierten. Dort gibt es also miot ziemlicher Sicherheit keine griechische Siedlungskontinuität.

Anders sieht das an den Küsten aus, besonders im Bereich des byzantnischen Kaiserreichs Trapezunt, das 1461 unterging, und an der Ägäisküste, wo es jahrtausendealte griechische Besiedlung gab. Aber auch in diesen Regionen gab es seit der frühen Neuzeit eine griechische Zuwanderung, die die altansässige ergänzte bzw. auffüllte.
Wallenstein

Zumindest für einige Regionen ist eine griechische Siedlungskontinuität nachweisbar. Z.B. für den Ort Sille.
https://translate.google.de/translate?h ... rev=search.

Das gilt auch für das unzulängliche Tal von Göreme mit seinen vielen unterirdischen Höhlen und Kirchen. Dies wurde 1453 von den Osmanen erobert. Danach zogen viele Türken in diese Region, doch es gab dort auch weiterhin Griechen.

„In der Folgezeit lebten dann jahrhundertelang christliche und moslemische Gruppen in den selben Ortschaften, wenn auch in separaten Ortsvierteln, nebeneinander.“
http://www.katpatuka.org/de/cappadocia-history.shtml

Mir wurde bei meinem Besuch in dem Tal auch berichtet, das nach der Eroberung eine griechische Kernbevölkerung in dieser Region verblieb.

Ich persönlich glaube, das auch woanders in Anatolien noch Griechen verblieben sind, zumindest habe ich in Anatolien in einigen Dörfern verfallene Kirchen gesehen, von denen es hieß, sie seien aus byzantinischer Zeit, doch die vielen Malereien im Innern seien erst einige hundert Jahre alt. Das ist jetzt schon lange her und ich bin seit Ende der siebziger Jahre nicht mehr in Anatolien gewesen. Damals hat mich dies Thema auch überhaupt nicht interessiert und ich kenne den Namen der Dörfer nicht mehr.

Man wird wohl auch in Zukunft keine Gewissheit bekommen, denn ich glaube nicht, dass die Türkei ein Interesse hat an einer Erforschung der griechischen Siedlungsgeschichte.

1971 wurde in der Türkei ein großes Gedenkfest veranstaltet. Sie feierten den Sieg bei Manzikert vor 1.000 Jahren. Damit fühlt man sich eher verbunden.
Paul
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Spätestens, wenn der Anteil der Kurden an der Bevölkerung auf 40 % gestiegen ist, werden sich die politischen Verhältnisse sehr ändern und die Geschichte der Armenier als eigne Geschichte erforscht. Dann wird auch der Massenmord nicht mehr geleugnet. Türkische Nationalisten werden dann vielleicht auf Aserbeidschan ausweichen.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Dietrich
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Paul hat geschrieben:Spätestens, wenn der Anteil der Kurden an der Bevölkerung auf 40 % gestiegen ist, ... .
Du vergisst, dass der türkische Bevölkerungsanteil in gleichem Maße steigt. Also wird das Verhältnis von Kurden zu Türken mit rund 20% zu 80% unverändert fortbestehen.

Oder sind die Kurden fruchtbarer als die Türken? :crazy:
Paul
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Dietrich hat geschrieben:
Paul hat geschrieben:Spätestens, wenn der Anteil der Kurden an der Bevölkerung auf 40 % gestiegen ist, ... .
Du vergisst, dass der türkische Bevölkerungsanteil in gleichem Maße steigt. Also wird das Verhältnis von Kurden zu Türken mit rund 20% zu 80% unverändert fortbestehen.

Oder sind die Kurden fruchtbarer als die Türken? :crazy:
Die Kurden haben einen etwa 4 fachen Geburtenüberschuß gegenüber den Türken. Der türkische Anteil an der Gesamtbevölkerung sinkt. In manchen Regionen im Westen haben die Türken überhaupt keinen Geburtenüberschuß mehr. Die Gesamtbevölkerung hat im Westen eine Geburtenrate von 1,5 Kindern, darunter überwiegend kurdische Kinder, so das die Türken im Westen nur von Wanderungsgewinn profitieren, aber auch die Wanderung ist zum großen Teil kurdisch. Das war von mir kein Witz, sonst hätte ich das nicht geschrieben. Das Gebiet, in welchem die Kurden die Bevölkerungsmehrheit stellen, breitet sich ebenfalls aus. Istanbul ist die größte kurdische Stadt. Dort leben mehr Kurden als in Amed/Diabarkir.
Nationalistische Türken müßten ein Interesse daran haben, die kurdischen Mehrheitsgebiete von der Türkei abzutrennen.
Der gegenwärtige Krieg führt zu einer Flucht von Kurden in die Randgebiete ihres Siedlungsgebietes, wo sie bisher keine Mehrheit stellten. Erdogans Politik vergrößert den kurdischen Bevölkerungsanteil. Die Verwüstungen lassen die Geburtenrate steigen. Viele flüchten nach Nordsyrien o. kehren dorthin zurück. Das stabilisiert Rojava, was Erdogan eigentlich auch nicht will.

http://www.welt.de/politik/deutschland/ ... erkei.html
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Dietrich
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Wallenstein hat geschrieben:
Ich persönlich glaube, das auch woanders in Anatolien noch Griechen verblieben sind, zumindest habe ich in Anatolien in einigen Dörfern verfallene Kirchen gesehen, von denen es hieß, sie seien aus byzantinischer Zeit, doch die vielen Malereien im Innern seien erst einige hundert Jahre alt. Das ist jetzt schon lange her und ich bin seit Ende der siebziger Jahre nicht mehr in Anatolien gewesen. Damals hat mich dies Thema auch überhaupt nicht interessiert und ich kenne den Namen der Dörfer nicht mehr.
Nach allem, was ich jetzt darüber gelesen habe, hat es eine griechische Kontinuität durchaus gegeben. Allerdings keineswegs in ganz Westkleinasien, sondern lediglich in dem schmalen Küstenstreifen an der ägäischen Küste, der nur 20-50 km tief war, und natürlich auf den vorgelagerten Inseln. Ferner in einigen Regionen an der Schwarzmeerküste, wo sich ehemals das kurzlebige byzantinische Kaiserrech Trapezunt befand,

Dort saßen bis zur osmanischen Eroberung im 15. Jh. ausschließlich Griechen, danach bildeten sie in den Küstenstädten die Mehrheit, auf dem Land jedoch eine ethnische Minderheit. Im restlichen Westkleinasien wurden die Griechen entweder turkisiert oder sie emigrierten. Nur vereinzelt gab es wohl ethnische Splitter, die ihre Identität bewahrten - falls überhaupt!

Eine ganz andere Geschichte sind die griechischen Familien in Konstantinopel - die Phanarioten - , die ebenfalls auf eine lange Geschichte zurückblicken konnten.
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