Finsteres Abendland - leuchtender Orient?

Die Kirche hatte eine machtvolle Stellung im Leben der Menschen des Mittelalters und bestimmte Politik und Gesellschaft auf einzigartige Weise.

Moderator: Barbarossa

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Agrippa
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Ausgehend von einem Zitat in einem andern thread möchte ich dieses Thema ansprechen. Leider gibt es im Bereich Mittelalter keinen Themenblock "Wissenschaft und Kultur". Deshalb kommt es hierhin zu "Glaube und Kirche".
Spartaner hat geschrieben: Während christliche Kirchen sich im Mittelalter dem verbrennen auf dem Scheiterhaufen zuwandten, wandten sich die Geistlchen der Al-Azhar-Univeristät in Kairo der Forschung zu.

Dass das christliche Mittelalter finster und rückständig war, während der Orient das Zentrum des Wissens und der Weisheit darstellte, ist klischeehafter Unsinn, gegründet auf einer romantischen Verklärung des 19.Jhs.

Sicher haben muslimische Gelehrte die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Antike weiter gepflegt. Man darf jedoch nicht vergessen, dass die Schriften der griechischen und römischen Gelehrten uns nur überliefert sind, weil sie in christlichen Klöstern von Mönchen abgeschrieben und erhalten wurden. Das widerspricht dem Klischee von einer wissensfeindlichen christlichen Kirche im Mittelalter.

Es ist ebenso unbestritten, dass beispielsweise die Bewässerungssysteme der Muslime in Andalusien jenen im nördlichen Europa weit voraus waren. Wenn es bei uns aber den ganzen Tag regnet, braucht man sich über die künstliche Bewässerung der Felder nicht den Kopf zu zerbrechen. In der europäischen Landwirtschaft des Mittelalters gab es andere Aufgaben, wie z.B. die Rodung von Wäldern und die Entwicklung der Dreifelderwirtschaft.

Betrachten wir einmal die Architektur:
Im späten 12. Jh. entwickelte sich von Frankreich ausgehend die Gotik, die ihre größte Aufgabe im Kathedralenbau fand. Die Kathedralen des christlichen Mittelalters sind statisch betrachtet hoch komplexe Bauwerke. Ohne ein fundiertes Wissen über Mathematik, Geometrie, Mechanik und Statik wäre die Errichtung dieser auch für heutige Verhältnisse unglaublich filigranen und hohen Gebäude nicht möglich gewesen. Der Kathedralbau konnte nicht auf antike Vorbilder zurückgreifen; er ist eine reine typologische Erfindung des Mittelalters. In der muslimischen Welt gab es nichts auch nur annähernd Vergleichbares.

Soviel zum kulturellen und technischen Stand der Wissenschaften im Mittelalter.

Und wie war es mit der Betrachtung der Welt?
Klischeehaft glauben manche bis heute, die Kirche des Mittelalters hätte die Erde als Scheibe betrachtet und wäre erst von Kolumbus eines besseren belehrt worden. Das ist Hollywood-Schwachsinn!

Bevor Kolumbus aufbrach, schuf Martin Behaim seinen berühmten „Erdapfel“, als wahrscheinlich ersten Globus (natürlich fehlten Nord-und Südamerika noch). Auch diese Darstellung der Welt widerspricht dem Klischee einer bornierten, verschlossenen Christenheit. Oder gibt es einen muslimischen Globus, der noch älter ist?

Und da wir dabei sind:
Die großen Entdeckungsfahrten seit dem frühen 15.Jh. wurden von christlichen Seefahrern unternommen. Es entwickelte sich ein wirtschaftliches Interesse aber auch eine Neugier, was es „jenseits des Tellerrandes“ zu entdecken gab.
Dagegen war die muslimische Seefahrt sehr eingegrenzt auf Arabien, die Ostküste Afrikas und die Westküste Indiens.
War es nicht die Expedition des Fernando Magellan, die als erste die Welt umsegelte?

Jenseits unreflektierter Klischees verliert das Bild vom finsteren Abendland und strahlenden Orient schnell an Substanz.
ehemaliger Autor K.

Ich halte von solchen Ausdrücken nicht viel. Finsteres Mittelalter?
Das 20.Jahrhundert mit seinem mörderischen Kriegen ist auch ziemlich düster.

Vor allem fehlt es auch an eindeutigen, quantifizierbaren Kriterien, die einen Vergleich überhaupt ermöglichen. Und der Zeitraum vom fünften bis zum sechzehnten Jahrhundert ist sehr lang und keineswegs immer gleichförmig gewesen. Auch müsste festgelegt werden, was unter Orient verstanden werden soll.

Nehmen wir aber nur die arabische Welt. Die Araber haben riesige Gebiete früherer Hochkulturen wie Persien oder Ägypten erobert und konnten deshalb auf gewaltige Ressourcen zurückgreifen. Auch waren diese Regionen nicht so zerstört wie die Gebiete in Westeuropa, die unter der Völkerwanderung gelitten hatten. In den eroberten Gebieten gab es zudem effektive Verwaltungsbürokratien, die von den Arabern übernommen wurden.

Wenn wir quantitative Vergleiche nehmen, fällt die Bilanz aber lange Zeit zugunsten des Orients aus:
Die Städte waren viel größer als in Europa. (Immer Ausnahme: Byzanz). Cordoba 500.000, Kairo 300.000, Bagdad 250.000. Die Urbanisierung insgesamt viel weiter fortgeschritten. Das lässt auf hohe Flächenproduktivität schließen, um diese Menschen zu ernähren, auf entwickelte Warenbeziehungen, eine fortgeschrittene Geldwirtschaft, eine gute Infrastruktur, effektive Transportsysteme etc.

Die künstliche Bewässerung stellt viel höhere Anforderungen an Wissenschaft und Technik, als der Regenfeldbau und die Brandrodung in Westeuropa. Solche Systeme müssen ständig gewartet werden, brauchen einen großen Verwaltungsapparat, Kanäle, Staubecken, Tunnelsysteme in Persien von mehreren hundert Kilometern Länge mit zahlreichen Belüftungsschächten usw. Die Flächenproduktivität war wohl auch viel größer als in Europa.

Es gab zahlreiche Manufakturen, vor allem in Ägypten zur Zeit der Fatimiden. In Tinnis existierten staatliche Manufakturen mit 5.000 Webstühlen. Das Gewerbe war offensichtlich in der islamischen Welt weiter entwickelt als in Europa.

Die Handelsbeziehungen reichten nach Ostafrika, Indien, China und Indonesien. Die arabischen Händler waren vermutlich erheblich reicher als ihre europäischen Kollegen. Überhaupt schienen die arabischen Eliten beträchtlich höhere Einkommen gehabt zu haben als die Herrscher im Abendland. Ihr Konsum war auch viel raffinierter und luxuriöser. Auch konnten sie größere Armeen finanzieren.

Die Städte waren demzufolge viel reicher als bei uns. Ihr „Nettosozialprodukt zu Faktorkosten“ offensichtlich erheblich höher.

In einigen Städten gab es öffentliche Bibliotheken mit zahlreichen Werken. Der Alphabetisierungsgrad schien zumindest in einigen der orientalischen Metropolen größer gewesen zu sein als in Europa.

Von diesen quantitativen Merkmalen ausgehend, hatte der Orient anscheinend lange Zeit die Nase vorn. Das änderte sich dann ab dem 16. Jahrhundert deutlich. In Europa nimmt die Urbanisierung zu, werden die Städte größer und überflügeln die orientalischen Metropolen, die Flächenproduktivität steigt deutlich, es entsteht jetzt auch ein Manufaktursystem mit hoher Produktivität. Der Handel gewinnt deutlich an Umfang und umfasst auch viel größere Gebiete als vorher. Beschränkte er sich ursprünglich auf Europa und waren die europäischen Händler allenfalls Abnehmer orientalischer Waren gewesen, schaffen sie nun ein globales Handelssystem. Die absolutistischen Herrscher sind viel reicher als ihre Kollegen im Mittelalter, besitzen jetzt große Armeen und übertrumpfen die orientalischen Despoten. Auch die Alphabetisierung nimmt zu. Europa holt auf und bekommt einen großen Vorsprung.

(Die Angaben über den Orient im Mittelalter habe ich zum Teil im Kopf, teilweise finden sie sich in dem Buch Stefan Breuer, Imperien der Alten Welt, Stuttgart 1987, S. 216 ff)
Lia

Karlheinz hat geschrieben:Ich halte von solchen Ausdrücken nicht viel. Finsteres Mittelalter?
Das 20.Jahrhundert mit seinem mörderischen Kriegen ist auch ziemlich düster.
Die Verwendung " finsteres Mittelalter" als Abgrenzung zu uns angeblich so klugen, aufgeklärten Menschen ist erstens falsch verstanden, zweitens im historischen Zusammenhang schon ziermlich einfältig.
Ursprünglich bezieht sich der Ausdruck "dark ages"= finsteres Mittelalter nämlich nicht auf Kultur und Zivilisatins- und Wissensstand, sondern auf das Fehlen schriftlicher und archäologischer Quellen.
Wer den Begriff als Synonym für Unwissen, fehlende Kultur im Vergleich zu heute gebraucht, dem mag möglicherweise Wissen zum Mittelalter- ob im Orient oder Okzident fehlen oder es ist gedankenlos- arrogant.
Ohne die Entwicklungsschritte des MA, das durchaus eine dynamische Epoche war, wäre die ach so famose Neuzeit ja wohl kaum geworden.


An Agrippa, den Theadstarter:
Mich ärgert es seit langem, wenn hie das mittelalterliche Abendland als nur rückständig in Zivilisation, Kultur und Wissen dargestellt wird, was z.B. der Spiegel so gern tut, der grundsätzlich die Germanen als tumbe Menschen hinstellt und insgesamt das europäische Mittelalter als das Jammertal von Kultur und Zivilisation betrachtet.
Umgekehrt ist es nun auch nicht korrekt, den Orient als immer schon rückständig, primitiv, von islamistisher Engstirnigkeit beherrscht zu sehen.
So dumm, wie manche gern den Okzident sehen möchten, war der nun wieder auch nicht- siehe das Verständnis der Erde als Kugel, das sich schon bei mittelalterlichen Geschichtsschreibern findet.
Für eine ganze Weile lang dürfte jedoch- Karlheinz beschrieb die wichtigsten Punkte sehr trefflich, dem Abendland in einigem voraus gewesen sein.
Agrippa hat geschrieben:Man darf jedoch nicht vergessen, dass die Schriften der griechischen und römischen Gelehrten uns nur überliefert sind, weil sie in christlichen Klöstern von Mönchen abgeschrieben und erhalten wurden. Das widerspricht dem Klischee von einer wissensfeindlichen christlichen Kirche im Mittelalter.
Einerseits ja- andererseits tendierten die Kirchenoberen durchaus dazu, dieses Wissen nicht zu öffentlich werden zu lassen, wenn es ihnen unbequem werden konnte, die eigene Machtposition schwächte, ihnen das Geschäft verdarb oder es ihnen tatsächlich aus ihrem Glaubensverständnis als " Hexerei" erschien.
Sehr interessant zu lesen, nur auf Französisch erhältlich:
Acteurs des transferts culturels en Méditerranée médiévale
von Rania Abdellatif (Herausgeber), Yassir Benhima (Herausgeber), Daniel König (Herausgeber), Elisabeth Ruchaud (Herausgeber)

Bezieht sich zwar auf den Mittelmeerraum, da der Rest Europas von diesem nunmal ganz und gar nicht abgekoppelt war, finden sich wertvolle Hinweise auf den Austausch zwischen den Kulturen auf vielen Ebenen.
Karlheinz hat geschrieben:Ihr Konsum war auch viel raffinierter und luxuriöser.
Was in zeitgenössischen Quellen mal als verwerflich, mal als bewundernswert dargestellt wird. :mrgreen: Die Feinheiten des höfischen Lebens oder das reicher Stadtbewohner, von Speisen in angenehmen Ambiente mit Kultiviertheit kam übers Mittelmeer und fiel in den alten, von griechisch- römischer Kultur noch immer geprägten Mittelmeer-Regionen auf fruchtbaren Boden - bei denen, die es sich leisten konnten.
Gibt Theorien, wonach auch die Ursprünge der Trobadors nicht ganz ohne arabische Zutaten zu sehen seien.
Gibt noch viel mehr, wo orientalischer Einfluss dem Abendland Impulse gab.
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Agrippa
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Hallo Karlheinz,

quantitative Vergleiche hinken, das weißt Du selbst.
Die Größe von Städten allein erlaubt keine Aussage zur kulturellen Entwicklung. Erst recht sind daraus keine Aussagen zum Stand von Forschung, Wissenschaft und Technik möglich.

Genauso könnte ich erwidern, dass seit dem 9. Jh. in Deutschland und im Zuge der Ostkolonisation seit dem 12. Jh. unzählige neue Orte und Städte gegründet und ganze Landstriche kultiviert wurden. Für diese Pionierleistungen bedarf es einer strukturierten Organisation und Motivation, aber keiner Forschung und Wissenschaft.

Außerdem gibst Du selbst zu, dass sich die arabische Seefahrt auf die ihnen bekannten Routen beschränkte.
Die Hanse hatte ebenfalls ein dichtes Netz an Seerouten zum Zwecke des Fernhandels etabliert. Das war nichts besonderes.
Die Entdeckungsfahrten des 15. Jhs. bewegen sich auf einer ganz anderen Ebene. Hier sollten vollkommen neue, bisher unbekannte Seehandelswege systematisch erschlossen werden, die jedes damals gewohnte Maß übertrafen.
Dazu war eine Entwicklung neuer hochseetauglicher Schiffstypen notwendig sowie eine umfangreiche Kenntnis in Navigation und Nautik. Hier wurde, zuerst von Portugal ausgehend, tatsächliche empirische Forschung betrieben.

Mit der Fahrt des Kolumbus wurde wiederum eine vollkommen neue Ebene erreicht. In einer Welt, die nur die Küstenseefahrt auf Sicht kannte, war die Fahrt über den offenen Ozean vollkommen neu und ohne fundierte Kenntnis in Astronomie und Navigation undenkbar.
Es waren Europäer, die den Atlantik überquerten und den amerikanischen Kontinent erreichten und keine marrokanischen oder andalusischen Seefahrer.

Aber gerne zurück zum angeblich „finsteren europäischen Mittelalter“: dem Thema der Baukunst weichst Du vollkommen aus.
Agrippa hat geschrieben:Im späten 12. Jh. entwickelte sich von Frankreich ausgehend die Gotik, die ihre größte Aufgabe im Kathedralbau fand. Die Kathedralen des christlichen Mittelalters sind statisch betrachtet hoch komplexe Bauwerke. Ohne ein fundiertes Wissen über Mathematik, Geometrie, Mechanik und Statik wäre die Errichtung dieser auch für heutige Verhältnisse unglaublich filigranen und hohen Gebäude nicht möglich gewesen. Der Kathedralbau konnte nicht auf antike Vorbilder zurückgreifen; er ist eine reine typologische Erfindung des Mittelalters. In der muslimischen Welt gab es nichts auch nur annähernd Vergleichbares.

Dass die muslimische Welt im Mittelalter und der frühen Neuzeit in Sachen Wissenschaft und Technik dem christlichen Europa weit überlegen war, ist ein Klischee, basierend auf einer romantischen Verklärung des 19. Jhs., die auch heute noch in vielen Köpfen herumspukt.
ehemaliger Autor K.

Agrippa
Quantitative Vergleiche hinken, das weißt Du selbst.
Die Größe von Städten allein erlaubt keine Aussage zur kulturellen Entwicklung. Erst recht sind daraus keine Aussagen zum Stand von Forschung, Wissenschaft und Technik möglich.
Das ist nicht richtig. Bei uns in dem sozialökonomischen Fachbereich arbeiten wir wie folgt: Wir entwickeln zunächst ein System von Merkmalen um einen Begriff wie etwa Entwicklung genau einzugrenzen. Danach quantifizieren wir diese und entwickeln Indices. So arbeitet heute die Wissenschaft, so wird beispielsweise auch der Human Developement Index erstellt. Und aus den so gewonnen Daten lassen sich Vergleiche erarbeiten und auch qualitative Aussagen ableiten. Dass etwa die antike Zivilisation der Römer und Griechen mit ihrer städtischen Kultur den germanischen Dorfgemeinschaften überlegen war, das wirst du doch wohl auch nicht bestreiten wollen.
Agrippa
Genauso könnte ich erwidern, dass seit dem 9. Jh. in Deutschland und im Zuge der Ostkolonisation seit dem 12. Jh. unzählige neue Orte und Städte gegründet und ganze Landstriche kultiviert wurden. Für diese Pionierleistungen bedarf es einer strukturierten Organisation und Motivation, aber keiner Forschung und Wissenschaft.
Hier handelt es sich um eine rein extensive Erweiterung der Wirtschaft. Dies ist viel einfacher, als eine intensive Erweiterung durch Produktivitätssteigerung. Bei den Bewässerungssystemen handelt es sich um eine Weiterentwicklung von Forschung, Technik, Wissenschaft. Dieses signalisiert eine höhere Entwicklung als eine extensive Brandrodungswirtschaft bei gleichbleibender Technik.
Agrippa
Außerdem gibst Du selbst zu, dass sich die arabische Seefahrt auf die ihnen bekannten Routen beschränkte.
Die Hanse hatte ebenfalls ein dichtes Netz an Seerouten zum Zwecke des Fernhandels etabliert. Das war nichts besonderes.
Nichts gegen die Hanse. Ihr Aktionsradius war aber begrenzt. Der arabische Handel reichte hingegen von Andalusien bis China, umfasste also den halben Erdball.
Agrippa
Es waren Europäer, die den Atlantik überquerten und den amerikanischen Kontinent erreichten und keine marrokanischen oder andalusischen Seefahrer.
Die Araber brauchten keine Entdeckungsfahrten zu unternehmen, da sie die Länder, China und Indien, die von den Europäern gesucht wurden, ja bereits kannten. Mit denen trieben sie seit Jahrhunderten Handel und unterhielten dort bereits Stützpunkte. Wozu etwas suchen, was man schon lange kennt? Die Entdeckung Amerikas war zufällig und von den Europäern nicht geplant.
Außerdem würde ich auf die aus der Entdeckung Amerikas resultierenden Folgen, als da wären die fast völlige Ausrottung der Indianer, der Sklavenhandel usw. auch nicht so wahnsinnig stolz sein.

In Bagdad wurde ein „Haus des Wissens“ gegründet nach dem Vorbild der alten Bibliothek in Alexandria. Hier wurde vor allem die gesamte Literatur der Antike ins Arabische übersetzt. Diese Klassiker sind dann vor allem über Spanien wieder nach Europa gekommen, in dem man sie aus dem Arabischen wieder rückübersetzte.

Bedeutendes leisteten die Araber auf dem Gebiet der Mathematik. Sie übernahmen von den Indern die Zahlen, erweiterten sie um die 0 und die negativen Zahlen. Viele Bezeichnungen wie Algebra, Algorithmus usw. stammen aus dem arabischen Raum. Die Lehrbücher der Medizin wie z.B. die von Avicenna hatten großen Einfluss auf die europäische Heilkunst.

Es macht jetzt wirklich keinen Sinn, die Leistungen des Orients klein zu reden. Offensichtlich geschieht dies auch aus ideologischen Gründen und verstößt damit gegen die Regeln der wissenschaftlichen Redlichkeit.

Man kann mit Sicherheit sagen: Nicht nur die orientalische Kultur, auch die der Inder und der Chinesen und wahrscheinlich auch die der Südostasiaten war lange Zeit den Europäern überlegen. Wenn man dies feststellt, vergibt man sich nichts. Das ist keine Schande, sondern der Lauf der Weltgeschichte. Alles andere ist ein Rückfall in europäischen Chauvinismus.
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Agrippa
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Karlheinz hat geschrieben: Es macht jetzt wirklich keinen Sinn, die Leistungen des Orients klein zu reden. Offensichtlich geschieht dies auch aus ideologischen Gründen und verstößt damit gegen die Regeln der wissenschaftlichen Redlichkeit.
Du scheinst meine Aussage nicht verstanden zu haben.
Agrippa hat geschrieben: Dass die muslimische Welt im Mittelalter und der frühen Neuzeit in Sachen Wissenschaft und Technik dem christlichen Europa weit überlegen war, ist ein Klischee, basierend auf einer romantischen Verklärung des 19. Jhs., die auch heute noch in vielen Köpfen herumspukt.
Ich rede nicht die Leistungen des Orients klein, sondern störe mich umgekehrt daran, das mittelalterliche Abendland als eine rückständige, wissensfeindliche Zeit zu betrachten.
Es scheint in unserer Gesellschaft als "politisch korrekt" zu gelten, wenn man die eigene Kultur und seine Vergangenheit herabmindert. Am besten noch einhergehend mit einer allgemeinen Kirchenkritik. Diese Haltung ist zu eindimensional und zeugt von einer Beeinflussung durch einfache Klischees.

Karlheinz hat geschrieben: Man kann mit Sicherheit sagen: Nicht nur die orientalische Kultur, auch die der Inder und der Chinesen und wahrscheinlich auch die der Südostasiaten war lange Zeit den Europäern überlegen. .
Als Wissenschaftler kann ich Dich vor Formulierungen wie "Man kann mit Sicherheit sagen, dass..." nur warnen. :!:

Karlheinz hat geschrieben: Wenn man dies feststellt, vergibt man sich nichts. Das ist keine Schande, sondern der Lauf der Weltgeschichte. Alles andere ist ein Rückfall in europäischen Chauvinismus.
Jetzt wird es seltsam. Wenn man den Kathedralbau des europäischen Mittelalters als herausragende Ingenieursleistung bezeichnet, die in ihrer Zeit ihres gleichen sucht, ist man ein Chauvinist? :crazy:
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Marek1964
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Interessante Diskussion.
Karlheinz hat geschrieben:Ich halte von solchen Ausdrücken nicht viel. Finsteres Mittelalter?
Das 20.Jahrhundert mit seinem mörderischen Kriegen ist auch ziemlich düster.

Vor allem fehlt es auch an eindeutigen, quantifizierbaren Kriterien, die einen Vergleich überhaupt ermöglichen. Und der Zeitraum vom fünften bis zum sechzehnten Jahrhundert ist sehr lang und keineswegs immer gleichförmig gewesen. Auch müsste festgelegt werden, was unter Orient verstanden werden soll.
Agrippa hat geschrieben: Ich rede nicht die Leistungen des Orients klein, sondern störe mich umgekehrt daran, das mittelalterliche Abendland als eine rückständige, wissensfeindliche Zeit zu betrachten.
Ich denke, Eure Standpunkte sind eigentlich gar nicht so weit voneinander entfernt.
Stephan
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Karlheinz hat geschrieben:Bedeutendes leisteten die Araber auf dem Gebiet der Mathematik. Sie übernahmen von den Indern die Zahlen, erweiterten sie um die 0 ...
Die Seite Der mathematische Sinn der Null beschäftigt sich ausführlich und leicht verständlich mit der Zahl Null sowie dem zugehörigen Zahlzeichen. Dort findet sich auch:
Im 6. Jh. tauchte die Null dann auch in Indien auf. Als Zeichen für die Null wurden der Punkt bzw. ein Kreis verwendet. Daraus entwickelte sich die heutige ovalförmige Null. Mit der Erfindung der Null in Indien entwickelte sich auch das Positionssystem. Das Positionssystem bestimmt die Wertigkeit der einzelnen Ziffern. Die Null oder eine andere Ziffer nach einer Ziffer erhöht die Wertigkeit dieser Ziffer um je mal Zehn, zwei Ziffern mal Hundert und so weiter. Dadurch wurde es möglich, größere Zahlen mit wenigen Ziffern zu Papier zu bringen. Es war also das heutzutage gängige Dezimalsystem erfunden. Das Besondere an diesem Zahlensystem ist die leichtere Verständlichkeit der Größe der Zahlen. Außerdem vereinfacht es das Rechnen enorm.

Die Vorteile des Positionssystems und der Null erkannten dann auch viele andere asiatische Kulturen. Im 8. Jh. übernahmen die Chinesen die Null und kurz darauf die Araber.
Freundliche Grüsse
Stephan
ehemaliger Autor K.

Agrippa
Es scheint in unserer Gesellschaft als "politisch korrekt" zu gelten, wenn man die eigene Kultur und seine Vergangenheit herabmindert. Am besten noch einhergehend mit einer allgemeinen Kirchenkritik. Diese Haltung ist zu eindimensional und zeugt von einer Beeinflussung durch einfache Klischees.
Ob das wirklich politisch korrekt ist oder sich das einige nur einbilden, weiß ich nicht. Ich teile diese Meinung nicht. Aber die orientalischen Leistungen klein zu reden und die europäischen aufzuwerten oder umgekehrt und dann daraus indirekt Wertungen abzuleiten, davon halte ich auch nichts. Objektive Darstellungen brauchen wir. Vergleiche zwischen Okzident und Orient hatten oftmals ideologische Hintergründe und dagegen verwahre ich mich.
Agrippa
Als Wissenschaftler kann ich Dich vor Formulierungen wie "Man kann mit Sicherheit sagen, dass..." nur warnen.
Ich bin auch Wissenschaftler und Dozent an einer Universität. Danke für die Warnung, aber ich komme allein klar.
Jetzt wird es seltsam. Wenn man den Kathedralbau des europäischen Mittelalters als herausragende Ingenieursleistung bezeichnet, die in ihrer Zeit ihres gleichen sucht, ist man ein Chauvinist?
Verstehe ich nicht. Ist auch unwichtig.
Lia

Agrippa hat geschrieben:Ich rede nicht die Leistungen des Orients klein, sondern störe mich umgekehrt daran, das mittelalterliche Abendland als eine rückständige, wissensfeindliche Zeit zu betrachten.
Zumindest sind wir uns da einig, :) , wenn es um das Schwarz-Weiß-Denken geht, das - völlig unhistorisch, aber absichtlich, europäische Kulturleistungen so klein redet wie - ebenso absichtlich- die Leistungen des Orients einst vom "europäischen Chauvinismus" ignoriert wurden. Und werden.
"Das europäische Mittelalter" gab es imho sowieso nicht, sondern unterschiedliche Epochen, die, bei Feinanalyse, noch unterschiedliche Auswirkungen auf die Regionen Europas hatten.
Was auf gar keinen Fall vergessen werden darf: Der Austausch war in alle Richtungen globaler als dass das grobe Raster "Entweder- Oder" dem gerecht würde.
ehemaliger Autor K.

Stephan hat geschrieben:
Karlheinz hat geschrieben:Bedeutendes leisteten die Araber auf dem Gebiet der Mathematik. Sie übernahmen von den Indern die Zahlen, erweiterten sie um die 0 ...
Die Seite Der mathematische Sinn der Null beschäftigt sich ausführlich und leicht verständlich mit der Zahl Null sowie dem zugehörigen Zahlzeichen. Dort findet sich auch:
Im 6. Jh. tauchte die Null dann auch in Indien auf. Als Zeichen für die Null wurden der Punkt bzw. ein Kreis verwendet. Daraus entwickelte sich die heutige ovalförmige Null. Mit der Erfindung der Null in Indien entwickelte sich auch das Positionssystem. Das Positionssystem bestimmt die Wertigkeit der einzelnen Ziffern. Die Null oder eine andere Ziffer nach einer Ziffer erhöht die Wertigkeit dieser Ziffer um je mal Zehn, zwei Ziffern mal Hundert und so weiter. Dadurch wurde es möglich, größere Zahlen mit wenigen Ziffern zu Papier zu bringen. Es war also das heutzutage gängige Dezimalsystem erfunden. Das Besondere an diesem Zahlensystem ist die leichtere Verständlichkeit der Größe der Zahlen. Außerdem vereinfacht es das Rechnen enorm.

Die Vorteile des Positionssystems und der Null erkannten dann auch viele andere asiatische Kulturen. Im 8. Jh. übernahmen die Chinesen die Null und kurz darauf die Araber.

Woher die Null ursprünglich stammt, ist nicht eindeutig gesichert. Sie könnte möglicherweise in China entwickelt worden sein. Ich muss mich allerdings korrigieren. Die Null und auch die negativen Zahlen finden sich in dem astronomischen Werk Siddhanta, welches 711 von einem indischen Reisenden nach Bagdad gebracht wurde. Ob dies eine eigenständige indische Kreation ist und nicht möglicherweise Teile aus China kommen, ist nicht geklärt. Der Kalif ließ es in das Arabische übersetzen von Muhammad ibn-Ibrahim al-Fazari. Diese Übersetzung ermöglichte es dem persischen Mathematiker und Astronomen al-Chwarizmi seine vielen mathematischen Überlegungen anzustellen. Über diesen Umweg erfuhren später auch die Europäer von diesem Werk und seitdem nennen wir die indischen Zahlen irrtümlich arabische Zahlen.
(Peter Watson, Ideen, München 2005, S.439 f.)
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Agrippa
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Agrippa hat geschrieben: Jetzt wird es seltsam. Wenn man den Kathedralbau des europäischen Mittelalters als herausragende Ingenieursleistung bezeichnet, die in ihrer Zeit ihres gleichen sucht, ist man ein Chauvinist?
karlheinz hat geschrieben:Verstehe ich nicht. Ist auch unwichtig.
Na gut, dann noch einmal:
Karlheinz hat geschrieben: Man kann mit Sicherheit sagen: Nicht nur die orientalische Kultur, auch die der Inder und der Chinesen und wahrscheinlich auch die der Südostasiaten war lange Zeit den Europäern überlegen. (…) Alles andere ist ein Rückfall in europäischen Chauvinismus.
Du meinst also „mit Sicherheit“ sagen zu können, dass die orientalische Kultur, die Du bis jetzt noch nicht eindeutig definiert hast, und jene der Inder, Chinesen und wahrscheinlich Südostasiaten, auch hier fehlt eine Präzisierung, den Europäern (welchen?) lange Zeit (wann?) überlegen war.

Auf welchen Sachverhalt du diese vermeintlich erkannte Überlegenheit beziehst, lässt Du ebenfalls offen.
Nehmen wir einmal an, Du meinst „Kultur“ im Allgemeinen, so beinhaltet dieses zweifellos auch die Baukultur, als aussagekräftiges Merkmal kultureller Entwicklung.

In diesem Zusammenhang habe ich wiederholt darauf hingewiesen, dass der seit dem 12. Jh. von Frankreich ausgehende Kathedralbau nicht nur eine typologische und architektonische, sondern vor allem eine ingenieurtechnische Leistung darstellt, die in ihrer Zeit ihres gleichen sucht.

Anstatt darauf einzugehen formulierst Du die These, dass die anderen o.g. Kulturen „mit Sicherheit“ den Europäern lange Zeit voraus waren, um dann auch noch anzufügen: „Alles andere (also jede andere Meinung, Anm. d.Verf.) ist ein Rückfall in europäischen Chauvinismus“.
ehemaliger Autor K.

Agrippa hat geschrieben:
Agrippa hat geschrieben: Jetzt wird es seltsam. Wenn man den Kathedralbau des europäischen Mittelalters als herausragende Ingenieursleistung bezeichnet, die in ihrer Zeit ihres gleichen sucht, ist man ein Chauvinist?
karlheinz hat geschrieben:Verstehe ich nicht. Ist auch unwichtig.
Na gut, dann noch einmal:
Karlheinz hat geschrieben: Man kann mit Sicherheit sagen: Nicht nur die orientalische Kultur, auch die der Inder und der Chinesen und wahrscheinlich auch die der Südostasiaten war lange Zeit den Europäern überlegen. (…) Alles andere ist ein Rückfall in europäischen Chauvinismus.
Du meinst also „mit Sicherheit“ sagen zu können, dass die orientalische Kultur, die Du bis jetzt noch nicht eindeutig definiert hast, und jene der Inder, Chinesen und wahrscheinlich Südostasiaten, auch hier fehlt eine Präzisierung, den Europäern (welchen?) lange Zeit (wann?) überlegen war.

Auf welchen Sachverhalt du diese vermeintlich erkannte Überlegenheit beziehst, lässt Du ebenfalls offen.
Nehmen wir einmal an, Du meinst „Kultur“ im Allgemeinen, so beinhaltet dieses zweifellos auch die Baukultur, als aussagekräftiges Merkmal kultureller Entwicklung.

In diesem Zusammenhang habe ich wiederholt darauf hingewiesen, dass der seit dem 12. Jh. von Frankreich ausgehende Kathedralbau nicht nur eine typologische und architektonische, sondern vor allem eine ingenieurtechnische Leistung darstellt, die in ihrer Zeit ihres gleichen sucht.

Anstatt darauf einzugehen formulierst Du die These, dass die anderen o.g. Kulturen „mit Sicherheit“ den Europäern lange Zeit voraus waren, um dann auch noch anzufügen: „Alles andere (also jede andere Meinung, Anm. d.Verf.) ist ein Rückfall in europäischen Chauvinismus“.
Pardon, ich habe ja nun alles bereits erklärt und ich wiederhole mich nicht gerne. Also, lesen und verstehen. Ende
Stephan
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Karlheinz hat geschrieben:Man kann mit Sicherheit sagen: Nicht nur die orientalische Kultur, auch die der Inder und der Chinesen und wahrscheinlich auch die der Südostasiaten war lange Zeit den Europäern überlegen. Wenn man dies feststellt, vergibt man sich nichts. ...
Man vergibt sich vielleicht nichts, leistet aber möglicherweise, wenn auch unbewusst, einer abzulehnenden Geisteshaltung Vorschub.

Abgesehen davon, dass es keine objektiven Maßstäbe für die Überlegenheit einer Kultur gibt, gibt es gute historische und aktuelle Gründe, die gegen derartige >>Vergleiche<< sprechen. Aus der Tatsache, dass bei den San das Klavierspielen eher selten ist, kann man noch lange nicht schlussfolgern, dass die deutsche Kultur seiner Kultur >>überlegen<< ist. Für das Überleben in der Namib könnte sich ein Klavier sogar als hinderlich erweisen.
Freundliche Grüsse
Stephan
Cherusker
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Karlheinz hat geschrieben:...
Die Araber brauchten keine Entdeckungsfahrten zu unternehmen, da sie die Länder, China und Indien, die von den Europäern gesucht wurden, ja bereits kannten. Mit denen trieben sie seit Jahrhunderten Handel und unterhielten dort bereits Stützpunkte. Wozu etwas suchen, was man schon lange kennt? Die Entdeckung Amerikas war zufällig und von den Europäern nicht geplant.
Außerdem würde ich auf die aus der Entdeckung Amerikas resultierenden Folgen, als da wären die fast völlige Ausrottung der Indianer, der Sklavenhandel usw. auch nicht so wahnsinnig stolz sein.

...
Das kann man so nicht stehen lassen. Da gibt es einige Punkte, die dem widersprechen:
* Die Europäer mußten neue Wege suchen, weil die Araber die Seidenstraße (den Weg nach Asien) versperrten. Somit haben die Araber die alten Handelswege blockiert. :wink:
* Ferner kannten schon die Römer China und auch die Griechen waren in Indien. Der Islam hat nur von den zivilisierten antiken Europäern profitiert. Und die Araber konnten keine so guten Kontakte nach Asien gehabt haben, da sie von den Mongolen völlig überrascht wurden. Für die Europäer kann ich es verstehen, wenn da Hunnen oder Mongolen aus den Steppen kommen, aber für Leute aus dem Orient, die angeblich so gute Kontakte nach China und Indien hatten? :wink:
* In "Schwarzafrika" waren die Araber jahrhundertelang nur als Sklavenjäger "berühmt". :wink: Da bestand überhaupt kein Interesse an Handel.....außer mit Sklaven..... :mrgreen: Und das änderte sich auch nicht. :(
* Die Wikinger waren schon lange vor Kolumbus in Amerika und es ist nicht von der Hand zu weisen, daß Kolumbus aus seinen nördlichen Kontakten Informationen erhalten hat.
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