Finsteres Abendland - leuchtender Orient?

Die Kirche hatte eine machtvolle Stellung im Leben der Menschen des Mittelalters und bestimmte Politik und Gesellschaft auf einzigartige Weise.

Moderator: Barbarossa

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Titus Feuerfuchs
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Karlheinz hat geschrieben:[...]

So ähnlich schätzt man auch die Kulturen ein: eine hochkomplexe Gesellschaft wie z.B. in den USA wird höher bewertet als das Volk der San. Die USA haben auch objektiv wesentlich mehr Möglichkeiten als diese.
Man kann natürlich einwenden: Alle Menschen sind gleich, egal ob Arzt oder ALG II Bezieher und auch alle Kulturen sind gleich, egal ob es sich um die USA oder die San handelt. Ist das aber wirklich so?
[...]
Nein.
MfG,
Titus Feuerfuchs
ehemaliger Autor K.

Agrippa hat geschrieben:So, so, jetzt machst Du also einen Rückzieher. :mrgreen:

Du hattest doch geschrieben:
Karlheinz hat geschrieben:Man kann mit Sicherheit sagen: Nicht nur die orientalische Kultur, auch die der Inder und der Chinesen und wahrscheinlich auch die der Südostasiaten war lange Zeit den Europäern überlegen. (...)Alles andere ist ein Rückfall in europäischen Chauvinismus.
Und nun meinst Du:
Karlheinz hat geschrieben:Mir ging es nur darum zu zeigen, das die Araber seinerzeit glaubten, sie seien der europäischen Kultur überlegen, was natürlich in keiner Weise bedeutet, dass sie dies auch waren.
Bist Du zur Einsicht gelangt oder hast einfach nur den Überblick verloren?

Du schreibst, dass die Araber glaubten, der europäischen Kultur überlegen zu sein, was aber nicht bedeutet, dass sie es tatsächlich waren. Aus deinem ersten Zitat geht aber eindeutig hervor, dass sie es deiner Meinung nach doch waren! Muss das einer verstehen?

Dann beantworte mir mal eine Frage:
Welche Rolle spielt es bei vorliegender Diskussion, was die Muslime glaubten oder über die Europäer dachten? Ich habe Dir geschrieben, dass solche herabwürdigenden Äußerungen auf topoi beruhen und weitgehend wertlos sind.

Wieso verstehst du das nicht? Was die Araber glauben und was ich glaube, sind doch zwei ganz verschiedene Dinge. Ich hatte ja inzwischen auch gesagt, dass wir lieber nicht den Begriff „überlegen“ benutzen sollten, sondern Komplexität. Und da bin ich in der Tat der Meinung, dass die orientalische Kultur lange Zeit einen höheren Grad von Komplexität aufwies. Das hatte ich ja auch ausgiebig nachgewiesen. Und wie man dies bewerten soll, überlegen, unterlegen, gleichwertig, das überlasse ich den Leuten mit den ideologischen Scheuklappen.
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Agrippa
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Karlheinz hat geschrieben: Ich hatte ja inzwischen auch gesagt, dass wir lieber nicht den Begriff „überlegen“ benutzen sollten, sondern Komplexität.
Wieso "wir"? Wenn ich mich richtig erinnere, warst Du es, der den Begriff "überlegen" ins Spiel brachte:
Karlheinz hat geschrieben:Man kann mit Sicherheit sagen: Nicht nur die orientalische Kultur, auch die der Inder und der Chinesen und wahrscheinlich auch die der Südostasiaten war lange Zeit den Europäern überlegen. (...)Alles andere ist ein Rückfall in europäischen Chauvinismus.
Nun hast Du gemerkt, dass deine Aussage Unsinn war und versuchst Dich mit dem Begriff "Komplexität" zu retten.
Karlheinz hat geschrieben: Wie man dies bewerten soll, überlegen, unterlegen, gleichwertig, das überlasse ich den Leuten mit den ideologischen Scheuklappen.
Hier wirst Du schon wieder polemisch. Ich kann Dir von solchen Formulierungen, zumindest im wissenschaftlichen Diskurs, nur abraten. Wenn Du möchtest, dass die Menschen mit Dir reden, solltest Du auf persönliche Herabwürdigungen verzichten.
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Agrippa
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hangover hat geschrieben: Man bedenke, welches technologische Niveau der Nahe Osten zur Zeit der Kreuzzüge hatte im Vergleich zum christlichen Westen. Der Islam auf der Höhe, während wir hier nach der Blüte Athens und Roms den Mond abends mit der Stange weitergeschoben haben.


In Europa wurde also im Hochmittelalter der „Mond mit der Stange weitergeschoben“?

Und das soll ernsthaft der „Stand der Wissenschaft“ sein?

Und wer hat die Kathedralen erdacht, entworfen und realisiert? Waren es etwa Außerirdische?

Zufällig bin ich in der Bauforschung tätig und kann Dir versichern, dass der Kathedralenbau nach mittelalterlichen Maßstäben reinste Hochtechnologie war.

Diese Leistung mit „den Mond weiterschieben“ zu bezeichnen, ist vollkommen absurd.
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Agrippa
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Die Baukunst ist seit jeher Maßstab des Zivilisationsstandes einer Kultur.
Es gibt drei große Technologiesprünge in der Baugeschichte:

Die Pyramiden in Ägypten, die Kathedralen des Mittelalters und die Wolkenkratzer.

Alle drei Phänomene sind nicht vom Himmel gefallen, sondern sind das Resultat von gründlicher empirischer Forschung und Ausdruck eines technologischen Fortschritts ihrer Zeit.

Dass die Ägypter klug waren, wissen wir. Auch die amerikanischen Ingenieure des späten 19. Jhs. waren clever. Nur die Baumeister des europäischen Mittelalters sollen angeblich "den Mond mit der Stange weitergeschoben" haben.
hangover
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Ach, HIER ist der wundersame Faden. :clap:

Ich hatte es angedeutet und bleibe dabei: Muckelt ihr mal schick weiter hier und baut Euch die Welt, wie Ihr sie braucht. Und das macht Ihr ganz prima ohne mich.
Man fragt sich, welche Profilneurose dahinter stecken mag, nicht anerkennen zu können, dass die Europa nicht von Anbeginn der Zeitrechnung an den Nabel der Welt darstellt.

PS:
Ein Querlesen in diesem Faden hat ergeben, dass ein Karlheinz sich schon die Mühe machte und auch scheiterte. Diesen Fehler werde ich nicht begehen, zumal alle Fragen wirklich beantwortet wurden von Karlheinz, scheint es.
Ich bin dann mal weg. ;)
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Agrippa
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hangover hat geschrieben: Es ist absolut richtig, dass ein Teil des arabischen Wissens im MIttelalter aus römischer und griechischer Feder stammt. Der Westen hat es immerhin geschafft, das vorhandene Wissen in Rekordzeit zu vergessen.
Der erste Satz ist richtig, im zweiten verfällst Du schon wieder in Hollywood-Klischees.

Die Schriften der griechischen und römischen Philosophen sind uns nicht im Original erhalten, sondern durch Abschriften, die in christlichen Klöstern angefertigt wurden.

Warum haben sich die Mönche diese Arbeit gemacht, wenn man angeblich das vorhandene Wissen in Rekordzeit vergessen wollte?

Cheruskers Vermutung, dass das wohl nicht dein Fachgebiet ist, halte ich für durchaus berechtigt.
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Barbarossa
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Das mit der Stange und dem Mond meinte hangover sicher nur im übertragenen Sinne. Abgesehen davon war z. B. das heliozentrische Weltbild noch recht lange umstritten. Da waren ein paar Griechen so um 300 v. Chr. schon weiter.
;-)

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Agrippa
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Es ist auch ein Hollywood-Märchen, die christliche Kirche habe im Mittelalter geglaubt, die Erde sei eine Scheibe und erst Kolumbus habe sie eines Besseren belehrt.

Christen wie Muslime wussten von den Griechen, dass die Erde eine Kugel ist, gingen aber davon aus, dass sie im Mittelpunkt des Planetensystems stehe, so wie es Claudius Ptolemaios um 100 n.Chr. definiert hatte. Obwohl Aristarchos von Samos bereits im 3. Jh. v.Chr. ein heliozentrisches Weltbild vorgeschlagen hatte.

Da Christen und Muslime die antiken Erkenntnisse des Ptolemaios nicht anzweifelten, übernahmen sie gleichfalls dessen Fehler.
Da zudem in den heiligen Schriften von drei Völkern Abrahams berichtet wird, gingen beide, Christen wie Muslime, davon aus, dass es auch nur drei Erdteile geben kann: Asien, Europa und Afrika.

Keiner war dem anderen dahingehend voraus.

Erst Kopernikus bemerkte durch genaue Beobachtungen und Berechnungen, dass in Wahrheit die Sonne im Mittelpunkt unseres Planetensystems steht.
Die muslimischen Astronomen unternahmen ihre Forschungen hauptsächlich, um den Kalender zu präzisieren. Darin waren sie den Europäern tatsächlich voraus.
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Agrippa
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Barbarossa hat geschrieben:Das mit der Stange und dem Mond meinte hangover sicher nur im übertragenen Sinne.
Das er das nicht im wörtlichen Sinne meinte, ist schon klar. :mrgreen:

Eine Diskussion wird allerdings dadurch erschwert, wenn man sich fragen muss, was hangover mit seinen Äußerungen gemeint haben könnte.

Ich würde niemals schreiben: „Die Muslime hätten den (Halb-)Mond mit der Stange weggeschoben.“

Solche Äußerungen sind unbedacht und zeugen von einer gewissen Borniertheit.
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Agrippa
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hangover hat geschrieben: @Agrippa:
Ich bin WAS verfallen? Der Romantik?
Richtig erkannt! Dein negatives Bild des europäischen Mittelalters ist von der Romantik beeinflusst.
Ein bloßer Blick in wikipedia hätte gereicht:

"Populäre Mythen, Missverständnisse und historische Streitpunkte"
„Bereits in der Renaissance wurde die Epoche zwischen der Antike und der damaligen Gegenwart als ein Zeitalter betrachtet, in dem das Wissen und die Werte der antiken Kulturen in Vergessenheit geraten waren, woraus sich die kulturelle und geistige Unterlegenheit des Mittelalters ableiten ließ. Diese Bewertung wurde im 19. Jahrhundert im Zuge der aufkommenden Romantik übernommen und weiter ausgebaut, wobei die Rezeption vergangener Zeiten gemäß der Aufklärung, der Moral des Viktorianischen Zeitalters und durch „Fortschrittsgläubigkeit“ und Vernunftsorientierung beeinflusst wurde. Dadurch entstand im 19. Jahrhundert eine moderne und bis heute populäre Rezeption des historischen Mittelalters, die im Großen und Ganzen eher auf dem romantischen Zeitgeist als auf historischen Quellen basiert.
Im Laufe der Zeit haben sich auf diese Weise Vorstellungen vom historischen Mittelalter herausgebildet, die keine historische Grundlage haben und sich dennoch einer breiten Bekanntheit erfreuen.“


Ist doch toll, was man so alles dazulernt. :idea:
Dietrich
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hangover hat geschrieben: Man fragt sich, welche Profilneurose dahinter stecken mag, nicht anerkennen zu können, dass die Europa nicht von Anbeginn der Zeitrechnung an den Nabel der Welt darstellt.
Soweit ich das gelesen habe, hat niemand behauptet, Europa sei stets der Nabel der Welt gewesen.

Die kulturellen und zivilisatorischen Leistungen des Islam zur Zeit seiner Blüte im 8. - 13. Jh. wird keiner bestreiten wollen. Dass sich das früh- und hochmittelalterliche Europa zu dieser Zeit auf einer erheblich primitiveren Stufe befand, lässt sich in zahllosen seriösen Publikationen nachlesen - und zwar ausführlich begründet anhand zeitgenössischer Quellen. Kulturelle Hochleistungen sind stets mit Impulsen von außen verbunden, denn keine Kultur steht isoliert im Raum. Und so nahmen auch die Araber Anregungen aus allen Ländern auf, die sie eroberten. Das waren vor allem byzantinische und persische Kulturströme, antike griechische Werke z. B. von Aristoteles und Euklid sowie später auch wissenschaftliche Impulse aus Indien.

Bedeutsam ist, dass die Araber diese sehr unterschiedlichen kulturellen Ströme zu einer neuen islamischen Kultur verschmolzen, die uns schließlich als etwas Eigenständiges und Unverwechselbares entgegentritt. Diese kulturelle Blüte verwelkte aber im späten Mittelalter, was sicher mit der politischen Zersplitterung der islamischen Welt einhergeht. Seit der frühen Neuzeit geht die kulturelle Vormachtstellung vom Islam auf das europäische Abendland über, was mit dem kulturellen Highlight der Renaissance und den weltweiten Entdeckungsfahrten verbunden ist.

Dass auch das hochmittelalterliche Europa eigenständige kulturelle Leistungen hervorbrachte, sei am Rande angemerkt. Dazu zählt z.B. die Architektur in Form der Kathedralgotik. Auch gab es bedeutende Gelehrte wie Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Roger Bacon und Meister Eckhart. Ferner kam es zur Gründung von Universitäten und zum Ausbau der Städte. Dennoch ist festzuhalten, dass die islamische Kultur zu jener Zeit bedeutsamer und reichhaltiger war, ein aufgeklärteres Denken herrschte und vor allem Medizin und Heilkunde, Astronomie, Mathematik, Naturwissenschaften, Literatur und Dichtkunst in hoher Blüte standen. Europa hatte in den Jahrhunderten nach dem Untergang des Römischen Reichs einen extremen kulturellen Niedergang zu verkraften, von dem es sich erst seit dem Reich der Karolinger allmählich erholte.
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Agrippa
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Zweifellos waren Kunst und Wissenschaften im Islam des Mittelalters weit entwickelt und zweifellos gab es einen Wissensaustausch mit dem Abendland.
Andererseits ist es vollkommen falsch zu behaupten, im europäischen Mittelalter habe man derweilen „den Mond mit der Stange weggeschoben“.
Dieser Irrtum basiert auf einer verfehlten Mittelalter-Rezeption des 19. Jhs. Die These vom wissensfeindlichen europäischen Mittelalter ist vollkommen unreflektiert, weil sie die Karolingische Renaissance, die Artes liberales, die Scholastik und das gesamte europäische Kloster-und Universitätswesen ausblendet. Ganz abgesehen von der bereits mehrfach erwähnten Baukunst, die im Kathedralbau des 12. und 13. Jhs. weltweit ihres Gleichen suchte. Das wird gerne „am Rande“ erwähnt oder ganz ausgeklammert, weil es nicht in den gängigen Topos vom angeblich finsteren Mittelalter passt.
Stattdessen reduziert man das europäische Mittelalter gerne auf Inquisition, Pest und Kreuzzüge, die zweifellos auch dazugehörten.

Das hat nichts mit "europäischem Chauvinismus" oder "Islamfeindlichkeit" zu tun. Aber anscheinend schlagen die Emotionen zur Zeit zu hoch.

Als Literaturhinweis:
Ulrich Nonn: Mönche, Schreiber und Gelehrte. Bildung und Wissenschaft im Mittelalter, 2012
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Agrippa
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Im Zuge der etwas verzerrten Rezeption des europäischen Mittelalters wird die Gesellschaft im Islam gerne idealisierend verklärt. Dialektik ist stets ein wirksames Vorgehen, wenn man Sachverhalte erklären möchte.

Man sollte allerdings nicht vergessen, dass selbst im vielgerühmten Al-Andalus die Scharia herrschte, also auf Gotteslästerung und Hexerei die Todesstrafe stand. Ebenso gab es Leibeigenschaft und Sklaverei. Von einer „aufgeklärten“ Gesellschaft zu sprechen, ist somit verfehlt.
Auch war es Nicht-Muslimen bei Todesstrafe verboten, heilige Städte wie Mekka, Medina oder auch Timbuktu zu betreten. Selbst noch die Orientreisenden des 19. Jhs. mussten sich als Muslime ausgeben, um nicht dem Scharfrichter anheim zu fallen.
Die islamische Welt hatte also auch eine dunkle Seite, die jenseits von Sindbad und Sheherazade liegt.
Dietrich
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Agrippa hat geschrieben: Stattdessen reduziert man das europäische Mittelalter gerne auf Inquisition, Pest und Kreuzzüge, die zweifellos auch dazugehörten.
Das ist sicher eine unzulässige Verkürzung des Mittelalters.

Andererseits ist nicht zu leugnen, dass die islamische Kultur jener Zeit - Medizin, Astronomie, Mathematik, Naturwissenschaften, Literatur - der abendländischen weit voraus war. Die Gründe dafür sind bekannt: Dunkle Jahrhunderte in Europa nach dem Untergang Westroms mit partiellem Verlust der Schriftlichkeit, Rückkehr zur Naturalwirtschaft, Verfall von Literatur, Dichtkunst, Geschichtsschreiberei. Die Verfallserscheinungen betrafen die Regionen Europas in unterschiedlichem Maße, waren nördlich der Alpen stärker ausgeprägt als beispielsweise in Italien oder Südfrankreich. Die Völkerwanderung hatte alte Bindungen endgültig zerbrochen, der staatliche Zusammenhalt hatte sich aufgelöst, ohne dass indessen neue Staaten ein nachhaltiges Regiment installieren konnten. In Italien waren weite Gebiete nahezu entvölkert. Die Römerstädte an Rhein und Donau verödeten, römische Gutshöfe verschwanden, Straßen und Brücken zerfielen. Der Untergang der römischen Zivilisation führte zu einem Niedergang des Wissens und der Kultur und bewirkte vielfach einen Rückfall in barbarische Verhältnisse.

Um diesen Prozess aufzuhalten fassten Karl der Große und seine Berater den Plan, die Bildung im Frankenreich zu heben und alle Bereiche des Wissens und der Kunst zu erneuern. Um dies Ziel zu erreichen, griffen sie ganz bewusst auf Werke der römischen Antike zurück, die bei diesem Vorhaben als Vorbild dienen sollte. Moderne Historiker haben das unter dem Begriff "karolingische Renaissance" zusammengefasst.

Zu den Leistungen der karolingischen Hofkapelle und ihrer Gelehrten (z.B. Alkuin und Einhard) zählten eine Reform der Schrift (karolingische Minuskel), die Rückwendung zum klassischen Latein, eine Wiederbelebung der Dichtung und Geschichtsschreibung, die Erneuerung des Gottesdienstes und der Liturgie, die Einführung der Regel des hl. Benedikt im Kosterleben und schließlich eine erneuerte Fassung der Bibel. Literarische Werke der Antike wurden nicht vernichtet sondern aufbewahrt - auch später in den Klöstern - und damit ist es der karolingischen Renaissance zu verdanken, dass viele antike Schriften erhalten blieben.

Dennoch muss man sich klar machen, dass dieses Programm nur ein erster Anstoß war und der Vorsprung der islamischen Kultur damit nicht aufgeholt werden konnte. Der schmolz erst im Lauf der kommenden Jahrhunderte allmählich zusammen.
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