Eleonore von Aquitanien - eine starke Frau

Heraldik, Jagd, Pest, Kriegsführung, Ritter, Feuerwaffen, Burgen, Könige, Königreiche

Moderator: Barbarossa

Dietrich
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Vor drei Jahren ist eine auch vom wissenschaftlichen Standort her interessante und reichhaltige Biografie von Ralph Turner erschienen, die ich nahezu fertiggelesen habe:

Ralph V. Turner, Eleonore von Aquitanien – Königin des Mittelalters. C. H. Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-63199-3.

Das Buch räumt mit zahlreichen Vorurteilen auf, die entweder überhaupt nicht durch zeitgenössische Quellen belegt sind oder von erklärten Widersachern Eleonores stammen. So sind z.B. die angeblichen Ehebrüche nicht belegt und auch vom lockeren Leben der englischen Königin und Herzogin von Aquitanien bleibt bei genauer Betrachtung der Quellen nichts übrig.

Dennoch eilte Eleonore dieser Ruf voraus, sodass sie von ihren Untertanen in England wegen ihrer südfranzösischen Herkunft als etwas fremdartig betrachtet und wegen der angeblichen Affären nicht sonderlich geliebt wurde. Ihr Bestreben, an der Regierung und wichtigen Entscheidungen teilzuhaben, wurde als "vermännlicht" und unweiblich wahrgenommen. Eine Königin, wie man sie sich vorstellte, musste einen untadeligen Ruf haben, zurückhaltend sein, Milde üben, fromme Werke tun und dem Gatten bedingungslos gehorchen. Einige dieser Kategorien erfüllte Eleonore sicher nicht, sodass ihr schlechter Ruf unbestreitbar ist.

Was Eleonores Charakter betrifft, so ist weder Idealisierung noch Verteufelung angebracht. Entsprechende Quellen sind ohnehin äußerst rar, sodass man vieles nur hypothetisch nachvollziehen kann. Ob sie nun warmherzig oder berechnend, frivol oder kaltherzig war, erschließt sich uns heute nur ganz bedingt. Auf jeden Fall war sie eine energische Frau, die einen starken Willen besaß, und auch große Schwierigkeiten überwinden konnte - als Mutter, Ehefrau und Herrscherin.

Heute würden wir Eleonore als "starke Frau" charakterisieren, damals und für Jahrhunderte war ihr Ruf ruiniert.
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Barbarossa
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Das nennt man dann "Rufmord", den ich auch wirklich treffend finde, da die betreffende Person tatsächlich "erledigt" ist. Selbst bei dem Versuch, den Ruf wieder herzustellen, bleibt irgendetwas immer hängen. Das ist das tragische daran.
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dieter
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Rufmord besteht auch heute noch, ich erinnere nur an den Fall Kachelmann. :roll:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Harald
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Jedenfalls ist Eleonore eine der erstaunlichsten Frauen der Geschichte. Noch erstaunlicher ist, daß ihr Ehemann, der französische König, der Scheidung und der Wiederverheiratung zustimmte ohne irgendwelche Gebietsforderungen zu stellen.
So wurde England groß und mächtig und der Hundertjährige Krieg ausgelöst.

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Ruaidhri
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In der Hoffnung, mein Internet hält jetzt durch:
Sehr gute Buchempfehlung von Dietrich zu einer der Frauengestalten, die ich kürzlich auch in einem Thread als herausragend aufzählte.
Ebenfalls lesenswert und eigentlich die Initialzündung für Fachwissenschaft wie Roman- Autoren/ Autorinnen, diese Persönlichkeit endlich in ein anderes Licht zu stellen als es zunächst Kleriker, dann aber auch Historiker bis in unsere Zeit taten, weil eine selbstbewusste Frau nicht ins Weltbild passte, in dem nur männliche Helden Platz hatten.*

Régine Pernoud
Königin der Troubadoure
Eleonore von Aquitanien.
Pernoud war Historikerin, diese Buch und andere sind nach wie vor lesenswert, zumal sie Quellen direkt in den Text einbezieht.
Ebenfalls, liest man das Nachwort zuerst:
Die ersten beiden erschienenen Bände der Trilogie um Aliénor d'Aquitaine von
Elizabeth Chadwick.
The Summer Queen
The Winter Crown
The Autumn Queen soll 2016 erscheinen.
Deutsch, wie so oft etwas dümmliche Titel:
Das Lied der Königin
Das Herz der Königin
????
Es ist Fiktion, allerdings sehr orientiert an detaillierten Kenntnissen des mittelalterlichen England bis in kleine Details. Von den ausführlichen Literaturangaben auf der HP der Autorin habe schon oft profitiert, bzw. mir manche längere Suche erspart. :mrgreen:
Chadwick's Darstellung der Aliénor ist nicht historsiche Wahrheit, aber eine durchaus sehr "denkbare" Darstellung dieser Persönlichkeit in ihrer Zeit, ihrer von der Zeit bedingten Möglichkeiten und Gedanken.
Dass sie sich explizit in vielem auf Turner beruft, merkt man absolut.
Die historisch- politischen Hintergründe kommen dabei nicht zu kurz, wenn man denn einigermaßen in der Geschichte Englands Bescheid weiß.
Noch erstaunlicher ist, daß ihr Ehemann, der französische König, der Scheidung und der Wiederverheiratung zustimmte ohne irgendwelche Gebietsforderungen zu stellen.
So wurde England groß und mächtig und der Hundertjährige Krieg ausgelöst.
Was hätte Louis denn fordern können? Nichts, und mit dem, was er von Henry II. fordern wollte, ist Louis gescheitert.
*(Heroen gab es, und nicht etwa Aliénors Sohn Richard Löwenherz galt den Zeitgenossen als Inkarnation des Rittertums, sondern William Marshal- Guilleaume le Maréchal- le meilleur chevalier du monde und ein enger Vertrauer der Königin wie der Söhne und Vorlage für Wolfram von Eschenbachs "Parsifal".)
Die Umkehrung, dass Aliénor ihrer Zeit voraus war, teile ich wieder nicht, sie als Vorläuferin von Feminismus und Emanzentum zu beschreiben, ist auch verfehlt.
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LG Ruaidhri
Harald
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Louis mußte der Scheidung, eine unglaubliche Forderung Eleonores, nicht zustimmen. Er hätte auch zur Bedingung machen können, daß sie ihre Besitzungen ganz oder teilweise (als erledigte Lehen) an den König abtritt. Das hätte die Liebe des englischen Königs wahrscheinlich sehr gedämpft.

Richard Löwenherz ist ein Kapitel für sich, auf das ich hier nicht eingehen möchte.

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Ruaidhri
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Louis mußte der Scheidung, eine unglaubliche Forderung Eleonores, nicht zustimmen.
Das ist nicht richtig, denn Louis,bzw, seine Entourage hat die Scheidung betrieben, nicht seine Frau.
Er hätte auch zur Bedingung machen können, daß sie ihre Besitzungen ganz oder teilweise (als erledigte Lehen) an den König abtritt.
Nein, konnte er nach franzöischem Lehnsrecht nicht. Mal gar nicht, ohne die nächsten gravierenden politischen Probleme zu schaffen.
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Harald
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Die Umstände der Scheidung oder Eheannulierung sind nicht ganz klar. Die engere Verwandschaft ist jedenfalls ein Vorwand, egal wer dieses Argument benutzte. Wenn der König die Trennung wollte,
war das das Dümmste was er machen konnte.
Kein machtbewußter Herrscher hätte so reagiert.
Das Vasallenrecht ist doch kein Hinderungsgrund!!!

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Ruaidhri
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Eigentlich ist ziemlich klar, wer diese Anullierung wollte und wer sie intensiv betrieb. Ungeachtet der Möglichkeit, dass die Königin wahrscheinlich nichts dagegen hatte, weil sie schon andere Pläne hegte.
war das das Dümmste was er machen konnte.
Kein machtbewußter Herrscher hätte so reagiert.
Du vergisst um einen die Umstände und Denkweisen der Zeit und die Persönlichkeit des frommen Königs, der das zu enge Verwandtschaftsverhältnis durchaus ernst nahm und darin auch die Ursache fürs Ausbleiben eines männlichen Erben sehen konnte.
Zum anderen - wer weiß das schon wirklich- mag Aliénor ihm wirklich eine Nummer zu eigenständig, eigenwillig gewesen sein, lassen wir die Gerüchte um Ehebruch mal beiseite.
SDo dumm- aus der Sicht der Zeit, war das alles nicht.
Der Mann war klüger und besser beraten, die Dinge so zu handhaben, wie er es tat, wollte er die Königsmacht erhalten und festigen.
Zum anderen:
Er hätte nicht einen zu rechtfertigenden Anlass gehabt, Aliénor ihr Erbe zu entziehen. Scheidung allein war kein Grund, sie hat sich nicht gegen ihn aufgelehnt, er hatte zwei Töchter von ihr- Entziehung des Lehens wäre eine riesige Torheit gewesen.
Hätte er es getan oder versucht, wären ganz schnell nicht nur in Aquitanien Aufstände losgebrochen.
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Harald
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Eine größere Torheit als sich von Eleonore zu trennen und ihr die Besitzungen zu lassen gab es nicht. 200 Jahre kriegerische Auseinandersetzungen mit England. Das französische Königtum wurde nur durch Jeanne d'Arc gerettet. Es gab französische und andere Könige, die sich einen Dreck um Vasallenrechte kümmerten.

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Ruaidhri
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Eine größere Torheit als sich von Eleonore zu trennen und ihr die Besitzungen zu lassen gab es nicht.
Das ist aus moderner Sicht vielleicht richtig, die Handelnden lebten aber in ihrer Zeit, und Louis hatte gute Gründe, sich nicht eine Revolte der Aquitanier aufzuhalsen.
Welche Konsequenzen die Scheidung in der Zukunft zeitigen würde, konnte niemand zum Zeitpunkt ihres Inkrafttetens absehen.
Es gab französische und andere Könige, die sich einen Dreck um Vasallenrechte kümmerten.
Wenn sie sich das gerade leisten konnten- und das konnte Louis damals gerade nicht. "Sich einen Dreck um Vasallenrechte zu kümmern", ging nie lange gut, die Erfahrung machte u.a. John Lackland einige Jahrzehnte später.
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Harald
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Vielen Dank, daß du John Lackland erwähnst, den jüngsten Sohn Eleonores. Kein englischer König hat mehr für die Demokratie getan als er (wie sagt Dieter: Vorsicht - Ironie). Die Magna Charta wurde vom Papst für ungültig erklärt, aber die Vasallen kümmerten sich nicht drum und so verlief die politische Entwicklung Englands so wie sie verlief. Ein mächtiger König konnte sich durchsetzen.

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Harald
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Soll richtig heißen: hätte sich durchgesetzt.

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Ruaidhri
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Du siehst die Dinge etwas zu simpel, Harald.
Louis, um den es hier geht, hatte schlicht nicht die Möglichkeit, seine "Macht" auf die von Dir gemeinte Art durchzusetzen.
Im übrigen geht demonstrative Machtausübung längst immer mit politischer Klugheit/ Fähigkeit einher.
Stärke kann sich auch anders zeigen, und das Louis nicht der Schwächling war, als der er gern dargestellt wird, zeigt sich in seinen späteren Jahren.
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LG Ruaidhri
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