Karl der Große und die Nazis – die Franken als Germanen

Heraldik, Jagd, Pest, Kriegsführung, Ritter, Feuerwaffen, Burgen, Könige, Königreiche

Moderator: Barbarossa

Dietrich
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Wer sich mit der Materie etwas beschäftigt hat weiß, dass die Nationalsozialisten ein gespaltenes Verhältnis zu Karl dem Großen hatten. Das rührte daher, dass er einerseits immerhin dem "urgermanischen" Stamm der Franken entstammte, andererseits aber in den Augen aufrechter Nazis so stark romanisiert war, dass er nicht mehr als "echter" Germane durchging.

Das Zünglein an der Waage waren die Sachsenkriege Karls sowie besonders das so genannte ""Blutgericht von Verden". Nach der Schlacht am Süntel zog Karl wohl im Oktober 782 nach Sachsen und ließ sich vom sächsischen Adel die Parteigänger des zu den Dänen geflohenen Widukind ausliefern. Nach den Reichsannalen ließ er an einem Tag 4500 Aufständische bei Verden an der Aller niedermachen. Die Zahl ist bis heute unter Historikern umstritten.

Dieser Tatbestand und auch der Einfluss des einstigen gallo-römischen Adels im Frankenreich machten Karl in den Augen der Nazis zur Unperson, was in wechselnder Schattierung erfolgte. Hinzu kam die enge Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche, was Karl gleichfalls diskreditierte.

Etwas ähnliches gibt es auch bei der Bewerung Heinrichs I. und Ottos I. Letzterer galt den Nazis als Kirchenknecht, während Heinrich I. als wahrer Gründer des Deutschen Reichs hingestellt wurde, der deutsche Sitte und Ordnung bewahrte - was es zu jenem Zeitpunkt freilich noch nicht oder nur im Keim gab.
Lia

Karl der Große und die Nazis, Karl der Große und Religionslehre in der Volksschule Anfang der 1960er Jahre... jetzt plauder ich mal aus Lebenserfahrung! :mrgreen:
In einer Gegend und zu Zeiten groß geworden, als Religion noch wichtig war, wurde er uns- ob in der evangelischen oder kathlischen Volksschule in der 4.Klasse ganz toller Hecht vorgeführt, weil er die Sachsen bekehrt hat, die das Glück hatten, Christen werden zu dürfen. Da waren sich Katholiken und Evangelische mal einig.
Nicht ganz, denn ausgerechnet ein evangelischer Pastor ließ uns im Kindergottesdienst mal hinterfragen, ob der berichtete Blutzoll so christlich sei. :mrgreen:
( Der war seiner Zeit damals um Jahrzehnte voraus, in sehr vielen Dingen.)
In Teilen der Generation, die in der Nazi-Zeit Geschichtsunterricht hatten, trat auf, was Du oben beschreibst, die Sachsen galten als die besseren Germanenen, von christlicher Weicheierigkeit und dekadentem Einfluss romanischen Ursprungs noch nicht verdorben.
Hörte ich so, las ich so. Und fragte, was denn nun stimme.
Gut, dass meine Eltern und die schon Geschichte studierende Schwester der Lütten, die so doofe Fragen stellte, sachlich aus dem Dilemma halfen... Beides nicht richtig.
Otto I. ist mir in dem Zusammenhang nicht so bewusst in Schul- Erinnerung. Dass er von bestimmten Kreisen so dargestellt wurde, - keine Frage. Eher trennten sich Meinungen bei Heinrich IV und Canossa.

Geschichte wurde immer schon instrumentalisiert, mal mehr, mal weniger, manchmal extrem.
Dietrich
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Über die historische Bedeutung Karls des Großen ist sich die Geschichtsforschung heute einig - abgesehen von Nuancen. Allerdings kann man feststellen, dass jede Epoche ihre eigenen Helden - oder Bösewichte - kürt, was vermutlich mit dem Wechsel der politischen Verhältnisse und der Mentalitäten zusammenhängt.

Noch vor einigen Jahrzehnten war Friedrich der Große in aller Munde und es wurden von vielen Seiten dicke Biografien über ihn verfasst. Zeitweilig stand Alexander der Große im Mittelpunkt, vor 1945 die Ottonen Heinrich I. und Otto I.. Zur Nazizeit war anfangs der Welfe Heinrich der Löwe groß angesehen und der "Führer" kam sogar nach Braunschweig, um die Hebung seines Sargs und die Öffnung der Grabplatte mitzuerleben. Allerdings war die Enttäuschung groß als man feststellte, dass der Löwe nicht arisch-blond sondern schwarzhaarig und klein gewachsen war, überdies wegen eines Reitunfalls hinkte. Den schwarzen Haarschopf hätte man natürlich einkalkulieren müssen: Heinrich der Löwe stammte über die weibliche Linie von den italienischen Markgrafen der Este ab. Später nahm Hitler Abstand vom Welfen, da sich dieser schließlich gegen die Reichsgewalt aufgelehnt hatte. Stattdessen waren nun Heinrich I.und Friedrich II. Barbarossa des Führers liebste Kinder, außerdem der Slawenschlächter Markgraf Gero und Albrecht der Bär - wegen der Eroberung von Siedlungsland im Osten.

So ändern sich Personen und Zeiten. :mrgreen:
Spartaner
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Dietrich hat geschrieben:Wer sich mit der Materie etwas beschäftigt hat weiß, dass die Nationalsozialisten ein gespaltenes Verhältnis zu Karl dem Großen hatten. Das rührte daher, dass er einerseits immerhin dem "urgermanischen" Stamm der Franken entstammte, andererseits aber in den Augen aufrechter Nazis so stark romanisiert war, dass er nicht mehr als "echter" Germane durchging.
Das ist leider nicht ganz richtig, was dann die Nazis behauptet haben, denn an Karls Hofe wurde deutsch gesprochen genau genommen ein rheinfränkischer Dialekt.
In Gallien hatten die Franken zwar lange noch irhe Sprache beibehalten, das lateinische setzte sich hier jedoch schneller durch (mit geringen Bestandteilen aus dem Germanischen). Während am Hofe Karl des Großen das Deutsche noch vorherrschend war.
In Austrasien, im Reiche Ludwig des Deutschen, aber erhielt sich die deutsche Sprache weiter. Schon 842, als Ludwig und Karl sich erneut gegen Lothar Bundestreue gelobten, geschah das in diesen beiden verschiedenen Sprachen. Ludwigs Eid geschah dabei noch in romanischer Sprache, während Karl gelobt - " In godes minna ind in thes christianes solches!" - Aus Liebe zu Gott und wegen des christlichen Volkes."
"2000 Jahre Deutsches Ringen"von Hans Henning Freiherr von Grote 1932

"In den wenig später abgelegten Straßburger Eiden wird das Bündnis zwischen Karl und Ludwig sowie ihren beiderseitigen Unterführern bzw. Vasallen gegen Lothar bekräftigt. Es handelt sich also um einen Vertrag zwischen vier Parteien.
Hierbei schwor Ludwig in der Sprache der Unterführer Karls, also Altfranzösisch, während Karl Althochdeutsch (genauer: im rheinfränkischen Dialekt) sprach, damit ihn Ludwigs Leute verstanden. Danach schworen die Unterführer jeweils als Gruppe, wobei sie ihren Eid in der eigenen Sprache leisteten. Es gibt verschiedene Vermutungen zur „Originalversion“ der Eide, d. h. ob sie in Latein, Altfranzösisch, Althochdeutsch oder von vornherein zweisprachig verfasst war.
Der Grund für die Verwendung der beiden Volkssprachen war offensichtlich, dass die Unterführer Karls und Ludwigs nur wenig oder kein Latein verstanden und dass sie vor allem (anders als ihre sichtlich zweisprachigen Könige) die jeweils andere Volkssprache nicht beherrschten. Der Grund für die Überlieferung der Eide als Zitate im Originaltext war zweifellos, dass bei einem Eid der genaue Wortlaut wichtig ist."

Die Eide im Wortlaut:
Ludwig der Deutsche: Pro Deo amur et pro christian poblo et nostro commun salvament, d'ist di en avant, in quant Deus savir et podir me dunat, si salvarai eo cist meon fradre Karlo, et in adiudha et in cadhuna cosa, si cum om per dreit son fradra salvar dist, in o quid il mi altresi fazet, et ab Ludher nul plaid numquam prindrai qui meon vol cist meon fradre Karle in damno sit.
Karl der Kahle: In godes minna ind in thes christanes folches ind unser bedhero gehaltnissi fon thesemo dage frammordes so fram so mir got geuuizci indi mahd furgibit so haldih thesan minan bruodher soso man mit rehtu sinan bruodher scal in thiu thaz er mig so sama duo indi mit ludheren in nohheiniu thing ne gegango the minan uillon imo ce scadhen uuerdhen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Stra%C3%9Fburger_Eide
Dietrich
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Spartaner hat geschrieben: Das ist leider nicht ganz richtig, was dann die Nazis behauptet haben, denn an Karls Hofe wurde deutsch gesprochen genau genommen ein rheinfränkischer Dialekt.
Karl galt den Nazis wegen des "Verdener Blutgerichts" als "Sachsenschlächter". Dass er in Aachen geboren wurde und fränkisch sprach, spielte bei dieser ideologisch bestimmten Bewertung keine Rolle. In gleichem Kontext lehnten die Nazis das multiethnische Karlsreich ab und verlegten sich mehr auf Heinrich den Löwen und Albrecht den Bären als "Eroberer von Siedlungsboden im Osten".

Dass in allen Fällen Geschichtsklitterung betrieben wurde und die Propaganda mit den historischen Fakten nicht übereinstimmte, ist leider eine Tatsache.
Lia

Spartaner hat geschrieben:Das ist leider nicht ganz richtig, was dann die Nazis behauptet haben, denn an Karls Hofe wurde deutsch gesprochen genau genommen ein rheinfränkischer Dialekt.
Wir sind uns doch einig, am Ende. :mrgreen: Jenseits der vertiefenden Diskussion um die Sprachenvielfalt- oder auch Gemeinsamkeit im karolingischen Reich.
(Nicht nur) Die Nazis haben sich passend geklittert, was die Geschichte so herzugeben schien.
Habe heute meinen rabenscharzen bösen Tag:
Dietrich hat geschrieben:Allerdings war die Enttäuschung groß als man feststellte, dass der Löwe nicht arisch-blond sondern schwarzhaarig und klein gewachsen war, überdies wegen eines Reitunfalls hinkte. Den schwarzen Haarschopf hätte man natürlich einkalkulieren müssen:
Ähnliches übersah man ja in den eigenen Reihen geflissentlich...

Zufall? Eben gefunden, als ich nach anderem suchte.
http://www.fnp.de/lokales/frankfurt/Kar ... 75,1180743
Zur Hülf, wie heißen Autor und Titel des Buhes,, dem Sinne nach " Karl der Große fand nicht statt?"
Dietrich
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Lia hat geschrieben:.

Zufall? Eben gefunden, als ich nach anderem suchte.
http://www.fnp.de/lokales/frankfurt/Kar ... 75,1180743
Zur Hülf, wie heißen Autor und Titel des Buhes,, dem Sinne nach " Karl der Große fand nicht statt?"
Sorry - von einem "Buch" habe ich in dem Link nichts gelesen.
Oder habe ich dich missverstanden?
Lia

Hast mich missverstanden, oder ich habe mich unklar ausgedrückt. Meine Schwester lieh mir Jahren ein Buch, in welchem der Autor nachzuweisen versuchte, es habe Karl den Großen gar nicht gegeben, eigentlich sei der Blick aufs gesamte Mittelalter falsch.
Mir fallen weder Titel noch der Autor ein, der unser europäisches Geschichtsbild so ins Wanken bringen wollte.
Dietrich
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Lia hat geschrieben: Mir fallen weder Titel noch der Autor ein, der unser europäisches Geschichtsbild so ins Wanken bringen wollte.
Das Buch heißt "Das erfundene Mittelalter" und stammt von Heribert Illig.

"Illig nannte den Zeitraum dann Phantomzeit, weil das Fränkische Reich nach Chlodwig I. ein Produkt der Fantasie oder der Täuschung gewesen sei. Insbesondere hätten laut dieser These Personen wie Karl der Große und die anderen Karolinger vor Karl III. dem Einfältigen entweder überhaupt nicht existiert, oder sie seien vor 614 beziehungsweise nach 911 einzuordnen.

Von Geschichtswissenschaftlern und Mediävisten wird diese These als völlig fehlerhaft betrachtet und zurückgewiesen."

http://de.wikipedia.org/wiki/Erfundenes_Mittelalter
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dieter
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Ihr Lieben,
für mich als Hessen Nachfolger der Chatten, die sich den Franken angeschlossen hatten, war Karl der Sachsenschlächter.
Meine liebe Frau kommt aus Niedersachsen (Holzminden an der Weser) so wie sie seit 46 Jahren ist, kommt sie mir als echte Sächsin vor. Beharrlich in ihrer Meinung, aber das gerade liebe ich an Ihr. :wink: :mrgreen: Kein Herrscher hat das Recht wehrlose andere Menschen abzuschlachten und schon gar nicht wegen der Religion. Wir können heute im Nahen Osten oder in Afrika sehen, wohin die Religion die Menschen treibt. Bei uns war es im 30jährigen Krieg auch nicht besser.
Für mich war er nicht der Große, sondern an Herrscher dem sein Reich spätestens durch Ludwig dem Frommen der Vergangenheit angehörte. :evil: :twisted:
Außerdem es ist doch schöner als Krieger von einer Walküre nach Walhall geholt zu werden und Schweinefleisch zu essen und Met zu drinken, als im kurzem Hemdchen Hossianna zu singen und zu frohlocken. :wink: :mrgreen:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Lia

Danke, Dietrich, das meinte ich. Etwas ironisch auf unsere Diskussion bezogen, die dann ja völlig überflüssig wäre. :mrgreen:
Hatte gelesen- und es so gelesen wie Erich von Däniken- mit kopfschüttelnder Erheiterung- und Bewunderung, wie man Fakten so überzeugend verdrehen kann, dass ein weniger bewandertes Publikum die neue Lehre annimt.
Lia

Dieter hat geschrieben: Kein Herrscher hat das Recht wehrlose andere Menschen abzuschlachten und schon gar nicht wegen der Religion.
Sehen wir heute so.
Ob man etwas aus heutiger Sicht verwerflich findet oder nicht, man muss immer auch Denk- und Verhaltensmuster einer geschichtlichen Epoche sehen.
Tatsächliche missionarische Überzeugung und gleichzeitiger territorialer Machtansprach sind zu Karls Zeiten eng verwoben.
Für mich war er nicht der Große, sondern an Herrscher dem sein Reich spätestens durch Ludwig dem Frommen der Vergangenheit angehörte.
Über das Attribut zu Karl ( u.a. historischen Persönlichkeiten) kann man diskutieren., und wird ja auch diskutiert, lieber Dieter. Betätigen der Suchmaschine unter Suchbegriff "Karl der Große" ergibt viel Lesestoff aller Art.
"Dem Karl sein Reich" sah später anders aus als zu seiner Zeit.. Ja. Und doch lebte es als Idee, als Überbau noch lange weiter - wie hier diskutiert und erklärt wurde.
Cherusker
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dieter hat geschrieben: Außerdem es ist doch schöner als Krieger von einer Walküre nach Walhall geholt zu werden und Schweinefleisch zu essen und Met zu drinken, als im kurzem Hemdchen Hossianna zu singen und zu frohlocken. :wink: :mrgreen:
Dieter solche Töne kennen wir ja gar nicht von Dir. :wink: :mrgreen:
P.S.
Holzminden ist hier fast auf Sichtweite..... :wink:
Lia

Heino wird Rocker, Dieter zum Ur-Germanen- Deutschen.
Man muss halt flexibel bleiben. :mrgreen:
Harald
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Wiki nennt Aachen als Geburtsort Karl d.Gr. Drei Zeilen weiter heißt es, der Geburtsort sei völlig unbekannt und das ist auch der heutige Wissensstand. Ich habe mal gelesen, es sei Herstal im heutigen Belgien. Das ist zwar sehr plausibel, aber auch unbewiesen.

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