Hätte das Heilige Römische Reich überleben können?

Heraldik, Jagd, Pest, Kriegsführung, Ritter, Feuerwaffen, Burgen, Könige, Königreiche

Moderator: Barbarossa

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Barbarossa
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Ich halte es jetzt für ziemlich überflüssig, über historische Ereignisse, die schon so lange zurückliegen, so zu streiten. Auch jegliche Preußenfeindlichkeit halte ich fùr überflüssig. Preußens großes und wichtiges Verdienst ist die Einigung Deutschlands, die schon 1815 gefordert, 1848 in einer Revolution noch erfolglos und 1871 dann endlich erreicht wurde. In solchen Prozessen wird es immer jemanden geben, der sich benachteiligt fühlt. Aber sei es drum - das Deutsche Kaiserreich war nicht das schlechteste, was Deutschland hervorgebracht hat und es wäre im Gegensatz zum HRRDN auch entwicklungsfähig gewesen, wie man einen Monat vor Kriegsende 1918 gesehen hat.

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Lia

Preußen- kritisch werde ich bleiben. Weder ist Preußen nur negativ zu sehen, aber denn auch nicht zu glorifizieren, und seien Schritte auf dem Wege zur Einigung Deutschlands, bei denen man durchaus sehr kritisch fragen kann, um was es denn wirklich ging.
In solchen Prozessen wird es immer jemanden geben, der sich benachteiligt fühlt.
Gefährlicher Satz, denn daraus ließe sich ableiten, dass der Zweck stets die Mittel heiligt.
Zumal es nicht um ein bisschen Benachteiligung zu tun ist, sondern um Annexion. Im Sinne und zum Vorteile Preußens und seiner Vorstellungen,,nicht etwa Gesamt-Deutschlands.
Dietrich
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Barbarossa hat geschrieben: Ich halte es jetzt für ziemlich überflüssig, über historische Ereignisse, die schon so lange zurückliegen, so zu streiten. Auch jegliche Preußenfeindlichkeit halte ich fùr überflüssig. Preußens großes und wichtiges Verdienst ist die Einigung Deutschlands, die schon 1815 gefordert, 1848 in einer Revolution noch erfolglos und 1871 dann endlich erreicht
Es ist, wie Lia das oben ausdrückte: Man sollte Preußen weder glorifizieren noch dämonisieren, sondernn seine Schwächen und Stärken nüchtern und objektiv benennen. Genug Abstand haben wir inzwischen.

Die Verdienste Preußens bei der nationalen Einigung Deutschlands sind unbestreitbar. Allerdings wird die Meinung, Bismarck und Preußen hätten gleichsam im Alleingang die deutsche Einigung herbeigeführt, heute differenzierter gesehen, denn die Entstehung von Nationalstaaten war eine allgemeine Entwicklung in Europa. Die europäische Mächtekonstellation, die politische und wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands - insbesondere die von Preußen und Österreich - der Einfluss der liberalen Nationalbewegung und die Rolle der Öffentlichkeit bildeten Voraussetzungen und Grundlagen für das entschiedene Handeln Bismarcks. Sein Anteil an der Reichsgründung muss denoch hoch veranschlagt werden.
Barbarossa hat geschrieben: In solchen Prozessen wird es immer jemanden geben, der sich benachteiligt fühlt. Aber sei es drum - das Deutsche Kaiserreich war nicht das schlechteste, was Deutschland hervorgebracht hat und es wäre im Gegensatz zum HRRDN auch entwicklungsfähig gewesen, wie man einen Monat vor Kriegsende 1918 gesehen hat.
Das deutsche Kaiserreich war der erste deutsche Nationalstaat mit einer Verfassung, denn der Entwurf aus der Zeit der Revolution von 1848 trat nie in Kraft. Der neue Staat galt als Bündnis der Fürsten der Einzelstaaten und nicht - wie 1848/49 - als Ausdruck des Volkswillens. Insofern besaßen die Bundesstaaten des neuen Reichs große Selbstständigkeit, Preußen erhielt eine Sonderstellung: Der preußische König war zugleich deutscher Kaiser, der preußische Ministerpräsident zugleich Reichskanzler. Der Reichstag bildete innerhalb der Reichsverfassung die Vertretung des Volks, seine Abgeordneten wurden in freier, gleicher und geheimer Wahl von allen Männern ab 25 Jahren gewählt.

Dies war im europäischen Vergleich sehr fortschrittlich, doch war das Reich kein demokratischer Staat im heutigen Sinn - oder doch nur teilweise. Auf die Regierungsbildung hatte der Reichstag keinen Einfluss, da der Reichskanzler allein vom Kaiser berufen oder entlassen wurde und nur ihm verantwortlich war. Ferner konnte der Kaiser den Reichstag jederzeit auflösen und Neuwahlen anberaumen. Als beschlossen galt ein Gesetz nur, wenn der Bundesrat - die Vertretung der Fürsten - ebenfalls zugestimmt hatte. Die Reichsgesetzgebung musste also in Übereinstimmung von Reichstag und Bundesrat erfolgen.

Erst im Oktober 1918 machte eine Verfassungsänderung, die eine Forderung von US-Präsident Wilson aufnahm (14-Punkte-Programm), das deutsche Kaiserreich zu einer parlamentarischen Demokratie. Allerdings hatte das angesichts der wenig später erfolgenden Kapitulation keine Bedeutung mehr.
Suebe
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Die äußerst verhängnisvolle Rolle, die Preußen, teilweise im Einvernehmen mit Österreich, beim Ende des HRR spielte, ist unbestreitbar.

Dasselbe gilt für das Ende des "Deutschen Bundes".

Beides negiert von der Spätpreußischen/frühkaiserlichen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts.
Und genau aus der Ecke kommt auch die bis heute nachwirkende Verhohnepiepelung des HRR in seiner letzten Phase.
Was so eben nicht stimmt.
Und mMn richtig gestellt werden muss.

Ob jetzt das 2. Kaiserreich 1871 eine relativ "moderne" Verfassung hatte oder nicht, ist in dem Fall ohne Belang.
Dietrich
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Wohnort: Ostfalen

Suebe hat geschrieben: Und genau aus der Ecke kommt auch die bis heute nachwirkende Verhohnepiepelung des HRR in seiner letzten Phase.
Was so eben nicht stimmt.
Von "Verhohnepiepelung" kann überhaupt keine Rede sein (elegante Wortwahl übrigens).

Ich bin durchaus der Meinung, dass das Reich ein politischer Verband war, der Anerkennung verdient. Die Konzentration aller Macht an der Staatsspitze ist für mich nicht der Gipfelpunkt politischer Erkenntnis; achtbar ist auch eine alternative Lösung wie das "Reich": ein vornationaler Verband mit einer starken föderalen Komponente. Es bot die Rahmenbedingungen, innerhalb derer unterschiedlichste politische Gebilde in einem fruchtbaren Nebeneinander existieren konnten: Das Reich vermochte es, fürstliche, kirchliche und bürgerliche Elemente zu integrieren, ohne deren Freiheit wesentlich zu beschneiden.

Zur Lösung politischer Probleme seiner Gliedstaaten kannte das Reich eine Reihe regionaler Institutionen wie z.B. die Reichskreise, was das politische Bewusstsein und die Handlungsfähigkeit nachgeordneter regionaler Gewalten stärkte. Heute wird das im politischen Alltag als "Subsidiaritätsprinzip" bezeichnet, was allgemein als erstrebenswert erachtet wird.
Weitere Institutionen und zentrale Organe wie der Reichstag oder das Reichskammergericht gewährleisteten die Handlungsfähigkeit des gesamten Reichsverbandes, ohne indes die Interessen kleinerer Herrschaftsträger zu übergehen. Sie alle hatten Sitz und Stimme im Reichsfürstenrat des Reichstags, sei es auf der Fürstenbank, in den Reichsgrafenkollegien, bei den Reichsprälaten oder auf der Städtebank. Somit waren auch kleinere Herrschaftsträger in die politische Entscheidungsfindung auf Reichsebene eingebunden und dem Staat nicht als subalterne Befehsempfänger entfremdet. Eine besondere Leistung des Reichs ist die Integration der drei großen Konfessionen in den Reichsverband durch ein umfassendes religiöses Toleranzprinzip, auch wenn das erst nach langen blutigen Auseinandersetzungen gelang.

Über die kulturelle Vielfalt, die das Nebeneinander vieler Herrschaftsträger mit sich brachte, habe ich bereits oben geschrieben. Die zahlreichen kleinen und mittleren Höfe konkurrierten miteinander und brachten es zu großer Ausstrahlungskraft, was politisch und kulturell fruchtbar wirkte. Somit hatte das Reich nicht nur einen großen politischen, sondern auch einen gesellschaftlichen und kulturellen Gravitationskern. Wenn wir heute eine Vielzahl von Theatern und Opernhäusern mit eigenen Ensembles (!) haben, dazu zahlreiche Sinfonieorchester, Universitäten und städtische Zentren, so ist das ein Ergebnis des föderalen Reichsverbundes. Das bedeutet Vielfalt in der Einheit, ganz im Gegensatz zum Staatsprinzip des Absolutismus.

Diese Leistungen des Reichs und seiner zahlreichen regionalen Herrschaftsträger gehen oft unter hinter einer gewissen Polemik, die lediglich von "elender Kleinstaaterei" spricht, ohne indes die positiven Seiten des Reichsverbandes zu sehen. Und ob die Fähigkeit straff geführter Zentralstaaten zu großen Kriegen für die Bevölkerung wünschenswert ist, sei dahingestellt. Frankreich war nach den unablässigen Kriegen Ludwigs XIV. pleite und musste Staatsbankrott anmelden. Die Folge war einige Jahrzehnte später die Revolution, da es dem Volk wirtschaftlich unglaublich schlecht ging.
Suebe
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Dietrich hat geschrieben:
Suebe hat geschrieben: Und genau aus der Ecke kommt auch die bis heute nachwirkende Verhohnepiepelung des HRR in seiner letzten Phase.
Was so eben nicht stimmt.
Von "Verhohnepiepelung" kann überhaupt keine Rede sein (elegante Wortwahl übrigens).

Ich bin durchaus der Meinung, dass das Reich ein politischer Verband war, der Anerkennung verdient. Die Konzentration aller Macht an der Staatsspitze ist für mich nicht der Gipfelpunkt politischer Erkenntnis; achtbar ist auch eine alternative Lösung wie das "Reich": ein vornationaler Verband mit einer starken föderalen Komponente. Es bot die Rahmenbedingungen, innerhalb derer unterschiedlichste politische Gebilde in einem fruchtbaren Nebeneinander existieren konnten: Das Reich vermochte es, fürstliche, kirchliche und bürgerliche Elemente zu integrieren, ohne deren Freiheit wesentlich zu beschneiden.

Zur Lösung politischer Probleme seiner Gliedstaaten kannte das Reich eine Reihe regionaler Institutionen wie z.B. die Reichskreise, was das politische Bewusstsein und die Handlungsfähigkeit nachgeordneter regionaler Gewalten stärkte. Heute wird das im politischen Alltag als "Subsidiaritätsprinzip" bezeichnet, was allgemein als erstrebenswert erachtet wird.
Weitere Institutionen und zentrale Organe wie der Reichstag oder das Reichskammergericht gewährleisteten die Handlungsfähigkeit des gesamten Reichsverbandes, ohne indes die Interessen kleinerer Herrschaftsträger zu übergehen. Sie alle hatten Sitz und Stimme im Reichsfürstenrat des Reichstags, sei es auf der Fürstenbank, in den Reichsgrafenkollegien, bei den Reichsprälaten oder auf der Städtebank. Somit waren auch kleinere Herrschaftsträger in die politische Entscheidungsfindung auf Reichsebene eingebunden und dem Staat nicht als subalterne Befehsempfänger entfremdet. Eine besondere Leistung des Reichs ist die Integration der drei großen Konfessionen in den Reichsverband durch ein umfassendes religiöses Toleranzprinzip, auch wenn das erst nach langen blutigen Auseinandersetzungen gelang.

Über die kulturelle Vielfalt, die das Nebeneinander vieler Herrschaftsträger mit sich brachte, habe ich bereits oben geschrieben. Die zahlreichen kleinen und mittleren Höfe konkurrierten miteinander und brachten es zu großer Ausstrahlungskraft, was politisch und kulturell fruchtbar wirkte. Somit hatte das Reich nicht nur einen großen politischen, sondern auch einen gesellschaftlichen und kulturellen Gravitationskern. Wenn wir heute eine Vielzahl von Theatern und Opernhäusern mit eigenen Ensembles (!) haben, dazu zahlreiche Sinfonieorchester, Universitäten und städtische Zentren, so ist das ein Ergebnis des föderalen Reichsverbundes. Das bedeutet Vielfalt in der Einheit, ganz im Gegensatz zum Staatsprinzip des Absolutismus.

Diese Leistungen des Reichs und seiner zahlreichen regionalen Herrschaftsträger gehen oft unter hinter einer gewissen Polemik, die lediglich von "elender Kleinstaaterei" spricht, ohne indes die positiven Seiten des Reichsverbandes zu sehen. Und ob die Fähigkeit straff geführter Zentralstaaten zu großen Kriegen für die Bevölkerung wünschenswert ist, sei dahingestellt. Frankreich war nach den unablässigen Kriegen Ludwigs XIV. pleite und musste Staatsbankrott anmelden. Die Folge war einige Jahrzehnte später die Revolution, da es dem Volk wirtschaftlich unglaublich schlecht ging.

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