Seit wann gibt es "Deutschland"?

Heraldik, Jagd, Pest, Kriegsführung, Ritter, Feuerwaffen, Burgen, Könige, Königreiche

Moderator: Barbarossa

Dietrich
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Es ist bis heute umstritten, wann der ostfränkische Staat unter den ottonisch-salischen Herrschern den Namen "Deutschland" erhalten hat. bzw. wann die in ihm lebenden Völker, die seit zum Teil seit mehr als einem halben Jahrtausend bekannten Franken, Sachsen, Baiern und Alemannen, zusätzlich zu ihrem bisherigen Volksnamen umfassend "Deutsche" genannt wurden.

Es handelt sich dabei sowohl um einen politischen Prozess des Herauswachsens aus einem Teilkönigtum des fränkischen Gesamtreichs zu eigenem Staatsbewusstsein, als auch um eine sprachliche Spiegelung in der Verwendung des Wortes "deutsch" und seiner lateinischen Entsprechungen. Unter diesen setzte sich rasch das antikisierende "teutonicus" durch und zwar in poltischer Bedeutung zur Bezeichnung dieses neuen Staates und seines Reichsvolks.

Um die Daten für den Prozess des Herauswachsens aus dem Frankenreich bzw. die Etablierung einer eigenen staatlichen Identität ist viel gestritten geworden, wobei die Daten 843, 911, 919 und 925 genannt wurden. Manche sahen einen gestreckten Prozess bis zu Otto I. (936), andere setzten das Datum 911 (Ende der Karolinger, Nichtanerkennung des westfränkischen Karolingers) und 919 (Heinrich I. als "erster deutscher König" (!). Andere schlagen einen späteren Ansatz vor unter dem Gesichtspunkt, dass die Ottonen nicht das "Deutsche Reich" vorgefunden, sondern erst geschaffen haben. Im allgemeinen ist die Forschung heute der Ansicht, dass ein deutsches Bewusstsein kaum vor 1000, voll erst im 11. und 12. Jh. einsetzt.

Anders verhält es sich mit dem politischen Begriff "Deutschland". Die ostfränkisch-ottonischen Kaiser beanspruchten weiterhin "in Francia" - im Frankenreich - ebenso zu herrschen wie "in Italia". Sie betrachteten sich noch als Herrscher des Ostfrankenreichs, was demzufolge in Urkunden als regnum francorum orientalium bezeichnet wurde.
Vor allem aber sahen sie sich wie schon Karl der Große als Herrscher des "Heiligen Römischen Reichs", was seit Konrad II. 1034 amtlicher Titel des Reichs wurde. Als "Sacrum Imperium" wird das Reich seit 1157 in Urkunden Kaiser Friedrichs I. bezeichnet, um seine sakrale Würde zu betonen. Seit 1254 bürgerte sich in den Königsurkunden die Bezeichnung "Sacrum Romanum Imperium" ein.

Im Rahmen des Investiturstreits spricht Papst Gregor VII. erstmals im Hinblick auf Heinrich IV. vom "rex teutonicorum", um seinen Gegner auf die Ebene der anderen europäischen Könige herabzuziehen.Später findet man dann häufiger das "rex teutonicorum" oder aber "Teutonicum regnum" in Urkunden, vor allem wenn es darum geht, Unterscheidungen zu den Königreichen Burgund und Italien im Reichsverband herzustellen.

Im Ausland sind die Bezeichnungen für den Gesamtstaat vielfältig: Germania, Francia, Saxonia, Terra Teutonica, Alamannia, Regnum Germanicum, Saxonum usw.

Etwa um 1100 tauchen Umschreibungen wie "in diutischem lande, "diutisches lant" u.ä. auf, etwa ab 1500 spricht z.B. Ulrich Hutten von den "deutschen Landen". Singular "Deutschland" ist also noch nicht vertreten, wohl aber die "deutsche Nation". Sie tritt als "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation" (Nationis Germanicae) im 15. Jh. auf und bezeichnete einschränkend die deutschen Teile des Reichsgebiets.im Unterschied zu Italien und Burgund.

Vom "Deutschen Reich" schließlich ist erst seit der wilhelminischen Reichsgründung 1871 die Rede, während das Gebilde nach dem Wiener Kongress 1815 den Namen "Deutscher Bund" führte.
Spartaner
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Der Ursprung liegt wahrscheinlich im lateinischen Adjektiv „theodiscus“, welches im Zusammenhang mit der "lingua theodisca" steht (amtliche Bezeichnung der altfränkischen Volkssprache im Reiche Karls des Großen. Es bezeichnet also auch Sprecher die zur germanisch-fränkischen Sprachgemeinschaft gehören und weder latein noch das dort üblige vulgärlatein sprachen.
Der älteste Beleg stammt aus dem Jahre 786 . "Im sogenannten deutschsprachigen Annolied auf der Wende zum 12. Jahrhundert tauchen erstmals von den Begriffen „theodiscus“ und „thiutisk“ abgeleitet Wendungen wie „diutschi man“, „diutischi liuti“ und „diutsche lant“. Somit ist das Annolied gewissermaßen die Geburtsurkunde der deutschen Sprache, „das erste sichere Zeugnis, daß deutschsprechende Menschen ihre Sprache nicht mehr [nur!] als fränkisch, bairisch, alemannisch oder sächsisch empfanden.“
http://de.wiktionary.org/wiki/theodiscus
Der Name des ehemaligen Staatspräsidenten von Kroatien Tudjman oder Tudzman bedeutet wahrscheinlauch nichts anderes als Deutschmann (siehe diutschi man) und die meisten Familiennamen sind hauptsächich im 9. und 10. Jahrhundert in Europa eingeführt worden .

Andere Volksbezeichnungen für Menschen die auf germanische Sprachen zurückgehende Sprecher sind weitaus älter .
Der o. g. Begriff wurden meistens abfällig verwendet von latein sprechenden Menschen . Das muss man sich ähnlich vorstellen, wie die abfällige Verwendung des Begriffes Slawen dessen Begriff bei den latein- und griechisch sprechenden Menschen nichts anderes als übersetzt: Sklaven bedeutete. Bei den Slawen selbst aber etwa anderes.
Sie Slawen bezeichneten eine Gruppe von germanische Sprachen sprechenden Menschen als Nemetz (Stumme) sich slebst aber als Slow (Sprechende) Dies geschah wahrscheinlich schon während oder vor der slawischen Einwanderung im 6. und 7. Jahrhundert in Ostdeutschland. Die Engländer bezeichnen noch heute die deutsche Sprache als german . Auch diese Bezeichnung für Sprecher der germanischen Sprachen fällt schon vor das 6. und 7.Jahrhundert, wahrscheinlich nach der Abzug der Römer aus Großbritannien .
Es ist also immer eine Sicht, wer den Begriff geprägt hat, ob er von außen kommt oder von Innen .
Das deutsche Nationalgefühl und damit die ersten Deutschen haben sich erst später herauskristalisiert und das beginnt sicherlich mit Ulrich Hutten um 1500 . Aber selbst im dreißigjährigen Krieg gab es noch kein deutsches Zusammenhörigkeitsgefühl.
Paul
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Das Deutsche hat sich kontinuierlich aus dem westlichen Urindogermanischen entwickelt, ohne einschneidende Sprünge.
Davon haben sich immer wieder Auswanderergruppen gelöst. Auch das periphere Nordgermanien trennte sich im Mittelalter sprachlich von den Südgermanen. Das kontinentale Südgermanien entwickelte sich ohne Bruch zum Deutschen.
Das sich das Zusammengehörigkeitsgefühl so spät entwickelt hätte, ist eine Vermutung, die ich relativieren will.
Wenn Ubier und Sueben gemeinsam in der Kaisergarde dienten, werden sie schon ein Gemeinschaftsgefühl gehabt haben.
Odoaker hat dieses Gemeinschaftsgefühl für seinen Putsch genutzt.
Die weise Veleda wurde auch Stammesübergreifend verehrt.
Arminius hat auch ein relativ breites Stammesbündnis geschmiedet.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Lia

Chronologisch ist ja bestens abgeklärt, seiit wann die Bezeichnungen deutsch und Deutschland auftauchen und in welchen Zusammenhängen sie benutzt wurden.
Wann die Bewohner sich als "Deutsche in Deutschland" entdeckten, oder in welchen Schritten und historischen Zusammenhängen, kann man hinterfragen.
Harald
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Ein Zusammengehörigkeitsgefühl dürfte sich sehr früh entwickelt haben, z.B. durch die Schlacht auf dem Lechfeld 955. Wenn dann aber das Gefühl der Zusammengehörigkeit da war, suchte und fand man auch einen Namen dafür und das war dann die thiudiske Sprache.

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Dietrich
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Lia hat geschrieben: Wann die Bewohner sich als "Deutsche in Deutschland" entdeckten, oder in welchen Schritten und historischen Zusammenhängen, kann man hinterfragen.
Dass, Lia, ist exakt die Kernfrage: Ab wann gab es eine "deutsche" Identität, bzw. wann empfanden sich die Menschen in diesem Raum als zusammengehöriges deutsches Volk.

Was sich da im Jahr 919 anlässlich der Königserhebung Heinrichs I. zusammenschloss, waren nahezu souveräne Herzogtümer und fast eigenständige Völker: Baiern, Franken, Sachsen und Alemannen/Schwaben. Heinrich I. und seine Nachfolger empfanden sich durchaus noch als Teil des Frankenreichs, genauer des Ostfrankenreichs. Und so wurde auch geurkundet: Regnum francorum orientalum.

Später gewann die Idee eines erneuerten Römisches Reichs auf christlicher Grundlage große Macht, und aus dem Ostfrankenreich wurde das Heilige Römische Reich. Der Begriff "Deutschland" taucht in offiziellen Urkunden leider nicht auf, sodass man auf Hypothesen angewiesen ist, wenn man "deutschen Identitäten" nachspüren will. Immerhin erhält das Heilige Römische Reich im 15. Jh. den Zusatz "Deutscher Nation" (lat. Nationis Germanicæ), woraus sich schließen lässt, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt das Bewusstsein eines "deutschen Volks" verankert war.

Dieser Prozess einer "Nationenbildung" innerhalb des Heiligen Römischen Reichs, zu dem noch Burgund und Reichsitalien zählten, hat sicher schon vorher begonnen. Hypothesen einer weiteren Eingrenzung dieser Entwicklung sind allerdings umstritten (vgl. mein Beitrag oben).
Suebe
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Wenn ich hier meine Signatur von woanders zitieren darf:
"Zum Beginn der deutschen Geschichte gibt es verschiedene Meinungen.
Aber es war ganz sicher nicht der 30. Januar 1933." :idea:

Eine Geschichtslehrerin in der 10. Klasse machte nicht viele Faxen: Das Deutsche Reich als Monarchie bestand 1.000 Jahre von 919 bis 1918. Basta.

Von der Verfassungsgeschichte her ist der Anfang auch relativ eng einzugrenzen, als mit den letzten Karolingern, das Ostfränkische Reich war ein Zentralstaat, die regionalen Größen während der Abwehrkämpfe gegen äußere Feinde größere Selbständigkeit gewannen und aus ihren Reihen den ersten Nicht-Karolinger zum König kürten. Womit das deutsche Wahl-Königreich als Föderalstaat entstand. (Und ein Föderalstaat blieb Deutschland bis heute!)
In einem relativ engen Zeitfenster zwischen Konrad und Otto oder ca. 910 bis 950.

Ihr kompliziert die Sache allerdings sehr und völlig unnötig, wenn ihr auf das HRR abstellt. Die Deutschen Könige waren zwar oft in Personalunion Römische Kaiser, aber keineswegs immer.
Aber die Gleichsetzung HRR = Deutsches Reich ist falsch, wenn nicht sogar unzulässig.
Diese Sichtweise ist eine Erfindung der Historiker des 19. Jahrhunderts, die "ums verrecken" ein kraftstrotzendes mittelalterliches Heiliges römisches Reich Deutscher Nation im Nachhinein gründen wollten.

Mal kurz zusammengefasst.
Lia

Dieser Prozess einer "Nationenbildung" innerhalb des Heiligen Römischen Reichs, zu dem noch Burgund und Reichsitalien zählten, hat sicher schon vorher begonnen. Hypothesen einer weiteren Eingrenzung dieser Entwicklung sind allerdings umstritten (vgl. mein Beitrag oben.
Muss dann gefragt werden, in welchen Bevölkerungsteilen sich die Bewusstwerdung in den jeweiligen Etappen vollzog.
@ Suebe:
Über die historischen Abläufe sind wir uns einig.
Die Frage, die Dietrich stellte, und die legitim zu stellen ist:
Dass, Lia, ist exakt die Kernfrage: Ab wann gab es eine "deutsche" Identität, bzw. wann empfanden sich die Menschen in diesem Raum als zusammengehöriges deutsches Volk.
Die ist eine andere, und darüber denken wir eigentlich eher nach, nicht übers HHR an sich. Imho ist das im föderalistischen deutschen Raum anders gelaufen als in zentralistisch organisierten Nationen/ Staaten.
Obwohl Nationalität lange Zeit im internationalen Umgang wieder nicht so ins Gewicht fiel. Oder nicht diese Gegensätze erzeugte, wie sie im Zeitalter der Nationalstaaten zutage traten.
Dietrich
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Lia hat geschrieben: Die ist eine andere, und darüber denken wir eigentlich eher nach, nicht übers HHR an sich. Imho ist das im föderalistischen deutschen Raum anders gelaufen als in zentralistisch organisierten Nationen/ Staaten.
Obwohl Nationalität lange Zeit im internationalen Umgang wieder nicht so ins Gewicht fiel. Oder nicht diese Gegensätze erzeugte, wie sie im Zeitalter der Nationalstaaten zutage traten.
Das lief in den einzelnen Regionen sicher unterschiedlich ab und zwischen den politischen Eliten und dem gemeinen Volk gab's ebenfalls eine Wahrnehmungslücke. Im vielbändigen Lexikon des Mittelalters heißt es, dass spätestens im 11./12. Jh. die Vorstellung verbreitet war, dass es "deutsche Lande" gäbe.

Das Heilige Römische Reich war kein Nationalstaat und zerfiel in eine Unmenge von Herzogtumern, Grafschaften, Herrschaften, Fürstentümern, Reichsstädten, Fürstabteien, Fürstbistümern usw. Das unmittelbare Oberhaupt des gemeinen Mannes und der gemeinen Frau war der Landesherr eines kleinen Territoriems und somit bildete nicht ein nebulöses "Deutschland" den Kosmos des Bauern, Handwerkers oder Leibeigenen, sondern der kleine Staat des Landesfürsten. Ich denke, eine richtige deutsche Identität, so wie wir sie kennen, hat sich erst spät gebildet. Möglicherweise erst im 18. Jh. mit den Idealen der Französischen Revolution und den nationalen und liberalen Bewegungen des Vormärz, die dann zur Revolution von 1848 führten. Der Begriff des "deutschen Volks" war schon zur Zeit Luthers vorhanden, aber richtige Bedeutung erlangte er erst mit den nationalen Erhebungen.

Insofern ist Deutschland in der Tat eine "verspätete Nation".
Lia

Ein Aspekt, der mir noch in den Sinn kam:
Die unterschiedlichen Konfessionen mögen auch ein Grund gewesen, warum es ein Deutschland, das Deutschland, lange nicht so im Bewusstsein der Bwohner dieses Territoriums gab. Unbestritten gab es konfessionelle Gegensätze, die fremdeln ließen. Dem protestantische Norddeutschen waren möglicherweise die Dänen nicht nur geografisch (ganz im Norden politisch wie geografisch ,weil Bi- Nationalität normal war) näher als der ferne katholische Bayer oder Österreicher.
Dietrich hat geschrieben:Ich denke, eine richtige deutsche Identität, so wie wir sie kennen, hat sich erst spät gebildet. Möglicherweise erst im 18. Jh. mit den Idealen der Französischen Revolution und den nationalen und liberalen Bewegungen des Vormärz, die dann zur Revolution von 1848 führten. Der Begriff des "deutschen Volks" war schon zur Zeit Luthers vorhanden, aber richtige Bedeutung erlangte er erst mit den nationalen Erhebungen.
Was ich so unterschreibe. Wobei das, regional betrachtet, nicht unbedingt immer so vorteilhaft war, weil durch das Aufkommen nationaler Gegensätze viel bis dahin gewachsenes, selbstverständliches Miteinander unabhängig von Nationalität zerstörte.
Wäre jetzt ein neuer Faden, und wird auch mal einer, denn ob faktisch richtig oder nicht: Oft wurde Deutschland mit Preußen gleichgesetzt- oder umgekehrt. :wink:
Suebe
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Lia hat geschrieben:
Dieser Prozess einer "Nationenbildung" innerhalb des Heiligen Römischen Reichs, zu dem noch Burgund und Reichsitalien zählten, hat sicher schon vorher begonnen. Hypothesen einer weiteren Eingrenzung dieser Entwicklung sind allerdings umstritten (vgl. mein Beitrag oben.
Muss dann gefragt werden, in welchen Bevölkerungsteilen sich die Bewusstwerdung in den jeweiligen Etappen vollzog.
@ Suebe:
Über die historischen Abläufe sind wir uns einig.
Die Frage, die Dietrich stellte, und die legitim zu stellen ist:
Dass, Lia, ist exakt die Kernfrage: Ab wann gab es eine "deutsche" Identität, bzw. wann empfanden sich die Menschen in diesem Raum als zusammengehöriges deutsches Volk.
Die ist eine andere, und darüber denken wir eigentlich eher nach, nicht übers HHR an sich. Imho ist das im föderalistischen deutschen Raum anders gelaufen als in zentralistisch organisierten Nationen/ Staaten.
Obwohl Nationalität lange Zeit im internationalen Umgang wieder nicht so ins Gewicht fiel. Oder nicht diese Gegensätze erzeugte, wie sie im Zeitalter der Nationalstaaten zutage traten.

Die Frage ist bestimmt legitim.
Nur geht mir dies alles viel zu schnell. Von Burgund ist die rede, und von Italien, und in dem Fall keineswegs vom geographischen Begriff, was zu meiner Verwirrung erheblich beiträgt. :twisted:


Wie wollt ihr in der "Zentralen Frage" zu einer belastbaren These kommen?
Wann fühlt sich einer als Deutscher? Hat sich meine UrUrUr...Ahnin vor 1000 Jahren als Deutsche gefühlt? Ich weiß es nicht. Schriftlich hat sie nix hinterlassen :wink:

Nur, gebildet hat sich das "deutsche" Königreich als Föderalstaat! aus den Trümmern des Karolingischen Ostfrankenreiches, und zwar unter dem Druck äußerer Feinde, denen die regionalen Gewalten nicht Meister wurden. Dies nochmals zur Verdeutlichung.
Spätestens ab diesem Moment müssen sich die Menschen als "zusammengehörendes Volk gefühlt haben" . Ob jetzt als Deutsche, Franken oder sonstwie ist eher egal.
Gehe ich mal von den Menschen heute aus, vermute ich stark, dass meine Ahnin, ging es ihr gut, sich als Schwäbin fühlte, zogen Ungarische Horden durchs Ländle war sie Deutsche und hat nach dem Schutz durch den Deutschen König "gerufen".
Hoffmann von Fallersleben hat das gut und treffend herausgearbeitet, "wenn es stehts zu Schutz und Trutze"
Lia

Suebe hat geschrieben:Gehe ich mal von den Menschen heute aus, vermute ich stark, dass meine Ahnin, ging es ihr gut, sich als Schwäbin fühlte, zogen Ungarische Horden durchs Ländle war sie Deutsche und hat nach dem Schutz durch den Deutschen König "gerufen".
Hoffmann von Fallersleben hat das gut und treffend herausgearbeitet, "wenn es stehts zu Schutz und Trutze"
Da sind wir uns, was "feeling" betrifft, ziemlich einig. Den Gedanken, dass ein "Wir Deutsche" Bewusstsein kam, wenn es denn nötig war, hatte ich schon geäußert.
Nationalbewusstsein der Deutschen: Wahrscheinlich latent durchaus vorhanden. Dennoch meine ich, anders als in manchen Nachbarstaaten, weniger scharf umrissen und definiert- und räumlich zentralisiert.
Vielleicht gab es auch durch unterschiedliche Vorstellungen von "Deutschland" , territorial wie landsmannschaftlich?
(Typische Schülerfrage: Waren die Österreicher eigentlich Deutsche? :)
Leider fehlen für große Zeiträume weitgehend Quellen zur Befindlichkeit des kleinen Mannes.
Suebe
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Dietrich hat geschrieben:
Lia hat geschrieben: Die ist eine andere, und darüber denken wir eigentlich eher nach, nicht übers HHR an sich. Imho ist das im föderalistischen deutschen Raum anders gelaufen als in zentralistisch organisierten Nationen/ Staaten.
Obwohl Nationalität lange Zeit im internationalen Umgang wieder nicht so ins Gewicht fiel. Oder nicht diese Gegensätze erzeugte, wie sie im Zeitalter der Nationalstaaten zutage traten.
Das lief in den einzelnen Regionen sicher unterschiedlich ab und zwischen den politischen Eliten und dem gemeinen Volk gab's ebenfalls eine Wahrnehmungslücke. Im vielbändigen Lexikon des Mittelalters heißt es, dass spätestens im 11./12. Jh. die Vorstellung verbreitet war, dass es "deutsche Lande" gäbe.

Das Heilige Römische Reich war kein Nationalstaat und zerfiel in eine Unmenge von Herzogtumern, Grafschaften, Herrschaften, Fürstentümern, Reichsstädten, Fürstabteien, Fürstbistümern usw. Das unmittelbare Oberhaupt des gemeinen Mannes und der gemeinen Frau war der Landesherr eines kleinen Territoriems und somit bildete nicht ein nebulöses "Deutschland" den Kosmos des Bauern, Handwerkers oder Leibeigenen, sondern der kleine Staat des Landesfürsten. Ich denke, eine richtige deutsche Identität, so wie wir sie kennen, hat sich erst spät gebildet. Möglicherweise erst im 18. Jh. mit den Idealen der Französischen Revolution und den nationalen und liberalen Bewegungen des Vormärz, die dann zur Revolution von 1848 führten. Der Begriff des "deutschen Volks" war schon zur Zeit Luthers vorhanden, aber richtige Bedeutung erlangte er erst mit den nationalen Erhebungen.

Insofern ist Deutschland in der Tat eine "verspätete Nation".


Nein, Nein und abermals Nein.

Jetzt quasselt doch diese in borussischen Hirnen des 19. Jahrhunderts konstruierten Mythen nicht nach.
Konstruiert um im Nachhinein zu behaupten, dass aus Deutschland ums Verrecken Großpreussen werden musste.
Auf heute übertragen: was wird auch mein Oberbürgermeister oder mein Landrat mein "unmittelbares Oberhaupt" sein.
Was wird das Reich auch aus über 300 selbständigen Territorien bestanden haben.
Die "Flickerl-Teppich"-Karten, bis heute von den Verlagen immer aufs neue gedruckt, sind bezeichnenderweise erst im 19. Jahrhundert entstanden.
Haben aber keinen historischen Wert.

Das "alte" Deutsche Reich war wie alle seine Nachfolger ein Föderalstaat, (die Unterscheidung Bundesstaat oder Staatenbund ist erst unmittelbar nach dem Ende des Reiches entstanden, hier also belanglos) das muss unbedingt beachtet werden.
Lia

Suebe hat geschrieben:Das "alte" Deutsche Reich war wie alle seine Nachfolger ein Föderalstaat, (die Unterscheidung Bundesstaat oder Staatenbund ist erst unmittelbar nach dem Ende des Reiches entstanden, hier also belanglos) das muss unbedingt beachtet werden.
Ich pflege nicht nachzuquatschen, nebenbei.
Dass sich ein deutsches Nationalgefühl anders, nicht so früh und so deutlich wie in anderen Staaten zeigte, dabei bleibe ich.
Eben wegen des Föderalismus, wegen unterschiedlicher Konfessionen, die lange Zeit eine weitaus größere, für Abgrenzung sorgende Rolle spielten als das " Deutschland"- Empfinden.
Konstruiert um im Nachhinein zu behaupten, dass aus Deutschland ums Verrecken Großpreussen werden musste.
Das allerdings stimmt so meiner Meinung nach.
Ohne Groß-Preussen kein Deutschland, wenn sich die Deutschen als Nation empfinden lernten, dann haben sie das Preußen und natürlich besonders Bismarck zu verdanken. *ironiemodusan*
So wieder nicht. Es lag im Zuge der Zeit, neuer Ideen, die Umwälzungen mit sich brachten, und neuer Anforderungen, dass sich ein nach außen hin sehr viel deutlicheres Bewusstsein von Deutschland und Deutsch entwickelte als vorher wahrnehmbar war.
Eine der Figuren im Spiel war Bismarck als derjenige, der "Deutschland" erst möglich gemacht hat.
Hat er? Wenn ja, dann aus welcher Perspektive, mit welchen Absichten?
Das mit, Verlaub, kann diskutiert werden.
Mich wundert es nicht, wenn von innen und außen betrachtet, Deutschland als Nation erst spät, und dann oft genug mit Preußen gleichgesetzt, wahrgenommen wird. Oder sich selber wahr nimmt.
Historische Fakten sind das eine. Die Wahrnehmung derselben in der Bevölkerung ist das andere, und leider gibt es nur wenige zuverlässige Quellen aus des Volkes Mitte, wie das Verhältnis der Bevölkerung zu "Deutschland" bis 1848 oder 1871 aussah.
Dietrich
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Suebe hat geschrieben: Nur geht mir dies alles viel zu schnell. Von Burgund ist die rede, und von Italien, und in dem Fall keineswegs vom geographischen Begriff, was zu meiner Verwirrung erheblich beiträgt. :twisted:
Was ist daran verwirrend? Das Heilige Römische Reich bestand aus den Reichsteilen Deutschland, Burgund und Italien, wobei es für Burgund und Italien eigene Kanzleien gab. So war der Erzbischof von Köln Reichserzkanzler von Reichsitalien. Im Lauf der Jahrhunderte verloren diese Kanzleien ihre Bedeutung, vor allem auch, weil seit dem späten Mittelalter von Reichsitalien und Burgund territorial wenig geblieben war.
Suebe hat geschrieben:Wie wollt ihr in der "Zentralen Frage" zu einer belastbaren These kommen?
Diese Frage stellt sich die Geschichtswissenschaft seit langer Zeit und ist nicht zu so eindeutigen Ergebnissen gelangt, wie man sich das wünschen würde - was bei dieser Thematik auch nicht anders zu erwarten ist. Ich habe das oben bereits beschrieben:

"Um die Daten für den Prozess des Herauswachsens aus dem Frankenreich bzw. die Etablierung einer eigenen staatlichen Identität ist viel gestritten geworden, wobei die Daten 843, 911, 919 und 925 genannt wurden. Manche sahen einen gestreckten Prozess bis zu Otto I. (936), andere setzten das Datum 911 (Ende der Karolinger, Nichtanerkennung des westfränkischen Karolingers) und 919 (Heinrich I. als "erster deutscher König" (!). Andere schlagen einen späteren Ansatz vor unter dem Gesichtspunkt, dass die Ottonen nicht das "Deutsche Reich" vorgefunden, sondern erst geschaffen haben. Im allgemeinen ist die Forschung heute der Ansicht, dass ein deutsches Bewusstsein kaum vor 1000, voll erst im 11. und 12. Jh. einsetzt. "
Suebe hat geschrieben:Nur, gebildet hat sich das "deutsche" Königreich als Föderalstaat! aus den Trümmern des Karolingischen Ostfrankenreiches, und zwar unter dem Druck äußerer Feinde, denen die regionalen Gewalten nicht Meister wurden. Dies nochmals zur Verdeutlichung.
Spätestens ab diesem Moment müssen sich die Menschen als "zusammengehörendes Volk gefühlt haben" . Ob jetzt als Deutsche, Franken oder sonstwie ist eher egal.
Die Stammesherzöge von Baiern, Sachsen, Franken und Schwaben krönten Heinrich I. zum König. Dieses staatliche Gebilde verstand sich als Ostfränkisches Reich und so wurde auch geurkundet: Regnum francorum orientalum. Von einem "deutschen Reich" ist keine Rede und woher sollte ein solcher Begriff auch kommen? Im übrigen taucht ein "deutsches Reich" im Mittelalter überhaupt nicht auf. Aus dem Regnum francorum orientalum wurde im 11. Jh. das Heilige Römische Reich. Das ist schließlich der Grund, warum Generationen von Historikern danach fahnden, wann sich die Baiern, Sachsen, Schwaben und Franken als "deutsches Volk" gefühlt haben.
Suebe hat geschrieben:Gehe ich mal von den Menschen heute aus, vermute ich stark, dass meine Ahnin, ging es ihr gut, sich als Schwäbin fühlte, zogen Ungarische Horden durchs Ländle war sie Deutsche und hat nach dem Schutz durch den Deutschen König "gerufen".
Deine Urahnin verstand sich als Schwäbin und wenn der Kaiser die Ungarn besiegte, freute sie sich über den Sieg des "Reichs". Ein "Deutschland gab es noch nicht zu Beginn des 10. Jh.
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