Seit wann gibt es "Deutschland"?

Heraldik, Jagd, Pest, Kriegsführung, Ritter, Feuerwaffen, Burgen, Könige, Königreiche

Moderator: Barbarossa

Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15507
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

Spartaner hat geschrieben:Nur althochdeutsch ist eine synthetische Sprache undwurde so nicht gesprochen.
Stimmt.
Spartaner hat geschrieben:Sie ist ein Zusammenfassung westgermanischer Sprachen.
Nein, das ist es ja, was ich meinte - seit 750 spricht die Sprachwissenschaft ja nicht mehr von Germanisch, sondern von den altdeutschen Dialekten.
Spartaner hat geschrieben:Also kann man höchstens von Protodeutschen sprechen...
Ich würde da schon von Deutschen sprechen - bzw. von Alt-Deutschen.
Spartaner hat geschrieben:Aber bis zur Deutschwerdung war es von da an noch ein weiter Weg.
Ja, bis man bereit war, selbst von "Deutschland" zu sprechen. Die Gründe dafür mögen einerseits darin gelegen haben, dass der Herrschaftsbereich der Könige/Kaiser über eine lange Zeit weit über den deutschen Sprachbereich hinausging und andererseits "thiutisk"(= "Deutsch") ja "Sprache des Volkes" bedeutet - Amtssprache war aber meist Latein.
Spartaner hat geschrieben:In Wirklichkeit war das heutige deutsche Gebiet noch stark zergliedert und nicht jeder verstand den anderen einwandfrei. Selbst zur Zeit der Hanse waren bestimmt noch der eine oder andere Übersetzer nötig gewesen, der die Händler über Verständigungsbarrieren hinweg half.
Ja, die Zeit der Hanse war aber viel später. Um 1500 waren auch die Unterschiede zwischen den Dialekten viel größer, als 7-8 Jahrhunderte früher.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Dietrich
Mitglied
Beiträge: 1755
Registriert: 04.05.2012, 18:42
Wohnort: Ostfalen

Barbarossa hat geschrieben: Deshalb wäre tatsächlich mein Vorschlag:
Vielleicht sollte man - um die Diskussion zu entschärfen - vereinfacht vom "Reich der Deutschen" sprechen, selbst wenn es sich Ostfrankenreich, "Heiliges Reich" oder "Heiliges Römisches Reich" nannte. Denn selbst wenn auch andere Reichsteile dazugehörten, wie Burgund und Reichsitalien - die Könige/Kaiser selbst waren allesamt Deutsche bzw. aus dem deutschen Reichsteil.
Das ist ein großes Missverständnis!

Die Sachsen, Baiern, Alemannen und Franken bezeichneten sich im 10. Jh. noch nicht als "Deutsche". Es gab noch keine deutsche Identität. sondern nur eine der Völker, die sich zum Ostfränkischen Reich zusammengeschlossen hatten. Der Staat hieß Regnum francorum orientalum, denn die Herrscher betrachteten sich noch als Teil des Frankenreichs. Beanspruchten doch die ostfränkischen Herrscher weiterhin, "in Francia", im Frankenreich, ebenso zu herrschen wie in "Italia". Kaiser Otto I. lässt in Diplomen von 936 und 938 den Gesamtstaat mit der Formel "Francia et Saxonica" umschreiben, die vom Historiographen Widukind aufgegriffen wird. Ihm fehlt ebenfalls ein Sammelbegriff für ein Reich, das im Ausland oft einfach "regnum Saxonum" genannt wird. Die Benennung der Sprache "diutisc" erfolgte eher vom Ausland und begründete bei den Menschen der Stammesherzogtümer keine "deutsche Identität".

Erst im 11. Jh. finden sich bei Annalisten und Chronisten erstmals Begriffe wie ""in diutischemi lande", "dutsche lant" u.ä. In der lateinischen Geschichtsschreibung erscheint die Reichsbezeichnung "Teutonicum regnum".

Das "Lexikon des Mittelalters" sagt dazu: "Vielmehr ist dieses Volk im ostfränkisch-deutschen, aus mehreren Teilstaaten bestehende, Reich in stets engerer Verflechtung seines Episkopats, seiner Aristokratien und seiner Bevölkerungen erst entstanden und hat bestimmte Wesenszüge ... überhaupt erst ausgebildet." [1]

[1] Lexikon des Mittelalters, Band III, Stuttgart 2003, Sp. 787
Dietrich
Mitglied
Beiträge: 1755
Registriert: 04.05.2012, 18:42
Wohnort: Ostfalen

Suebe hat geschrieben: Nein,
die Landesherren (die von kleineren Territorien schon gar nicht) waren keine absoluten Herren, zu keinem Zeitpunkt. Steuern zahlen wir heute auch und es wird dir nicht unbekannt sein, dass die Leibeigenschaft nichts anderes als eine Art der Besteuerung war.
Die Landesherren hatten das Recht zu gebieten und zu verbieten, Münzen zu schlagen, Burgen zu bauen, den Wehrbann einzuberufen, Gesetze zu geben u.a. Diese und andere Rechte hatten sie breits im Jahr 1231 den Kaisern im Statutum in favorem principum entwunden, das die Basis der nahezu souveränen deutschen Landesfüstentümer bildete. Somit war der Landesherr für seine Untertanen der "liebe Gott", denn von ihm hing ihr Wohlergehen - oder aber ihre Bedrückung - ab. Der Landesherr war für seine Untertanen oberste Instanz.
Suebe hat geschrieben:Der Blutbann???? Hmmm, willst du die gänzlich andere Auffassung von Rechtspflege in der frühen Neuzeit als Beleg für deine These der "absoluten Reichsfürsten" nehmen? Es gab die Hofgerichte, denen die Territorialherren unterworfen waren.
Alle Landesherren besaßen die Blutgerichtsbarkeit, vereinzelt sogar einige Reichsritterschaften. Über Hofgerichte verfügten größere Grundherren. Sie alle waren dem übergeordneten Recht der Landesherren unterworfen, denn die adligen Grundherren waren ebenso ihre Untertanen wie das gemeine Volk - wenn auch mit besserem Rechtsstatus und einigen Privilegien.
Suebe hat geschrieben:Du hast die Fürstenberg genannt, die haben doch keinen Kleinstaat gehabt. Reichsunmittelbar hört sich gut an, aber was ist das?
Die Grafen und späteren Fürsten von Fürstenberg in SW-Deutschland waren eine der ganz alten Dynastien. Sie hatten Sitz und Stimme im Reichstag, anfangs in der schwäbischen Grafenkurie, später als Fürsten im Fürstenrat mit einer Virilstimme.
Suebe
Mitglied
Beiträge: 201
Registriert: 30.05.2012, 11:01

Dietrich hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben: Deshalb wäre tatsächlich mein Vorschlag:
Vielleicht sollte man - um die Diskussion zu entschärfen - vereinfacht vom "Reich der Deutschen" sprechen, selbst wenn es sich Ostfrankenreich, "Heiliges Reich" oder "Heiliges Römisches Reich" nannte. Denn selbst wenn auch andere Reichsteile dazugehörten, wie Burgund und Reichsitalien - die Könige/Kaiser selbst waren allesamt Deutsche bzw. aus dem deutschen Reichsteil.
Das ist ein großes Missverständnis!

Die Sachsen, Baiern, Alemannen und Franken bezeichneten sich im 10. Jh. noch nicht als "Deutsche". Es gab noch keine deutsche Identität. sondern nur eine der Völker, die sich zum Ostfränkischen Reich zusammengeschlossen hatten. Der Staat hieß Regnum francorum orientalum, denn die Herrscher betrachteten sich noch als Teil des Frankenreichs. Beanspruchten doch die ostfränkischen Herrscher weiterhin, "in Francia", im Frankenreich, ebenso zu herrschen wie in "Italia". Kaiser Otto I. lässt in Diplomen von 936 und 938 den Gesamtstaat mit der Formel "Francia et Saxonica" umschreiben, die vom Historiographen Widukind aufgegriffen wird. Ihm fehlt ebenfalls ein Sammelbegriff für ein Reich, das im Ausland oft einfach "regnum Saxonum" genannt wird. Die Benennung der Sprache "diutisc" erfolgte eher vom Ausland und begründete bei den Menschen der Stammesherzogtümer keine "deutsche Identität".

Erst im 11. Jh. finden sich bei Annalisten und Chronisten erstmals Begriffe wie ""in diutischemi lande", "dutsche lant" u.ä. In der lateinischen Geschichtsschreibung erscheint die Reichsbezeichnung "Teutonicum regnum".

Das "Lexikon des Mittelalters" sagt dazu: "Vielmehr ist dieses Volk im ostfränkisch-deutschen, aus mehreren Teilstaaten bestehende, Reich in stets engerer Verflechtung seines Episkopats, seiner Aristokratien und seiner Bevölkerungen erst entstanden und hat bestimmte Wesenszüge ... überhaupt erst ausgebildet." [1]

[1] Lexikon des Mittelalters, Band III, Stuttgart 2003, Sp. 787

Es wurde klar unterschieden zwischen "Regnum" dem Königreich und dem "Imperium" dem Kaiserreich.
Köngireich war das Ostfränkische oder (meinetwegen werdende) Deutsche Reich, wie ihr jetzt sagen wollt. Kaiserreich das HRR.
Die deutliche Schnittlinie liegt für mich im Föderalsystem des "Deutschen Reiches" denn das "Fränkische Reich" war ein Zentralstaat. Ob da jetzt noch eine Zeit vom "Frankenreich" die Rede ist oder nicht.
Auch die angeführten Fremdbezeichnungen kann man so hoch nicht ansetzen, wie zB "Reich der Sachsen"
für die Franzosen seid ihr alle bis heute "Allemannen"
:clap: Gott zum Gruße im Club :mrgreen:

Zur "Nation":
beim Konstanzer Konzil wurde um einen Ausgleich für die vielen vielen ital. Bischöfe zu schaffen, "Nationsweise" abgestimmt. Dei englische Nation, die französische Nation, die deutsche Nation, die spanische Nation ...
Ergo: Am Beginn des 15. Jahrhunderts wurde die "deutsche Nation" wie die anderen gesehen.

Noch ein Geschichtchen:
Ich war mal zufällig während einer in Italien stattfindenden Fussball-EM dorten. Aber wie gesagt zufällig.
Jedenfalls gab es da ein Musikcafe, der Ober spielte Gitarre und sang dazu, der Wirt Geige und die Wirtin sang mit einer wunderschönen Altstimme. War ich öfter dort.
Der Ober, Fussballfan wie jeder Italiener, sprach zwischen seinen Gesangseinlagen ausführlich über die EM mit mir. Tenor, Italien oder Deutschland wird Europameister.
Italien schied aus.
Kommentar des Obers, geht ihn nichts an, er ist Sizilianer.

Wenn man versteht was ich damit sagn will.
Benutzeravatar
Peppone
Mitglied
Beiträge: 2414
Registriert: 30.04.2012, 18:41

Suebe hat geschrieben: beim Konstanzer Konzil wurde um einen Ausgleich für die vielen vielen ital. Bischöfe zu schaffen, "Nationsweise" abgestimmt. Dei englische Nation, die französische Nation, die deutsche Nation, die spanische Nation ...
Ergo: Am Beginn des 15. Jahrhunderts wurde die "deutsche Nation" wie die anderen gesehen.
Wobei diese "nationes" mit unseren "Nationen" wenig zu tun haben.
die Einteilung in Naitonen stammt aus dem universitären Bereich. Jede Uni ging da anders vor, je nach Land, in dem sich die Uni befand, und da wurde aus unserer Sicht lustig durcheinander gemischt:
"An der Pariser Universität wurden die nationes gallicorum, normannorum, picardorum und anglicorum unterschieden, wobei zur „gallischen“ auch die Italiener, Spanier, Griechen und Orientalen zählten und zur „englischen“ auch die Deutschen und ihre nördlichen und östlichen Nachbarvölker. An der Prager Universität gehörten zur „polnischen“ Nation neben den Studenten aus dem Königreich Polen auch die Studenten der östlichen Reichsteile, zur „böhmischen“ auch Ungarn und Südslawen, zur „bayerischen“ außer den Bayern die Schwaben, Franken, Hessen, Rheinländer und Westfalen sowie zur „sächsischen“ die Norddeutschen, Dänen, Schweden und Finnen." (Quelle: Wiki)

Beppe
Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15507
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

Dietrich hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben: Deshalb wäre tatsächlich mein Vorschlag:
Vielleicht sollte man - um die Diskussion zu entschärfen - vereinfacht vom "Reich der Deutschen" sprechen, selbst wenn es sich Ostfrankenreich, "Heiliges Reich" oder "Heiliges Römisches Reich" nannte. Denn selbst wenn auch andere Reichsteile dazugehörten, wie Burgund und Reichsitalien - die Könige/Kaiser selbst waren allesamt Deutsche bzw. aus dem deutschen Reichsteil.
Das ist ein großes Missverständnis!

Die Sachsen, Baiern, Alemannen und Franken bezeichneten sich im 10. Jh. noch nicht als "Deutsche". Es gab noch keine deutsche Identität. sondern nur eine der Völker, die sich zum Ostfränkischen Reich zusammengeschlossen hatten. Der Staat hieß Regnum francorum orientalum, denn die Herrscher betrachteten sich noch als Teil des Frankenreichs. Beanspruchten doch die ostfränkischen Herrscher weiterhin, "in Francia", im Frankenreich, ebenso zu herrschen wie in "Italia". Kaiser Otto I. lässt in Diplomen von 936 und 938 den Gesamtstaat mit der Formel "Francia et Saxonica" umschreiben, die vom Historiographen Widukind aufgegriffen wird. Ihm fehlt ebenfalls ein Sammelbegriff für ein Reich, das im Ausland oft einfach "regnum Saxonum" genannt wird. Die Benennung der Sprache "diutisc" erfolgte eher vom Ausland und begründete bei den Menschen der Stammesherzogtümer keine "deutsche Identität".

Erst im 11. Jh. finden sich bei Annalisten und Chronisten erstmals Begriffe wie ""in diutischemi lande", "dutsche lant" u.ä. In der lateinischen Geschichtsschreibung erscheint die Reichsbezeichnung "Teutonicum regnum".

Das "Lexikon des Mittelalters" sagt dazu: "Vielmehr ist dieses Volk im ostfränkisch-deutschen, aus mehreren Teilstaaten bestehende, Reich in stets engerer Verflechtung seines Episkopats, seiner Aristokratien und seiner Bevölkerungen erst entstanden und hat bestimmte Wesenszüge ... überhaupt erst ausgebildet." [1]

[1] Lexikon des Mittelalters, Band III, Stuttgart 2003, Sp. 787
Schade, wird wohl z. T. gar nicht verstanden mein Vorschlag.
:(
Natürlich bezeichnete sich auch zur Zeit der Sachsendynastie das Reich nicht selbst als "deutsch" - das räume ich ja durchaus ein. Aber ist das so dringend notwendig?
Es ist ja auch irgendwie schwer vorstellbar, dass ein Fürst oder gar König sich selbst als "Volkssprachler" bezeichnet. :wink:
Aber auch die "Germanen" bezeichneten sich nicht selbst so und es gab auch nie eine gemeinsame Identität (wenn man vielleicht vom überlieferten Lied des Mannus absieht). Wir nennen sie heute zusammenfassend aber trotzdem so.
Wie du selbst erwähnst, Dietrich, "fehlte" zwar ein Sammelbegriff für die Stämme im Ostfrankenreich, aber nach dem Aussterben der Karolinger wurde anscheinend nach einer Erweiterung im Namen gesucht (und fand ihn in "Francia et Saxonica"). Die Stämme des Ostfrankenreiches waren nunmal mitnichten alle Franken und auch die Erweiterung mit den Sachsen macht die Sammlung nicht vollständig. Alle im Reich zusammengeschlossenen Stämme sprachen aus heutiger sprachwissenschftlicher Sicht aber bereits altdeutsche Dialekte. Darauf wollte ich eigentlich hinaus.

Übrigens, im 921 geschlossenen Vertrag von Bonn verzichteten die Könige in Ost- und Westfranken darauf, Herrscher im Gesamtreich zu sein. Es wurde vertraglich quasi eine Trennung vorgenommen, indem sich beide Könige gegenseitig anerkannten.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Benutzeravatar
Peppone
Mitglied
Beiträge: 2414
Registriert: 30.04.2012, 18:41

Barbarossa hat geschrieben:Alle im Reich zusammengeschlossenen Stämme sprachen aus heutiger sprachwissenschftlicher Sicht aber bereits altdeutsche Dialekte. Darauf wollte ich eigentlich hinaus.
Jetz wirds filosofisch.
;)

Die Themenfrage lautet "Seit wann gibt es 'Deutschland'?"

Du meinst also, es gibt Deutschland, seit es deutsch sprechende Menschen gibt, die in einem Staatsgebilde zusammengefasst sind.
Aber gehört nicht zu einer Zusammengehörigkeit auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl?!?
Dieses Gefühl speist sich in der althochdeutschen Zeit allein daraus, dass man einen gemeinsamen Herrscher hatte. Das reichte aber nicht, um ein "Deutschland" entstehen zu lassen.

Die Italiener lebten jahrhundertelang in einem zersplitterten Staatgebilde, aber sie hatten das Gefühl, in einem Land zu leben, das aus mehreren Staaten besteht. Das Einigende war nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur.
Das schloss z.B. Sizilien nicht unbdeingt mit ein. Jedenfalls solange nicht, bis das Sizilianische bzw. die sizilianische Kultur genügend aller nichtitalienischer Einflüsse entledigt hatte und sich an das Kulturkontinuum Süditaliens bzw. des Königreichs Neapel angepasst hatte, um auch von den anderen Italienern als zumindest "irgendwie italienisch" anerkannt zu werden.

Im späteren Deutschland war das lange anders. Bayern waren Bayern, Schwaben waren Schwaben, Franken waren Franken und Sachsen waren Sachsen. Die Reihe ließe sich verlängern. Erst mit Luther und Goethe ergab sich ein zunächst auf Sprache, dann auch auf Kultur bezogenes Gefühl, dass Nord, Süd, Ost und West mehr verband als eine gemeinsame Herrschaftsgeschichte. Seit dem 17.Jh. also war Deutschland in einer ähnlichen Lage wie Italien schon lange zuvor. Es gab immer noch z.B. Friesen oder Böhmen, die zwar im Reich lebten und deren Gebiet auch schon lange zum Reich gehörte, aber diejenigen, die da lebten, galten nicht als Deutsche. Sie sahen sich auch nicht so. In dieser Hinsicht durchaus den Sizilianern vergleichbar, nur dass gerade die Böhmen die Assimiliation nie vollzogen, sondern im Gegenteil ihre Andersartigkeit neu entdeckten und kultivierten. Auch Schweizer und Holländer entwickelten sich sprachlich und v.a. auch religiös, wirtschaftlich und politisch immer weiter vom Reich weg. Sie hatten sich noch nie als "Deutsche" verstanden, sondern als etwas Eigenes und das zementierte sich nach dem 30jährigen Krieg. Unter dem Eindruck dieser Weg-Bewegungen vom Reich etablierte sich ein Begriff von "Deutschland" - und erst jetzt kann man auch wirklich von "Deutschland" sprechen, meiner Meinung nach.

Erst wenn sich die Bewohner eines Landes UND die Nachbarn einig sind, dass ein Land etwas Besonderes ist, das es von den benachbarten Ländern unterscheidet, erst dann kann man auch von einem speziellen Land sprechen.
Das war beim späteren Deutschland in althochdeutscher Zeit mitnichten der Fall. Die Bezeichnung und Zurechnung zu den mittelalterlichen Nationen zeigt das noch ganz deutlich: Hier waren politische Zuordnungen die Grundlage, ergänzt durch Sprache, Kultur, gemeinsame Geschichte, aber eben nur dadurch ergänzt.
Darum rechneten die Pariser alle, die mal zum Römischen Reich gehört hatten, zur gallischen Nation, unter Einbeziehung z.B. der Oströmer. Alle, die eine germanische Sprache sprachen, waren von Paris aus gesehen "Engländer". Von Prag aus waren alle, die westlich des Böhmerwaldes wohnten und mittelhochdeutsch sprachen, "Bayern", während die Plattsprecher "Sachsen" waren. Von dort waren die Kolonisten gekommen, die auf "Zuruf" böhmischer Könige und Adliger das spätere Sudetenland besiedelt hatten. Offenbar in Erinnerung an die gemeinsame luxemburgische und habsburgische Herrschaftsgeschichte (vielleicht auch an Ottokars II. Reich) gehörten Böhmen, Ungarn und Slowenien und Kroatien (Serbien wohl weniger) zur "böhmischen" Nation...
Nichts spricht dafür, dass die Franzosen und Böhmen damals schon eine Vorstellung von einer "deutschen" Nation hatten. Und die "Deutschen" hatten ebensowenig eine Vorstellung davon. Sie mögen eine Vorstellung davon gehabt haben, dass die Bayern, Schwaben, Rheinländer, Sachsen etc. mehr miteinander verband als mit den Franzosen, Polen, Böhmen, Italienern, Unganr - aber als EIN Volk verstanden sie sich sicherlich nicht.

Beppe
Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15507
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

Ist richtig, sie verstanden sich nicht selbst so.

War eben mehr ein "Deutsche-Reich" oder "Deutsche-Land".
(vorsicht, Ironie) ;-)
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Suebe
Mitglied
Beiträge: 201
Registriert: 30.05.2012, 11:01

Dietrich hat geschrieben:
Suebe hat geschrieben: Nein,
die Landesherren (die von kleineren Territorien schon gar nicht) waren keine absoluten Herren, zu keinem Zeitpunkt. Steuern zahlen wir heute auch und es wird dir nicht unbekannt sein, dass die Leibeigenschaft nichts anderes als eine Art der Besteuerung war.
Die Landesherren hatten das Recht zu gebieten und zu verbieten, Münzen zu schlagen, Burgen zu bauen, den Wehrbann einzuberufen, Gesetze zu geben u.a. Diese und andere Rechte hatten sie breits im Jahr 1231 den Kaisern im Statutum in favorem principum entwunden, das die Basis der nahezu souveränen deutschen Landesfüstentümer bildete. Somit war der Landesherr für seine Untertanen der "liebe Gott", denn von ihm hing ihr Wohlergehen - oder aber ihre Bedrückung - ab. Der Landesherr war für seine Untertanen oberste Instanz.
Suebe hat geschrieben:Der Blutbann???? Hmmm, willst du die gänzlich andere Auffassung von Rechtspflege in der frühen Neuzeit als Beleg für deine These der "absoluten Reichsfürsten" nehmen? Es gab die Hofgerichte, denen die Territorialherren unterworfen waren.
Alle Landesherren besaßen die Blutgerichtsbarkeit, vereinzelt sogar einige Reichsritterschaften. Über Hofgerichte verfügten größere Grundherren. Sie alle waren dem übergeordneten Recht der Landesherren unterworfen, denn die adligen Grundherren waren ebenso ihre Untertanen wie das gemeine Volk - wenn auch mit besserem Rechtsstatus und einigen Privilegien.
Suebe hat geschrieben:Du hast die Fürstenberg genannt, die haben doch keinen Kleinstaat gehabt. Reichsunmittelbar hört sich gut an, aber was ist das?
Die Grafen und späteren Fürsten von Fürstenberg in SW-Deutschland waren eine der ganz alten Dynastien. Sie hatten Sitz und Stimme im Reichstag, anfangs in der schwäbischen Grafenkurie, später als Fürsten im Fürstenrat mit einer Virilstimme.


Dietrich,
die Fürsten hatten den "Blutbann" ja OK, mein kleines Vaterstädtchen auch. Und?
Das Reichsgesetz "Carolina" überklickst du vorsichtshalber.
Die Fürsten hatten die Reichsgesetze in ihren Territorien durchzusetzen. Wie heute die Bundesländer. Die Exekutivorgane Polizei oder Justiz, auch zB die Finanzämter sind Sache der Länder. Da hängt allüberall das Landeswappen nicht der Bundesadler. Obwohl die Gesetze in aller Regel vom Bund erlassen worden sind.

Aber auch das gilt nur für die größten Territorialherren, bei den anderen sind noch die Reichskreise "zwischengeschaltet" erst die haben einen Status vergleichbar mit den Ländern heute.
Die Grafen, Freiherrn usw. usf. sind vergleichbar mit heute den Landkreisen und kommunen anzusetzen. Auch die genannten Fürstenberg. Die ganzen Flecken und Ecken und zipfel, die denen weitverstreut gehörten, haben sie im Laufe der Jahrhunderte zusammengeerbt. Aufgespalten in diverse Linien. Von einem Staatswesen Lichtjahre entfernt.
Spartaner
Mitglied
Beiträge: 1649
Registriert: 25.12.2013, 23:36

Barbarossa hat geschrieben: Die Stämme des Ostfrankenreiches waren nunmal mitnichten alle Franken und auch die Erweiterung mit den Sachsen macht die Sammlung nicht vollständig. Alle im Reich zusammengeschlossenen Stämme sprachen aus heutiger sprachwissenschftlicher Sicht aber bereits altdeutsche Dialekte. Darauf wollte ich eigentlich hinaus.
Nach deiner Auffassung müssten dann also die Niederländer und Schweizer auch zu den ersten Deutschen zählen .
Paul
Mitglied
Beiträge: 2739
Registriert: 29.04.2012, 18:44
Wohnort: Mittelhessen an der Loganaha

Spartaner hat geschrieben: Nach deiner Auffassung müssten dann also die Niederländer und Schweizer auch zu den ersten Deutschen zählen .
Das steht auch in der niederländischen Nationalhymne. (Niederlande Deutschlands).
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Suebe
Mitglied
Beiträge: 201
Registriert: 30.05.2012, 11:01

tja, die Niederländer und die Eidgenossen gehörten bis 1648 zum Reich.
Suebe
Mitglied
Beiträge: 201
Registriert: 30.05.2012, 11:01

Ich habe mal eine kleine Literatur-Recherche gemacht,
"Der Große Ploetz" 32. Auflage 1995 - kann man als Standartwerk bezeichnen
Seite 455
"entstand bereits im 9. Jahrhundert ein eigenes Ostfränkisches Zusammengehörigkeitsgefühl, dass sich schon in der althochdeutschen Literatur äußerte"
Seite 459
"erstmals "Regnum Teutonicum" isoliert aber gesichert in den Salzburger Annalen zur Königserhebung Arnulfs von Bayern 919"
ein paar Zeilen tiefer:

Code: Alles auswählen

"schon im 9. Jahrhundert wird aus der Sprachbedeutung der Volksname "gens theodisca, Teutisci, usw. " dies als Zeichen eines gemeinsamen Volksbewusstseins"
Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15507
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

Suebe hat geschrieben:Ich habe mal eine kleine Literatur-Recherche gemacht,
"Der Große Ploetz" 32. Auflage 1995 - kann man als Standartwerk bezeichnen
Seite 455
"entstand bereits im 9. Jahrhundert ein eigenes Ostfränkisches Zusammengehörigkeitsgefühl, dass sich schon in der althochdeutschen Literatur äußerte"
Seite 459
"erstmals "Regnum Teutonicum" isoliert aber gesichert in den Salzburger Annalen zur Königserhebung Arnulfs von Bayern 919"
ein paar Zeilen tiefer:

Code: Alles auswählen

"schon im 9. Jahrhundert wird aus der Sprachbedeutung der Volksname "gens theodisca, Teutisci, usw. " dies als Zeichen eines gemeinsamen Volksbewusstseins"
Zum "regnum teutonicum" gab es bereits einen Informationsaustausch hier im Forum - ich zitiere hier mal den betreffenden Beitrag:
Peppone hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben:In dieses Thema passt auch ganz vorzüglich eine Frage dazu. In gleich zwei Büchern von mir wird folgende Reichsbezeichnung erwähnt: >>920: Erstmalige urkundliche Erwähnung des Namens "Regnum Teutonicum"<< (Quelle: Daten der Weltgeschichte - Hellweg/Linne) und >>Erhebung Arnulfs von Bayern zum König "in regno Teutonicum"<< (Weltgeschichte, Band 1)
Beide Angaben beziehen sich auf das gleiche Ereignis: Nach dem Tod Konrads I. kehrte Arnulf von Bayern ("der Böse", der Beiname kam von den Klöstern, die Arnulf säkularisiert hatte, um seine Schulden aus den Ungarnkriegen zu bezahlen) mit ungarischer Hilfe nach Bayern zurück und baute sich eine Stellung auf, die der eines Königs (von Bayern) gleichkam. Für 920 wird berichtet, er habe sich zum "rex teutonicorum" krönen lassen.
Ob er sich je König von Bayern nannte b zw. als solcher anerkannt war oder ob er sich gar zum Gegenkönig von Heinrich I. machen ließ, ist nach wie vor ein Streitpunkt.
Meine Meinung ist, dass es eben zu dieser Zeit völlig unüblich war, von einem "regnum teutonicum" zu reden, wenn man das Gesamtreich meinte. Die Titulatur Arnulfs ist also demzufolge ein Indiz dafür, dass er sich lediglich zum König der Bayern machte, die zu dieser Zeit auch nachgewiesenermaßen mit dem Begriff "teutonicum" gemeint waren. Die anderen später "deutschen" Völker bezeichnete man damals noch als Ostfranken bzw. als Schwaben, Sachsen, Franken, Friesen, Slawen.
Da er sich allerdings in dieser königsgleichen Stellung behaupten konnte, königliche Pflichten und Rechte innerhalb Bayerns wahrnahm, sogar eine eigenständige Außenpolitik betrieb (Böhmen, Italien) und darin NICHT von Heinrich beeinträchtigt wurde, gehe ich davon aus, dass seine Stellung als bayerischer Unterkönig von Heinrich I. akzeptiert war.

Beppe
http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... 594#p25594

Übrigens haben wir schon ein ganz ähnliches Thema mit dem Titel: "Der frühe Nationalismus der Deutschen", aus dem auch der Beitrag ist.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Suebe hat geschrieben:[[1] Lexikon des Mittelalters, Band III, Stuttgart 2003, Sp. 787
Noch ein Geschichtchen:
Ich war mal zufällig während einer in Italien stattfindenden Fussball-EM dorten. Aber wie gesagt zufällig.
Jedenfalls gab es da ein Musikcafe, der Ober spielte Gitarre und sang dazu, der Wirt Geige und die Wirtin sang mit einer wunderschönen Altstimme. War ich öfter dort.
Der Ober, Fussballfan wie jeder Italiener, sprach zwischen seinen Gesangseinlagen ausführlich über die EM mit mir. Tenor, Italien oder Deutschland wird Europameister.
Italien schied aus.
Kommentar des Obers, geht ihn nichts an, er ist Sizilianer.

Wenn man versteht was ich damit sagn will.[/quote]
Lieber Schwabe,
der Unterschied zwischen Nord- und Süditalien ist schon stark. Die Im Norden halten nichts von den Süditalienern, sagen dort würde Afrika anfangen und gründeten eine eigene Partei die "Legia Nord". Daran kam man sehen, nicht nur in Deutschland gibt es einen himmelweiten Unterschied zwischen Bayern und Ostfriesen. Beide werden etwas einfach strukturiert dargestellt. :wink: :mrgreen: (Vorsicht, Ironie)
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag

Zurück zu „Das alltägliche Leben“