Das Mittelalterbild in den heutigen Medien

Heraldik, Jagd, Pest, Kriegsführung, Ritter, Feuerwaffen, Burgen, Könige, Königreiche

Moderator: Barbarossa

Mohyra

Da in nächster Zeit wieder einige Verfilmungen von historischen Romanen ins Kino/Fernsehen kommen, deren historischer Anspruch ja so groß ist, wollte ich aus aktuellem Anlass mal fragen, was euer Bild vom Mittelalter ist und was ihr von deren Darstellung in den Medien (Film, Literatur, Dokumentationen, Veranstaltunge, etc.) bzw. in unserer Gesellschaft haltet. Inwiefern entspricht dieses Bild euren Vorstellungen und Wissen?
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dieter
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Liebe Mohyra,
nicht immer. Manche Filme sind gut gemacht, manche auch nicht. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach war das Mittelalter eine Übergangszeit zur Neuzeit. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Mohyra

1000 Jahre Übergangszeit... interessante Ansicht, die in keiner Weise den zahlreichen Entwicklungen und Veränderungen gerecht wird, die es in dieser Zeit gab.

Und leider beantwortet das meine Frage nur zum Teil. Erzähl doch mal, wie das Leben im Mittelalter deiner Meinung nach aussah.

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Balduin
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Mohyra hat geschrieben:Da in nächster Zeit wieder einige Verfilmungen von historischen Romanen ins Kino/Fernsehen kommen, deren historischer Anspruch ja so groß ist, wollte ich aus aktuellem Anlass mal fragen, was euer Bild vom Mittelalter ist und was ihr von deren Darstellung in den Medien (Film, Literatur, Dokumentationen, Veranstaltunge, etc.) bzw. in unserer Gesellschaft haltet. Inwiefern entspricht dieses Bild euren Vorstellungen und Wissen?
Als Kind war ich begeistert von Rittern, Burgen und Co. - heute schaue ich noch sehr gerne diese Verfilmungen an und störe mich wenig an historischen Ungenauigkeiten.

Mein Bild von Mittelalter ist geprägt durch das dunkle Mittelalter: Die Menschen waren tiefgläubig, die Gesellschaft war ständisch/feudal aufgebaut - es war teils ein Rückschritt zur Antike, die in vieler Hinsicht den Menschen auf eine neue Ebene gehoben hatte.
Dokumentationen gehen natürlich mit einem anderen Anspruch an das Thema als Filme oder auch Literatur.

Inwiefern sich das mit meinen Vorstellungen, meinem Wissen deckt? Schwierig zu sagen - Robin Hood, Königreich des Himmels und andere einschlägige Filme sind eben romantisierend und nicht auf die korrekte historische Abbildung ausgerichtet.
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He has called on the best that was in us. There was no such thing as half-trying. Whether it was running a race or catching a football, competing in school—we were to try. And we were to try harder than anyone else. We might not be the best, and none of us were, but we were to make the effort to be the best. "After you have done the best you can", he used to say, "the hell with it". Robert F. Kennedy - Tribute to his father
ehemaliger Autor K.

Aus den Quellen ergibt sich mir folgendes Bild: Der Begriff Mittelalter bezieht sich auf das christliche Abendland, wobei die Zeiteinteilung differiert. Für mich ist es die Zeit von 500 -1500 n. Chr. Das Mittelalter, wird auch manchmal Feudalismus genannt, war eine vorindustrielle Agrargesellschaft mit einer auf Grundbesitz beruhenden hierarchisch aufgebauten Herrschaftsform, die auch als Ständegesellschaft bezeichnet wird.

Der Begriff Stand wird im Hinblick auf die feudalistische Gesellschaft für eine Bevölkerungsgruppe verwendet, die sich um bestimmte gesellschaftliche Funktionen gruppiert (Geistlichkeit, Adel, Bauern) und deren Rechte und Pflichten allgemein akzeptiert werden. Max Weber benutzt den Begriff für Gruppen, die durch gemeinsame Eigenschaften, wie z.B. Herkunft, Besitz- oder Erwerbsform, einem bestimmten Lebensstil, spezifische Denk- und Verhaltensweisen ausgezeichnet sind. Er unterscheidet zwischen Berufsständen, Geburtsständen (Adel) und politischen Ständen (Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1976, Seite 176).

Die feudale Gesellschaft im ländlichen Raum war eine geburtsständische Gesellschaft. Die Geburt bestimmte, welchem Stand man angehörte. Dieser wurde dadurch zwingend festgelegt. Klerus, Adel und Bauern bildeten die drei grundlegenden Stände, wobei sich die Mitglieder des hohen Klerus aus dem Adel rekrutierten, während der niedere Klerus auch für Bauern zugänglich war. Beten, kämpfen, arbeiten - diese drei Prinzipien sind charakteristisch für die Sozialstruktur des Mittelalters. Ein Netz persönlicher Abhängigkeiten verband die Menschen dieser Epoche, maßgeblich geprägt durch die Entwicklung des Lehenswesens und das Prinzip der Grundherrschaft. Adel und Klerus machten etwa 5% der Bevölkerung aus, die Bauern etwa 80%, der Rest waren Stadtbewohner.

In den Städten gab es eine Mischung aus Berufsständen und Geburtsständen. Hier wurde häufig auch durch Geburt festgelegt, ob man zu dem Patriziat, den Zünften oder zu der restlichen Bevölkerung gehörte, doch die soziale Mobilität war viel größer als auf dem Land.

Jeder Stand zeichnete sich durch spezielle Kleidung und Verhaltensweisen aus.

Es ist sehr schwierig, ein halbwegs realistisches Bild über diese Zeit zu erhalten. Oftmals werden in Filmen Klischeevorstellungen bedient und heutige Verhaltens- und Denkweisen einfach in die Vergangenheit projiziert.
Die historische Soziologie hat versucht, mittelalterliche Denk- und Verhaltensstrukturen zu rekonstruieren. Sehr gut: „Elias: Der Prozess der Zivilisation“ oder die vielen Studien von Foucoult.

Neuere Romanautoren greifen auf diese Werke zurück, wenn sie daran interessiert sind, sich der historischen Realität anzunähern. Empfehlenswert ist beispielsweise das Buch von „Fossier, Das Leben im Mittelalter“, wenn man sich für das Alltagsleben der Menschen in der damaligen Zeit interessiert.

Und natürlich die vielen Standardwerke wie: „Huizinga, Herbst des Mittalters“ und selbstverständlich der Klassiker „Marc Bloch, Die Feudalgesellschaft“. Eines der grundlegenden Werke der Wissenschaft zu diesem Thema und Pflichtlektüre an jeder Universität.
ehemaliger Autor K.

Ein Professor hatte mir einmal gesagt:
„Das Mittelalter ist das Dreckloch der Weltgeschichte. Die Leute waren dumm und ungebildet, ständig besoffen, dreckig, ungewaschen, stanken wie die Pest, abergläubisch, hatten tausend Krankheiten, lebten in Häusern, die aussahen wie Schweineställe. Diese Menschen sind es nicht wert, das man sich mit ihnen beschäftigt.“

Er interessierte sich für die Römer, das Mittelalter war für ihn ein Rückfall in die finsterste Barbarei.
Die europäische Bevölkerung war in der Tat stark geschrumpft, das urbane Leben vielfach erloschen. Rom hatte um Christi Geburt etwa eine Million Einwohner gehabt, im Mittelalter lebten dort nur noch ca. 20.000 Menschen. Die antiken Städte waren viel größer und auch hygienischer gewesen.

Im Römischen Reich konnten schätzungsweise 30% der Bewohner Lesen und Schreiben, im Mittelalter waren fast alle Europäer wieder Analphabeten geworden. Die hervorragende Infrastruktur hatte sich aufgelöst, die alten Straßen wurden weiter genutzt, aber nicht mehr gepflegt und von Unkraut und Wald überwuchert. Keine Zentralmacht kümmerte sich um ihre Erhaltung.

Die Villen der Reichen mit Fußbodenheizung verfielen und wurden durch erbärmliche Holzhütten ersetzt, in denen ein offenes Feuer brannte. Die Menschen wärmten sich an den Leibern von Schafen und Ziegen. Die Aquädukte verfielen, Wasser holte man wieder mühselig aus Flüssen und Bächen. Verglichen mit der Antike erlebte Europa eine beispiellose Devolution. So etwas ist in der Weltgeschichte nicht oft passiert.
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dieter
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Mohyra hat geschrieben:1000 Jahre Übergangszeit... interessante Ansicht, die in keiner Weise den zahlreichen Entwicklungen und Veränderungen gerecht wird, die es in dieser Zeit gab.

Und leider beantwortet das meine Frage nur zum Teil. Erzähl doch mal, wie das Leben im Mittelalter deiner Meinung nach aussah.

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Liebe Mohyra,
würde mit Karl dem Großen und dessen Kaiserkrönung anfangen. Man kann über Beginn und Ende des Mittelalters trefflich streiten. Wann würdest Du es beginnen und enden lassen :?: :?: Mit der Wiederentdeckung Amerikas war es dann endlich zu Ende. Es ist von Leibeigenschaft der Kleinen Leute, von Rittern, Handwerkern und aufstrebenden Städten begleitet und natürlich von den Kreuzzügen verursacht durch Urban und von Ketzer- und Hexenverbrennungen.
Liebe Mohyra, nun würde ich endlich mal Deine unmaßgebliche Meinung zu diesem Thema sehen. Nicht nur andere User befragen, sondern auch selbst eine Meinung haben. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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Barbarossa
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dieter hat geschrieben:...
Liebe Mohyra, nun würde ich endlich mal Deine unmaßgebliche Meinung zu diesem Thema sehen. Nicht nur andere User befragen, sondern auch selbst eine Meinung haben. :wink:
Lieber Dieter, dazu einfach eine kleine Anmerkung: Ein Forum ist durchaus auch dazu da, um sich überhaupt erst eine eigene Meinung zu bilden. Dazu benötigt man ausreichende Informationen, die man im Forum geliefert bekommt.
Also: Bitte nicht Drängeln.
:wink:
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Mohyra hat geschrieben:1000 Jahre Übergangszeit...
...
Karlheinz hat geschrieben:Ein Professor hatte mir einmal gesagt:
„Das Mittelalter ist das Dreckloch der Weltgeschichte. Die Leute waren dumm und ungebildet, ständig besoffen, dreckig, ungewaschen, stanken wie die Pest, abergläubisch, hatten tausend Krankheiten, lebten in Häusern, die aussahen wie Schweineställe. Diese Menschen sind es nicht wert, das man sich mit ihnen beschäftigt.“

Er interessierte sich für die Römer, das Mittelalter war für ihn ein Rückfall in die finsterste Barbarei.
Die europäische Bevölkerung war in der Tat stark geschrumpft, das urbane Leben vielfach erloschen. Rom hatte um Christi Geburt etwa eine Million Einwohner gehabt, im Mittelalter lebten dort nur noch ca. 20.000 Menschen. Die antiken Städte waren viel größer und auch hygienischer gewesen.

Im Römischen Reich konnten schätzungsweise 30% der Bewohner Lesen und Schreiben, im Mittelalter waren fast alle Europäer wieder Analphabeten geworden. Die hervorragende Infrastruktur hatte sich aufgelöst, die alten Straßen wurden weiter genutzt, aber nicht mehr gepflegt und von Unkraut und Wald überwuchert. Keine Zentralmacht kümmerte sich um ihre Erhaltung.

Die Villen der Reichen mit Fußbodenheizung verfielen und wurden durch erbärmliche Holzhütten ersetzt, in denen ein offenes Feuer brannte. Die Menschen wärmten sich an den Leibern von Schafen und Ziegen. Die Aquädukte verfielen, Wasser holte man wieder mühselig aus Flüssen und Bächen. Verglichen mit der Antike erlebte Europa eine beispiellose Devolution. So etwas ist in der Weltgeschichte nicht oft passiert.
Das ist all in all die Position von Bryan Ward-Perkins und Peter Heather (festgemacht in der Tat an der Einwohnerzahl der Städte und Länder, an der Grösse von Kirchenbauten vor und nach dem 4. Jh., und v.a. an Industriedistrikten - Porzellanmanufaktur in La Graufesenque - und dem Ernteertrag sprich dem landwirtschaftlichem Fortschritt). Find' ich auch halbwegs OK (zumal beide Autoren regional ganz gut differenzieren), tritt aber manchmal ein bisschen kurz. Erstens ist die Einwohnerzahl mancher Regionen nach dem Zerfall Westroms eigenartigerweise gerade nicht gesunken (in Gallien und der Narbonensis z.B., die Aufsteigerprovinzen im Imperium überhaupt, welche unangefochten bis ins 19. Jh. die bev.reichsten Gebiete Europas blieben, weit vor D, England und auch Russland (man glaubt es kaum), auch mancher Städte nicht (Palermo, Mailand, Neapel, Paris z.B.),

ausserdem liegt die Geburt des modernen Menschen im Mittelalter und nicht in der Antike. Nämlich in der Autonomisierung städtischer Strukturen von kirchlicher und weltlicher Macht bzw. in der Geburt von Proto-Nationalstaaten, auch und gerade dort, wo das Imperium niemals einen Fuss hingesetzt hat.

Knackpunkt bei beiden ist v.a., dass der Bruch nicht etwa irgendwann so im Zeitalter der Soldatenkaiser erfolgte (wie es die deutsche Geschichtsschreibung gern hätte) oder bei Annahme des Christentums, sprich im 3. oder spätestens 4. Jh, sondern 200 Jahre später, und zwar abrupt, was freilich der angestrengten Bemühmung eines Karls des Grossen als Gründervater Europas sehr zuwiderläuft.

Karlheinz hat geschrieben:Aus den Quellen ergibt sich mir folgendes Bild: Der Begriff Mittelalter bezieht sich auf das christliche Abendland, wobei die Zeiteinteilung differiert.
...
Und auch bez. des "christlichen" kann man durchaus ein Fragezeichen dahintersetzen. Das verwischt; weder Sizilien, noch v.a. Spanien ist während eines Grossteils des MA "christlich" gewesen, und der Osten auch nicht gerade römisch-katholisch.

Karlheinz hat geschrieben: ...
In den Städten gab es eine Mischung aus Berufsständen und Geburtsständen. Hier wurde häufig auch durch Geburt festgelegt, ob man zu dem Patriziat, den Zünften oder zu der restlichen Bevölkerung gehörte, doch die soziale Mobilität war viel größer als auf dem Land.
...
Kommt v.a. auch darauf an, in welchen Städten, und zu welcher Zeit.
Rom bei Einwohnerzahl 20.000 war ein Tiefpunkt, aber zeitlich sehr begrenzt, nämlich nach dem Sacco di Roma, zuvor und ziemlich schnell danach war sie wieder sechsstellig.
Auch Hamburg nach Gomorrha dürfte nicht viel mehr Einwohner mehr gehabt haben; aber das sagt nicht viel aus über den allgemeinen Entwicklungsstand (eher über den moralischen). Im antiken Rom kann man die Einwohnerzahl anhand der Annona und auch der Munera ganz gut berechnen, das fehlt freilich in anderen Städten und im Mittelalter. Aber das heisst nicht, dass es grundsätzlich und überall dunkle Periode oder Uebergangszeit war, gerade dort, wo Brüche vllt fehlten bzw. durch Mittlung der Byzantiner und Araber ausgeglichen werden konnten.



LG
Paul
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Wohnort: Mittelhessen an der Loganaha

In Italien kam es im Mittelalter sicherlich zu Phasen des Rückschritts und stagnierens. Dies gilt auch etwas für die römisch beherrschten Teile Deutschlands. Da ist es aber eine relative Betrachtung. Die germanischen Zuwanderer in diese Gebiete erlebten teilweise Fortschritte. Die linksrheinischen Gebiete und die ehemaligen römischen Städte in Süddeutschland, aber auch die Latenegermanischen Gebiete wurden zu den Keimzellen, von denen sich viel Entwicklung in andere Gebiete ausbreitete.
Die Ackerbaumethoden der Kelten und Latenegermanen wurden durch römische Einflüsse ergänzt und breiteten sich z.B. mit den Franken dann aus. Dies wurde als Dreifelderwirtschaft bekannt und ermöglichte dann deutliche Bevölkerungsanstiege. Die besseren Ernährungsmöglichkeiten waren die Grundlage für die Stadtentwicklung.
Städte entwickelten sich auch in Deutschland nicht erst mit den Römern, aber die Symbiose zwischen der Latenekultur und der römischen Kultur führte zu einer prosperierenden Stadtentwicklung z.B. rheinischer Städte.
Den Tiefstpunkt der gesellschaftlichen Entwicklung in Hessen brachten der Suebeneinfall nach Ost- und Ostmittelhessen und die Chattenkriege der Römer. Dadurch verfiehlen die beiden größten vorrömischen Städte in Hessen. Die Klein- und Mittelstädte wuchsen danach aber wieder kontinuierlich, bis auf Einbrüche durch die Pest. Wetzlar übernahm die regionale Mittelpunktfunktion der Dünsbergstadt. Nida/Frankfurt und Wiesbaden übernahmen diese Rolle für die Oberursel-Großstadt.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Mohyra

Danke erstmal für die Antworten. So im Großen und Ganzen spiegelt sich hier das wieder, was vermutlich die meisten über diese Zeit denken. Leider ist das nur ein sehr kleiner Bruchteil dessen, was diese Zeit ausmacht. Vollständig wird man das Mittelalter trotz aller archäologischer Funde und Analyse von Primärquellen (wovon es mehr als genug gibt) nie erfassen können.

@dieter: Egal welche Rechnung du ansetzt es sind immer rund 1000 Jahre, ob jetzt vom Ende der Völkerwanderungszeit bis zur Entdeckung oder von 500 bis 1500 oder was auch immer. Hexenverbrennung sind allerdings alles andere als Mittelalterlich. Gut der Hexenhammer wurde im ausgehenden Mittelalter verfasst, aber während dieser Zeit gab es faktisch keine Hexen. Die Hexenverbrennungen haben wir der frühen Neuzeit zu verdanken ;)

@Karlheinz: Es ist eigentlich schon erschreckend, dass ein Professor so eine verstockte Meinung hat. Aber das ist leider unabhängig vom Bildungsstand und auch ich hab schon im Unialltag immer wieder erlebt. Wenn ich jetzt das Römische Reich mit dem Mittelalter auf kunsthistorischer Ebene vergleiche, dann ist Zweiteres klar im Plus. Vieles haben die Römer von den Griechen kopiert, während im Mittelalter Schätze geschaffen wurden, die Ihresgleichen suchen. Man denke nur an die Buchmalerei (Book of Kells, Codex Aureus Epternacensis...), Minne, Entwicklung sehr komplexer Musikinstrumente (Nyckelharpa, Drehleier...), Brettchenweberei (Gürtel von Philipp von Schwaben, Palermiter Borten, Snartemo Bänder...), Knochenschnitzereien und Goldschmiedekunst. Ich könnte da massig Beispiele bringen, aber das möchte ich jetzt in dem Rahmen nicht.

Und nochmal zu dir dieter: Ich finde ja nicht, dass ich dir Rechenschaft schuldig bin, warum ich diese Frage gestellt habe. Du bekommst trotzdem eine Antwort: Es ist reine Neugier ;)
Klar hat die Neugier auch einen Grund. Nämlich dass ich mich intensiv mit der Thematik im Rahmen meines Hobbys, der Living History, beschäftige. Dabei geht es bei weitem nicht darum, nur hübsche Kleidchen zu tragen, wie es viele machen, die auf Mittelaltermärkte gehen (ich habe noch nicht einmal Kleidung, da ich von meinem Wissen noch nicht auf dem Stand bin, dass ich guten Gewissens etwas nähen könnte). Es geht mehr darum herauszufinden, wie die Menschen damals gedacht haben könnten, was ihr Weltbild war, worüber sie sich Sorgen gemacht haben können... Erst danach kann man überhaupt irgendwas umsetzen. Doch bis dahin hat man hunderte Stunden mit Recherche und Lesen diverser Abhandlungen und wenn möglich Originalquellen verbracht und ist trotzdem kaum ein Stück weiter :?
RedScorpion

Mohyra hat geschrieben: ...
@Karlheinz: Es ist eigentlich schon erschreckend, dass ein Professor so eine verstockte Meinung hat. Aber das ist leider unabhängig vom Bildungsstand und auch ich hab schon im Unialltag immer wieder erlebt.
...
Das ist oft Reaktion auf die z.T. doch recht vehement von der deutschen Romantik (auch hier im Forum immer noch, z.B.) vorgetragene, wissenschaftlich völlig unhaltbare Position, nach der die Völkerwanderungen lediglich "Transformation" bedeuteten und Grundstein für das heutige Europa seien. Also keine menschen- und kulturvernichtende Gewaltwelle, welche Europa enorm zurückwarf, zivilisatorisch und damit auch menschlich.

Aber ich geb' Dir darin recht, dass man damit Gefahr läuft, das Kind mit dem Bade auszuschütten, leider.

Mohyra hat geschrieben: ...
Wenn ich jetzt das Römische Reich mit dem Mittelalter auf kunsthistorischer Ebene vergleiche, dann ist Zweiteres klar im Plus. Vieles haben die Römer von den Griechen kopiert, während im Mittelalter Schätze geschaffen wurden, die Ihresgleichen suchen. Man denke nur an die Buchmalerei (Book of Kells, Codex Aureus Epternacensis...), Minne, Entwicklung sehr komplexer Musikinstrumente (Nyckelharpa, Drehleier...), Brettchenweberei (Gürtel von Philipp von Schwaben, Palermiter Borten, Snartemo Bänder...), Knochenschnitzereien und Goldschmiedekunst.
...
Kann man so überhaupt nicht sagen.
Denn abgesehen davon, dass der Unterschied nicht ist, dass das Mittelalter keine "Kunst", keinen Stil, keine Werte, keine Zivilisation, keine "Berechtigung" o.ä. hervorgebracht hätte,
sondern v.a., wem und in welcher Menge jene Errungenschaften zur Verfügung standen (nämlich in der Antike: vielen; im christlichen Mittelalter: wenigen),

sind antike Kommunikationsgegensände wie Münzen oder Vasen, trotz aller Brüche zwischen Antike und Mittelalter, die die Menschheit hingegen vom Mittelalter bis zum Jetzt nicht erleben musste (d.h. prozentual noch sehr viel mehr aus dem Mittelalter erhalten ist als anteilmässig aus der Antike) oft heute noch derart häufig aufzufinden, dass ihr Wert bei null ist. Es hatte in der Antike einfach jeder Geschirr und Münzen, im Mittelalter nicht. Aehnliches gilt für Bücher usw. Das sind Unterschiede wie Tag und Nacht, und das Mittelalter, gerade das deutsche, schneidet dabei ganz mies ab, wenn man Gebrauchskunst denn als Vergleichsmoment heranziehen mag. Wenn, wohlgemerkt.

Mohyra hat geschrieben: ...
Es geht mehr darum herauszufinden, wie die Menschen damals gedacht haben könnten, was ihr Weltbild war, worüber sie sich Sorgen gemacht haben können...
...
Und da sind wir dem Mittelalter eben doch sehr viel näher als der Antike, nicht nur zeitlich.

Was auch gut so ist.



LG
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Barbarossa hat geschrieben:
dieter hat geschrieben:...
Liebe Mohyra, nun würde ich endlich mal Deine unmaßgebliche Meinung zu diesem Thema sehen. Nicht nur andere User befragen, sondern auch selbst eine Meinung haben. :wink:
Lieber Dieter, dazu einfach eine kleine Anmerkung: Ein Forum ist durchaus auch dazu da, um sich überhaupt erst eine eigene Meinung zu bilden. Dazu benötigt man ausreichende Informationen, die man im Forum geliefert bekommt.
Also: Bitte nicht Drängeln.
:wink:
Lieber Barbarossa,
wenn man aber die Meinung eines anderen User kritisiert, dann sollte man auch eine eigene Meinung zu den Dingen haben, sonst wird sie unglaubwürdig. :wink:
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Mohyra hat geschrieben:Danke erstmal für die Antworten. So im Großen und Ganzen spiegelt sich hier das wieder, was vermutlich die meisten über diese Zeit denken. Leider ist das nur ein sehr kleiner Bruchteil dessen, was diese Zeit ausmacht. Vollständig wird man das Mittelalter trotz aller archäologischer Funde und Analyse von Primärquellen (wovon es mehr als genug gibt) nie erfassen können.

1)@dieter: Egal welche Rechnung du ansetzt es sind immer rund 1000 Jahre, ob jetzt vom Ende der Völkerwanderungszeit bis zur Entdeckung oder von 500 bis 1500 oder was auch immer. Hexenverbrennung sind allerdings alles andere als Mittelalterlich. Gut der Hexenhammer wurde im ausgehenden Mittelalter verfasst, aber während dieser Zeit gab es faktisch keine Hexen. Die Hexenverbrennungen haben wir der frühen Neuzeit zu verdanken ;)
2)Und nochmal zu dir dieter: Ich finde ja nicht, dass ich dir Rechenschaft schuldig bin, warum ich diese Frage gestellt habe. Du bekommst trotzdem eine Antwort: Es ist reine Neugier ;)
Klar hat die Neugier auch einen Grund. Nämlich dass ich mich intensiv mit der Thematik im Rahmen meines Hobbys, der Living History, beschäftige. Dabei geht es bei weitem nicht darum, nur hübsche Kleidchen zu tragen, wie es viele machen, die auf Mittelaltermärkte gehen (ich habe noch nicht einmal Kleidung, da ich von meinem Wissen noch nicht auf dem Stand bin, dass ich guten Gewissens etwas nähen könnte). Es geht mehr darum herauszufinden, wie die Menschen damals gedacht haben könnten, was ihr Weltbild war, worüber sie sich Sorgen gemacht haben können... Erst danach kann man überhaupt irgendwas umsetzen. Doch bis dahin hat man hunderte Stunden mit Recherche und Lesen diverser Abhandlungen und wenn möglich Originalquellen verbracht und ist trotzdem kaum ein Stück weiter :?
Liebe Mohyra,
zu1)es hat nie Hexen gegeben. Sondern es waren verblendete oder skrubelose Menschen, die so etwas behaupteten und andere Menschen vor allem Frauen quälten und töteten. Wenn das keine mittetalterische Auffassung ist, dann weiß ich nicht., wo Du das Mittelalter enden lassen willst :?: Es ist nicht damit gedient, die Meinung eines anderen Users in Frage zu stellen. :roll: Meiner unmaßgeblichen Meinung nach beginnt das Mittelalter mit der Kaiserkrönung von Karl, dann kommt man auf keine 1000 Jahre mehr. Die Völkerwanderung gehört meiner Meinung nach nicht zum Mittelalter. :wink:
zu2) Du bist uns schon Rechenschaft schuldig, wenn jemand eine Frage stellt, dann sollte man wenigstens den Grund wissen warum die Frage gestellt wird. Nun mal eine Frage von mir, von wann bis wann geht bei Dir das Mittelalter :?:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
ehemaliger Autor K.

R.S.
Kommt v.a. auch darauf an, in welchen Städten, und zu welcher Zeit.
Rom bei Einwohnerzahl 20.000 war ein Tiefpunkt, aber zeitlich sehr begrenzt, nämlich nach dem Sacco di Roma, zuvor und ziemlich schnell danach war sie wieder sechsstellig.
Für die Bevölkerung der Stadt Rom im Mittelalter lassen sich natürlich schwer genaue Zahlen ermitteln.
Zur Zeit von Papst Gregor dem Großen 590-604 n.Chr. lebten dort vermutlich noch 100.000 Menschen. In der Karolinger Zeit sank sie dann auf 20.000. Die Blütezeit erlebte Rom im 12-13. Jhdt. und hatte schätzungsweise 30.000 – 40.000 Einwohner. Ein Niedergang folgte dann wie überall in Europa im 14. Jhdt. durch die Pest. Hinzu kam die Verlegung des Papstsitzes nach Avignon 1309-1377. In dieser Zeit lebten vermutlich nur noch 17.000 Menschen in der Stadt. Danach erfolgte wieder ein Aufschwung. Ein in Rom durchgeführter Zensus 1527, offensichtlich kurz vor dem Blutbad, zählt 55.000 Einwohner.
Die Zahlen beziehen sich auf das Stadtgebiet von Rom, nicht auf den kompletten Kirchenstaat.
Zahlen nach R. Krautheimer, Rom-Schicksal einer Stadt, Beck Verlag, München 2004, S. 257 ff.

Überhaupt ist das Mittelalter eine sehr lange Zeit. Ein richtiges Städtewesen entwickelt sich erst wieder im 11.Jahrhundert. Dazwischen liegen verheerende Katastrophen wie die Pest. Einige Städte wie Florenz verlieren dadurch fast 80% ihrer Einwohner.
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