Karthago und seine Kolonien

Maya, Inka, Seevölker

Moderator: Barbarossa

Dietrich
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Das Verhältnis der phönizisch-punischen Kolonien und Handelsfaktoreien zu den Stämmen im Hinterland war über Jahrhunderte von Geben und Nehmen geprägt. Die Phönizier und Punier schlossen mit den Völkern bzw. Stämmen des Hinterlands Verträge ab, nach denen bestimmte Waren und Produkte gegen vereinbarte Entgelte abzuliefern waren. Über Flüsse oder Karawanen gelangten die Produkte - Wein, Öl, Fisch, Trockenfrüchte, Elfenbein, Edelhölzer, Keramikwaren, Zinn, Gold, Silber u.a. - zu den punisch-phönizischen Häfen, wo sie weiterverarbeitet bzw. exportfertig gemacht und anschließend an Kunden verschifft wurden. Von diesen Geschäften profitierten beide Geschäftspartner und Archäologen haben herausgefunden, dass sich der Reichtum mancher Stämme und indigener Orte im Hinterland durch diese Handelsverbindung enorm erhöhte.

Wie sich der Übergang der Herrschaft in den Kolonien von den Phöniziern - deren Macht ab etwa dem 6./5. Jh. v. Chr. erlahmte - zu den Puniern im einzelnen vollzog, ist umstritten und ungeklärt. Die Forschung vermutet, dass die Punier die Kolonistenstädte handels- und machtpolitisch stärker an Karthago banden, was anscheinend zu keinen größeren Konflikten führte. Die Karthager hatten kein Interesse am Erwerb großer Territorien und beließen den Kolonien Autonomie.

Das änderte sich erst im Vorfeld des 2. Punischen Kriegs, als die Barkiden nahezu im Alleingang das iberische Hinterland machtpolitisch straffer an Karthago banden, was nicht auf große Gegenliebe der Iberer stieß. Hamilkar unterwarf die iberischen Stämme - einige unterwarfen sich freiwillig - und erlangte Zugriff auf die Gold- und Silberminen Spaniens. Seinem Schwiegersohn Hasdrubal gelang es jedoch mit diplomatischem Geschick, die Sympathie der wichtigsten iberischen Stämme zu erringen, sodass die Ausgangsbasis für den 2. Punischen Krieg geschaffen war.

Es kann keine Rede davon sein, dass die Phönizier oder Karthager Menschen ihres Machtbereichs "aussogen". Karthago war eine Handelsnation und - ganz anders als Rom - nicht an einem territorialen Imperium interessiert. Die Eroberung von Teilen Ostspaniens war lediglich der Bedrohung durch Rom und dem Wunsch geschuldet, die durch den 1. Punischen Krieg verloren gegangenen Gebiete zurückzugewinnen. Es zeigen sich hier die entscheidenden Unterschiede zwischen Rom und Karthago: Während Rom ständig expandierte und seinen Machtbereich durch Invasionen vergrößerte, war Karthago an einem Staus quo gelegen. Ihm genügten seine Handelsfaktoreien an vielen Punkten des Mittelmeers, von denen aus keine Eroberung des Hinterlandes stattfand. Natürlich war dieses Konzept auch der Einsicht in die schmale Bevölkerungsbasis der Karthager geschuldet, die - andres als Rom - nur Söldner in die Punischen Kriege schicken konnten (oder wollten).
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Marek1964
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Das ist interessant. Ich kenne ja die Geschichte Karthagos und Roms oberflächlich, so wie ein besserer Abiturient, Ich kann mich aber erinnern, dass mein Vater mir erzählte, er habe Sympathien für Karthago gehabt - als dem Schwächeren. Sein Geschichtslehrer aber sagte, sinngemäss, die Römer seien der Fortschritt gewesen.

Das kann man nach Deinem Beitrag durchaus in Frage stellen. Vielleicht haben die Römer später einiges zu Stande gebracht, gutes wie schlechtes, aber die totale Vernichtung Karthagos sehe ich da nicht als positiv erwähnenswert. Ja, ich würde sagen, das cetereum censeo war sowas wie ein antikes Pendant zu "der Jude muss ausgerottet werden". Aber wir haben es als geflügeltes Wort in Erinnerung und nicht als Aufruf zum Holocaust...
Menander
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man(n) kann kurz und bündig zusammenfassen: "der sieger schreibt die geschichte" - das gilt insbesondere für die von rom besiegten karthager und (gallischen) kelten!
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Marek1964
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Menander hat geschrieben:man(n) kann kurz und bündig zusammenfassen: "der sieger schreibt die geschichte" - das gilt insbesondere für die von rom besiegten karthager und (gallischen) kelten!
Hier haben wir einen Thread zur Frage, ob Sieger Geschichte Schreiben:

http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... f=3&t=4921

Es ist nicht immer der Fall, aber im Falle Karthagos dürfte es schon so sein.
Paul
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Jetzt im Nachhinein wird die Geschichte Karthagos natürlich objektiver beurteilt und man hat auch mehr Informationsquellen, als nur römische Schriften.
Viele Phönözische Kolonien müssen natürlich nicht unbedingt von Karthago gegründet worden sein und teilten auch nicht sein Schicksal.

Mich würde interessieren, ob die Araber Nordafrika neu assimilieren mußten o. ob überall noch Phönpzische Bevölkerungen existierten, die dann zum südarabischen assimiliert wurden.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
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dieter
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Lieber Paul,
das ist eine interessante Frage. :wink:
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Dietrich
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Paul hat geschrieben:Jetzt im Nachhinein wird die Geschichte Karthagos natürlich objektiver beurteilt und man hat auch mehr Informationsquellen, als nur römische Schriften.
Das war stets das große Problem, dass wir fast nur römische Quellen über Karthago zu Verfügung haben. Und die sind samt und sonders wegen der Todfeindschaft der Römer negativ und abwertend eingefärbt. Die Römer haben versucht, Karthago und seine Geschichte so nachhaltig zu vernichten, dass keine Erinnerung bleiben sollte. Zum Glück ist ihnen das nicht vollständig gelungen, aber unser römischer Quellenfundus ist bezüglich Karthagos eben propagandistisch und einseitig gefärbt.
Paul hat geschrieben:Viele Phönözische Kolonien müssen natürlich nicht unbedingt von Karthago gegründet worden sein und teilten auch nicht sein Schicksal.
Über die von den Phöniziern und Karthago gegründeten Kolonien und deren Schicksal sind wir gut informiert. Und natürlich teilten die nicht das Schicksal Karthagos. Man denke z.B. an Gades (Cadix), Malaca (Malaga), Tingis (Tanger), Melita (Malta), Panormos (Palermo), Hadrumetum (Sousse), Sabrata (in Libyen), Cartahago nova (Cartagena) usw. usw. Diese und eine Reihe anderer phönizischer bzw. karthagischer Kolonien haben bis heute überlebt.
Paul hat geschrieben:Mich würde interessieren, ob die Araber Nordafrika neu assimilieren mußten o. ob überall noch Phönpzische Bevölkerungen existierten, die dann zum südarabischen assimiliert wurden.
Auch nach der Zerstörung Karthagos wurde im afrikanischen Hinterland noch einige Jahrhunderte Punisch gesprochen. (Neo-)Punisch war bis in die Spätantike von Bedeutung und erlosch wahrscheinlich erst mit dem Aufkommen des Arabischen. Eine Spätform des Punischen dürfte noch um 1000 gesprochen worden sein. Das bedeutet, dass punisch eine erstaunliche Widerstandskraft gegenüber den Sprachen der Eroberer entwickelte. Worauf das letztlich zurückzuführen ist, kann nur vermutet werden.
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dieter
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Lieber Dietrich,
sicherlich darauf, dass di8e Punier doch nicht total untergegangen waren. Die Frage bleibt, ob es bei der arabischen Invasion ein vollkommender Bevölkerungsaustausch stattfand, wie viele Ethnien außer den Berbern das überlebt haben :?:
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Dietrich
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dieter hat geschrieben:Lieber Dietrich,
Die Frage bleibt, ob es bei der arabischen Invasion ein vollkommender Bevölkerungsaustausch stattfand, wie viele Ethnien außer den Berbern das überlebt haben :?:
Nein, einen solchen "Bevölkerungstausch" hat es nirgendwo gegeben. Die Araber kamen als kriegerische Eroberer und die alteingesessene Bevölkerung blieb auf ihrer Scholle sitzen und übte ihre angestammten Berufe aus. Sie hatte die arabischen Eroberer zu ernähren und musste natürlich - sofern sie nicht zum Islam konvertierte das Kopfgeld - die Dschyzia - zahlen. Wiki sagt dazu:
Die Erhebung dieser Steuer von der unterworfenen nichtmuslimischen Bevölkerung, sofern es sich um so genannte Schriftbesitzer (ahl al-kitab), also Juden und Christen, handelt, gründet sich auf das Koranwort Sure 9, Vers 29, das Rudi Paret folgendermaßen übersetzt:

„Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Gott und den jüngsten Tag glauben und nicht verbieten (oder: für verboten erklären), was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht der wahren Religion angehören – von denen, die die Schrift erhalten haben – (kämpft gegen sie), bis sie kleinlaut aus der Hand (?) Tribut entrichten! (ḥattā yuʾtū l-ǧizyata ʿan yadin wa-hum ṣāġirūn)“
Die Reste der karthagischen Bevölkerung blieben also im Land und wurden im Lauf der Zeit Muslime - sofern sie nicht beim Christentum blieben, denn um 700 n. Chr. verehrte sicher kein altkarthagischer Einwohner mehr die phönizische Göttin Tanit oder den Himmels- und Vegetationsgott Baal-Hammon.
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Peppone
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Dass um 1000 (n.Chr.) im heutigen Tunesien noch (Spät-)Punisch gesprochen worden sein soll, finde ich schon erstaunlich.
Immerhin lebten im Hinterland von Karthago Berber, die müssten dann das Punische übernommen haben.
Dazu kommen mehrere Jahrhunderte römische Herrschaft inklusive römische Besiedlung, wie man an den in römischer Zeit üblichen Landwirtschaftsformen erkennen kann. Gut, die Vandalen bildeten nur eine dünne, von der Bevölkerung getrennt lebende Oberschicht, da dürfte sich sprachtechnisch kaum Gelegenheit bzw. Wille zur Übernahme der Sprache der Eroberer gegeben haben, noch dazu, wo diese Eroberer auch noch recht kurz im Land waren. Danach folgten wieder Römer bzw. Byzantiner. Und all das soll das Punische überlebt haben?
Wirklich erstaunlich...

Beppe
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dieter
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Lieber Beppe,
finde ich auch. Das erinnert mich an das Krimgotische. :wink:
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Dietrich
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Peppone hat geschrieben:Dass um 1000 (n.Chr.) im heutigen Tunesien noch (Spät-)Punisch gesprochen worden sein soll, finde ich schon erstaunlich.
Ja, das ist wirklich erstaunlich. Die alte Tante Wiki sagt dazu:

"Als Neopunisch bezeichnet man die Texte aus der Zeit nach den Punischen Kriegen und der Zerstörung Karthagos 146 v. Chr. Sie unterscheiden sich in Sprache und Schrift vom Punischen und stammen vorwiegend aus Afrika, vereinzelt aus Ägypten und dem Libanon. Es gibt Einflüsse des Lateinischen und des Berberischen auf das Neopunische.
(Neo-)Punisch war bis in die Spätantike von Bedeutung und erlosch wahrscheinlich erst mit dem Aufkommen des Arabischen. Eine Spätform des Punischen dürfte noch um 1000 gesprochen worden sein."

Der Sprachwissenschaftler Harald Haarmann sagt, dass Punisch als gesprochene Sprache noch bis ins 6. Jh. n. Chr. Bestand hatte:
"Zwar verloren die Karthager nach nach dem 3. Punischen Krieg ... ihre politische Macht an die Römer, ihre Sprache und Kultur blieben aber noch lange erhalten und überlebten sogar bis in die nachrömische Zeit. Erst im 6. Jh. n. Chr. kam das Punische als gesprochene Sprache außer Gebrauch." (Harald Haarmann, Lexikon der untergegangenen Sprachen, S. 164)

Dem ist zu entnehmen, dass die punische Sprache irgendwann zwischen dem 6. und 10. Jh. erlosch. Eine wirklich erstaunliche Zähigkeit und Kontinuität bei den Sprechern.
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dieter
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Lieber Dietrich,
ich hatte gedacht, mit der Zerstörung von Karthago und den Verkauf der dortigen Bevölkerung von den Römern als Sklaven auf den Sklavenmärkten, wäre das Punische erloschen. :roll: Wenn es trotzdem überlebt hatte, dann war doch die Zerstörung von Karthago nicht so radikal, wie ich bisher angenommen hatte. :wink:
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Dietrich
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dieter hat geschrieben: Wenn es trotzdem überlebt hatte, dann war doch die Zerstörung von Karthago nicht so radikal, wie ich bisher angenommen hatte. :wink:
Die Zerstörung der Stadt Karthago war radikal. Auf ihren Fundamenten und Ruinen entstand eine typisch römische Stadt.

Die punische Bevölkerung hingegen wurde nicht umgebracht. Sie existierte im Hinterland weiter, wo eine bäuerliche Schicht vor allem Getreide und Obst anbaute. Die Region zählte neben Ägypten zur "Kornkammer Roms". In diesem Gebiet hat sich demnach eine punische Restbevölkerung gehalten, die weiterhin die punische Sprache pflegte. Da man diesbezügliche Schriftzeugnisse fand, muss es sich um eine durchaus zahlreichere und auch gebildete Bevölkerungsschicht gehandelt haben. Erst mit dem Einbruch der Araber schlug für das (Neo)punische die letzte Stunde.
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dieter
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Lieber Dietrich,
vielen Dank für die umfassende Schilderung der punischen Bevölkerung. Also hat es keinen Massenmord durch die Römer gegeben. :wink:
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