Woher stammen die Aschkenasim/Ostjuden?

Mesopotamien, Babylon, China, Mongolen, Sumerer

Moderator: Barbarossa

Dietrich
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Nachdem Arthur Koestlers Hypothese noch immer die Gemüter bewegt, habe ich sein Buch "Der dreizehnte Stamm" antiquarisch erworben, was mich allerdings 34 Euro kostete - darunter kann man es nicht mehr bekommen.

Koestler postuliert eine Abstammung der Ostjuden in Polen und Russland von den türkischen Chasaren. Das halbnomadische Turkvolk der Chasaren nahm etwa um 800 den jüdischen Glauben an. Das geschah laut entsprechender Quellen aus taktischen Gründen, da die Chasarenkagane gegenüber dem christlichen Byzanz und dem muslimischen Kalifat ihre Eigenständigkeit bewahren und keinen Missionsversuchen ausgesetzt sein wollten. Ende des 10. Jh. ging das südrussische Chasarenreich durch einen Kriegszug der Waräger/Rus unter.

Koestler behauptet nun, dass die Chasaren in großer Zahl nach Norden migrierten und künftig den Kern der osteuropäischen Aschkenasim bildeten. Nach seiner Meinung waren die Juden im Rheinland eine kleine Minderheit, die niemals die große Masse von Ostjuden hätte bilden können.

Problematisch bleibt bei dieser Beweiskette, wie die jiddische Sprache der Ostjuden zu erklären ist, die bekanntlich aus dem Mittelhochdeutschen hervorging und u.a. hebräische, aramäische und romanische Elemente enthält. Koestler erklärt das mit einem Taschenspielertrick: Er behauptet, dass die Deutschen, die im Zuge der Ostsiedlung Städte in Polen gründeten oder deutsches Stadtrecht dorthin verpflanzten (z.B. Lemberg, Krakau, Posen, Gnesen, Kulm), eine große wirtschaftliche und politische Bedeutung hatten. Deutsche Sprache im polnischen "Stedtl" sei demnach im Handel und anderen Bereichen wichtig gewesen und aus diesem Grund hätten die chasarischen Juden die Sprache aufgenommen und zum Jiddischen fortentwickelt.

Bei dieser Argumentation hakt es allerdings gewaltig, obwohl eine Migration vertriebener chasarischer Juden nicht ausgeschlossen ist.

Einen Brandsatz stellt die Hypothese von Koestler insofern dar, als die aschkenasische Masse heutiger Juden damit keine semitischen Wurzeln hätte, sondern türkisch-chasarische. Das hat vielen Antisemiten seither einen Grund geboten, den Anspruch der Juden auf Palästina zu bestreiten.

Arthur Koestler ist im übrigen ein ungarisch-österreichischer Jude und verstarb 1983 in London. http://de.wikipedia.org/wiki/Der_dreizehnte_Stamm
Spartaner
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Es ist durchaus möglich das sich einige chasarische Juden auch weiter in Russland ausgebreitet und ihre Gemeinden gegründet hatten, doch weniger in Polen. Die grosser Teil der Juden aus dem deutschen Lande emigrierte im 13.- 15. Jahrhundert nach Polen . In dieser Zeit sind in mehreren deutschen Städten Judenprogrome ausgebrochen u. a. auch in Nürnberg. Das kann man auch in mehreren Stadtchroniken von deutschen Städten nachlesen. Infolge dieser Progrome wanderten ein Vielzahl der Juden anach Polen und Osteuropa aus.
Zitat:
"Während der Pestepidemie von 1349 kam es im französischen und deutschen Sprachraum erneut zu zahlreichen Pogromen gegen die aschkenasischen Gemeinden. Viele Überlebende flohen, vor allem nach Polen-Litauen, wo sie willkommen waren und beim Aufbau der Wirtschaft mitwirkten.
Im 13., 14. und 15. Jahrhundert war die bis auf eine in Deutschland, Böhmen und Italien verharrende Minderheit der aschkenasischen Juden aus West- und Mitteleuropa nach Osteuropa vertrieben worden und siedelte in die Ukraine, nach Rumänien, Russland, Ungarn und vor allem ins Königreich Polen-Litauen um. Die daraus entstandenen jüdischen Gemeinden behielten bis zum Holocaust ihren ausgeprägt aschkenasisch-rabbinischen Charakter. Die Liturgie und die religiösen Traditionen der Juden aus Polen-Litauen stützten sich auf mittelalterliche Überlieferungen. Bis zum 16. Jahrhundert hatten die meisten führenden polnischen Rabbiner ihre Ausbildung in Talmudschulen in Deutschland und Böhmen erhalten und emigrierten anschließend in die osteuropäischen Gemeinden."
http://de.wikipedia.org/wiki/Aschkenasim
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dieter
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Viele Juden, die aus der ehemaligen UdSSR nach Israel emigriert sind dürften der Gruppe der chasarichen Juden angehören.
Sie machen heute einen beträchtlichen Anteil der israelischen Bevölkerung aus. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Dietrich
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Spartaner hat geschrieben:Es ist durchaus möglich das sich einige chasarische Juden auch weiter in Russland ausgebreitet und ihre Gemeinden gegründet hatten, doch weniger in Polen. Die grosser Teil der Juden aus dem deutschen Lande emigrierte im 13.- 15. Jahrhundert nach Polen . In dieser Zeit sind in mehreren deutschen Städten Judenprogrome ausgebrochen u. a. auch in Nürnberg. Das kann man auch in mehreren Stadtchroniken von deutschen Städten nachlesen. Infolge dieser Progrome wanderten ein Vielzahl der Juden anach Polen und Osteuropa aus.
Es gibt zur Herkunft der Aschkenasim die so genannte "Rheinland-Hypothese" und die "Chasaren-Hypothese". Wie oben schon erwähnt, führt die Chasaren-Hypothese die Ostjuden in ihrer großen Mehrzahl auf das im 8/9. Jh. zum Judentum konvertierte Turkvolk der Chasaren zurück. Die "Rheinland-Hypothese" hingegen postuliert eine Abkunft von den seit dem 7. Jh. im Rheinland heimischen Juden, die nach Pogromen und Verfolgungen seit dem Hohen Mittelalter nach Osteuropa auswanderten.

Es gibt eine Genanalyse von Dr. Eran Ehaik (Johns Hopkins School of Medicine, Genome Biology and Evolution, 5, S.61), der Spuren bei den Chasaren sichtete, aber auch in Südeuropa. https://de.scribd.com/doc/123652605/Gen ... hn-Hopkins Es ist in der Tat kaum vorstellbar, dass die etwa 50 000 nach Osteuropa ausgewanderten Juden die Basis für die späteren 8 Millionen Ostjuden abgaben. Um auf die acht Millionen zu kommen, hätten sich die Juden in Osteuropa zehnmal so rasch vermehren müssen wie ihre nicht jüdischen Nachbarn.

Tatsache ist allerdings, dass die Ostjuden Jiddisch sprachen/sprechen und jiddisch ist ganz eindeutig eine aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangene westgermanische, mit hebräischen, aramäischen, romanischen, slawischen und weiteren Sprachelementen angereicherte Sprache.
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dieter
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Es wird so gewesen sein, dass die Juden welche aus Westeuropa stammten ihre Kultur mit nach Osteuropa brachten und damit die Kultur der Chasaren überlagerten. :wink:
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Paul
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Das Problem ist aber komplizierter. Ich habe Köstlers Buch nicht gelesen, ich kann es mir aber kaum vorstellen, das er das wirklich so geschrieben hat. Unter der Herrschaft der Chasaren lebten auch viele zurückgebliebene Goten, Sarmaten u.a. Völker. Von denen wird wahrscheinlich auch eine unbekannte Zahl zum Judentum übergetreten sein. Das Gotische soll sogar Verkehrssprache am Chasarenhof gewesen sein. Die einwandernden Juden aus Deutschland könnten viele anderssprachige Juden assimiliert haben, quasi als Verkehrssprache für Juden. Insbesondere germanischsprachige Juden hätten einen Sprachausgleich mit den Einwanderern durchgeführt. Das Gotische der Wulfila Biebel ähnelt sogar dem althochdeutschen sehr. Wie will man da den Spracheinfluß des Gotischen ausschließen? Da das Gotische schon Verkehrssprache war, blieb das von den Einwanderern beeinflußte Gotisch/altmittelhochdeutsch es auch.
Unter russischer Herrschaft wurden dann viele dieser Juden mit, unterschiedlichen Sprachen, christianisiert.
Wenn also eine große germanisch sprechende jüdische Bevölkerung existierte, dann stellte sie auch einen großen Teil der Vorfahren der Aschkenasim. Ist nicht auch die Kippa eine turkmenische Kopfbedeckung, die dort auch heute noch stark verbreitet ist?
viele Grüße

Paul

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Dietrich
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Paul hat geschrieben:Das Problem ist aber komplizierter. Ich habe Köstlers Buch nicht gelesen, ich kann es mir aber kaum vorstellen, das er das wirklich so geschrieben hat. Unter der Herrschaft der Chasaren lebten auch viele zurückgebliebene Goten, Sarmaten u.a. Völker. Von denen wird wahrscheinlich auch eine unbekannte Zahl zum Judentum übergetreten sein. Das Gotische soll sogar Verkehrssprache am Chasarenhof gewesen sein.
Wie alle Nomadenreiche war auch das der Chasaren multinational, d.h. es umfasste Petschenegen, Oghusen, Krimgoten, Wolgabulgaren und andere Völker. Als die Chasaren im 7. Jh. ihr Reich begründeten, waren die Ostgoten schon fast 300 Jahre aus Südrussland verschwunden. Was sich - abgesehen von der Krim - noch an Bevölkerungssplittern fand, ist unbekannt. Dass Gotisch Staatssprache gewesen wäre, ist nirgendwo belegt. Chasarisch ist eine Turksprache und die wurde auch im Reich gesprochen. Chasarische Münzen sind Kopien des arabischen Dirham. Einige erhaltene Exemplare tragen die Inschrift Ard al-Chasar (arabisch für „Land der Chasaren“).
Paul hat geschrieben: Die einwandernden Juden aus Deutschland könnten viele anderssprachige Juden assimiliert haben, quasi als Verkehrssprache für Juden. Insbesondere germanischsprachige Juden hätten einen Sprachausgleich mit den Einwanderern durchgeführt. Das Gotische der Wulfila Biebel ähnelt sogar dem althochdeutschen sehr. Wie will man da den Spracheinfluß des Gotischen ausschließen? Da das Gotische schon Verkehrssprache war, blieb das von den Einwanderern beeinflußte Gotisch/altmittelhochdeutsch es auch.
Wie bereits gesagt, war Gotisch keine Verkehrssprache im Chasarenreich. Nach Auflösung des Chasarenreichs im 10. Jh. eroberten Kumanen und danach vor allem die mongolische Goldene Horde die Gebiete, die die Chasaren einst beherrscht hatten. Man muss davon ausgehen, dass alle nomadischen Bevölkerungsreste von der Goldenen Horde assimiliert wurden, die den südrussischen Raum fast 400 Jahre beherrschte.

Es ist demnach äußerst fraglich, ob es noch jüdische Chasaren gab, die nach dem 13. Jh. die Bevölkerungsbasis der Ostjuden bilden konnten.
Paul
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Horst Friedrich setzte sich mit den Theorien Köstlers auseinander und schreibt auch über das Gotische am Chasarischen Herrscherhof. Er vertritt die Ansicht, das Juden des Chasarenreiches die Vorfahren der Ashkenasim wären und diese Hypothese durch die jiddische Sprache gestützt würde.

http://alt.geschichte-chronologie.de/l2 ... disch.html
viele Grüße

Paul

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Paul hat geschrieben:Horst Friedrich setzte sich mit den Theorien Köstlers auseinander und schreibt auch über das Gotische am Chasarischen Herrscherhof. Er vertritt die Ansicht, das Juden des Chasarenreiches die Vorfahren der Ashkenasim wären und diese Hypothese durch die jiddische Sprache gestützt würde.

http://alt.geschichte-chronologie.de/l2 ... disch.html
Der hier verlinkte Horst Friedrich ist ein nicht ernst zu nehmender Spinner. Wiki schreibt:

"Horst-Günther Friedrich (* 1931 in Breslau) ist ein Wissenschaftsphilosoph und Kritiker des akademischen Wissenschaftsbetriebs, der in Bezug auf die Erforschung der Erd-, Menschheits- und Zivilisationsgeschichte diffusionistische [1], neokatastrophistische [2] und chronologiekritische [3] Positionen vertritt. Zudem betätigt er sich auch auf dem Gebiet der Karl May-Forschung." http://de.wikipedia.org/wiki/Horst_Frie ... ritiker%29

Einige seiner Hypothesen sind sicher eingängig, andere hingegen krude und ohne jede wissenschaftliche Basis.

Nach verbreiteter Meinung wird die Herkunft der Ostjuden von den Chasaren gerade nicht durch das Jiddische gestützt. Jiddisch ist eine aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangene westgermanische, mit hebräischen, aramäischen, romanischen, slawischen und weiteren Sprachelementen angereicherte Sprache. Das weist eher darauf hin, dass die Aschkenasim von jenen jüdischen Bevölkerungsgruppen abstammen, die aufgrund von Verfolgungen und Pogromen seit dem 14. Jh. von Westeuropa und Deutschland nach Polen und Litauen migrierten.
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Peppone
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Mal ein kurzer Gedanke zur raschen Vermehrung der polnischen Juden.
Erstens kamen immer wieder neue Ströme von vertriebenen Juden aus Deutschland an. Das ist aber wohl in Dietrichs Angaben schon eingerechnet.
Zweitens waren diese Juden eine städtische Bevölkerung, während die Polen/Litauer eine eher ländliche Bevölkerung waren. Stichwort Kinderreichtum: Richtig ist, dass ländliche Bevölkerung schon aus arbeitskräftetechnischen Gründen viele Kinder hatten. Nun sind aber gerade die Ascheknasim für ihren Kinderreichtum bekannt, der nach Dietrich zehnmal so hoch gewesen sein müsste als bei den Polen und Litauern (und den West-Ukrainern, die damals ebenfalls zu Polen-Litauen gehörten).
Geht man mal von einem Durchschnitt von 4 bis 5 Kindern pro Bauernfamilie aus, müssten die Aschkenasim im Durchschnitt 40 bis 50 Kinder PRO FAMILIE gehabt haben - in der Tat unvorstellbar. ABER:
Die Polen und Litauer hatten im Zuge der Kämpfe mit den Moskauer Russen und den Krimtataren große Verluste zu beklagen. Könnten diese Verluste so hoch gewesen sein, dass sie dazu führten, dass die Juden relativ zur polnisch-litauisch-ukrainischen Bevölkerung ein zehnmal so hohes Wachstum zu verzeichnen hatten? Wohl kaum, das "Wilde Feld", in dem die späteren Kosaken angesiedelt wurden, beschränkte sich auf den Südosten des Riesenreichs. im eigentlichen Polen dürften die Bevölkerungsverluste kaum merkbar gewesen sein.
Während der entstehenden Adelsrepublik Polen waren die Bauern in einer sehr schlechten Lage. Adelsaufstände gingen ebenfalls auf Kosten der Bauern, die als "Kanonenfutter" eingesetzt wurden. Könnte all das dazu geführt haben, dass im Vergleich zu den Juden nur ein Zehntel der Bauern überlebt haben könnte? Auch nicht so ganz vorstellbar.

Wäre vielleicht ein Kombination der angeführten Gründe vorstellbar? Also eine Reduzierung der Polen, Litauer und Westukrainer relativ zu den Juden auf ein Zehntel der Nachkommenschaft? Dass also relativ zehnmal so viele jüdische Kinder überlebten als polnisch-litauische? Absolut wäre die Zahl der Polen-Litauer dann immer noch um ein Mehrfaches höher als die Zahl der Juden, aber da die Juden Privilegien hatten und nicht zur Gefolgschaft von Adligen gehörten, könnte es schon sein, dass sie sich aus den ganzen Streiereien zwischen dem polnischen Adel heraushalten könnten und sich ungestört vermehren konnten, während bei den Polen und Litauern immer wieder fast alle Kinder starben.

Beppe
ehemaliger Autor K.

Peppone hat geschrieben:Mal ein kurzer Gedanke zur raschen Vermehrung der polnischen Juden.
Erstens kamen immer wieder neue Ströme von vertriebenen Juden aus Deutschland an. Das ist aber wohl in Dietrichs Angaben schon eingerechnet.
Zweitens waren diese Juden eine städtische Bevölkerung, während die Polen/Litauer eine eher ländliche Bevölkerung waren. Stichwort Kinderreichtum: Richtig ist, dass ländliche Bevölkerung schon aus arbeitskräftetechnischen Gründen viele Kinder hatten. Nun sind aber gerade die Ascheknasim für ihren Kinderreichtum bekannt, der nach Dietrich zehnmal so hoch gewesen sein müsste als bei den Polen und Litauern (und den West-Ukrainern, die damals ebenfalls zu Polen-Litauen gehörten).
Geht man mal von einem Durchschnitt von 4 bis 5 Kindern pro Bauernfamilie aus, müssten die Aschkenasim im Durchschnitt 40 bis 50 Kinder PRO FAMILIE gehabt haben - in der Tat unvorstellbar. ABER:
Die Polen und Litauer hatten im Zuge der Kämpfe mit den Moskauer Russen und den Krimtataren große Verluste zu beklagen. Könnten diese Verluste so hoch gewesen sein, dass sie dazu führten, dass die Juden relativ zur polnisch-litauisch-ukrainischen Bevölkerung ein zehnmal so hohes Wachstum zu verzeichnen hatten? Wohl kaum, das "Wilde Feld", in dem die späteren Kosaken angesiedelt wurden, beschränkte sich auf den Südosten des Riesenreichs. im eigentlichen Polen dürften die Bevölkerungsverluste kaum merkbar gewesen sein.
Während der entstehenden Adelsrepublik Polen waren die Bauern in einer sehr schlechten Lage. Adelsaufstände gingen ebenfalls auf Kosten der Bauern, die als "Kanonenfutter" eingesetzt wurden. Könnte all das dazu geführt haben, dass im Vergleich zu den Juden nur ein Zehntel der Bauern überlebt haben könnte? Auch nicht so ganz vorstellbar.

Wäre vielleicht ein Kombination der angeführten Gründe vorstellbar? Also eine Reduzierung der Polen, Litauer und Westukrainer relativ zu den Juden auf ein Zehntel der Nachkommenschaft? Dass also relativ zehnmal so viele jüdische Kinder überlebten als polnisch-litauische? Absolut wäre die Zahl der Polen-Litauer dann immer noch um ein Mehrfaches höher als die Zahl der Juden, aber da die Juden Privilegien hatten und nicht zur Gefolgschaft von Adligen gehörten, könnte es schon sein, dass sie sich aus den ganzen Streiereien zwischen dem polnischen Adel heraushalten könnten und sich ungestört vermehren konnten, während bei den Polen und Litauern immer wieder fast alle Kinder starben.

Beppe
Sorry, aber diese Rechnerei verstehe ich nicht ganz. Rein rechnerisch gesehen ist es möglich, dass eine Ausgangsbevölkerung von 50.000 Menschen in relativ kurzer Zeit beträchtlich ansteigen kann. Sie muss sich nur in jeder Generation verdoppeln. Rechnen wir nun für die Lebensspanne einer Generation 50 Jahre, so hätte sich 8 Generationen später, also nach 400 Jahren die Zahl bereits auf 12.8000.000 erhöht.

Es handelt sich hier um eine einfache geometrische Folge, deren Summe wir ganz leicht errechnen können mit Hilfe der geometrischen Summenformel. (steht in jedem Mathebuch). Wir können es auch zu Fuß machen:

0.Generation = 50.000
1.Generation = 100.000
2.Generation = 200.000
3. Generation = 400.000
4.Generation = 800.000
5. Generation = 1.600.000
6. Generation = 3.200.000
7.Generation = 6.400.000
8. Generation= 12.800.000
Das ist wie mit dem Reiskorn auf dem Schachbrett.

Eine kleine Ausgangspopulation im Mittelalter kann also relativ schnell anwachsen.
In der Realität ist sie aber wohl längst nicht so stark gestiegen. Bei einem niedrigeren Wachstumsfaktor pro Generation, sagen wir 1,8, ist eine Zahl von 8 Millionen auch in 400 Jahren erreicht. Ich weiß jetzt nichts über die Familiengröße. Hatte aber jede Familie vielleicht zwischen 3-6 Kinder, von denen auch hinreichend viele überlebten und selber Kinder zeugten, ist dies gar nicht einmal eine besonders hohe Fertilität. Solche Zahlen kennen wir aus den heutigen Entwicklungsländern.
Dietrich
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Karlheinz hat geschrieben:
Es handelt sich hier um eine einfache geometrische Folge, deren Summe wir ganz leicht errechnen können mit Hilfe der geometrischen Summenformel. (steht in jedem Mathebuch). Wir können es auch zu Fuß machen:

0.Generation = 50.000
1.Generation = 100.000
2.Generation = 200.000
3. Generation = 400.000
4.Generation = 800.000
5. Generation = 1.600.000
6. Generation = 3.200.000
7.Generation = 6.400.000
8. Generation= 12.800.000
Das ist wie mit dem Reiskorn auf dem Schachbrett.

Eine kleine Ausgangspopulation im Mittelalter kann also relativ schnell anwachsen.
Wenn das so zutrifft - und das scheint der Fall zu sein - wäre Arthur Koestlers zweites Hauptargument hinfällig: nämlich die Behauptung, die nach Pogromen und Verfolgungen ab dem 13. Jh. von Westeuropa nach Polen-Litauen eingewanderten Aschkenasim könnten rein zahlenmäßig nicht auf eine Bevölkerungszahl von mehreren Millionen im 19./20. Jh. gekommen sein. Damit wäre die Spekulation hinfällig, Bevölkerungsreste zum Judentum konvertierter Chasaren könnten die Bevölkerungsbasis der Ostjuden gebildet haben.

Das ist auch aus anderen Gründen schwer vorstellbar. Die Chasaren siedelten in Südrussland und im Vorfeld des Kaukasus. Als ihr Reich im 10. Jh. unterging, wurde der Raum von den turkstämmigen Kumanen und danach über etwa 300 Jahre von der mongolischen Goldenen Horde beherrscht. Es ist kaum vorstellbar, dass sich die Chasaren diesem Assimilierungsdruck widersetzen konnten. Auch zeitgenössische Schriftquellen schweigen seither über die Chasaren, zudem sie wie die turkstämmigen Kumanen und die Goldene Horde Reiternomaden waren, also hinsichtlich ihrer Lebensweise und Kultur den neuen Herren nahestanden.
Paul
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Dietrich hat geschrieben: Das ist auch aus anderen Gründen schwer vorstellbar. Die Chasaren siedelten in Südrussland und im Vorfeld des Kaukasus. Als ihr Reich im 10. Jh. unterging, wurde der Raum von den turkstämmigen Kumanen und danach über etwa 300 Jahre von der mongolischen Goldenen Horde beherrscht. Es ist kaum vorstellbar, dass sich die Chasaren diesem Assimilierungsdruck widersetzen konnten. Auch zeitgenössische Schriftquellen schweigen seither über die Chasaren, zudem sie wie die turkstämmigen Kumanen und die Goldene Horde Reiternomaden waren, also hinsichtlich ihrer Lebensweise und Kultur den neuen Herren nahestanden.
Das "Verschwinden" der Chasaren fällt in die Zeit der Osmanischen Eroberung der heutigen Türkei. Assimilierung durch Russen und die Abwanderung in das osmanische Reich werden hier zusammengewirkt haben.
Die Chasaren lebten in der heutigen Ukraine, dort wo viele Juden lebten und zum Jagelonischen Reich gehörten.

Die Möglichkeit, das die Auswanderer aus Deutschland rechnerisch eine so große Vermehrung durchgemacht haben können, ist kein ausreichendes Argument, das dies ausschließlich so war. Germanische Juden hätten sich leicht an den Dialekt der Einwanderer aus Deutschland assimiliert.
viele Grüße

Paul

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Dietrich
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Paul hat geschrieben:
Das "Verschwinden" der Chasaren fällt in die Zeit der Osmanischen Eroberung der heutigen Türkei. Assimilierung durch Russen und die Abwanderung in das osmanische Reich werden hier zusammengewirkt haben.
Die Chasaren lebten in der heutigen Ukraine, dort wo viele Juden lebten und zum Jagelonischen Reich gehörten.
Das Chasarenreich ging bereits im 10. Jh. unter. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Kleinasien weder Osmanen noch Seldschuken oder andere Turkstämme. Natürlich ist es denkbar, dass einige Gruppen von Chasaren nach dem Ende ihres Reichs in andere Gegenden auswanderten. Allerdings ist das n4r eine Spekulation, die von keinen Belegen gestützt wird.
Paul hat geschrieben:Die Möglichkeit, das die Auswanderer aus Deutschland rechnerisch eine so große Vermehrung durchgemacht haben können, ist kein ausreichendes Argument, das dies ausschließlich so war. Germanische Juden hätten sich leicht an den Dialekt der Einwanderer aus Deutschland assimiliert.
es gab keine "germanischen Juden". Deutsche Juden aus dem Rheinland (und aus anderen Staaten) migrierten im späten Mittelalter aufgrund von Verfolgungen und Pogromen nach Polen und Osteuropa. Daher sprechen sie teilweise noch heute Jiddisch, das aus dem Mittelhochdeutschen hervorging.
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Dietrich hat geschrieben:[
Paul hat geschrieben:Die Möglichkeit, das die Auswanderer aus Deutschland rechnerisch eine so große Vermehrung durchgemacht haben können, ist kein ausreichendes Argument, das dies ausschließlich so war. Germanische Juden hätten sich leicht an den Dialekt der Einwanderer aus Deutschland assimiliert.
es gab keine "germanischen Juden". Deutsche Juden aus dem Rheinland (und aus anderen Staaten) migrierten im späten Mittelalter aufgrund von Verfolgungen und Pogromen nach Polen und Osteuropa. Daher sprechen sie teilweise noch heute Jiddisch, das aus dem Mittelhochdeutschen hervorging.
Lieber Dietrich,
der Begriff "Germanische Juden" hört sich etwas seltsam an. :roll: Es gab und gibt deutsche Juden. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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