Geschichte der Bergjuden

Mesopotamien, Babylon, China, Mongolen, Sumerer

Moderator: Barbarossa

Dietrich
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Als "Verlorene Stämme Israels" bezeichnet man die Juden, die im 8. Jh. v. Chr. von den Assyrern deportiert wurden, nachdem diese das Nordreich Israel vernichtet hatten.

Was mit diesen deportierten jüdischen Bevölkerungsgruppen geschah, wissen wir nicht. Daher sind sie Gegenstand zahlreicher, zuweilen auch fantastischer Hypothesen und Spekulationen. Es gibt im Grunde nur zwei realistische Szenarien: Entweder wurden diese Juden in ihrer neuen Heimat vollständig von der Mehrheitsbevölkerung assimiliert; oder sie schlossen sich - falls sie 200 Jahre ihre Identität bewahren konnten - den Juden an, die ab 597 v. Chr. vom babylonischen König Nebukadnezar II. nach Babylon exiliert und dort angesiedelt wurden (Babylonisches Exil).
Paul
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Dietrich hat geschrieben: Ob meine "Version 1" zutreffen könnte, ist überaus fraglich. Kann eine Ethnie wirklich über einen Zeitraum von fast 2000 Jahren ihre Identität bewahren? In diesem Fall die von Assyrien im 8. Jh. v. Chr. deportierten Juden, von denen niemand weiß, wo sie geblieben sind. Oder ob sie wirklich den legendären verlorenen "Dreizehnten Stamm" repräsentieren?
Ich würde das gar nicht für unmöglich halten, das Menschen über einen so langen Zeitraum ihre Identität bewahren. Das wären aber dann die asyrisch-/aramäischsprachigen Juden, nicht die Bergjuden. Bergjuden haben auf jedenfall mindestens einen Identitätswechsel vollzogen, also entweder den sprachlichen o. den religiösen.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Dietrich
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Paul hat geschrieben:
Ich würde das gar nicht für unmöglich halten, das Menschen über einen so langen Zeitraum ihre Identität bewahren. Das wären aber dann die asyrisch-/aramäischsprachigen Juden, nicht die Bergjuden. Bergjuden haben auf jedenfall mindestens einen Identitätswechsel vollzogen, also entweder den sprachlichen o. den religiösen.
Es lässt sich heute nicht mehr ermitteln, welche Gruppe von Juden wohin auswanderte. Bekannt sind seit dem Mittelalter zwei große jüdische Exklaven:

1. Die kurdischen Juden im Nordirak, Westiran und kurdischen Gebieten der Türkei. Sie sprechen eine neuaramäische Sprache und führen sich nach ihrer eigenen Überlieferung auf die von Assyrien im 8. Jh. v. Chr. deportierten Juden zurück. http://de.wikipedia.org/wiki/Kurdische_Juden

2. Bergjuden in Nord-Aserbeidschan und dem Kaukasus/Dagestan. Sie sprechen eine iranische Sprache und sind vermutlich vom sassanidischen König Chosrau I. im 6. Jh. dort angesiedelt worden. Eine Minderheit vermutet eine Flucht der Bergjuden in nachislamischer Zeit. http://de.wikipedia.org/wiki/Bergjuden
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Peppone
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Wenn man sich überlegt, was die jüdischen Gelehrten in der Babylonischen Gefangenschaft alles anstellen mussten, um eine Assimilierung der Juden zu verhindern - nämlich einfach mal das Alte Testament in mow der Form schaffen, wie wir es heute kennen - dann kann man sich schon vorstellen, dass die nordisraelische Bevölkerung komplett und in Kürze assimiliert worden ist. Samaria war zwar auch ein altes und bedeutendes Heiligtum, aber die südisraelische Bevölkerung war von ganz anderem Schlag als die nordisraelische.
Nordisrael war lange Zeit der eigentlich bedeutendere von den beiden israelitischen Staaten gewesen, mit großen Handelsstädten, tiefreichenden Wurzeln in die kanaanitische Vergangenheit (und damit zu den phönizischen Küstenstädten), eine viel "zivilisiertere" Bevölkerung als die Hirten von Juda, die, eingezwängt zwischen Philistern und Nordisrael, in ihrem eher trockenen Bergland lebten und außer Jerusalem im Prinzip keine größeren städtischen Zentren hatten.

Bergbevölkerungen haben einen viel größeren Beharrungswillen als städtische Bevölkerungen, das hat sich immer wieder gezeigt. Deshalb war vielleicht auch der Willen, die eigene Identität zu bewahren, bei den Südisraeliten viel größer als bei den Nordisraeliten. Da die Samariter eh schon viel mehr auf den Handel ausgerichtet waren als die Juden, werden sie sich auch in den Handelsmetropolen Mesopotamiens viel schneller eingelebt haben.
Führt man sich vor Augen, dass es während der Babylonischen Gefangenschaft gar nicht so wenige Juden gab, die nachgewiesenermaßen florierende Handelshäuser gegründet haben, die sich also schon sehr weit auf dem Weg zur vollständigen Assimilierung befunden haben, und dass beileibe nicht alle Juden wieder nach Jerusalem zurückgekehrt sind, als das wieder möglich war, und dass sie das auch nur taten, weil sie innerhalb der Juden quasi einer "Erweckungssekte" angehörten, die "das Alte, Eigentliche und Reine" ihres Glaubens "wiederentdeckt" hatten und den Tempel wieder aufbauen wollten, führt man sich alldas vor Augen, erscheint es nicht mehr unwahrscheinlich, dass die "verlorenen Stämme Israels" weder verloren sind noch als Bergjuden weiter lebten, sondern dass sie in der Bevölkerung Assurs, Babylons, Nipurs usw. aufgegangen sind.

Beppe
Harald
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Der Stamm Benjamin wurde von den übrigen Stämmen wegen eines an der Zweitfrau eines Juden begangenen Frevels im Mannesstamm ausgerottet, nachzulesen in der Bibel. Anschließend tat es den Juden wieder leid und sie beschlossen die Wiederherstellung Benjamins durch die Verheiratung der Frauen mit Männern aus den anderen Stämmen. Das ist insofern wichtig, als das Königreich Juda, aus dem die heutigen nach eigener Überlieferung hervorgingen, aus den Stämmen Juda und Benjamin samt den bei ihnen lebenden Leviten hervorging.

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Dietrich
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Peppone hat geschrieben:Wenn man sich überlegt, was die jüdischen Gelehrten in der Babylonischen Gefangenschaft alles anstellen mussten, um eine Assimilierung der Juden zu verhindern - nämlich einfach mal das Alte Testament in mow der Form schaffen, wie wir es heute kennen - dann kann man sich schon vorstellen, dass die nordisraelische Bevölkerung komplett und in Kürze assimiliert worden ist. ...

Bergbevölkerungen haben einen viel größeren Beharrungswillen als städtische Bevölkerungen, das hat sich immer wieder gezeigt. Deshalb war vielleicht auch der Willen, die eigene Identität zu bewahren, bei den Südisraeliten viel größer als bei den Nordisraeliten. Da die Samariter eh schon viel mehr auf den Handel ausgerichtet waren als die Juden, werden sie sich auch in den Handelsmetropolen Mesopotamiens viel schneller eingelebt haben.
Ich denke nicht, dass es zwischen der jüdischen Bevölkerung des Nord- und Südreichs - also Israel und Juda - große kulturelle oder mentale Unterschiede gab. Wenn also die im 8. Jh. von den Assyrern deportierten Juden ihre Identität nicht bewahren konnten, so mag das daran gelegen haben, dass die monotheistische Religion noch nicht allzu stark verankert war. Das war 200 Jahre später ganz anders, sodass die Juden der Babylonischen Gefangenschaft ihre Religion in allen Bereichen festigten und zu dem formten, was sie mehr als 2000 Jahre blieb: eine Lehre mit ausgefeilten Normen und Regeln und einem theologischen Gerüst, das sich von allen anderen Religionen Vorderasiens stark abhob.

Dadurch gelang es, die Identität zu wahren. Gleichfalls gab das Babylonische Exil das Rüstzeug für die Bewahrung einer jüdischen Identität weltweit, auch inmitten ganz anderer Völker und Religionen. Das ist schließlich der Grund, warum z.B. Bergjuden oder kurdische Juden über viele Jahrhunderte "Juden" blieben - oft inmitten einer feindlichen oder sogar existenzbedrohenden Umwelt.
Spartaner
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Dietrich hat geschrieben:
Peppone hat geschrieben:Wenn man sich überlegt, was die jüdischen Gelehrten in der Babylonischen Gefangenschaft alles anstellen mussten, um eine Assimilierung der Juden zu verhindern - nämlich einfach mal das Alte Testament in mow der Form schaffen, wie wir es heute kennen - dann kann man sich schon vorstellen, dass die nordisraelische Bevölkerung komplett und in Kürze assimiliert worden ist. ...

Bergbevölkerungen haben einen viel größeren Beharrungswillen als städtische Bevölkerungen, das hat sich immer wieder gezeigt. Deshalb war vielleicht auch der Willen, die eigene Identität zu bewahren, bei den Südisraeliten viel größer als bei den Nordisraeliten. Da die Samariter eh schon viel mehr auf den Handel ausgerichtet waren als die Juden, werden sie sich auch in den Handelsmetropolen Mesopotamiens viel schneller eingelebt haben.
Ich denke nicht, dass es zwischen der jüdischen Bevölkerung des Nord- und Südreichs - also Israel und Juda - große kulturelle oder mentale Unterschiede gab. Wenn also die im 8. Jh. von den Assyrern deportierten Juden ihre Identität nicht bewahren konnten, so mag das daran gelegen haben, dass die monotheistische Religion noch nicht allzu stark verankert war. Das war 200 Jahre später ganz anders, sodass die Juden der Babylonischen Gefangenschaft ihre Religion in allen Bereichen festigten und zu dem formten, was sie mehr als 2000 Jahre blieb: eine Lehre mit ausgefeilten Normen und Regeln und einem theologischen Gerüst, das sich von allen anderen Religionen Vorderasiens stark abhob.
Die Kultur blieb vl. die Gleiche aber an der Religionsausübung wurde im Nordreich mehr gerüttelt als im Südreich.
Dietrich
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Spartaner hat geschrieben: Die Kultur blieb vl. die Gleiche aber an der Religionsausübung wurde im Nordreich mehr gerüttelt als im Südreich.
Man könnte vielleicht sagen: Es waren feindliche Brüder. Zwischen dem Nord- und Südreich gab es endlose Grenzstreitigkeiten, Bündnisse und Kleinkriege. In der Verfassung und staatlichen Organisation unterschieden sich beide jüdische Staaten stark voneinander. Hinsichtlich des Kults gab es insofern Differenzen, als im Nordstaat die Einrichtung von zwei Staatsheiligtümern in Dan und Bet-El die Einwohner davon abhalten sollte, Wallfahrten ins Südreich Juda nach Jerusalem zu unternehmen.

Wo die von den Assyrern etwa um 720 v. Chr.deportierten Juden angesiedelt wurden, kann nur noch spekulativ beantwortet werden. Es soll sich ohnehin nur um die Oberschicht des Nordreichs gehandelt haben, die vermutlich in alle Winde zerstreut wurde. Auf jeden Fall gibt es keine Schriftquelle, die darüber etwas aussagt.
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