Römerlager bei Hannover entdeckt !

Das römische Reich war maßgebend für die weitere Entwicklung Europas: Republik, Kaiserreich, Caesar, Augustus

Moderator: Barbarossa

Cherusker
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In der Nähe von Hannover hat man in der Nähe der Leine bei Wilkenburg (Hemmingen) ein römisches Marschlager aus der Zeit um Christi Geburt gefunden. Die Größe beträgt 30 Hektar.
In dem Gebiet soll 2016 Kies abgebaut werden und da das Lager aus der Luft schon vor Jahren entdeckt wurde, aber wieder einmal im Lager "verschwunden" ist, hat man jetzt wohl doch Panik bekommen und nachgegraben. Jetzt wird sich entscheiden, ob der Kiesabbau (vorher Notgrabung) oder die Archäologie (Verschiebung des Kiesabbaus) am längeren Hebel sitzen? :wink:

Die Leine wird auch wie die Lippe als Aufmarschfluß der Römer betrachtet. Wenn sie von Süden aus Mainz gen Norden zogen, dann kamen sie die Leine und nicht die Weser hoch.
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Agrippa
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Der neue Fund ist ein weiterer Schritt, um die Aufmarschwege der Römer im rechtsrheinischen Germanien zu rekonstruieren. Das Lager hat, wie Cherusker bereits schrieb, eine Fläche von 30 ha. Darin konnten zwei, vielleicht sogar drei Legionen, Platz finden. Es wurde, nach Aussagen der Archäologen, nur zwei bis drei Tage genutzt. Die Funde sind dementsprechend spärlich. Dennoch lässt es sich durch die Münzfunde eindeutig in die Zeit um Christi Geburt datieren.

Drusus, der 9 v.Chr. starb, scheidet als Urheber somit aus. Möglich wäre ein Zusammenhang zu Vinicius und dem "immensum bellum" oder zu Tiberius´Feldzug 4/5 n.Chr. zur Elbe. Natürlich auch Domitius Ahenobarbus, der zur Elbe und darüber hinaus zog.
Sogar ein Zusammenhang zu Varus und seinen Aufenthalt bei den Cheruskern 9 n.Chr. ist nicht gänzlich auszuschließen, aber eher unwahrscheinlich. Ebenfalls unwahrscheinlich ist ein Zusammenhang zu Germanicus, der 16 n.Chr. nach heutigem Kenntnisstand nicht so weit nach Osten vordrang.

Sicher ist nur, dass sich ein großer römischer Heeresverband um Christi Geburt bei Hannover aufhielt.
Cherusker
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Und schon wird wieder kräftig am großen Rad gedreht :mrgreen: .....Varus, Varus, Varus.....wer sonst? :wink: Wie in Kalkriese entfacht dieser Name Interesse und Aufmerksamkeit. :crazy:

Aber wie AGRIPPA hier schon schrieb, gab es noch einige andere Römer, wie z.B. Tiberius im "immensum bellum" oder Domitius Ahenobarbus, der Erbauer von Pontes longi (Lange Brücken), der bis zur Elbe zog.
Die Römer sind zu diesem Zeitpunkt nicht ohne den Schutz von Legionen durchs Land gezogen. Die Größenordnung von 2-3 Legionen war aufgrund des fehlenden Wegesytems noch zu bewerkstelligen. Mehr Legionen waren nur in extremer Situation (direkter Kriegszustand) zu rechtfertigen.

Die Leine war damals, wie fast alle Flüsse, auch als Versorgungsweg zu sehen. So ein Kampfverband konnte sich schlecht selbst in Germanien versorgen, sondern mußte von Gallien bzw. von Mainz her versorgt werden. Das jetzt gefundene Marschlager lag somit auch an einem heute verlandeten Seitenarm der Leine.
Jetzt kann man mit dem Zirkel auf der Karte einen Radius, in der Größenordnung der römischen Marschleistung, ziehen, um auf geeignete Stellen der nächsten Marschlager zu schließen. Der Landesarchäologe Henning Haßmann hofft somit die Routen der Römer zu rekonstruieren. :!:
Cherusker
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In einem anderen Geschichtsforum wird wieder heftig spekuliert. :roll: :crazy: Dort will man die Bennigser Burg und auch die relativ kleine Kukesburg mit einbeziehen. Beide Anlagen sind zu klein für 2 Legionen. :wink: Die Kukesburg hat einen älteren Kern, der aus der passenden Zeit (Zeitenwende) stammt, während bei der Bennigser Burg eher die Zeit Karl d. Gr. und der folgenden Herrschaftssitze vermutet (Grabungen 1937) wird. Die Bennigser Burg lag damals an einem Heerweg, der um den Deister führte. Die Kukesburg dagegen wird als Grenzburg bezeichnet, die 2 Gaue voneinander trennte. Dort kann es einen alten Weg durch den Kleinen Deister gegeben haben. :eh:

Es könnte sein, daß auch die Bennigser Burg einen älteren Kern besitzt, weil gerade ältere Grabungen und Erforschungen seitens Schuchardts meist zu einer Deutung in die Sachsenzeit führten. So sind etliche Wallanlagen einfach in die Sachsenzeit datiert worden, weil das sein Steckenpferd war. :roll: Wenn ein Handwerker als einziges Werkzeug einen Hammer hat, dann sieht jedes Problem aus wie ein Nagel ! :mrgreen:
Paul
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Im Prinzip muß bei allen "mittelalterlichen" Burgen und Städten nachgegraben werden, ob nicht doch Spuren aus älteren Zeiten zum Vorschein kommen. Standorte werden meist weiter genutzt. Die Aufgabe, wie beim Dünsberg o. Altkönig und einigen Altenburgen sind die Ausnahme.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Cherusker
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Nix Varus ! :mrgreen: Nach neuesten Erkenntnissen (Ausgrabungen) ist das Römerlager von Wilkenburg ein Marschlager, das in die Zeit des "immensum bellum", d.h. um die Zeitenwende, gehört. Tiberius ist damals nach Germanien gezogen, um einen größeren Aufstand der Germanen niederzuschlagen. Er bekämpfte die Stämme einzeln und schloß mit den Cheruskern einen Friedensvertrag. Lt. dem Archäologen F.W. Wulf wurden ca. 30 Münzen (darunter auch ein paar keltische Münzen :shock: ) gefunden. Diese lassen z.Zt. eine Datierung vor Varus zu. Es wurden bereits über 1000 Buntmetallfunde getätigt. Das ist der erste Römerfundort, der nicht durch Sondengänger entdeckt wurde :wink: , weil bereits vor über 25 Jahren ein Luftbild-Archäologe mit seinem Flugzeug die Verfärbungen auf den Feldern erkannt hat.

Ich weiß nicht, warum die Archäologen so eine große Angst vor Metalldetektoren haben? :roll: :mrgreen: Nach der Entdeckung begingen Wulf und Frank Berger (Numismatiker)den Fundort. Aber da sie keine Sonden dabei hatten :roll: , entdeckten sie nur Keramikscherben und vermuteten daher dort eine germanische Siedlung. Im Jahre 1992 hat der Archäologe Cosack dort mit einem Bagger einen Probeschnitt machen lassen, aber auch nichts gefunden. :roll: Der kannte wohl auch keine Metallsuchgeräte? :wink:

So wurde das Gebiet als archäologisch interessant eingestuft, aber nicht weiter untersucht. :( Da es dort aber Kiesvorkommen gibt, war das Gebiet immer vom Kiesabbau bedroht. Im Jahre 2015 versuchte eine größere Firma den Kiesabbau zu erhalten. Erst da wurde nochmals das Gelände, diesmal auch mit Metallsuchgeräten :!: :wink: , untersucht und man fand hier an der Leine das Römerlager !
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Agrippa
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Interessant ist, dass das römische Lager bei Wilkenburg in die Zeit zwischen Drusus und Varus datiert wird.
Es liegt die Vermutung nahe, dass es im Zusammenhang zur Operation des Tiberius in den Jahren 4/5 n.Chr. gehört, als er sich kurz darauf mit seiner Flotte an der Elbe vereinigte.
Der Hellweg vor dem Berge (H. vor dem Santforde) folgte wohl von Osten kommend der B 65, ging dann aber südlich um das heutige Hannover herum. Bei Laatzen folgte er der heutigen B 443 um bei Sehnde wieder auf den Verlauf der heutigen B 65 zu treffen.
Das nächste römische Marschlager vermute ich im Raum Vechelde, etwa 25 km östlich von Wilkenburg.
Dort treffen die heutige B 65 und die B 1 aufeinander, zwei alte Heerwege.
Das wäre doch eine Aufgabe für die "Ostfalen-Sucher".
Cherusker
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Agrippa hat geschrieben:I
Der Hellweg vor dem Berge (H. vor dem Santforde) folgte wohl von Osten kommend der B 65, ging dann aber südlich um das heutige Hannover herum. Bei Laatzen folgte er der heutigen B 443 um bei Sehnde wieder auf den Verlauf der heutigen B 65 zu treffen.
Das werden die Kalkrieser überhaupt nicht gerne hören. :mrgreen: Wenn die Römer schon zu den Tiberius Feldzügen (so wie es die Archäologen heute vermuten) vornehmlich nördlich des Deisters langgezogen sind, dann verliert die ursprüngliche favorisierte Route entlang der B1, somit um den Osterwald, an Bedeutung. D.h. Varus war in Kalkriese auf dem Hellweg vor dem Santforde und somit nicht im "unwegsamen" Gelände, wie es in den römischen Berichten überliefert wurde.
Cherusker
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Es wurde mittlerweile die 2. Hinweistafel in Wilkenburg aufgestellt. :mrgreen: Aber was hat die Kommunalarchäologin für ein Problem? :shock: Sie sieht das Marschlager als unbedeutend an und befürwortet die Freigabe für den Kiesabbau ! :crazy: Da findet man mal ein langgesuchtes römisches  Marschlager im rechtsrheinischen Germanien und dann sowas. Es paßt wohl nicht in ihr Themengebiet ? :roll: Sie scheint eher ein Interesse an mittelalterlichen Dingen zu haben.
Es ist irgendwie wie zu Kaiserszeiten.....damals hat man Burgen und Wallanlagen auch als Steinbrüche genutzt und sie so teilweise zerstört.   :wink:
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Agrippa
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Das vor kurzem entdeckte römische Marschlager in Wilkenburg bei Hannover wird nun von der Archäologie eindeutig in die Zeit des "immensum bellum" datiert. Unter mittlerweile 65 Fundmünzen bildet ein Caius-Lucius-Denar die Schlussmünze (2 v.Chr.- 1 .nChr.) Am Wahrscheinlichsten ist ein Zusammenhang zum Tiberius-Feldzug des Jahres 4 n.Chr.
Das römische Lager von Anreppen konnte dendrochronologisch ebenfalls in das Jahr 4 n.Chr datiert werden.  Es ist nicht auszuschließen, dass beide Lager (Anreppen und Wilkenburg)  demselben Feldzug zugeordnet werden können.
Velleius Paterculus notiert für das Jahr 4n.Chr. (II, 105 ):
"Tiberius rückte sogleich in Germanien ein, besiegte die Canninefaten, Attuarier und Brukterer und nahm die Cherusker in die Obhut des römischen Volkes auf. (Diesem Volk enstammte Arminius, der bald durch unsere bittere Niederlage bekannt werden sollte.) Dann überschritt Tiberius Caesar die Weser und drang weiter ins Landesinnere vor, wobei er jeweils die schwierigsten und gefährlichtsen Unternehmungen sich selbst vorbehielt. Gafahrlosere Expeditionen übertrug er dem Sentius Saturninus, der schon unter seinem Vater Legat in Germanien gewesen war. (...) Der Sommerfeldzug wurde in diesem Jahr bis in den Dezember ausgedehnt und brachte uns den Vorteil weiterer großer Siege. Seine Sohnesliebe führte Tiberius Caesar über die im Winter unwegsamen Alpen nach Rom, und die Sorge um den Schutz des Reiches brachte ihn zu Frühjahrsanfang wieder zurück nach Germanien. Dort hatte er, mitten im Landesinnneren an der Quelle des Flusses Lippe, vor seiner Abreise als erster ein Winterlager aufgeschlagen."   

Tiberius überquerte also die Weser und ließ anschließend militärische Expeditionen ausführen. Das an der Leinefurt bei Wilkenburg günstig gelegene Lager könnte der Ausgangspunkt dieser Unternehmungen gewesen sein. Danach führte Tiberius sein Heer in ein Winterlager an der Quelle der Lippe, womit eigentlich nur Anreppen gemeint sein kann.
Mit den beiden Lagern von Anreppen und Wilkenburg könnten zwei wichtige Bausteine zur Rekonstruktion des Tiberius-Feldzugs des Jahres 4 n.Chr. gefunden worden sein.
Es ist unfassbar, dass das Lager von Wilkenburg, trotz seiner offensichlich historischen Bedeutung, in Kürze dem Kiesabbau (!) zum Opfer fallen soll. 
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snoerch
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Agrippa hat geschrieben: Es ist unfassbar, dass das Lager von Wilkenburg, trotz seiner offensichlich historischen Bedeutung, in Kürze dem Kiesabbau (!) zum Opfer fallen soll. 
Ernsthaft?
Das wäre wirklich schade, da über die Unternehmungen der Römer im antiken Germanien sowieso schon recht wenig bekannt ist und sich vieles über Vermutungen erschliessen lassen muss.
Gibt es nicht so etwas wie einen automatischen Baustopp, wenn der Fundort als archäologisch wichtig eingestuft wird?

Da fält einem wirklich nicht mehr viel ein.
Dieser Beitrag spiegelt nur die Meinung des Verfassers wieder und erhebt keinen Anspruch auf Wahrhaftigkeit.
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Agrippa
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Die Rechtslage im Fall Wilkenburg ist leider sehr kompliziert. Spuren des Lagers wurden vom Luftbildarchäologen Otto Braasch bereist im Jahr 1990 entdeckt und als "Römerkastell" bezeichnet. Das hat man damals nicht ernst genommen. Eine Flurbegehung, leider ohne Metallsonde, erbrachte damals keine Erkenntnisse.
Im Jahr 2014 beantragte ein Zementwerk den Kiesabbau für dieses Gebiet und schloss einen Vorvertrag mit dem Eigentümer des Bodens ab. Daraufhin untersuchten die Archäologen das Gebiet erneut und entdeckten nicht nur zahlreiche Buntmetallfunde und römische Münzen, sondern auch die Spuren von Wällen und Spitzgräben. Es wurde sofort eine weitere Untersuchung eingeleitet, um den Kiesabbau zu verhindern.
Nach dem Nds. Denkmalsschutzgesetz ist die Untere Denkmalschutzbehörde zuständig, die Obere Denkmalschutzbehörde steht beratend zur Seite. In einem Gutachten stufte die Kreisarchäologin der Unteren Denkmalschutzbehörde das römische Lager als nicht erhaltenswert ein! Das war für den Zementhersteller natürlich ein erfreuliches Ergebnis und man führte die Planungen zum Kiesabbau fort. Die Obere Denkmalschutzbehörde sowie Geschichtsvereine versuchen seitdem, mit allen (legalen) Mitteln das Unvorstellbare doch noch zu verhindern.  
Das römische Lager wird zur Zeit mit Sonden intensiv abgesucht und morgen beginnt die nächste Grabung. Was nach Abschluss dieser Arbeiten geschehen wird, ist ungewiss.
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