Friedland 1955 - Die Rückkehr der letzten Kriegsgefangenen

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Moderator: Barbarossa

Wallenstein

Im September 1955 erreichte es Konrad Adenauer in hartnäckigen Verhandlungen, dass die UDSSR endlich die letzten Kriegsgefangenen entließ, die Angehörigen der ehemaligen Wehrmacht und Waffen-SS, und im Gegenzug nahmen beide Staaten diplomatische Beziehungen auf. (Die DDR kritisierte dies übrigens, weil nicht vereinbart wurde, dass gleichzeitig die DDR von Bonn anerkannt wurde. Das war den Sowjets aber gleichgültig).

Die letzten Soldaten wurden schubweise entlassen vom 7.Oktober 1955 bis zum 14. Januar 1956.

Die ersten 600 erreichten das Lager Friedland in Westdeutschland unter ungeheuren Jubel der Bevölkerung. Konrad Adenauer war krank, die Begrüßungsrede hielt Bundespräsident Heuss. Viele Frauen und Kinder hofften, ihre Männer und Väter endlich wieder zu treffen und hielten Plakate hoch mit den Fotos der Soldaten und ihren Namen. Aber viele wurden enttäuscht und einige erfuhren von den Heimkehrern, dass ihre Männer gestorben waren. Zum Schluss sangen die Soldaten den Choral von Rinckers „Nun danket alle Gott, mit Herzen, Mund und Händen.“ Dies war eines der emotionalsten Momente in der Geschichte der jungen Bundesrepublik. Die Rückführung der insgesamt 9.626 Gefangenen wird bis heute als eine der größten Leistungen von Adenauer gewürdigt.

Es kam am 7.Oktober 1955 eine bunte Mischung in dem Lager an. Mehrere Dutzend stramme Nazi-Generäle, die bis zum Schluss für den Endsieg kämpften und ihre Soldaten in den Tod jagten, aber auch ein gebrochener verwirrter Mann, der Stalingrad General von Seydlitz. Er hatte sich im Krieg dem Nationalkomitee Freies Deutschland angeschlossen und zum Widerstand gegen Hitler aufgerufen. Die Nazis verurteilten ihn in Abwesenheit zum Tode und inhaftierten seine Familie. Doch die Sowjets stellten ihn nach dem Krieg auch vor Gericht wegen Verbrechen an Rotarmisten und wandelten ein erstes Todesurteil in Lagerhaft um. Er wurde von den anderen Kriegsheimkehrern geschnitten, die ihn als Verräter betrachteten. Auch in Westdeutschland galt er als Deserteur und Vaterlandsverräter. 1956 wurde das Todesurteil gegen ihn vom Gericht in Verden aufgehoben. Aber er war ein gebrochener Mann.

Unerfreulich war auch die Rückkehr des Nazi-Gauleiters von Magdeburg, Rudolf Jordan, der am 13.Oktober eintraf und dem berüchtigten KZ-Arzt Carl Clauberg, der später verhaftet wurde wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Einige andere waren auch prominent, z.B. Baur, der Pilot des Führers.

Zur großen Überraschung waren unter den ersten 600 auch Leute, die gar keine Soldaten gewesen waren. Der kommunistische Abgeordnete Kurt Müller, ehemals Mitglied der KP-Leitung, fiel bei den Genossen in Ungnade und wurde 1950 in die UDSSR verschleppt. Er wurde jetzt auch als Heimkehrer von den Russen präsentiert. Der Journalist Dieter Friede, in der Sowjetzone 1948 verschwunden, tauchte auch wieder auf, ebenfalls ein Journalist vom Tagesspiegel, 1948 von den Russen gekidnappt.

Jeder Heimkehrer bekam 6.000 DM als Eingliederungshilfe und einen sogenannten Kulturbeutel mit den notwendigsten Utensilien. Viele sahen endlich ihre Familien wieder, ihre Kinder, die sich an die Väter nicht mehr erinnerten, Frauen, die sich von den Männern entfremdet hatten. Auf manche wartete niemand, weil es keinen mehr gab, oder weil die Frau ihn für Tod erklärt hatte und inzwischen wieder verheiratet war. Allen fiel die Wiedereingliederung ins normale Leben sehr schwer.

Sie kamen in eine Heimat, die sich zwischenzeitlich völlig verändert hatte. Die Deutschen genossen das Wirtschaftswunder und niemand wollte mehr etwas wissen vom Krieg oder den Nazis. Die stark traumatisierten Männer mussten sich in dieser fremden Welt erst zurechtfinden. Es gab keine psychologische Betreuung, sie konnten mit kaum einem Menschen über die Vergangenheit sprechen, weil das niemand mehr hören wollte. Sie mussten sich wohl oder übel durchbeißen.

Am 14. Januar kamen die letzten zurück, still und heimlich. Es waren die Personen, die nicht amnestiert worden waren. Unter ihnen die berüchtigten KZ- Wächter Gustav Sorge und Wilhelm Schubert, die von den bundesdeutschen Behörden später verhaftet und wegen schwerer Verbrechen verurteilt wurden.

Die Rückführung der letzten Kriegsgefangenen schien scheinbar endgültig den Krieg beendet zu haben. So wurde dies jedenfalls von vielen gesehen.
Wallenstein

Das Singen des Liedes „Nun danket alle Gott“ von den heimgekehrte Soldaten, welches die Wochenschauen damals zeigten, hat wohl kaum einen Menschen seinerzeit unberührt gelassen und gehört zu ergreifendsten Momenten der Nachkriegsgeschichte.

Zeitzeugen berichten, das die Heimkehrer ursprünglich das Deutschland-Lied singen wollten, dann aber einigte man sich auf den Kirchen-Choral. Französische Journalisten kommentierten das bissig, als sie schrieben, dass diese Leute wohl nichts dazu gelernt hätten. Warum man dann stattdessen das Kirchenlied sang? Während der Begrüßung der Soldaten waren hohe Würdenträger der Kirche anwesend, unter anderem Erzbischof Frings aus Köln. Vielleicht ging von ihnen die Initiative aus. Das Lied wird sowohl von den Katholiken als auch den Protestanten gesungen. Nach der Schlacht von Leuthen 1757 sollen es die preußischen Soldaten angestimmt haben und es galt seitdem als der „Choral von Leuthen“. Auf den Bildausschnitten 1955 ist auch zu sehen, dass viele Heimkehrer die Lippen gar nicht oder nur wenig bewegen. Wahrscheinlich kannten viele den Text nicht.
Paul
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Ob wirklich alle Gefangenen entlassen wurden, wissen wir nicht. Manche können auch bis zu ihrem Tod weiter inhaftiert worden sein. Die Frage ist auch, was geschah mit den Millionen zivilen Verschleppten? Wie lange dauerte es bis die überlebenden entlassen waren? Mein Opa Otto und mein 17 jähriger Onkel Benno mütterlicherseits hatten als Zivile Zwangsarbeiter Glück und wurden relativ schnell entlassen. Mein Onkel Valenty wurde erst nach ein paar Jahren Kriegsgefangenschaft nach Polen entlassen.

Ich selbst bin auch als zweijähriger in Friedland angekommen und bin dort bewußt dem Nikolaus begegnet.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
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