Deutsche Justiz in der Krise?

Grundgesetz, Gesetzesfragen, Wahlen, bundespolitische Ereignisse, Polizei

Moderator: Barbarossa

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Triton
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...oder Norbert Blüm erhebt "Einspruch":
http://www.amazon.de/Einspruch-Willk%C3 ... 3864890667

Bisher der Nähe von Verschwörungstheorien unverdächtig, prangert Ex-Arbeitsminister Blüm die Zustände an deutschen Gerichten an:
http://www.tagesspiegel.de/politik/norb ... 95070.html  

Ausgerechnet die Hüter des Rechts beschreibt er als "Staat im Staate", bar jeder übergeordneter Kontrolle, mächtig und einflussreich. So wurde er gebeten, Lesungen aus Rücksicht "auf das gute Verhältnis zur Justiz" nicht abzuhalten.

Hat Blüm einen wunden Punkt getroffen oder will er nur die spektakulären Justizpannen der jüngsten Vergangenheit nutzen, um Auflage zu machen oder alte Rechnungen zu begleichen?
"Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, in dem man sie ignoriert." (Aldous Huxley)
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Barbarossa
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Ich habe eine Talkrunde mit ihm gesehen, wo er auch solche Vorwürfe erhob. Ich weiß nicht, was davon halten soll.

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Gontscharow
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Vielleicht will Blüm einen auf Sarrazin machen ?
Mal salopp formuliert ( der Untertitel seines Buches ist ja "Eine Polemik").
Daß Recht und Gerechtigkeit zwei paar Schuhe sind, ist eine Erkenntnis die so alt
ist , wie das Recht selbst.
Daß alles immer schlimmer wird ( und früher besser war :-) ) ist eine Erkenntnis, zu der
alte Männer neigen und für die sie dank ihrer Lebenserfahrung und ihrer Erinnerung,
die mit goldenem Pinsel malt, sehr schnell gelangen.
Aber NATÜRLICH müssen Mißstände in der Justiz genau wie in allen anderen Bereichen der Gesellschaft
diskutiert und ggf. behoben werden.
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Triton
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Ja nu, es ist schon ein interessantes Thema: Wo erhebt man Klage gegen Gerichtsurteile? Alles untersteht dem Recht, nur Richter dürfen sich bei Fehlern, wenn Blüm Recht hat, ganz einfach herausreden ("War verwirrt, Hatte ich vergessen"), was ich auch für problematisch halte.

"Im (geringsten) Zweifel für den Angeklagten", dachte ich, wäre ein in Stein gemeißelter Grundsatz deutscher Rechtssprechung. Blüm behauptet das Gegenteil und wir kennen spektakuläre Fehlurteile, die ihn scheinbar bestätigen. Weitere Mollaths oder Kachelmanns (?) darf es nicht geben. Einfache Behauptungen dürfen Menschen nicht das Leben kaputtmachen und die Sicherheit, dass so etwas nicht möglich ist, ist ein großes Plus an Behaglichkeit im Leben.
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Gontscharow
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Klage gegen Gerichtsurteile kann man in der Tat nur wieder bei anderen Gerichten
erheben, also durch die Instanzen gehen.
Fehlurteile der Justiz und ihre politische Beeinflußung gibt es seit Jahrhunderten.
Mir fallen spontan etliche Fälle ein, ich nenne nur mal die Dreyfus-Affäre.
Wie soll man das anders machen ? Sagt Blüm etwas dazu ?
Lia

So recht schlüssig, ob wir schon in voller Ausdehnung soweit sind, wie Blüm es schildert, bin ich mir nicht, doch dass er auf eine Entwicklung hinweist, für die es ausreichend Hinweise gibt, ist nicht falsch.
Sicherlich war Justitia nie völlig frei von Zeitgeist-Einflüssen und auch persönlichen Einstellungen und Eitelkeiten, so ganz Unrecht, jenseits der popuären Fälle, hat er aber nicht, dass sich Zustände verfestigen, die so nicht vorgesehen sind. Sagen auch engagierte, kritische Juristen.
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Balduin
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So ganz richtig ist es nicht, wenn man sagt, Urteile würden wiederum nur durch höhere deutsche Gerichte geprüft: Der EuGH und auch der EGMR können Einfluss nehmen.

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He has called on the best that was in us. There was no such thing as half-trying. Whether it was running a race or catching a football, competing in school—we were to try. And we were to try harder than anyone else. We might not be the best, and none of us were, but we were to make the effort to be the best. "After you have done the best you can", he used to say, "the hell with it". Robert F. Kennedy - Tribute to his father
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dieter
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Barbarossa hat geschrieben:Ich habe eine Talkrunde mit ihm gesehen, wo er auch solche Vorwürfe erhob. Ich weiß nicht, was davon halten soll.

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Lieber Barbarossa,
ich habe auch die Talk-Show gesehen, ich glaube ihm. Vor Gericht und auf Hoher See sind wir in Gottes Hand. :wink: :mrgreen:
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Gontscharow
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Sicher, Blüm ist sympathisch und wahrscheinlich auch relativ ehrlich.
Er war immer der "kleine Mann" der die Interessen des kleinen Mannes gegen die Großen verteidigt hat -
zumindest in seiner Außendarstellung und Selbstwahrnehmung.
Aber Norbert Blüm hatte auch ein starkes Geltungsbedürfnis und eine unverkennbare Lust an der
Selbstdarstellung. Kein Minister ging so oft in Talkshows wie er und er scheute auch anderer Unterhaltungsshows
nicht, wo er Rudi Carrell einen Wassereimer über den Kopf goß , sich und seine Frau mit der versteckten Kamera aufnehmen
ließ etc.
Deshalb halte ich es durchaus für möglich, daß die Katze das Mausen nicht lässt .... und somit Herr Blüm - eventuell
inspiriert von Sarrazins Polemik - es ihm nachtun wollte. Wobei er sich natürlich treu bleibt, und für die kleinen Leute
Partei ergreift.
Ich will mit diesem Post nicht sagen, was Blüm schreibt stimmt nicht / stimmt. Ich kann das inhaltlich nicht
wirklich beurteilen. Wollte nur mal die psychologische Seite seines Handelns aus meiner Sicht benennen.
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Balduin
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Die Anforderungen, die gestellt werden, um in die Justiz aufgenommen zu werden, sind sehr hoch (ich erfahre das gerade am eigenen Leib). Anders als in der Politik sitzen dort tatsächlich Spezialisten. Fehler passieren in jedem System, die Gerichte sind aber auch überlastet mit den Fallzahlen. Die Richterstellen müssten erhöht werden, dafür fehlt aber das Geld.

Eine Vielzahl der Ministerialbeamten sind Juristen - einfach weil man ohne entsprechende Ausbildung die hochkomplexe Materie nicht versteht.
Dass dies auf einen Nicht-Juristen als Staat im Staat wirkt, mag sein - für die Effizienz und Handlungsfähigkeit der staatlichen Institutionen ist es unabdingbar

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dieter
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Conzaliss hat geschrieben:Ich halte Norbert Blüm eigentlich für eine "ehrliche Haut".
Lieber Conzaliss,
ich auch. :)
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Lia

@ Ralph:
Dass dies auf einen Nicht-Juristen als Staat im Staat wirkt, mag sein - für die Effizienz und Handlungsfähigkeit der staatlichen Institutionen ist es unabdingbar
Stimmt zwar, doch dass es auch ganz objektiv betrachtet Tendenzen gibt, sein eigen Ding zu machen, muss gesagt werden. Wenn aber auch dem halbwegs intelligenten Bürger Sinn und Ziel der Effizienz nicht mehr klar sind, sondern beides als reiner Selbstzweck betrieben oder auch nur gesehen wird, kann das auch nicht so ganz richtig sein. Wissend, dass die Juristerei immer komplexer wird und innerhalb der Stellenvergabe auch nicht nur nach Qualifikation besetzt wird.
die Gerichte sind aber auch überlastet mit den Fallzahlen. Die Richterstellen müssten erhöht werden, dafür fehlt aber das Geld.
Stimmt absolut, in jedem Bereich, wie ich aus dem Verwandten- und Freundeskreis weiß. Ob von Amtsrichtern, Staatsanwälten oder Rechtsanwälten- geht oft nur mühsam voran, weil Stellen verknappt wurden.
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Triton
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Conzaliss hat geschrieben:Ich halte Norbert Blüm eigentlich für eine "ehrliche Haut".
"Die Renten sind sicher!"
Wobei er ja Recht hat, nur die Höhe ist unsicher.

So ganz verstehe ich sein Motiv auch nicht, natürlich häufen sich in letzter Zeit etwas die spektakulären Fehler, aber deshalb gleich am System rütteln?

Gerade die hervorragende Ausbildung und die hohen Anforderungen können aber auch leicht zu Überheblichkeit und Unfehlbarkeitsannahmen führen. Am sympathischsten sind mir Richter, die ihre Urteile nach den Grundsatz "auch Richter möchten ruhig schlafen können" fällen.
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dieter
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Triton hat geschrieben:
Conzaliss hat geschrieben:Ich halte Norbert Blüm eigentlich für eine "ehrliche Haut".
"Die Renten sind sicher!"
Wobei er ja Recht hat, nur die Höhe ist unsicher.

So ganz verstehe ich sein Motiv auch nicht, natürlich häufen sich in letzter Zeit etwas die spektakulären Fehler, aber deshalb gleich am System rütteln?

Gerade die hervorragende Ausbildung und die hohen Anforderungen können aber auch leicht zu Überheblichkeit und Unfehlbarkeitsannahmen führen. Am sympathischsten sind mir Richter, die ihre Urteile nach den Grundsatz "auch Richter möchten ruhig schlafen können" fällen.
Lieber Joerg,
die spektakulären Fälle sind der Fall Molath, der sieben Jahre in der Psychiatrie gesessen hat oder der Fall Peggy, die noch nicht gefunden wurde, ein Behinderter aber schon veruteilt wurde oder der Fall Kachelmann, der verhaftet wurde, weil sein Freundin ihn nach 18 Jahren der Vergewaltigung bezichtigte. :evil: :twisted:
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Triton
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http://www.swr.de/swr1/bw/programm/leut ... index.html
Wohl erst morgen als podcast oder video zum Anschauen.
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