Der Nachwuchs der Polizei

Grundgesetz, Gesetzesfragen, Wahlen, bundespolitische Ereignisse, Polizei

Moderator: Barbarossa

Tommy
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Beiträge: 4
Registriert: 09.01.2013, 18:36

Hallo,
ich bin neu hier, habe mich jetzt etwa 30 Minuten durch div. Foren hier geklickt und habe einen guten Eindruck. Ich war bereits Mitglied in einem anderen Forum, bin dort aber wieder raus, weil die geschichtlichen Diskussionen, wenn man nicht verbal verdroschen werden wollte, eine gewisse ideologische Einfärbung erforderten. Das hat mir nicht gefallen. Für Eingeständnisse von Verwandten, die im 2. WK auf deutscher Seite militärische Auszeichnungen erhalten haben (wie ich si hier gelesen habe), wäre man dort mit "Fragen" über die persönliche Einstellung in die rechte Ecke gestellt worden. Ich freue mich, dass das hier ganz offenbar nicht so ist.

Ich möchte über eine persönliche Erfahrung berichten und bitte um Eure Meinungen.
Ich bin Polizeibeamter und bilde hin und wieder Auszubildende im Rahmen ihrer Praktika, die sie zu absolvieren haben, aus.
Es ist wie überall, es gibt Interessierte und nicht so Interessierte, Kluge, nicht so Kluge usw.
Vor einer Weile hatte ich einen intelligenten jungen Mann mit einem abgebrochenen Studium (irgendwas mit Informatik), 27 Jahre alt. Er schockte mich nach einem Einsatz mit einem "unverbesserlichen Ewiggestrigen" mit der Äußerung, es sei doch vollkommener Quatsch gewesen, Mauerschützen und ehemalige Funktionsträger der DDR wegen der getöteten Flüchtlinge an der innerdeutschen Grenze vor Gericht zu stellen. Schließlich hätten die nur die damals bestehenden Gesetze befolgt, dafür könne man niemanden verurteilen. Außerdem werden heute noch an der Grenze zwischen den USA und Mexiko Mexikaner von amerikanischen Beamten beim illegalen Grenzübertritt erschossen und kein Hahn kräht danach.
Ich war kurz sprachlos, fasste mich dann jedoch. Mein Argument, dass man Flüchtlinge der DDR nicht mit illegal einreisenden Mexikanern vergleichen kann, ließ er nicht gelten. Auch den Hinweis, dass, würde das Argument der zur Tatzeit geltenden Gesetze greifen, man auch den einen oder anderen Kriegsverbrecher nach dem 2. WK kaum hätte verurteilen können, wollte er vom Tisch wischen. Denn dies sei ja "etwas ganz anderes".
Ich erläuterte ihm, dass die Begründung der Urteile, die sowohl bei Kriegsverbrechern als auch bei den Verantwortlichen für die Toten an der innerdeutschen Grenze zum Tragen kam, identisch war. Denn der Art. 103 GG stellt ja tatsächlich eine Hürde dar. Die Anwendung der sog. Radbruch'schen Formel verstellte den Tätern sowohl nach dem 2. WK als auch nach dem Zusammenbruch der DDR die Möglichkeit, sich hinter zur Tatzeit geltenden Gesetzen oder Anordnungen von Entscheidungsträgern zu verstecken. All diese Argumente konnten nicht zu ihm durchdringen. Es war ganz offensichtlich so, dass sein Empfinden von Gerechtigkeit von seiner politischen Einstellung abhängig war. Das ist nicht verboten, aber eignet sich so jemand für den Dienst in der Polizei in unserem Land? Ich habe da Zweifel. Wie will jemand, dessen Einstellung in dieser Weise derart gefestigt ist, für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung wie die unsrige einstehen? Weist er nicht charakterliche Mängel auf, die ihn für den Polizeidienst eigentlich als ungeeignet erscheinen lassen? Erschrocken bin ich auch, dass jemand, der wegen seines jungen Alters die DDR kaum bewusst erlebt haben kann, sich derart für die Funktionsträger und Diener dieses Staates verwendet. Wächst neben der rechts-vernebelten auch eine links-vernebelte Generation heran, und wir nehmen es nur nicht so wahr, weil es in den Medien nicht so präsent ist? Oder sehe ich das alles zu eng?
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Barbarossa
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Hallo und willkommen hier im Forum. Die Anrede in einem Internetforum heißt "du", das wirst ja sicher bereits mitbekommen haben.
:wink:

Zum Thema:
Ich denke, du siehst das vollkommen richtig. Auch ich frage mich nach deinen Ausführungen, ob jemand mit einer derartigen politisch/rechtlichen Einstellung für den Polizeidienst geeignet sein kann. Auch wenn er bei dir als "Azubi" in der Ausbildung ist und sicher auch noch Unterrichtsstunden in "Politischer Bildung" bekommen wird, sollte man mit 27 eigentlich bereits ein gewisses Rechtsbewusstsein und eine eigene politische Überzeugung entwickelt haben. Wenn er sich derartig äußert, könnte er natürlich durch sein Elternhaus in gewisser Weise "vorbelastet" sein. Ich beobachte es immer wieder, daß die Kinder oft die Meinungen und Ansichten der eigenen Eltern zumindest zum Teil übernehmen.
Deine Argumente sind durchaus gut und richtig. Es gibt selbstverständlich Unterschiede zwischen den Gesetzen im Rechtssystem einer Demokratie (Bundesrepublik) und einem totalitären Staat (Drittes Reich, DDR) - vor allem in der Funktion und der Entstehungsweise. Diese Unterschiede sollte er dringend erkennen können. Ansonsten hätte auch ich mit solch einem Polizisten im Dienste der Gesellschaft kein gutes Gefühl.
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Peppone
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Typischerweise sind es gerade auch immer die Intelligenten, die derart verbohrt sind. Sie sind offenbar so von sich überzeugt, dass sie denken, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben und anderen, die gegen sie argumentieren, schlicht intellektuell überlegen zu sein (sonst hätten diese anderen ja auf die gleichen Ideen kommen müssen wie sie) und daher per se recht zu haben.
Ich denke schon auch, dass der 27jährige eher gefährlich wäre, wenn er eine Polzeiunifrom samt zugehöriger Verantwortung tragen würde...vielleicht sollte man ihm mal den Unterschied zwischen "materialem" und "positivem" Rechtsstaat erklären.
Positiver Rechtsstaat meint, dass alles, was als Gesetz geschrieben steht, auch rechtens sein muss.
Materialer Rechtsstaat meint, dass alles, was als Gesetz geschrieben steht, auf Menschenrechte und Verfassungskonformität überprüft werden muss und erst, wenn diese Überprüfung positiv ausfällt, auch als rechtens angesehen werden sollte, mit der Einschränkung, dass eine weitere Überprüfung stets auch ergeben kann, dass das Gesetz eben doch nicht verfassungskonform ist. Dafür gibt es in der BRD das Verfassungsgericht als oberste Instanz. Beim materialen Rechtsstaat ist aber auch immer als weitere, erste Instanz das Gewissen des Einzelnen gefragt, der die Gesetze, die er ausführt, selber überprüfen muss. Das tut dein Kandidat eher nicht, geschweige denn, dass ihm die Funktion des BVerfG bewusst sein dürfte...

Beppe
thomso
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Meiner Meinung nach müssen die Bundesländer bei Ihren Einstellungen auch mal auf andere Faktoren wie nur einem PC-Test oder nur einem Sporttest schauen. Es kommt doch auf den Mensch an und nicht darauf, ob er irgendwelche Fremdwörter definieren kann. Da sollte sowas wie das Vorstellungsgespräch viel mehr zählen.
[b]Schöne Grüße
Thomas[/b]
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dieter
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thomso hat geschrieben:Meiner Meinung nach müssen die Bundesländer bei Ihren Einstellungen auch mal auf andere Faktoren wie nur einem PC-Test oder nur einem Sporttest schauen. Es kommt doch auf den Mensch an und nicht darauf, ob er irgendwelche Fremdwörter definieren kann. Da sollte sowas wie das Vorstellungsgespräch viel mehr zählen.
Lieber Thomso,
wie kann man Charakter bewerten :?:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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Barbarossa
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dieter hat geschrieben:... wie kann man Charakter bewerten :?:
Nun ja, bei der MPU (Idiotentest) wird genau das versucht. Den gibt es jedoch nur bei Führerscheinentzug.
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dieter
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Barbarossa hat geschrieben:
dieter hat geschrieben:... wie kann man Charakter bewerten :?:
Nun ja, bei der MPU (Idiotentest) wird genau das versucht. Den gibt es jedoch nur bei Führerscheinentzug.
Lieber Barbarossa,
hatte Gott sei Dank noch nichts damit zu tun. :wink: :mrgreen:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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Barbarossa
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Ich auch nicht. Kenne es auch nur vom Hörensagen.
;-)

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Suebe
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Ein paar Bemerkungen zum Thema:

Kurras, der Schütze dessen Kugel Benno Ohnesorgs tötete, war Westberliner Polizist und Stasi-Agent.
RedScorpion

Peppone hat geschrieben:Typischerweise sind es gerade auch immer die Intelligenten, die derart verbohrt sind.
...
Um Intelligenz steht es in Angelegenheiten der Psyche ähnlich wie mit der Psychoanalyse auf dem Gebiet der Wissenschaften; wer weiss denn, ob's das überhaupt gibt bzw. auch nur in den Ansätzen plausibel die Realität widergibt?

Und dann: Bezugspunkt zum Thema genau wo? Dass Charakter (auch so ein Waber- und Laberwort) "hohe" Intelligenz voraussetzt, und nur solche Leute in den Staatsdienst sollten? Oder nur die Besten? Hatten darüber die alten Griechen nicht schon entschieden?

Peppone hat geschrieben: ...
Sie sind offenbar so von sich überzeugt, dass sie denken, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben und anderen, die gegen sie argumentieren, schlicht intellektuell überlegen zu sein (sonst hätten diese anderen ja auf die gleichen Ideen kommen müssen wie sie) und daher per se recht zu haben.
...
Könnte genausogut sein, dass sie denken, dass andere zwar gute Ideen haben können, sie selbst aber im Umsetzen besonders gut sind. Oder andersherum. Oder sich unterlegen und verkannt fühlen, weil andere die Lorbeeren für ursprünglich auf ihrem Mist gewachsene Einfälle einheimsen.

Wer weiss das schon, und wozu sollen solche Spekulationen führen (aber das Thema beschäftigt Dich, das liest man z.T. deutlich in manchen Deiner Posts heraus)?

Tommy hat geschrieben: ...
Schließlich hätten die nur die damals bestehenden Gesetze befolgt, dafür könne man niemanden verurteilen.
...
All in all ja als Prämisse auch nicht falsch; die Frage ist, ob sie unumstösslich ist.


Tommy hat geschrieben: ...
Außerdem werden heute noch an der Grenze zwischen den USA und Mexiko Mexikaner von amerikanischen Beamten beim illegalen Grenzübertritt erschossen und kein Hahn kräht danach.
Ich war kurz sprachlos, fasste mich dann jedoch. Mein Argument, dass man Flüchtlinge der DDR nicht mit illegal einreisenden Mexikanern vergleichen kann, ließ er nicht gelten. Auch den Hinweis, dass, würde das Argument der zur Tatzeit geltenden Gesetze greifen, man auch den einen oder anderen Kriegsverbrecher nach dem 2. WK kaum hätte verurteilen können, wollte er vom Tisch wischen. Denn dies sei ja "etwas ganz anderes".
...
Da kann ich ihm sogar eher folgen als Dir,

denn der Unterschied zwischen Mauerschützen und Bewachern der US-Grenzen ist in meinen Augen deutlich kleiner als der zwischen Mauerschütze/Mauerbewacher und Kriegsverbrecher (insbesondere des NS).


Tommy hat geschrieben: ...
Die Anwendung der sog. Radbruch'schen Formel verstellte den Tätern sowohl nach dem 2. WK als auch nach dem Zusammenbruch der DDR die Möglichkeit, sich hinter zur Tatzeit geltenden Gesetzen oder Anordnungen von Entscheidungsträgern zu verstecken. All diese Argumente konnten nicht zu ihm durchdringen.
...
Wahrscheinlich auch deswegen, weil's keine sind. Jedenfalls keine überzeugenden. Zumindest nicht dann, wenn noch gar nicht geklärt ist, ob denn ein Mauerschütze überhaupt Menschen tötete, ob er die Freiheit hatte, nicht zu schiessen, ob das - böse Frage - überhaupt einen so grossen Unterschied gemacht hätte bei Selbstschussanlagen und Minenfeldern, ob seine Verantwortlichkeit stärker gewichtet wird als jene der Verantwortungs- und Entscheidungsträger, wenn ja, warum, und und und.

Ich sehe eher einen Vergleich, wenn wir schon den NS bemühen wollen, zwischen Mauerschützen und Wehrmachtsangehörigen, als zwischen Mauerschützen und Kriegsverbrechern. Wobei der durchschnittliche Wehrmachtsangehörige für wesentlich mehr Opfer und Leid verantwortlich war als ein Mauerschütze, zumindest von der Zahl der betroffenen Opfer augehend.

Und: Ist ein Mauerschütze, der sich zwar für den Dienst an der Mauer gemeldet hatte, abkommandiert war oder was auch immer, aber nie geschossen (oder nie getroffen?) hat,

einem NS-Funktionär gleichzusetzen, der an der Planung und Durchführung von Kriegsverbrechen zuständig war (also eigentlich, zumindest in Sachen Zwangsarbeiter, Deportation usw., jede piefige Stadtverwaltung), der auch nie einen Schuss abgab? :shock: Ich denke, wohl kaum.

Oder einem NVA-Angehörigen, der dazu abkommandiert war, im "Ernstfall" die Demokratie gewaltsam niederzurringen und die freie Welt zu erobern, mit allen Mitteln?
Oder Wachpersonal in Bautzen? Grenzbeamte an den offiziellen Durchlässen, deren Aufgabe u.a. war, Flüchtlinge aufzuspüren?


Ich will damit nicht sagen, dass ein Mauerschütze automatisch ein Engel ist/war/sei/wäre,

aber man sollte vllt doch die Kirche im Dorf lassen und Fall für Fall gesondert betrachten,

denn sonst entsteht nicht gänzlich unbegründet der Eindruck, man liesse sich an den Kleinen aus und die Grossen laufen.



P.S. Ich finde gut, dass Ihr/Du Euch/Dir solche Fragen stell(s)t,

aber es sind imho sehr schwierig zu beantwortende, gerade realpolitisch gesehen.



LG
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Barbarossa
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Nein RedScorpion, hier bist du ganz grundsätzlich auf dem Holzweg.
Ich hatte zu der Frage nach der Verantwortung in einem totalitären Staat bereits einen Denkanstoß zu geben versucht - hier nachzulesen: Verantwortung im Totalitarismus

Ich zitiere einmal den Teil zum Einsatz bei den Grenztruppen der DDR:
Bei der Musterung zur NVA („Nationale Volksarmee“ - die reguläre Armee der DDR) wurde ich neben der wohl in jeder Armee üblichen Prozedur (Auswahl der Waffengattung, Gesundheitsuntersuchungen usw.) auch gefragt, ob ich denn ein Problem darin sehen würde, auch an der Grenze eingesetzt zu werden.
Hier schrillten bei mir sofort sämtliche „Alarmglocken“ und ich meinte fast ohne zu überlegen, dass ich nicht auf Menschen schießen würde.
(...)
Zur Sicherheit gab ich auch an, dass ich Verwandte in Westen hatte und gab meinen Onkel an. Hierzu muss man sagen, dass ich wusste, dass man nicht an die Grenze kam, wenn man angab, dass man Westverwandtschaft hatte.
Ich ging hier also auf „Nummer Sicher“...
Allerdings muß ich dazu auch noch anmerken, daß bei mir ohnehin die "Wende" dazwischen kam und ich gar nicht zur NVA ging, sondern zum Zivildienst.
Doch jeder, der sich an der Grenze einsetzen ließ, mußte sich darauf einstellen, daß er flüchtende DDR-Bürger an der Grenze zumindest festnehmen mußte. Das wußte auch jeder, was dort geschieht. Es ist einfach die Frage, wo jeder moralisch steht. Auf bestehende Gesetze und auf Befehle haben sich auch schon die NS-Täter herauszureden versucht. Ich sehe hier keinen Unterschied.
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RedScorpion

Barbarossa hat geschrieben:Nein RedScorpion, hier bist du ganz grundsätzlich auf dem Holzweg.
...
Na, wenn Du es sagst ...
:wink:

Barbarossa hat geschrieben: ...
Ich zitiere einmal den Teil zum Einsatz bei den Grenztruppen der DDR:
Bei der Musterung zur NVA („Nationale Volksarmee“ - die reguläre Armee der DDR) wurde ich neben der wohl in jeder Armee üblichen Prozedur (Auswahl der Waffengattung, Gesundheitsuntersuchungen usw.) auch gefragt, ob ich denn ein Problem darin sehen würde, auch an der Grenze eingesetzt zu werden.
Hier schrillten bei mir sofort sämtliche „Alarmglocken“ und ich meinte fast ohne zu überlegen, dass ich nicht auf Menschen schießen würde.
(...)
Zur Sicherheit gab ich auch an, dass ich Verwandte in Westen hatte und gab meinen Onkel an. Hierzu muss man sagen, dass ich wusste, dass man nicht an die Grenze kam, wenn man angab, dass man Westverwandtschaft hatte.
Ich ging hier also auf „Nummer Sicher“...
Allerdings muß ich dazu auch noch anmerken, daß bei mir ohnehin die "Wende" dazwischen kam und ich gar nicht zur NVA ging, sondern zum Zivildienst.
Doch jeder, der sich an der Grenze einsetzen ließ, mußte sich darauf einstellen, daß er flüchtende DDR-Bürger an der Grenze zumindest festnehmen mußte. Das wußte auch jeder, was dort geschieht. Es ist einfach die Frage, wo jeder moralisch steht.
...
Aha. Is' ja schön.

Und worin besteht bitte der Unterschied zu einem NVA-Angehörigen, der potentiell von einem Unrechtsregime geschickt wird, den Westen zu erobern oder ggf. Demos niederzuschlagen wie Warschauer-Pakt-Truppen in Prag oder Budapest?

Barbarossa hat geschrieben: ...
Auf bestehende Gesetze und auf Befehle haben sich auch schon die NS-Täter herauszureden versucht. Ich sehe hier keinen Unterschied.
Mir ging's darum, dass das jenseits aller politischer Windrichtungen ein dicker Unterschied ist. Auf Flüchtlinge zu schiessen ist nicht nur unfein und moralisch fragwürdig, sondern tatsächlich in den meisten Fällen auch ein Verbrechen (aber wohl eben nicht a priori, wozu haben Grenzbeamten wohl sonst Schusswaffen, auch nach dem Ende der Verblichenen?),

an Völkermorden teilzunehmen, aber hallo, ja wohl ein anderes Kaliber.

Dachte eigentlich, das sei common sense.



LG
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Barbarossa
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RedScorpion hat geschrieben:... Und worin besteht bitte der Unterschied zu einem NVA-Angehörigen, der potentiell von einem Unrechtsregime geschickt wird, den Westen zu erobern oder ggf. Demos niederzuschlagen wie Warschauer-Pakt-Truppen in Prag oder Budapest?
Wenn du so fragst, dann bestand für mich zumindest der Unterschied darin, daß man mich fragte und ich hab den "Mund auf gemacht". Ich weiß nicht, wie viele das in der Situation noch gemacht haben. Aber nach der Mimik des Herren in Uniform zu urteilen, der vor mir saß, waren das nicht so viele.
:wink:
RedScorpion hat geschrieben:Mir ging's darum, dass das jenseits aller politischer Windrichtungen ein dicker Unterschied ist. Auf Flüchtlinge zu schiessen ist nicht nur unfein und moralisch fragwürdig, sondern tatsächlich in den meisten Fällen auch ein Verbrechen (aber wohl eben nicht a priori, wozu haben Grenzbeamten wohl sonst Schusswaffen, auch nach dem Ende der Verblichenen?),

an Völkermorden teilzunehmen, aber hallo, ja wohl ein anderes Kaliber.

Dachte eigentlich, das sei common sense.



LG
Da gibt es natürlich gravierende Unterschiede. Ich will da auch gar nichts relativieren - es ist natürlich ein Unterschied, ob Kriegsverbrechen begangen wurden oder ob in Friedenszeiten Grenzer auf "Republikflüchtinge" schossen und diese im Einzelfall so lange liegen ließen, bis sie verblutet waren. Ich denke, das kann man eigentlich gar nicht miteinander vergleichen.
Mir ging es dabei einzig um den Aspekt der sogenannten "Pflichterfüllung", bei der eben ohne nach der Moral zu fragen, alle Befehle ausgeführt werden - egal auch, wie verbrecherisch diese Befehle sind.

So. Und schon sind wir auch wieder beim Thema:
Nämlich bei der Frage, ob sich ein solcher Beamter (wie der, der oben beschrieben wurde) in einer entsprechenden Situation auch richtig verhalten würde. Ich habe da ernsthafte Zweifel.
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RedScorpion

Also, erstmal find' ich es richtig, dass man versucht zu differenzieren. Das vorweg.

Aber ich hab' manchmal den Eindruck, man sucht ein bisschen das Haar in der Suppe, um ggf. die Verantwortung anderer (oder eben gar die eigene) zu entlasten,

ganz unabhängig jetzt von z.B. der Ehemaligen.


Gutes Bsp. auch z.B. die Diskussion um Panzer- und Waffenlieferung an die Türkei in den 90ern, während einer Kurdistan-Offensive, und jetzt vor ein paar Monaten an Saudi-Arabien.
Diskutiert, teilweise am Anschlag auf der Anzeige der allgemeinen Debilität, wurde in der dt. Presse, ob denn diese Waffen in Kurdistan eingesetzt oder in S-A bzw. weitergeliefert an Bahrain zur Niederschlagung von Aufständen/Demos verwendet würden.

Als ob das eine Rolle spielen würde; ist doch dem Einzelnen völlig wurscht, ob er von einem deutschen Panzer niedergewalzt wird oder von einem einheimischen, in deutscher Lizenz, oder von einem britischen oder russischen;

Tatsache ist doch, dass deutsche Waffenlieferung diese Ressourcen überhaupt erst freimachen, ganz egal, ob jetzt ein deutscher Panzer in türkischen Diensten die Grenze zu Syrien sicherte oder durch ihn der "einheimischen" Panzer, der bis zum Tag davor diese Aufgabe hatte, nun für andere Zwecke freiwird.


Zurück zur Ehemaligen:

Jeder - das ist ja gerade ein Hauptmerkmal einer Diktatur - ist irgendwie eingebunden in den zumindest teilweise verbrecherischen Staatsapparat, und sei es nur in wirtschaftlicher Hinsicht (welche dem Staat das Weitermachen sichert). Jetzt auf Deubel komm raus über die Mauerschützen herzufallen und dabei die Hauptverantwortlichen völlig ausser Acht zu lassen, halt' ich für gewagt.

P.S. Schiessen ist eine Sache (wo ist der Unterschied zum Einrichten von Minenfeldern oder dem Bauen von Mauern, die Staaten auch wohlstandsmässig voneinander trennen, ohne reale Kriegsgefahr?), Verblutenlassen die andere (gab es dementsprechend Order?),

aber NVA und Polizeiapparat waren erwiesenermassen die grössere Bedrohung, nicht nur für den Westen, auch für die ehemalige Ostblock-Bevölkerung.

Die wurden aber zumindest teilweise in die Bundeswehr eingegliedert und kassieren heute dicke Pensionen und fühlen sich wie Bolle.

Findet Ihr das richtig?



LG
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Barbarossa
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Zumindest wurden alle im öffentlichen Dienst auf eine eventuelle Stasi-Tätigkeit überprüft. Wurde eine solche Tätigkeit festgestellt, wurden sie nicht übernommen.
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