Postume Änderung vermeintlich diskriminierender Wörter?

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Moderator: Barbarossa

Sollten vermeintlich diskriminierende Begriffe postum aus literarischen Werken entfernt werden?

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Renegat
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Beiträge: 2045
Registriert: 29.04.2012, 19:42

Karlheinz hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben:
RedScorpion hat geschrieben:Mir ist nicht so ganz klar, warum man sich autistisch an einem Wort, das einen Bedeutungswandel durchlaufen hat und heute eben sehr negativ besetzt ist, festklammern muss, damit ein Werk "authentisch" bleibt...
Mit einem Wort fängt es an. Irgendwann gefällt jemand anderem ein anderes Wort nicht und ändert dieses auch. Wo soll das enden, wenn jeder literarische Werke bekannter Autoren nach belieben einfach ändert, nur weil bestimmte Begriffe nicht mehr im aktuellen Sprachgebrauch verwendet werden?
Es ist natürlich eine Verfälschung und dagegen bin ich.
Man stelle sich nur mal vor, die Schriften von Walter von der Vogelweide würde man auf den aktuellen Sprachgebrauch umschreiben wollen.
:?
Kinderbücher, so habe ich gehört, hätten einen pädagogischen und einen literarischen Wert. Aus pädagogischen Gründen sei es sinnvoll, aktuelle Ausgaben zu verändern. Aus literarischen Gründen sollten parallel dazu aber die alten Ausgaben weiter bestehen bleiben.

Dies geschieht auch bei anderen Werken: Walter von der Vogelweide verstehe ich im Original praktisch gar nicht, deshalb gibt es parallel auch eine neue Ausgabe. Manche Bibeln von früher sind sehr altertümlich geschrieben und unterscheiden sich schon deutlich von neueren Exemplaren. In meiner alten Bibel steht: "Weiber", in der neuen Bibel "Frauen". Meine Sammlung deutscher Heldensagen, zur Nazizeit erschienen, ist auch in vieler Hinsicht anders als die Sammlung der gleichen Sagen, die ich kürzlich gekauft habe. Die gleichzeitige Existenz verschiedener Ausgaben ist nicht ungewöhnlich. Es spricht nichts dagegen, Inhalte zu überarbeiten, wenn man weiter auf die Originale zurückgreifen kann.
Das Thema Sprachwandel wurde bereits an verschiedenen Stellen diskutiert, einige hingen hier der "reinen Lehre" an, dass man das Original des Autors nicht verändern dürfe. Deshalb möchte ich von meinem aktuellen Selbstversuch berichten. Bassewitz "Peterchen Mondfahrt" ist ein Kinderbuchklassiker, fast genau 100 Jahre alt. Im Laufe meines Lebens habe ich es mehrfach gehört, gelesen oder vorgelesen. Das müssen jeweils verschiedene Versionen gewesen sein, denn ich erinnere mich nicht, jemals solche Probleme mit der Sprache gehabt zu haben. Nun lese ich es im Original einem Kind vor und muß sagen, dass ich schon nach den ersten Seiten begonnen habe, die vielen Verniedlichungen (-chen, -lein) abzuschneiden. Man kann heute nicht mehr Äugelein vorlesen, da sträubt sich die Zunge und man verkürzt automatisch zu Augen. Etliche altertümliche Wörter, die mir von der Bedeutung noch bekannt sind, wandle ich beim Vorlesen gleich in die moderne Entsprechung um. Täte ich das nicht, müßte ich ständig die Geschichte unterbrechen, um dem Kind das Wort zu übersetzen.
Das größte Problem habe ich aber mit der Darstellung eines Umstands, der für die Geschichte entscheidend ist. Die Geschichte ist eine Mischung zwischen Märchen und Science fiction und allgemein bekannt. Der Aufhänger ist der Verlust des 6. Beins eines Maikäfers durch Unfall, was zur Folge hat, das alle Nachkommen dieses Maikäfers in der Folge nur 5 Beine haben. Obwohl die Geschichte einerseits märchenhaft ist, sind die Alltagserzählungen aus dem Mensch- und Tierreich realistisch erzählt. Daher paßt die Vererbung einer Unfallfolge nicht in die Logik, das wäre anders, wenn sie klar als Fluch dargestellt würde. So aber ist man quasi gezwungen, dem kindlichen Zuhörer die Grundzüge der Vererbungslehre zu erklären, weglassen kann man diesen Teil im Original nicht. Ich werde testen, wie moderne Versionen mit diesem wissenschaftlich falschen Fakt umgehen.
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