Sind wir in unseren Entscheidungen frei?

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Moderator: Barbarossa

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Barbarossa
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Neurowissenschaft
Das trügerische Gefühl, frei zu entscheiden

Manches Verhalten folgt inneren Zwängen – kann man dann überhaupt noch von Schuld sprechen?
(...)
Subjektiv (...) erleben wir uns als Wesen, die frei sind, zwischen mehreren Möglichkeiten zu wählen. Wesen, die selbst entscheiden. Doch wer ist dieses „Selbst“? Auf jeden Fall ist es als Selbstbild in unseren Gehirnen präsent. „Das Gehirn funktioniert allerdings nach Regeln, die wir Menschen nicht gemacht haben“, konstatierte (Reinhard) Merkel.

Das fällt besonders auf, wenn Details des Regelwerks nicht „stimmen“. Wie zum Beispiel bei Menschen mit dem seltenen Williams-Beuren-Syndrom: Aufgrund einer genetischen Besonderheit können sie Gefahrenreize nicht erkennen. In Situationen, in denen andere Angst haben oder sich zum Kampf rüsten, feuert der Mandelkern ihres Gehirns nur unzureichend Signale...
weiter lesen: http://www.tagesspiegel.de/magazin/wiss ... 04,2814896

:idea: Beim lesen des Artikels fiel mir ein, daß ich vor einigen Jahren im Magazin P.M. einen ganz ähnlichen Artikel gelesen habe. Ich werde mal schauen, ob ich den noch finde.
:wink:
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elysian
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Diese Debatte wird seit über dreißig Jahren geführt, ich selber habe während meines Studiums an einem colloquium zum Thema "Strafen und Willensfreiheit" teilgenommen und mich davor und danach gerne mit diesem Thema befasst.

Ich möchte auf folgenden Teil des Artikels eingehen:
Doch kann man unter diesen Umständen einen Täter bestrafen, dessen Gewaltbereitschaft etwa durch einen angeborenen niedrigen Gehalt des Hirnenzyms MAO-A erhöht ist? Und der noch dazu von Kindesbeinen an mit Gewalt und schlechter Behandlung konfrontiert wurde, die sich in sein Gehirn „eingebrannt“ haben? Muss man nicht darüber hinaus grundsätzlich bezweifeln, dass je ein Mensch sich für ein Verbrechen „frei“ entschieden hat und deshalb Strafe „verdient“?
Die Alternative wäre, das ganze nicht mehr Strafe zu nennen und zwangsweise Therapien durchzuführen, wenn man annimmt, es handele sich um determiniertes Verhalten. Dann kann und muss man aber eigentlich danach unterscheiden, wie wahrscheinlich eine erneute Begehung ist. Folglich müsste eine solche Rechtslehre den notorischen Dieb länger aus dem Verkehr ziehen (und damit faktisch härter bestrafen) als den Mörder, dessen Mord durch Umstände hervorgerufen wurden, die so nie wieder eintreten werden. Hier könnte sich die Rechtsgemeinschaft tatsächlich jede Reaktion schenken.
Nun muss Recht aber auch irgendwo der Vorstellung von Gerechtigkeit entsprechen, damit es in der Gesellschaft Wurzeln schlägt. Wie groß ist wohl die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Recht durch die Rechtsgemeinschaft akzeptiert würde.
Ein Rechtssystem, dass sich auf diese "Grundlagen" stützt, Determinismus annimmt, müsste wie in Minority Report bereits vor der Tat handeln....
Ferner ist anzumerken, dass auch Menschen mit dem beschriebenen Defizit und unter ähnlichen Umständen groß geworden, nicht zwangsläufig zu Gewalttätern werden müssen. Es besteht nur ein erhöhtes Risiko!
Auch muss man wissen, dass das menschliche Gehirn bis zum Tode kein endgültiges Stadium erreicht, sondern sich permanent verändert. Auch deshalb stimmt der Spruch nicht "Der Vater säuft, die Mutter hurt, das wird bestimmt ne Missgeburt!".
Das Strafrecht verteidige nicht Güter, sondern handfeste Interessen der Gesellschaft, setzte Merkel dagegen. „Die Strafe ist eine symbolische Reparatur der gebrochenen Norm.“ Trotzdem bleibe ein ungutes Gefühl, weil zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit heute auch die Annahme gehöre, der Täter hätte im konkreten Fall auch anders handeln können. „Hier gibt es einen ‚peinlichen Rest’, um mit Goethe zu sprechen“, sagte Merkel.
Das ist der nächste Punkt. Es kommt im Strafrecht letztlich nicht wirklich darauf an, ob der Mensch in einem naturwissenschaftlichen Sinne frei ist.
Unsere Gesellschaft beruht jedenfalls auf einem Freiheit umfassenden Verständnis von Verantwortlichkeit. Danach können wir unterscheiden, ob jemand aus Ungeschick eine Delle in der Autotür verursacht (Stolpern) oder absichtlich (Treten). Es besteht wohl Übereinstimmung, dass jedenfalls der Ausgleich der Interessen des Täters und der Interessen des Opfers nicht bei Stolpern und Treten zu demselben Ergebnis kommen sollten. Wer stolpert, sollte nicht strafrechtlich angegangen werden, wer mit aller Gewalt gegen die Tür tritt dagegen schon. Wenn aber beide Bewegungen determiniert sind, entfällt die Grundlage für eine entsprechende Unterscheidung.
Ebenso bei der Unterscheidung zwischen Menschen mit und ohne Bewusstseinsstörungen.
Damit das Recht seine Funktion als sog. social engineering erfüllen kann, wird das Recht wohl gar nicht ohne einen Willen zur Entscheidung auskommen können.

Ferner möchte ich hierzu Stellung beziehen:
Das Unbehagen entstammt nicht zuletzt den Erkenntnissen, die wir der modernen Bildgebung verdanken. „Wenn wir die Aktivitätsmuster des Stirnhirns kennen, die für eine bestimmte Art von Entscheidung typisch sind, können wir sie voraussagen, und zwar einige Sekunden bevor die Person selbst darüber Bescheid weiß“, berichtete John Dylan Haynes vom Bernstein Center for Computional Neuroscience in Berlin.
Hieraus erkennen wir was? Dass der Wille offensichtlich nicht im Bewusstsein verankert ist. Was hilft uns das? Es hilft uns zunächst einmal, das Phänomen Bewusstsein zu beschreiben. Was aber Bewusstsein ist, wissen wir bis heute nicht sicher. Es gibt noch keine abschließende, allgemein anerkannte Definition.
http://de.wikipedia.org/wiki/Bewusstsein
Wie dieser Wille aber nun beschaffen ist, darüber sagen diese Experimente gar nichts aus. Dass er nicht im Bewusstsein verankert ist, lässt keinen Schluss zu, ob er frei ist oder nicht. Aus eigener Beobachtung kann ich auch sicher sagen, dass es vorkommen kann, dass der Impuls für eine Bewegung auf dem Weg ist, während im Kopf sogar bereits ins Bewusstsein gelangt der Alarm ertönt. Die Bewegung kann nicht mehr unterbrochen werden, aber man ist sich dennoch bereits bewußt, falsch zu handeln.
Andererseits habe ich schon, angeregt von dem Begriff "logique du coeur" darüber nachgedacht, ob wir wirklich zumeist rational nach den besseren Gründen und nach reiflicher Überlegung unsere Entscheidungen treffen. An dieser Stelle möchte ich meinem Philosophielehrer, Herrn Schneemann, herzlich für die zahlreichen Anregungen danken.
Jedenfalls kam ich bereits vor mehr als zehn Jahren für mich zu dem Ergebnis, dass wir zumindest vor allem das tun, was wir für gut und richtig empfinden, dass wir also zumeist intuitiv handeln, unserem Bauchgefühl folgen. Ich nannte das damals "affektiver Wille".
Aber es gibt auch andere Beispiele dafür, dass der Wille viel komplexer ausfallen kann. So ist das Bewusstsein sehr stark eingebunden, während wir bestimmte Handlungen erlernen, während einmal erlernte Handlungen später oftmals ins Unterbewusstsein abgeschoben und auch dort zuverlässig durchgeführt werden, obschon nach wie vor Entscheidungen notwendig sind. Man kann z.B. gleichzeitig Autofahren und dabei erlernte Inhalte so intensiv repetieren, dass man letztere Beschäftigung sehr bewusst erlebt, von der Fahrt hingegen praktisch nichts mitbekommt.
Es ist meiner Meinung nach sogar vorstellbar, dass der Mensch mehr als "einen" Willen hat.
Bisher gilt das allerdings nur für einfache Teilentscheidungen, und noch nicht einmal da ist die Prognose sicher. Beunruhigend ist aber, dass durch Stimulation bestimmter Hirnregionen in Versuchspersonen Absichten erzeugt werden können, die sie anschließend für ihre eigenen halten. Ist das, was sich daraus ergibt, noch ihre Handlung?
Diese Ergebnisse sind in der Tat beunruhigend, aber ich kenne die Tests und sie erreichten keinen absoluten Erfolg. Bei immerhin über 20% wurde nicht das gewünschte Ergebnis erzielt. Leider hat aber keine der Untersuchungen versucht, zu welchen Ergebnissen man käme, wenn die Person versuchen sollte, bestimmte Absichten zu unterdrücken. DAS würde tiefere Einblicke erlauben.


p.s.
Ich persönlich würde Bewusstsein stark vereinfachend als kognitive Wahrnehmung bezeichnen.
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MarcoZ
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Ich weiß nicht, ob ich die Thematik richtig erfasst habe. Es geht doch darum, dass Straftäter milder bzw.anders behandelt werden sollen, weil ihre Straftat von einem genetischen Faktor katalysiert wird?
Wie will man das denn einstufen? Dann kann doch auch jemand sagen: Ich bin aus genetischen Gründen nicht gut in Mathematik, deshalb habe ich keinen Beruf usw. und bin kriminell geworden.
Jedoch lässt sich nicht abstreiten, dass einige Menschen aus mir nicht nachvollziebaren Gründen sehr agressiv werden, also muss die Genetik da wie immer im Spiel sein. Ich bin doch in dieser Hinsicht eher rückschrittlich und versetze mich lieber in die Lage des Opfers und akzeptiere harte Strafen gegen Täter.
Eine Therapie ist doch ein Widerspruch, wenn man sagt es ist genetisch beeinflusst. Dagegen hat man doch keine Chance , wenn in bestimmten Situationen irgendein Hormon oder was auch immer gebildet wird und der Mensch die Kontrolle über sich verliert. Die einzige Chance sind meiner Meinung nach Medikamente, die es natürlich auch in einer Therapie gibt. Ich will nur sagen, dass man mit reden bei diesen genetisch veranlagten Menschen meiner Meinung nach nichts erreicht.
Theoretisch müsste doch der Trend dahin gehen ,dass es immer weniger Straftäter werden, bei genetischer Ursache. Straftäter kommt ins Gefängnis-->kann dadurch wahrscheinlich weniger Gene weitergeben-->agressives Gen verschwindet fast,sofern es nicht durch eine Mutation entstanden ist.
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Barbarossa
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MarcoZ hat geschrieben:...Jedoch lässt sich nicht abstreiten, dass einige Menschen aus mir nicht nachvollziebaren Gründen sehr agressiv werden, also muss die Genetik da wie immer im Spiel sein. Ich bin doch in dieser Hinsicht eher rückschrittlich und versetze mich lieber in die Lage des Opfers und akzeptiere harte Strafen gegen Täter.
Eine Therapie ist doch ein Widerspruch, wenn man sagt es ist genetisch beeinflusst. Dagegen hat man doch keine Chance , wenn in bestimmten Situationen irgendein Hormon oder was auch immer gebildet wird und der Mensch die Kontrolle über sich verliert. Die einzige Chance sind meiner Meinung nach Medikamente, die es natürlich auch in einer Therapie gibt. Ich will nur sagen, dass man mit reden bei diesen genetisch veranlagten Menschen meiner Meinung nach nichts erreicht...
Deshalb glaube ich auch, daß man nicht alles auf genetische Faktoren verkürzen kann - also anders, als in dem Beitrag jetzt dargestellt.
Ich denke, den weitaus größten Teil der Charaktereigenschaften und damit auch unseres Verhaltens sind erlerntes Verhalten, welches durch das Umfeld eines Menschen und damit durch die persönlichen Erfahrungen, die er gemacht hat, stark beeinflußt, wenn nicht sogar größtenteils gesteuert wird. Deshalb lautet eine uralte Weisheit: "Der Umgang formt den Menschen:"
Es gibt jedoch Situationen, in denen wir für unser Handeln nicht, oder nur eingeschränkt verantwortlich gemacht werden können - die sogenannten >Affekthandlungen<. Hier scheinen tatsächlich Abläufe im Gehirn stattzufinden, die wir nicht steuern können und wenn sich die Person ihr Handeln dann später noch einmal vor Augen hält, dann ist es selbst für diese Person nicht mehr erklärbar. Hier dürfte es sich tatsächlich um genetisch festgelegtes Verhalten handeln. Das gleiche dürfte übrigens auch für die Handlungen aus Notwehr zutreffen. In beiden Fällen wird wahrscheinlich die betreffende Person sagen: "Ich hätte nie geglaubt, daß ich zu sowas in der Lage bin."
Ich glaube aber, daß Handlungen im Affekt juristisch auch heute bereits durchaus gesondert berücksichtigt werden.
Handlungen aus Notwehr sind nach einwandfreiem Beweis ja sowieso straffrei.
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elysian
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Jedenfalls in unserem Recht gibt es kein Handeln im Affekt.
Hinsichtlich der Notwehr wird gerade nicht nur eine objektive Notwehrlage verlangt, sondern darüber hinaus auch ein Notwehrwille.
Dafür ist eine Notwehr nicht nur straffrei, sondern gar nicht erst rechtswidrig.
Hinsichtlich der Fälle, in denen objektiv oder subjektiv ein Mangel vorliegt (keine Notwehrlage/ kein Wille zur Verteidigung), gelangt die Rechtslehre nicht zur Rechtmäßigkeit des Verhaltens.
Zuletzt geändert von elysian am 08.06.2009, 00:57, insgesamt 1-mal geändert.
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MarcoZ
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Deshalb lautet eine uralte Weisheit: "Der Umgang formt den Menschen:"

Dem stimme ich natürlich auch zu, du hattest es jedoch schon im ersten Beitrag erläutert deswegen wollte ich es nicht nochmal erläutern, da ich es für mich richtig empfand.

Ich denke mal unser Recht hat das schon gut geregelt, besonders diese Gentests und Gespräche in denen man ein Gutachten erstellt wären nicht gerade kostengünstig.
Was bedeutet denn genau Notwehr, wie ich das kenne darf man doch dem Angreifer auch keinen extremen Schaden zufügen.
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Barbarossa
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MarcoZ hat geschrieben:Was bedeutet denn genau Notwehr, wie ich das kenne darf man doch dem Angreifer auch keinen extremen Schaden zufügen.
Wenn du dich gegen jemanden zur Wehr setzt, der dich z. B. mit einer Waffe bedroht, dann gehst du straffrei aus, selbst wenn der Angreifer dabei zu tode kommt, um dein eigenes Leben zu schützen.
So ist das mit der Notwehr.
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elysian
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Ganz so einfach ist es nicht.

A bedroht B mit einer Waffe. A und B sind alte Feinde. B will A deswegen schon lange ans Leben. B führt auch eine Waffe bei sich. Diese nutzt er reaktionsschnell und erschießt A.
Strafbarkeit?
Umstritten.
Sehr wenige Juristen verlangen nur die Notwehrlage.
Einige Juristen verlangen nur, dass B die Notwehrlage erkannte.
Die Mehrheit jedoch verlangt, dass B handelte, um sich zu verteidigen.
Ergo ist B nicht gerechtfertigt und wird bestraft.

A bedroht B in der Eingangstür mit einem Messer. A und B sind einander unbekannt. B könnte die Tür schnell zuschlagen. Er greift jedoch lieber zur Schusswaffe und erschießt A.
Eine Notwehrlage lag vor, die Notwehrhandlung muss jedoch erforderlich sein. Erforderlich sind geeignete Mittel. Es dürfte aber kein milderes Mittel gleicher Eignung in Betracht kommen. Die Schüsse sind geeignet, den Angriff abzuwehren. B hätte A aber auch einfach die Tür vor der Nase zuknallen können. Dieses Mittel hätte den Angriff ebenso gut abgewehrt, wäre aber milder.
Folge: Strafbarkeit des B, der nur gem. §33 StGB entschuldigt ist, wenn er z.B. in Panik zur Waffe gegriffen hätte.

B pöbelt den A an. A bedroht daraufhin B, beginnt dann auch, ihn zu schlagen. B greift zur Waffe und erschießt A.
Hier hat B den Angriff des A provoziert.
Folge: B darf nicht sofort zur Trutzwehr schreiten; er ist zunächst auf Maßnahmen der Schutzwehr verwiesen (z.B. Abblocken der Schläge).
B ist folglich strafbar

Im Unterschied zum rechtfertigenden Notstand nach §34 StGB erfolgt jedoch keine Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern.

A droht dem B, dessen wertvolle Briefmarkensammlung ins Feuer zu werfen. B könnte den A nicht anders aufhalten, als dass er auf ihn schießt und ihn dadurch tötet.

Im Rahmen der Notwehr wird nur geprüft, ob der Schuss geeignet war und ob es ein milderes Mittel gleicher Eignung gab.
Im Rahmen des rechtfertigenden Notstandes würde zusätzlich geprüft, ob der Schutz des einen Rechtsguts im konkreten Fall nicht außer Verhältnis zum verletzten Rechtsgut stand. Leben wird aber höher zu bewerten sein als Eigentum, dessen Verlust immerhin wirtschaftlich ersetzt werden kann. Also läge hier Unverhältnismäßigkeit vor, die den rechtfertigenden Notstand ausschließt.

Allerdings wird auch bei der Notwehr bei einem krassen Missverhältnis zwischen geschütztem Gut und verletztem Gut das Notwehrrecht verweigert.

Beispiel: Der kleine Nachbarsjunge klettert auf den Baum des gehbehinderten und sehr alten Nachbarn und verspeist das dort wachsende Obst. Der ältere Herr greift zum Gewehr und schießt auf den Jungen.
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Barbarossa
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Na ja gut - das sind nun alles sehr spezielle Fälle. Ich meinte damit eigentlich eher den klassischen Fall:
A geht eine Straße entlang und wird von B angegriffen, ohne daß A gleich klar ist, warum. A gelingt es, die Gegenwehr zu ergreifen und wehrt sich so heftig - möglicher Weise auch mit einem Gegenstand - daß B dabei so stark verletzt wird, daß er dabei zu Tode kommt (z. B. einige Zeit später im Krankenhaus).
Hier wird A ganz sicher straffrei beiben.
:wink:
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elysian
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Absolut zutreffend.
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Polit-Onkel
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elysian hat geschrieben:Jedenfalls in unserem Recht gibt es kein Handeln im Affekt.
Hinsichtlich der Notwehr wird gerade nicht nur eine objektive Notwehrlage verlangt, sondern darüber hinaus auch ein Notwehrwille.
Dafür ist eine Notwehr nicht nur straffrei, sondern gar nicht erst rechtswidrig.
http://de.wikipedia.org/wiki/Affekttat
http://de.wikipedia.org/wiki/Affekt#Rechtswissenschaft

Einzige Ausnahme der Straffreiheit bei Notwehr ist der asthenische Affekt (durch den Angriff entstandene Verwirrung, Schreck, Furcht).
elysian
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Polit-Onkel hat geschrieben:
elysian hat geschrieben:Jedenfalls in unserem Recht gibt es kein Handeln im Affekt.
Hinsichtlich der Notwehr wird gerade nicht nur eine objektive Notwehrlage verlangt, sondern darüber hinaus auch ein Notwehrwille.
Dafür ist eine Notwehr nicht nur straffrei, sondern gar nicht erst rechtswidrig.
http://de.wikipedia.org/wiki/Affekttat
http://de.wikipedia.org/wiki/Affekt#Rechtswissenschaft

Einzige Ausnahme der Straffreiheit bei Notwehr ist der asthenische Affekt (durch den Angriff entstandene Verwirrung, Schreck, Furcht).
Ich habe mich wohl missverständlich ausgedrückt.
Ich bezog mich auf diese Aussage:
Ich glaube aber, daß Handlungen im Affekt juristisch auch heute bereits durchaus gesondert berücksichtigt werden.
Handlungen aus Notwehr sind nach einwandfreiem Beweis ja sowieso straffrei.
Es gibt keinen Straftatbestand "Mord/Totschlag etc. im Affekt" (im Gegensatz zu den Vorläufern des StGB). Und Notwehr ist regelmäßig straffrei, weil das Handeln als rechtmäßig bewertet wird. Ob jemand Angst hatte, wird nur relevant, wenn z.B. die Notwehrhandlung ein Exzess und damit rechtswidrig war (str. ist, ob §33 StGB analog bei irrig angenommener Notwehrlage anzuwenden ist) und damit die culpa der Notwehr geprüft werden kann. Die Schuld kann dann bei den genannten Affekten entfallen.
Dass menschliches Handeln regelmäßig nicht frei von Affekten ist, versteht sich von selbst.
Es besteht aber ein Unterschied zwischen "Straftat xy mit Affekt" und "Straftat xy im Affekt". Ich hoffe, damit wird klar, was ich meine. ;)
Leider ist der erste Link auch sehr unpräzise. Der Zweite ist besser:
Affekte werden im Rechtsverkehr gewürdigt, wenn die handelnde Person durch sie in ihrer Geschäfts-, Delikts- oder Schuldfähigkeit beeinträchtigt oder zu einer strafbaren Handlung motiviert wird. Grundsätzlich schließen Affekte die Fähigkeit zur Teilnahme am Rechtsverkehr nicht aus.
"Affekttat" ist kein juristisch technischer Terminus, sondern ein populärer Sammelbegriff für Taten, bei deren z.B. strafrechtlicher Bewertung psychologische Begebenheiten strafmildernd oder strafausschließend wirken können. Exakter spricht man von "tiefgreifenden Bewusstseinsstörungen", wozu ein stark alkoholisierter Zustand(unzweifelhaft kein Affekt) zählt, während Interesse, Freude, Überraschung, Trauer, Wut, Ekel, Verachtung, Angst, Scham, Schuld regelmäßig keine Relevanz erlangen, obwohl diese durch Affekte ausgedrückt werden. Nur in pathologisch übersteigerter Form (Depression etc.) erlangen sie Bedeutung.
sic transit gloria mundi
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