Was ist Kapitalismus?

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Moderator: Barbarossa

ehemaliger Autor K.

Das Wort Kapitalismus wird ständig benutzt. Aber was bedeutet es eigentlich? Schnell wird deutlich, dass die Ansichten darüber weit auseinandergehen. Ich schlage jetzt einfach einmal ein renommiertes Wirtschaftslexikon auf und lese dann:

„Kapitalismus ist eine Wirtschaftsordnung, in dem die folgenden zwei Kriterien erfüllt sind:
Eigentumsform: Das Eigentum an den Produktionsmitteln ist grundsätzlich privat (Kapitalismus).
Koordinationsmechanismus: Die dezentral aufgestellten Pläne werden mit Hilfe des Preismechanismus auf dem Markt koordiniert.“

(Gablers Wirtschaftslexikon, 14.Aufl. Wiesbaden 1997, S.355)

Nanu, stimmt das? In unserer Gesellschaft existiert auch staatliches und genossenschaftliches Eigentum. Man müsste besser sagen: Das private Eigentum an Produktionsmitteln ist vorherrschend (hegemonial).

Aber Märkte und Pläne gab es auch früher schon. Dann wäre bereits die griechische oder römische Gesellschaft kapitalistisch gewesen oder das feudale Mittelalter. Dann ist der Kapitalismus praktisch ewig. Aber der Unterschied ist doch: Früher hat das Kapital lediglich die Distribution übernommen. Die Produktionsmittel gehörten den Produzenten, z.B. Bauern und Handwerkern. Die Produktionsmittel waren früher auch privat, doch im Kapitalismus gehören sie jetzt den Kapitalisten unmittelbar. Das Kapital ist aus der Distribution in die Produktion gewandert. Das ist doch der Unterschied. Und hier tauchen auch die Lohnarbeiter auf, die in der obigen Definition gar nicht erwähnt werden. Nein, das gefällt mir nicht. Suchen wir weiter:

„Die kapitalistische Produktionsweise vereinigt die Arbeitskraft lohnabhängiger Arbeitskräfte und die Produktionsmittel kapitalistischer Unternehmungen als Verkörperungen privaten Vermögens mit dem Ziel, ein Mehrprodukt zu erzeugen, das so weit wie möglich in zusätzliches Vermögen umgewandelt wird, wobei der ursprüngliche Vermögensbestand erhalten und erneuert wird.“
(Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Teil 2, Hamburg 1990, Seite 364)

Dies scheint mir schon etwas genauer zu sein. Es erinnert mich allerdings ein wenig an Marx und seine Formel G-W-G‘ (Geld-Ware-Mehr Geld) oder genauer G-W(konstantes und variables Kapital)…Produktion…W-G‘. Okay, aber von mir aus.

Vermissen tue ich aber den Hinweis auf den Wettbewerb. Dieser zwingt die Unternehmen, ständig ihren Gewinn zu investieren, um damit die Entwicklung voranzutreiben. Einen solchen Zwang gab es in den früheren Gesellschaften nicht, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß. Deshalb vollzog sich die Entwicklung früher sehr langsam, während sie im Kapitalismus mit atemberaubender Geschwindigkeit vor sich geht. Der grundlegende Unterschied zwischen dem Handels- und Wucherkapital in früheren Gesellschaften verglichen mit dem Industriekapital wird aber zumindest angedeutet. Damals produzierten die Menschen vorwiegend Gebrauchsgüter, um diese gegen andere zu tauschen (Ware-Geld-Ware). Jetzt haben wir es aber mit G-W-G‘ zu tun. Am Ende dieses Prozesses steht nicht eine neue Qualität, sondern eine neue Quantität. Und die soll unbegrenzt erhöht werden und ist die Ursache des Wachstums.

Und was sagt der große Stammvater der deutschen Soziologie, Max Weber? Er geht davon aus, dass eine Gesellschaft geprägt wird von Idealtypen, das sind Handlungstypen, die in einer Gesellschaft vorherrschend sind und diese dominieren. Im Kapitalismus ist es das Gewinnstreben:
„Ein kapitalistischer Wirtschaftsakt soll uns heißen zunächst ein solcher, der auf Erwartung von Gewinn durch Ausnützung von Tausch-Chancen beruht: auf (formell) friedlichen Erwerbschancen).
Kapital heißt die zum Zwecke der Bilanzierung bei Kapitalrechnung festgestellte Geldschätzungssumme der für die Zwecke des Unternehmens verfügbaren Erwerbsmittel."
Das Kapital ist also um der Kapitalrechnung willen da, diese aber "ist die Schätzung und Kontrolle von Erwerbschancen und -erfolgen durch Vergleichung des Geldschätzungsbetrages einerseits der sämtlichen Erwerbsgüter (in Natur oder Geld) bei Beginn und andererseits der (noch vorhandenen und neu beschafften) Erwerbsgüter bei Abschluss des einzelnen Erwerbsunternehmens oder, im Fall eines kontinuierlichen Erwerbsbetriebes: einer Rechnungsperiode, durch Anfangs- bzw. Abschluss-Bilanz."
(Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Köln Berlin 1964, S. 64).

Abschließend wird man einen Gewinn oder Verlust ermitteln. Kapitalismus ist Wirtschaft zum Erwerb von Gewinn und zwar ist die Gesellschaft dann kapitalistisch, wenn dieser „Idealtypus“, wirtschaften zum Zwecke der Gewinnmaximierung der vorherrschende, hegemoniale Handlungstyp ist.

Ansatzweise hat es so etwas schon immer gegeben, doch jetzt ist der Idealtypus hegemonial.

Weber unterscheidet den okzidentalen Kapitalismus der Neuzeit von früheren oder orientalischen Gesellschaften. Er nennt vier Punkte:

1.) „Der Okzident kennt in der Neuzeit daneben eine ganz andere und nirgends sonst auf der Erde entwickelte Art des Kapitalismus: die rational-kapitalistische Organisation von (formell) freier Arbeit
2.) Die Trennung von Haushalt und Betrieb….die rational Buchführung
3.) Der spezifisch moderne okzidentale Kapitalismus nun ist zunächst offenkundig in starkem Maße durch Entwicklungen von technischen Möglichketen mitbestimmt. Seine Rationalität ist heute bedingt durch Berechenbarkeit der technisch entscheidenden Faktoren: der Unterlagen exakter Kalkulation
4.) Fähigkeit und Disposition der Menschen zu bestimmten Arten praktisch-rationaler Lebensführung.


Zitiert nach: Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Köln Berlin 1964, S. 88 ff)

Max Weber ist wie immer ein wenig kryptisch, aber im Prinzip ähnelt seine Definition der zweiten. Kapitalismus ist eine Erwerbswirtschaft mit dem Zwecke der Gewinnmaximierung, basierend auf freier Lohnarbeit. Eine Gesellschaft ist dann kapitalistisch, wenn dieser Idealtypus hegemonial ist. Er erwähnt außerdem die Besonderheiten des heutigen Kapitalismus, um sie von früheren Perioden und von ausländischen Formen abzugrenzen.

Okay, ich lasse es jetzt gut sein. Es gibt noch viel mehr Definitionen, jeder kann selber einmal nachforschen.
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Marek1964
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Was mich interessieren würde, wurde der Begriff Kapitalismus nicht durch Karl Marx geprägt? Es gab ihn ja schon vorher, aber hat Marx nicht den Durchbruch dieses Begriffs gebracht?

Meine Frage ist auch, ob der Begriff "Kapitalismus" nicht negativ und pejorativ ist. Irgendwie schwingt da doch immer die "Ausbeutung" doch mit.

Hier in Tschechien sieht man diesen Begriff kaum noch in den Medien. Die Kommunisten haben ihn sooft verwendet, dass er als kommunistische Polemik nach 1990 nahezu verschwand. Wie sehen das ehemalige DDR Bürger?

Mich stört am Begriff des Kapitalismus die Fixierung aufs Geld, auf den schnöden Mammon, Geld regiert die Welt und solcher Quatsch.

Dabei können grossindustrielle Vorhaben nun einmal nicht anders als durch Zusammenschlüsse von Vermögen, aber auch Know-how, verschiedener Personen realisiert werden. Es sei denn der Staat erledigt das (was ja auch ein Zusammenschluss von Personen ist), aber es ist doch effektiver für die Gemeinschaft, wenn ein oder mehrere Individuen ihr Vermögen riskieren für eine neue Idee. Geht sie den Bach runter, Pech für die "Kapitalisten", die ihr Vermögen verlieren, macht es der Staat, wird das Geld der Steuerzahler versenkt. Ganz abgesehen, dass der Staat meist weniger Erfindergeist hat als unternehmerische Individuen.

Es wird beim Begriff "Kapitalismus" eben der Geist des freien Unternehmertums, des Wettbewerbs, des Erfindergeistes, aber auch der Risikobereitschaft, völlig unterschlagen.

Da ist mir die amerikanische Tellerwäscherphilosophie doch einiges sympathischer als diese Ausbeutungstheorie, die letztlích nichts anderes war, als der "sozialistische Wunderdoktor" (Bismarck), oder der Marxismus als "eine Medizin, die schlimmer war als die Krankheit" (George Soros), und die vor allem Neid als Basis hatte.
ehemaliger Autor K.

Marek1964 hat geschrieben:Was mich interessieren würde, wurde der Begriff Kapitalismus nicht durch Karl Marx geprägt? Es gab ihn ja schon vorher, aber hat Marx nicht den Durchbruch dieses Begriffs gebracht?

Meine Frage ist auch, ob der Begriff "Kapitalismus" nicht negativ und pejorativ ist. Irgendwie schwingt da doch immer die "Ausbeutung" doch mit.

Hier in Tschechien sieht man diesen Begriff kaum noch in den Medien. Die Kommunisten haben ihn sooft verwendet, dass er als kommunistische Polemik nach 1990 nahezu verschwand. Wie sehen das ehemalige DDR Bürger?

Mich stört am Begriff des Kapitalismus die Fixierung aufs Geld, auf den schnöden Mammon, Geld regiert die Welt und solcher Quatsch.

Dabei können grossindustrielle Vorhaben nun einmal nicht anders als durch Zusammenschlüsse von Vermögen, aber auch Know-how, verschiedener Personen realisiert werden. Es sei denn der Staat erledigt das (was ja auch ein Zusammenschluss von Personen ist), aber es ist doch effektiver für die Gemeinschaft, wenn ein oder mehrere Individuen ihr Vermögen riskieren für eine neue Idee. Geht sie den Bach runter, Pech für die "Kapitalisten", die ihr Vermögen verlieren, macht es der Staat, wird das Geld der Steuerzahler versenkt. Ganz abgesehen, dass der Staat meist weniger Erfindergeist hat als unternehmerische Individuen.

Es wird beim Begriff "Kapitalismus" eben der Geist des freien Unternehmertums, des Wettbewerbs, des Erfindergeistes, aber auch der Risikobereitschaft, völlig unterschlagen.

Da ist mir die amerikanische Tellerwäscherphilosophie doch einiges sympathischer als diese Ausbeutungstheorie, die letztlích nichts anderes war, als der "sozialistische Wunderdoktor" (Bismarck), oder der Marxismus als "eine Medizin, die schlimmer war als die Krankheit" (George Soros), und die vor allem Neid als Basis hatte.
Woher das Wort „Kapitalismus“ eigentlich kommt, ist nicht genau bekannt. Es entstand vermutlich im 18. Jahrhundert. http://de.wikipedia.org/wiki/Kapitalismus#Etymologie
Von Marx kommt es jedenfalls nicht. Und einen negativen Beigeschmack hat es wohl vor allem in Deutschland und in den früheren sozialistischen Staaten. Nicht aber in den angelsächsischen Gebieten, wie z.B. in den USA. Dort ist dieser Begriff keineswegs belastet und wird ganz selbstverständlich benutzt.
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Marek1964
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Interessant ist dieser link

http://money.cnn.com/2014/10/13/news/ec ... e-than-us/

Demnach mögen die Chinesen den Kapitalismus mehr als die Amerikaner.

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