Statistik und Geschichte

Informationen und Diskussionen über Wissenschaft und Forschung

Moderator: Barbarossa

ehemaliger Autor K.

Die Statistik ist heute ein unentbehrliches Merkmal in fast allen Bereichen geworden, um Prozesse und Abläufe zu verstehen und berechenbar zu machen. Schon seit mehreren Jahrzehnten findet sie auch verstärkt Anwendung in der Historischen Sozialforschung. Allerdings ist sie vielen Historikern noch nicht vertraut.

Vor einigen Wochen hatte ich vor Geschichsstudenten einen Vortrag über Quantitative Methoden in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften gehalten und festgestellt, das oft noch nicht einmal die einfachsten Grundbegriffe bekannt sind.

Daran hat sich den letzten Jahren nicht viel geändert, da Statistik kein Pflichtfach für die Studierenden ist. Dieses Fach ist allerdings generell nicht beliebt, da die Durchfallquoten in den Klausuren bei uns oft 50% betragen und viele Soziologen, Psychologen etc. verzweifeln daran. Die Formeln sehen häufig extrem schwierig und kryptisch aus, die Studenten benötigen zumindest mathematische Grundkenntnisse in der Infinitesimalrechnung, Matrizenrechnung, Stochastik, Logarithmen, Eulersche Zahl usw.…

Dabei liefert die Statistik eine Fülle von Informationen, etwa Zusammenhänge zwischen Bildung und Einkommen, Geschlecht und Wählerverhalten etc., um nur einige Beispiele zu nennen. Was für die Gegenwart funktioniert, sollte auch für die Vergangenheit gelten. Wir brauchen aber nicht nur Daten, sondern interessieren uns vor allem für ihre Zusammenhänge, den Korrelationen.

Generell unterscheiden wir:
Nominale Merkmale (Unterschiedsmerkmale) wie etwa Geschlecht oder Beruf und ihren Häufigkeiten.
Ordinale Merkmale (Rangmerkmale) heute z.B. heute Schulnoten.
Metrische Merkmale, (Abstandsmerkmale), die Differenzen zwischen Ausprägungen, wie z.B. Einkommen, Alter, Größe, Einwohnerzahl.

Zunächst sammeln wir diese Daten und in einem zweiten Schritt versuchen wir Korrelationen zwischen ihnen festzustellen. Dabei müssen wir unterscheiden zwischen Scheinkorrelationen und kausalen Zusammenhängen.

Eine Scheinkorrelation wäre z.B.: In einer Region wurde festgestellt, das immer dann, wenn die Storchenpopulation zunimmt, auch die Geburtenrate steigt. Bringt also der Storch die Kinder? Natürlich nicht, das ist eine Scheinkorrelation. Solche Zufälle gibt es häufig. Was ist aber, wenn in einem Stadtteil die Zahl der Ausländer zunimmt und gleichzeitig die Kriminalität steigt? Populisten behaupten dann immer sofort einen Zusammenhang, doch der Wissenschaftler braucht in einem solchen Fall noch viele weitere Variable mit quantitativen Ausprägungen, um dann mit einer sogenannten multiplen Regression festzustellen, ob es sich hier tatsächlich um einen kausalen Zusammenhang handelt oder nicht.

Die Vorgehensweise in der Statistik ist wie folgt: Man geht aus von der sogenannten Null-Hypothese (es gibt keinen Zusammenhang) und setzt ihr eine Alternativ-Hypothese gegenüber (es gibt einen Zusammenhang). Die vorhandenen Daten werden dann mit mathematischen Verfahren ausgewertet und erst dann, wenn die Wahrscheinlichkeit der Alternativ-Hypothese einen gewisse Signifikanz erreicht, in der Regel 95%, wird die Null-Hypothese aufgegeben. So vermeidet man Schnellschüsse.

Seit dem 19. Jahrhundert gibt es eine Fülle von statistischen Informationen, z.B. in Preußen in dem Statistischen Büro ab 1805. Aus den früheren Zeiten haben wir weniger Material.

Was den Statistiker interessiert sind vor allem: Demographische Entwicklungen, Geburten- und Sterberaten, Steueraufkommen, Preise, Löhne, Ernteerträge, Zahl der verschiedenen Berufe, Produktivität des Gewerbes, Betriebszählungen, Klimadaten usw. Aus ihnen können wir viel erfahren über den Aufbau der Gesellschaften, deren Gliederung in Schichten, Konsumgewohnheiten der gesellschaftlichen Gruppen, soziale Milieus, Vermögenverteilung usw. Die Instrumente sind auch hier die üblichen wie heute, wie z.B. die Lorenzkurve für die Einkommensverteilung oder den GINI-Koeffizienten für die Vermögensverteilung.

Dann können wir Korrelationen ermitteln: Zwischen Klimadaten und Ernteerträge, daraus resultierende Einkommensentwicklungen, Wanderungsbewegungen vom Land in die Stadt, etc.

Mit Hilfe der quantitativen Methoden und immer neuen Daten können wir die Vergangenheit und die gesellschaftlichen Abläufe in früheren Zeiten immer besser nachvollziehen. Es gibt bereits zahlreiche Studien, vor allem im Bereich der Regionalforschung, in denen so verfahren wird. Ich persönlich schätze immer noch die bereits älteren, aber immer noch hervorragenden Arbeiten von Wilhelm Abel über die Agrarentwicklungen in Deutschland.

Die Statistik ist also bestens geeignet zur Erforschung der Vergangenheit als Teil der historischen Sozialforschung und ist gleichwertig gegenüber der sogenannten Narrativen Geschichtsschreibung, die heute immer noch vielfach betrieben wird. Die Statistik bietet uns mathematische Verfahren an, die heute von immer größerem Nutzen sind.

Die Grenzen liegen dort, wo uns (noch!) nicht genügend Material vorliegt und problematisch ist die Bewertung der Stichproben, denn aus der Vergangenheit liegen uns oft immer nur Überreste vor. In der Gegenwart wissen wir in der Regel, wie groß die Stichprobe sein muss, um Rückschlüsse auf die Gesamtmasse ziehen zu können. Das ist aber für die Vergangenheit meistens nicht möglich.

Also, jeder Geschichtsstudent sollte sich mit diesen Dingen beschäftigen und ich hoffe sehr, dass diese Disziplin Pflichtfach im Studium wird, genauso wie übrigens auch Volkswirtschaft, Soziologie um nur einige zusätzliche Fächer zu nennen. (Die sind, soweit ich weiß, auch nicht überall vorgeschrieben als Ergänzung zum Geschichtsstudium)

(Wer sich für Statistik interessiert: Es gibt in jeder guten Buchhandlung diverse Literatur. Und wer das Programm EXCEL auf seinem Computer hat, kann auch die einfacheren Verfahren dort selber ausprobieren, z.B. die Korrelationskoeffizienten von Pearson, Regressionsrechnung, Chi-Quadrat-Test, Varianzanalysen usw.)

Siehe auch zur Einführung: Kersten Krüger, Historische Statistik, in: Geschichte, Hrsg. Hans-Jürgen Goertz, Reinbek 2007, S.66 ff.
Dort auch viele Hinweise auf Forschungsarbeiten.
Spartaner
Mitglied
Beiträge: 1649
Registriert: 25.12.2013, 23:36

Lieber Karl Heinz ,
das ist ein interessantes Thema . Wichtig bei den Statistiken ist auch, dass sie sauber und genau geführt werden. Dabei führt bei denen, die die Statistik führen, eine erwatungsabhängige Beobachtung oder eine selektive Wahrnehmung zu einen ungenauen Ergebns. Zudem kann man Ergebnisse durch falsch interpretierte Statistiken verschleiern.
Lia

Also, jeder Geschichtsstudent sollte sich mit diesen Dingen beschäftigen und ich hoffe sehr, dass diese Disziplin Pflichtfach im Studium wird, genauso wie übrigens auch Volkswirtschaft, Soziologie um nur einige zusätzliche Fächer zu nennen. (Die sind, soweit ich weiß, auch nicht überall vorgeschrieben als Ergänzung zum Geschichtsstudium)
Und das ist auch gut so.
Zu wissen, wie es geht und auf welcher Basis Statistiken beruhen, ist richtig, ob unabdingbar notwendig, dass nun jeder Historiker auch Statistiker wird und irgendwelche Rechenaufgaben lösen muss, ist fraglich. Selbiges mit Volkswirtschaft und Soziologie in extenso.
Grundmechanismen muss man verstehen, das reicht dann für den Haus- und Schulgebrauch- und auch für viele Bereiche der wissenschaftlichen Arbeit.
Im Referendariat haben wir die von Dir gewünschten Grundkenntnisse- so nicht vorhanden- vermittelt bekommen, und auch, welche Grundlagen Schüler brauchen, um eigene Statistiken zu erstellen,bzw.Statistiken kritisch auszuwerten und zu hinterfragen.
Spartaner
Mitglied
Beiträge: 1649
Registriert: 25.12.2013, 23:36

Ein interessantes Buch zu diesem Thema, welches ich mir gerade zu Gemüte führe ist : "Empirische Sozialforschung" von Andreas Diekmann
ehemaliger Autor K.

L
ia
Und das ist auch gut so.
Zu wissen, wie es geht und auf welcher Basis Statistiken beruhen, ist richtig, ob unabdingbar notwendig, dass nun jeder Historiker auch Statistiker wird und irgendwelche Rechenaufgaben lösen muss, ist fraglich. Selbiges mit Volkswirtschaft und Soziologie in extenso.
Das finde ich eigentlich nicht. Ich hatte später festgestellt, dass die Lehrer uns häufig, wenn es um wirtschaftliche Zusammenhänge in der Vergangenheit ging, uns falsche Informationen gegeben hatten. Für Lehramtskandidaten gibt es in Hamburg eine Veranstaltung: Einführung in die Volkswirtschaft (ein Semester).

Die ist aber mehr als dürftig. Im Rahmen der Interdisziplinarität sollte hier mehr gemacht werden.
Und wer auch Gemeinschaftskunde unterrichtet (gibt es dies Fach überhaupt noch?), müsste sich auch in Soziologie und Politologie gut auskennen.
Dass man in Statistik nicht die ganze Mathematik pauken soll, ist klar. Dass man aber im Referendariat jetzt Grundkenntnisse vermittelt bekommt, das wusste ich nicht und das ist natürlich lobenswert.

Die Studenten, vor denen ich gesprochen hatte, kannten allerdings nicht einmal solche Begriffe wie Median oder Standardabweichung. Und das geht einfach nicht, dann kann man keine Statistik verstehen.
ehemaliger Autor K.

Spartaner hat geschrieben:Ein interessantes Buch zu diesem Thema, welches ich mir gerade zu Gemüte führe ist : "Empirische Sozialforschung" von Andreas Diekmann
Ja, das Buch ist nicht schlecht. In der gleichen Reihe ist erschienen: Günter Buttler/Klaus Oeckler, Einführung in die Statistik, Rowohlt Enzyklopädie 55707, heruntergesetzt auf 4,95 Euro.

Ich empfahl den Studenten immer für meine Statistikvorlesung das Buch von Thomas Benesch, Schlüsselkonzepte zur Statistik, Springer Verlag, heruntergesetzt auf 7,95 Euro
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Spartaner hat geschrieben:Lieber Karl Heinz ,
das ist ein interessantes Thema . Wichtig bei den Statistiken ist auch, dass sie sauber und genau geführt werden. Dabei führt bei denen, die die Statistik führen, eine erwatungsabhängige Beobachtung oder eine selektive Wahrnehmung zu einen ungenauen Ergebns. Zudem kann man Ergebnisse durch falsch interpretierte Statistiken verschleiern.
Lieber Spartaner,
um mit Churchill zu sprechen:"Ich glaube nur der Statistik, die ich selber gefälscht habe." :wink: :mrgreen:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Lia

Just, um Statistiken richtig und kritisch lesen zu können, verstehe ich das Ansinnen von Karlheinz im Grundsatz durchaus, ebenso wie seine Gedanken zu Volkswirtschaft und Soziologie.
Nur muss man sich die Frage stellen, wie die Gewichtung sein sollte,- zumal für Lehramtsstudenten, denn - jetzt auf Statistik bezogen- ist dies nur eine methodisch- didaktische Möglichkeit von vielen im Geschichtsunterricht.
Wieder aber: Notwendig ist die Abteilung fächerübergreifend, weil es z.B. in Erdkunde sehr häufig gefordert ist. Krass: Totaler Fachidiot darf man wirklich nicht mehr sein, mal gar nicht in der Oberstufe, da sind private Anstrengungen selbstverständlich wie auch Fortbildungsveranstaltungen Pflicht.
Wenn ich die engen Pläne der Zwei-Fächer LA Studis von heute sehe, wird es eng für solche intensiven Zusatzfächer mit Leistungsnachweis. Dabei bin ich in Schule wie Uni überzeugt von vernetztem, interdisziplinärem Lernen.
Lehrer und Lernende müssen Grundzüge kennen, wissen, um bei dem Thea Statistik zu bleiben, wie man kritisch an Statistiken herangeht, nur- und nun aus der Praxis, darf man solches in den Unter- und Mittelstufen nicht zu oft einsetzen, das verschreckt viele gerade jüngere, sonst ( selten genug) interessierte SchülerInnen.
Schuld am mangelnden Interesse sind nicht unbedingt die Lehrer, viel öfterdie Eltern, die alles, " was alter Kranm" ist, überflüssig finden, ganz gleich, wie man es präsentiert. :)
Spartaner
Mitglied
Beiträge: 1649
Registriert: 25.12.2013, 23:36

Karlheinz hat geschrieben:
Ja, das Buch ist nicht schlecht. In der gleichen Reihe ist erschienen: Günter Buttler/Klaus Oeckler, Einführung in die Statistik, Rowohlt Enzyklopädie 55707, heruntergesetzt auf 4,95 Euro.

Ich empfahl den Studenten immer für meine Statistikvorlesung das Buch von Thomas Benesch, Schlüsselkonzepte zur Statistik, Springer Verlag, heruntergesetzt auf 7,95 Euro
Lieber Karl Heinz,
danke für den Literaturtip.
Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag

Zurück zu „Wissenschaft und Forschung“