Der Sozialismus - Eine politische Theorie

Allgemeine politikwissenschaftliche Diskussionen

Moderator: Barbarossa

Marianne E.
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Der Sozialismus - Eine politische Theorie
Von: Marianne Eule
 
Der Begriff Sozialismus wird vielfach verunglimpft. Zu Unrecht. Was bewiesen wird.
 
Was bedeutet Sozialismus?
Der Begriff 'Sozialismus' als solcher entstand im 19. Jahrhundert und gehört neben dem Konservatismus und Liberalismus zu den wichtigsten politischen Ideologien. Dazu ist aber anzumerken, dass politische Ideologien nicht eindeutig zu definieren sind und je nach Epoche und Staatsform unterschiedlich interpretiert und gelebt werden.
 
Gegenwärtig und historisch betrachtet, bestehen in vielen Staaten Systeme, die ihr Staatswesen mit 'Sozialismus' charakterisieren, die jedoch gemeinhin als autoritäre oder totalitäre Systeme einzuordnen sind.
 
Vielfach wird der Sozialismus gleichgesetzt mit dem Vorhandensein sozialer Institutionen auf Gesetzesbasis; oder aber Verwendung findet im Kampf gegen den Kapitalismus und für das Eintreten zur Lösung von sozialen Fragen. Das ist zu kurz gegriffen, da diese Kategorien nur eine Beimengung des Sozialismus ausmachen.
 
Was ist eine politische Theorie?
Sowohl der Sozialismus als auch die politische Theorie sind einen langen Weg gegangen.
Er reicht von Sokrates über Platon und Aristoteles, von Thomas von Aquin zu Max Weber und Oswald von Nell-Breuning bis hin zu Helmut Schmidt, um nur einige zu nennen. Zudem reichen die Spuren des Sozialismus weit zurück und sind etwa 5000 Jahre alt.
 
Die politische Theorie ist zugleich eine politische Philosophie, in der es einmal um normative Fragen geht, wie zum Beispiel die nach dem Sinn und Wesen des Staates und der Gesellschaft. Ziel ist das Handeln, nicht das Erkennen um seiner selbst willen.
Zum zweiten geht es aber auch um eine empirische Analyse der Beschreibung, Erklärung und Prognose der Wirklichkeit, die im Ergebnis ohne Einschränkung wertfrei sein muss.
 
Der Sozialismus wird über die Jahrhunderte hinweg beschrieben, angezweifelt und bisweilen verzweifelt versucht, ihn zu verwirklichen.
 
Helmut Uhlig beschreibt in seiner Schrift "Die Sumerer" den Sozialismus vor 5000 Jahren. Sumers Sozialismus war nicht eine Art von Urkommunismus oder die Ausprägung einer klassenlosen Gesellschaft. Die sozialistischen Elemente zeigten sich in der Tatsache, dass die Sumerer keinen Privatbesitz kannten und Grund und Boden der Tempelverwaltung gehörten. Deshalb spricht Uhlig hier auch von einem theokratischen Sozialismus. Im Verlauf der sumerischen Geschichte wurde das Dogma "Kein Privatbesitz" nach und nach aufgehoben, da sich die Erkenntnis durchgesetzt hatte, dass Privatbesitz die Kreativität und den Fleiß fördert.
 
Sokrates (470-399 v.Chr.) hinterließ zwar nichts Schriftliches, jedoch gelang es seinem bedeutendsten Schüler Platon, die Lehren des Sokrates für die Nachwelt zu bewahren.
Für Sokrates waren das gesetzlich Vorgegebene und die Gerechtigkeit eine Einheit und mit diesem vermeintlich schlichten Anspruch bleibt Sokrates bis in die Gegenwart ein Mahner.
Marcus Tullius Cicero (196-43 v.Chr.) schreibt dazu: "Sokrates hat die Philosophie vom Himmel auf die Erde geholt und die Menschen gezwungen, über Gut und Böse nachzudenken."
 
Platon (427-347 v.Chr.) war auf der Suche nach dem idealen Staat, einer gerechten Ordnung und betrachtete die Tugend als Voraussetzung für Wohlergehen. Platon war für die Beseitigung unzweckmäßiger Einrichtungen und Aufhebung des Privateigentums.
 
Aristoteles (384-322 v.Chr.) präzisierte als Schüler Platons dessen Theorien und schlussfolgerte, dass die Politik als Theorie der Gesamtheit eine Orientierung für eine wertvolle Gesellschaft zu sein hat. Unabdingbar war für Aristoteles gutes Regieren, sittliches Verhalten, gute wirtschaftliche Voraussetzungen, Freiheit und Gleichheit der Menschen.
 
Thomas von Aquin (1225-1274) systematisierte die Schriften Aristoteles' und konnte sie nach Widerständen mit Kirchenoberen in die Kirchenlehre einfügen. Er schuf damit die Verbindung zwischen dem Glauben und der Wissenschaft. Das war gleichzeitig der Beginn der christlichen Soziallehre. Für Thomas von Aquin waren Glaube und Vernunft elementare Bestandteile seiner Theorien und, wie bei Aristoteles, dass das Gemeinwohl stets vor Eigennutz kommt.
 
Max Weber (1864-1920) konzentriert sich auf das aus dem Sozialismus resultierende soziale Handeln.
Dabei beschreibt er unterschiedliche Möglichkeiten, die sich aus dem zweckrationalen Handeln ergeben, dem wertrationalen Handeln, dem leidenschaftlichen Handeln und dem traditionellen Handeln.
Das ist nicht so leicht zu analysieren. Weber selbst sieht in diesen Handlungstypen kausale Hypothesen, die der empirischen Forschung dienen sollen.
1. Zweckrational könnte übersetzt werden mit Gesetzmäßigkeit und Gerechtigkeit.
2. Wertrational bedeutet demnach Freiheit und Gleichheit der Menschen und Gemeinwohl geht vor Eigennutz.
3. Leidenschaft für die Sache, der Schaffung eines idealen Staates.
4. Traditionell kann durch Zweckrational zwar nicht ersetzt, aber gleichgesetzt werden.
 
Oswald von Nell-Breuning (1890-1991) war nicht nur ein katholischer Theologe, er war auch ein Nationalökonom und Sozialphilosoph. Von ihm gibt es eine grundsätzliche Betrachtung über die Funktionen des Eigentums und der kapitalistischen Wirtschaftsform. In dieser kam zum Ausdruck, dass es zu einer Sozialbindung des Eigentums kommen müsse. Nell-Breuning trat für eine Neuordnung von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat ein und sah im Mittelpunkt den Ausbau des Sozial- und Rechtsstaates. Sein Lehrsatz galt der Verantwortung für eine solidarische Gesellschaft mit Gerechtigkeit in Freiheit.
 
Helmut Schmidt (1918-2015) war ein Staatsmann und Moralist. Er selbst sah sein politisches Wirken in der Tradition von Max Weber. Wichtig war für Schmidt eine realitätsbezogene Politik mit moralischem Pflichtbewusstsein. Dazu gehörten die Fragen eines gerechten sozialen Ausgleichs, verbunden mit einer Vollbeschäftigung als Garant für einen funktionierenden Staat. Für die Umsetzung besaß Schmidt gewissermaßen eine verantwortungsvolle Macht, die er mit Vernunft und Leidenschaft ausübte.
 
 
Zusammenfassung der Thesen
 
Sokrates: "Das Gesetzmäßige und die Gerechtigkeit sind eine Einheit."
 
Platon: "Idealer Staat, gerechte Ordnung, Tugendhaftigkeit, Aufhebung von Privateigentum."
 
Aristoteles: "Gutes Regieren, sittliches Verhalten, wirtschaftliche Voraussetzungen, Freiheit und Gleichheit der Menschen."
 
Thomas von Aquin: "Glaube und Vernunft, Gemeinwohl vor Eigennutz, christliche Soziallehre."
 
Max Weber: "Zweckrational - Gesetzmäßigkeit, Gerechtigkeit. Wertrational - Freiheit, Gleichheit, Gemeinwohl vor Eigennutz. Leidenschaft - idealer Staat."
 
Oswald von Nell-Breuning: " Sozialbindung des Eigentums, Ausbau Sozial- und Rechtsstaat, solidarische Gesellschaft, Gerechtigkeit, Freiheit."

Helmut Schmidt: "Realitätsbezogene Politik, soziale Gerechtigkeit, Macht, Vernunft und Leidenschaft."
 
 
Fazit
Fast könnte man meinen, die Philosophen und Wissenschaftler hätten voneinander abgeschrieben, lediglich für ein und demselben Sachverhalt andere Begriffe verwendet.
 
 
Individuelles Fazit
In nahezu allen westlichen Demokratien hat der Sozialismus Verfassungsrang und ist sozusagen (beinahe vollständig) verwirklicht.
Komme ich jetzt auf den Scheiterhaufen?
 
 
Quellen
Aristoteles - Übersetzung und Nachwort von Franz Dirlmeier (1997): Nikomachische Ethik, Stuttgart.
Bahro, Rudolf (1977): Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus, Frankfurt.
Bermbach, Udo (Hrsg.) (1984): Politische Theoriengeschichte, Opladen.
Habermas, Jürgen (1968): Erkenntnis und Interesse, Frankfurt am Main.
Lieber, Hans-Joachim (Hrsg.) (2000): Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart. 4. Aufl., Bonn.
Platon - Übersetzt und Herausgegeben von Karl Vretska (1991): Der Staat. (Politeia), Stuttgart.
Popper, Karl R. (1948): Logik der Forschung, Tübingen.
Thomas von Aquin - Übersetzung von Friedrich Schreyvogl (1994): Über die Herrschaft der Fürsten, Stuttgart.
Uhlig, Helmut (1976): Die Sumerer. Volk am Anfang der Geschichte, München.
Weber, Max (1924): Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik, Tübingen.
Feldwebel57
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Es fällt mir schwer , für diesen Beitrag die richtigen Worte zu finden , der sehr viel Arbeit gemacht haben muß .
Der Inhalt geht unter die Haut !
So kann ich nur einfach ein ganz herzliches " DANKE " schreiben !
Cherusker1
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Es ist super interessant an die Wurzeln heranzugehen.

Der real praktizierte "Sozialismus " des 20. Jahrhunderts stellte die Thesen der Philosophen total  auf den
Kopf.
Deshalb ist es sehr wichtig an die Grundlagen herangeführt zu werden
Ein großes Danke der Verfasserin
]Wer zur Quelle will, muss gegen den Strom schwimmen
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Barbarossa
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Interessanter Beitrag, auch wenn ich schon beim Wort ,,Sozialismus'' Schnappatmung bekomme.

Nur mal kurz zur Frage: ,,Komme ich jetzt auf den Scheiterhaufen?''
Soweit ich weiß, wurde die Inquisition eingestellt. (Ich glaub, es gab einfach zu viele Hexen oder so... ) :-D
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Marianne E.
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Ich glaube nicht, dass die Inquisition eingestellt ist. Man zündelt heute subtiler.

Übrigens, es gibt zu wenig Hexen.
Also, Hexen aller Länder vereinigt euch. Wetten, dass die Feuerwerker dann Muffensausen bekommen?
Feldwebel57
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Hm , könnte es sein , daß die soziale Marktwirtschaft nicht allzuweit vom Sozialismus entfernt ist ?
Mal abgesehen von den Eigentumsverhältnissen .
Jim Morisson

Feldwebel57
Hm , könnte es sein , daß die soziale Marktwirtschaft nicht allzuweit vom Sozialismus entfernt ist ?

Mal abgesehen von den Eigentumsverhältnissen .


Oh nein, davon kann überhaupt keine Rede sein. Denn die Eigentumsverhältnisse sind der ganz entscheidende Unterschied. Daraus leiten sich dann auch die verschiedenen politischen Strukturen ab. In meinem Lexikon steht über Sozialismus
 
"Sozialismus gezeichnet eine der großen politischen und ideologischen Strömungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Sein Kern liegt in der Neugestaltung der Wirtschaftsordnung durch Überwindung der kapitalistischen Eigentums-, Ausbeutungs- und Klassenverhältnisse zugunsten einer gesellschaftlich gesteuerten und egalitär geordneten Ökonomie" (Kleines Lexikon der Politik, München 2015, S.608)

Der Sozialismus ist vor allem eine Reaktion auf soziale Ungleichheit, und die wird nach Meinung der Sozialisten durch das Privateigentum an Produktionsmitteln hervorgerufen, denn mit denen werden ihrer Auffassung nach Menschen ausgebeutet. Die Sozialisten wollen deshalb das Privateigentum abschaffen und durch Kollektiveigentum ersetzen. Im Kommunistischen Manifest steht auch ausdrücklich, dass die Abschaffung des Privateigentums das Ziel der Bewegung um Marx und Engels ist. Deren Ideen nannte man später wissenschaftlichen Sozialismus im Gegensatz etwa zum utopischen Sozialismus.

Sie glauben, dass nach Abschaffung des Privateigentums und der Errichtung des Kollektiveigentums (volkseigene Betriebe oder wie die sich nennen mögen) die Ursache von Gier, Neid, Unterdrückung verschwindet.

 Ich glaube nicht, dass das geht. Vielleicht widerspricht dies auch dem Wesen des Menschen. Und weil die Sozialisten merkten, dass die Leute ihnen nicht folgten, griffen sie überall zum Mittel der Diktatur. Leninismus, Stalinismus, Maoismus, das sind die besonders üblen Spielarten des Sozialismus.

Die soziale Marktwirtschaft hingegen ist eine kapitalistische Wirtschaftsform, die auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln basiert. Da eine Marktwirtschaft aber zu gewaltigen sozialen Verwerfungen führt, muss der Staat eingreifen, um dies zu verhindern, durch eine soziale Gesetzgebung. Den Anfang machte ja schon Bismarck im 19. Jahrhundert mit seiner Sozialgesetzgebung. Die wurde in Weimar weiter entwickelt und die BRD knüpfte daran an. Die soziale Marktwirtschaft ist ein Gegenmodell zum Sozialismus der DDR.

Die soziale Marktwirtschaft hat eine Demokratie als Voraussetzung, der Sozialismus funktioniert offenbar nur mit einer Diktatur
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Barbarossa
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Dass Sozialismus nur unter den Bedingungen einer Diktatur funktionieren würde, das wussten auch schon Marx und Engels. Darum: ,,Diktatur des Proletariats''. Im Zuge einer Revolution der Arbeiterschaft unter der Führung einer Kommunistischen Partei sollte diese die politische Macht im Staat erringen und auch nicht mehr abgeben, damit anschließend die ökonomischen Ziele erreicht werden können. Die praktische Umsetzung dieser Lehre war dann der real-existierende Sozialismus im 20. Jh. und ansatzweise ja auch noch heute in verschiedenen Ländern der Welt. Etwa Venezuela als neuestes abschreckendes Beispiel.
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Marianne E.
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Wenn ich auch konstatieren muss, dass die wissenschaftlichen Definition von "Sozialismus" und "Politische Theorie" nicht die Beachtung findet, die ihr gebührt, ist doch sicherlich jedem aufgefallen, dass der sogenannte Sozialismus in allen sozialistischen Ländern unterschiedlich interpretiert wird.

Marx und Engels hatten eine andere Vision, aber beide wussten, dass der Sozialismus nicht gegen den Kapitalismus zu verwirklichen ist.
Nicht gegen, aber mit. Und dafür sind demokratische Strukturen erforderlich.

Daraus einen Umkehrschluss abzuleiten, ist schon sehr mutig.

Der Sozialismus ist älter als Karl Marx und Friedrich Engels. Bei sind als Philosophen in der Geschichte präsent. Zu Recht und deshalb sollten sie auch vollständig, unter Beachtung der Zeit, in der sie lebten, gelesen werden. 
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Barbarossa
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Letztlich sollte der Kapitalismus aber durch eine sozialistische Ordnung ersetzt werden. Dies sei nach Marx und Engels aber erst möglich, wenn sich der Kapitalismus voll entwickelt hat und das Proletariat die Bevölkerungsmehrheit in der Gesellschaft stellt (und nicht mehr die Bauern).
Lenin wich in Russland von dieser Reihenfolge ab und startete seine Revolution in einer überiegenden Agrargesellschaft. In China u. a. asiatischen Ländern geschah das gleiche. Demokratie gab und gibt es in keinem dieser Länder und wird es auch nicht geben, solange dort die Kommunisten an der Regierung sind.
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Marianne E.
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Stimmt das lieber Barbarossa?
Wenn ich nach China blicke und die politische (und gesellschaftliche) Elite betrachte, sehe ich Kapitalisten.
Ich kann mir nicht helfen, Kommunismus geht anders.
Und Demokratie geht auch anders. Du wirst Demokratie nur dort etablieren können, wo die kulturellen Gepflogenheiten und auch die Überlieferungen das erlauben.

Denk doch nur an die "befreiten" Länder, Libyen, Ägypten, Irak, und andere. Es funktioniert nicht, obwohl die Voraussetzungen und einmalige Chancen vorhanden waren.

Wir müssen vielleicht unsere Philosophie und politische Denkweise übersetzen. Ich bezweifle übrigens, dass die "Abendländer" das können oder dazu legitimiert sind.
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Barbarossa
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In Tunesien scheint die Demokratie einigermaßen zu funktionieren.
Für eine funktionierende Demokratie müssen aber auch die passenden gesellschaftlichen Verhältnisse vorhanden sein.

In China mag die Wirtschaft eine kapitalistische sein, aber es wohl fast alles Unternehmen, wo der Staat mindestens teilweise der Eigentümer ist.
Und da China genau wie Russland zum Zeitpunkt der kommunistischen Machtübernahme überwiegend Agrarländer waren, mussten diese die Industrie erst nach der Revolution entwickeln. Und das passt dann wieder zur Lehre der Erschaffer Marx, Engels und Lenins.
Sollten Chinas Kommunisten das Land irgendwann als entwickelt genug ansehen, könnte es zu einem weiteren Schritt in Richtung ,,Kommunismus'' kommen und eine Vergesellschaftung bzw. Verstaatlichung der Wirtschaft wird vollzogen. Darum würde ich der deutschen Industrie ausdrücklich nicht empfehlen, in China größere Investitionen zu tätigen.
Im Moment scheint hingegen das Motto der chinesischen Kommunisten zu sein, die sogenannten Kapitalisten mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Das machen sie im Moment ziemlich erfolgreich.
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Jim Morisson

Der Sozialismus von Marx und Engels sollte natürlich gegen und nach dem Kapitalismus durchgesetzt werden. Sie gingen aus von einer Entwicklung über Urkommunismus-Sklavenhaltergesellschaft-Feudalismus-Kapitalismus-Kommunismus.

Der Kapitalismus sollte durch eine Revolution gestürzt werden. Danach folgt dann eine Übergangsphase, die ist für sie der Sozialismus. In dieser Periode ist die politische Herrschaftsform die Diktatur des Proletariats, in ihren Augen keine richtige Diktatur, denn nach ihrer Auffassung besteht die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung aus Proletariern und die Diktatur beträfe nur die kleine Schar der Kapitalisten (zurzeit von Marx und Engels bestand die Bevölkerung allerdings nur zu einem kleinen Teil aus Arbeitern, sie glaubten aber, dass sich dies bald ändern würde).
 
Im Kommunismus gibt es dann keine Klassen mehr, kein Privateigentum, auch keine Diktatur, denn der Staat würde dann nicht mehr existieren.

Sehr viel später glaubte Engels, vielleicht könnte man den Sozialismus auch friedlich erreichen und dann durch Gesetze das kapitalistische Eigentum enteignen.

Die Geschichte entschied aber anders. Sozialistische Revolutionen gab es nur in unterentwickelten Ländern, die eine Industrie überhaupt erst aufbauen mussten und das ging nur mit staatlichem Eigentum. Nach einer längeren Entwicklungsphase funktionierte aber die Planwirtschaft nicht mehr und das System geriet an seine Grenzen.

 In Russland ist der Sozialismus wieder zusammengebrochen und wurde dort durch den Kapitalismus ersetzt. In China hat man nach der chaotischen Phase unter Mao sukzessive wieder kapitalistische Elemente zugelassen, Landwirtschaft und viele Betriebe privatisiert. In keinem Land gibt es so viele Milliardäre, außer in den USA, wie in China. Sie nennen das jetzt „sozialistische Marktwirtschaft“. In meinen Augen ist das Kapitalismus mit Resten staatlichen Eigentums als einer Art Allmende. Die Partei ist aber weiter an der Macht. Ich persönlich glaube nicht, das China wieder zum alten Sozialismus zurückkehrt, die deutschen Betriebe werden auch nicht enteignet werden. Es wird in absehbarer Zeit so eine Mischform bleiben, eine immer mehr sich zum Kapitalismus entwickelnde Wirtschaft mit einer sich kommunistisch nennenden Partei an der Spitze.

Ob wir unsere Werte nun zu universellen Werten machen sollen, das ist natürlich eine interessante Frage. Als Geologe bin ich aus beruflichen Gründen in fast 100 verschiedenen Ländern auf der Erde gewesen und deshalb weiß ich, dass an vielen Orten der Welt die Menschen ganz anders denken als bei uns. Im Abendland hat sich eine individualistische Einstellung durchgesetzt, die es in anderen Kulturen nicht gibt, dort sogar als schädlich betrachtet wird. In Asien zählt das Kollektiv, nicht der einzelne. In China sagt man: ein Nagel, der hervorsteht, muss wieder eingeschlagen werden. Abweichendes Verhalten ist nicht erwünscht. Solche Vorstellungen gibt es auch in Afrika oder bei indigenen Völkern in Amerika. Und die Scharia, die wir, (ich meine zu Recht), nicht gut finden, darüber denken viele auch ganz anders. Die europäische Rechtsordnung, die den Kolonien übergestülpt wurde, wird von den Menschen dort häufig nicht verstanden. Für sie ist das eine Ordnung der dortigen korrupten Eliten und die Scharia verstehen sie wenigstens.

Ich glaube oder hoffe, dass sich die Demokratie weltweit durchsetzt. Indien, Korea, Taiwan, manche Länder in Lateinamerika sind gute Beispiele. Oft aber habe ich Zweifel und dann glaube ich manchmal unser Modell ist ein Auslaufmodell. Die Populisten stellen unsere Werte zur Disposition und viele folgen ihnen. Vielleicht ist auch unsere Demokratie wie im antiken Griechenland nur eine kurze Phase, die von ein einer neuen Diktatur abgelöst wird.

(Über die Entstehung des Sozialismus werde ich noch einiges schreiben. Ich glaube hier gibt es noch Erklärungsbedarf.)
Marianne E.
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Selbstverständlich können Sie schreiben, was Sie wollen.

Ich tue das auch, halte mich aber an die beweisbare und objektive Erkenntnisse der Wissenschaft.
Cherusker
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Marianne E. hat geschrieben: Wenn ich nach China blicke und die politische (und gesellschaftliche) Elite betrachte, sehe ich Kapitalisten.
Ich kann mir nicht helfen, Kommunismus geht anders.
Und Demokratie geht auch anders. Du wirst Demokratie nur dort etablieren können, wo die kulturellen Gepflogenheiten und auch die Überlieferungen das erlauben.
China ist ein kommunistischer Staat. Der Staat lenkt alles, auch die Unternehmen. Die chinesischen Millionäre und Milliardäre sind immer noch abhängig vom Wohlwollen der Partei (gab da einen Bericht bei ARTE über das plötzliche Verschwinden einiger Reichen). China hat nur einen wirtschaftlichen Aufschwung erreicht, weil sie sich begrenzt den Märkten geöffnet haben und durch billige Produktion von globalen Gütern eine gewisse Zeit ein sehr hohes wirtschaftliches Wachstum erreichen konnten. :shock: Aber die Chinesen sind nicht doof und haben erkannt, daß durch die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung in Verbindung mit künstlicher Intelligenz ihre "Billiglohn"-Politik zum Scheitern verurteilt ist. :wink: Eine Maschine kann 24 Stunden pro Tag laufen, während Menschen das bei weitem nicht können. Auch wenn es "chinesische Arbeitssklaven" sind. :mrgreen: Daher will China sich jetzt mehr auf dem Dienstleistungssektor konzentrieren und verstärkt auf die eigene Nachfrage setzen.
In China hat diese teilweise Öffnung zur Marktwirtschaft auch einen Wohlstand der breiten Massen bewirkt, d.h. vom Fahrrad zum Auto (während bei uns die Linken es wieder umgekehrt wollen :roll:).
Grundlage für so ein kommunistisches bzw. sozialistisches System ist immer die Überwachung des Menschen ! Ohne diese Kontrolle geht es nicht. So haben alle sozialistischen und kommunistischen Systeme eine Geheimpolizei und Spitzelwesen zur Überführung von Abweichlern aufgebaut, z.B. die Nazis die Gestapo, die SED die Stasi, Stalin den KGB, usw.

Deswegen sind die Reichen in China auch nur abhängig von der Partei. Genauso schnell wie sie zum Reichtum kamen, können sie auch wieder verschwinden ! :shock:
China stellt den totalen Überwachungsstaat dar, davon konnten Hitler und Stalin nur träumen. Behilflich ist hier auch die Automatisierung und Digitalisierung, die eine Gesichtserkennung erlaubt. So wird jeder Chinese selbst im Straßenverkehr überwacht, d.h. unnötiges Hupen wird registriert und derjenige wird ausfindig gemacht. Jeder Chinese hat ein Punktekonto. Für Verfehlungen werden im Punkte abgezogen........wenn sie aufgebraucht sind, was gibt es dann ? Umerziehungslager ? Geldstrafen ?
Georg Orwell hätte seine wahre Freude gehabt, wenn er dieses moderne chinesische System noch miterlebt hätte. :mrgreen:
 
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