Die Ordnung der Welt (nach Ulrich Menzel)

Allgemeine politikwissenschaftliche Diskussionen

Moderator: Barbarossa

Wallenstein

Der Politik-Professor Ulrich Menzel hat ein neues Buch geschrieben über die Struktur der Weltgesellschaft in den letzten 1.500 Jahren, mit dem Titel „Die Ordnung der Welt“. Es steht in der Tradition solcher Werke wie dem von Paul Kennedy, Aufstieg und Fall der großen Mächte, den Weltsystemanalysen von Wallerstein oder den Untersuchungen von Fernand Braudel, die den Lesern sicherlich bekannt sein werden. Ich habe von Menzel schon viel gelesen und noch mehr gelernt. Hier eine kurze Inhaltsangabe:

Menzel arbeitet mit Idealtypen, die er aus dem historischen Material abgeleitet hat. Idealtypen sind vergleichbar mit dem arithmetischen Mittelwert in der Statistik. Kein realer Wert entspricht diesem Wert genau, aber sie gruppieren sich in einem mehr oder weniger weit entfernten Abstand um ihn herum. Menzel entwickelt zwei Idealtypen, die für die internationalen Strukturen kennzeichnend sind:

1.)   Die Anarchie der Staatenwelt
2.)   Die hierarchische Struktur der Weltgesellschaft, die dominiert wird von den „großen Mächten“

Die Anarchie der Staatenwelt.

 Jedes Land verfolgt seine eigenen, selbstsüchtigen Interessen. Damit das internationale System aber funktioniert, benötigt es „öffentliche Güter“. Das sind z.B.: Sicherung der maritimen und ländlichen Transportwege, Währungs- und Handelsvereinbarungen, Schutz vor Angreifern und anderen Gütern. Jeder Staat ist an diesen Gütern interessiert, aber jeder will so wenig wie möglich dafür bezahlen. Freiwillige Kooperationen sind umso schwieriger, je größer die Zahl der Gruppenmitglieder wird, weil immer einige ausscheren. Die Konstellation der Anarchie fördert das Misstrauen über das Handeln der einzelnen. Solange ein Staat nicht sicher ist, das die anderen mitziehen, will er nicht „Der Dumme“ sein. (Siehe das „Gefangenendilemma“ in der Spiel Theorie.). Außerdem entstehen Trittbrettfahrer („freerider“), die gerade bei kleineren Staaten weit verbreitet sind. So kommt die Schweiz in den Genuss von Leistungen der EU (Freizügigkeit im Schengenraum) oder NATO, ohne in beiden Organisationen Mitglied zu sein. An den Kosten der EU beteiligt sie sich unangemessen, an den Kosten der NATO gar nicht.

Neben den „öffentlichen Gütern“, gibt es auch Streit um „Allmendegüter“. Die stehen allen zur Verfügung, wie früher das Weiderecht oder der Holzschlag in der Dorfgemeinschaft. Die Entnahme von Allmendegütern durch den einen geht aber immer zu Lasten des anderen. Der Fisch des einen kann nicht mehr von einem anderen gefangen werden. Wer wirtschaftliche Nachteile befürchtet, wird sich nicht kooperativ verhalten.  Freiheit der Meere kann ein Allmendegut sein, führt aber sehr schnell zu Streitereien.

Die Anarchie der Staatenwelt setzt auf freiwillige Kooperation. Doch die ist aber häufig nicht vorhanden, wie etwa die UNO, aber die EU zeigt.

Die hierarchische Weltordnung

Deshalb kam es in der geschichtlichen Realität fast immer zu einer Hierarchie der Weltgesellschaft. Diese wird dominiert von zwei verschiedenen Typen von Großmächten: Der Hegemonialmacht oder dem Imperium.

Der Hegemon

Aus der Anarchie der Staaten Welt schält sich eine Hegemonialmacht heraus, die für eine internationale Ordnung sorgt. Aufgrund der Ressourcen, Bevölkerungszahl, geographischer Lage, wirtschaftlicher Macht, hoher Leistungsfähigkeit der zivilisatorischen Entwicklung, nimmt sie eine herausragende Stellung ein. Sie muss ungefähr 50% des militärischen Potentials kontrollieren, um ein internationales System zu beherrschen. Hegemonialmächte besitzen zudem eine sogenannte „Softpower“, ihre Kultur hat eine gewaltige, einzigartige Anziehungskraft. Auch der Hegemon verfolgt seine eigenen Ziele, erkennt aber, das es sinnvoll ist, andere Nationen nicht zu beherrschen, sondern auf Akzeptanz zu setzen. Die übrigen Staaten ordnen sich freiwillig unter, weil sie davon Vorteile haben.

Das Imperium

Ein Imperium hingegen hat in der Regel nur einen militärischen Vorteil. Es setzt auf Eroberung und Tribute. Die Grenze der imperialen Expansion ist erreicht, wenn der dafür notwenige Aufwand nicht mehr durch den Zuwachs an Tributen gedeckt werden kann. Die kritische oder „Augusteische“ Schwelle des Imperiums ist erreicht, wenn der Umschlag von äußerer Expansion zur inneren Konsolidierung erfolgt. Das Imperium kennt keine „öffentlichen Güter“, sondern nur „Clubgüter“, vorgesehen für die Herrscher und ihre Kollaborateure. Die Führung des Imperiums beruht auf asymmetrischer Kooperation und letztlich auf Zwang. Imperien benötigen viel Kontrolle, Polizei, Geheimdienste und Propaganda Agenturen, monumentale Bauten, um die Untertanen zu beeindrucken. Imperien sind somit sehr teuer und schwer zu finanzieren. Hegemonialmächte, die auf Kooperation und freiwillige Zusammenarbeit setzen, brauchen dies alles nicht. Ein Imperium zieht Tribute ein, eine Hegemonialmacht erwirtschaftet Profite.

Für Menzel sind die USA eine Hegemonialmacht, die Sowjetunion hingegen ein Imperium.

In seiner ausführlichen Untersuchung analysiert Menzel dann China während der Song- und Ming-Dynastie, das Reich der Mongolen, Genua, Venedig, Portugal, Spanien, das Osmanische Reich, die Niederlande, Frankreich, Großbritannien und die USA und ordnet sie dann dem einen oder anderen Idealtyp zu. Er beschreibt ausführlich, wie eine Hegemonialmacht oder ein Imperium entsteht und wieder zerfällt. Insgesamt: Ein sehr lesenswertes Buch.
 
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