Andere Kulturen – Andere Werte

Allgemeine politikwissenschaftliche Diskussionen

Moderator: Barbarossa

Wallenstein

Die westliche Kultur ist ein Normengefüge, welches sich seit dem 16. Jahrhundert allmählich herausbildete. Ursache hierfür ist die kapitalistische Entwicklung in einigen Teilen Westeuropas, die aus rückständigen feudalen Strukturen moderne Industriegesellschaften schuf. Dies ging einher mit den Veränderungen der politischen Institutionen, neuen Moralvorstellungen und Ideen. Durch die Aufklärung entstand die Vorstellung subjektiver Rechte, Naturrechte, auch Menschenrechte genannt, die der Staat nicht verändern darf. Gleichzeitig setzten sich demokratische Strukturen allmählich durch. Diese Entwicklung ist in der Welt ein Sonderfall, der woanders nicht stattfand, sie erfasste auch nur einen Teil Europas (nicht zum Beispiel den Osten, was Russland deutlich zeigt), konnte sich aber auch in einigen Kolonien wie den USA ebenfalls durchsetzen. Der Veränderungsprozess dauerte Jahrhunderte, es brauchte Revolutionen und Kriege, eine völlige Veränderung der Sozialstrukturen, bevor er überhaupt Erfolg hatte.
 
In anderen Teilen der Welt herrschten weiterhin traditionelle Werte aus vorindustriellen Zeiten, auch wenn es Ansätze der westlichen Kultur überall gab, aber nicht als Ensemble wie in Europa. In traditionalen Gesellschaften zählt der Einzelne zumeist nur als Glied eines Stammes, einer Sippe oder Großfamilie, in die er sich einzuordnen hat. Das die einzelne Person Rechte besitzt, die sie auch gegenüber dem Familienverband geltend machen kann, diese grundlegende Idee des Westens kennen viele Gesellschaften nicht.

In der konfuzianischen Welt zum Beispiel, wie in China, gibt es keine Tradition der Menschenrechte oder der Demokratie. Die einzige Rechtsquelle ist hier der Staat, der für die „Große Harmonie“ zu sorgen hat und dem man sich unterordnen muss. Die Vorstellung eines Naturrechtes, welches der einzelne Mensch besitzt,  ist hier völlig unbekannt.

Die Kommunisten konnten an diese Tradition anknüpfen. Wird von uns jetzt die Verletzung von Menschenrechten angeprangert, ist dies nicht ausschließlich Zynismus, wenn die Herrschenden solche Kritik nicht akzeptieren,  auch für die Masse der einfachen Bürger ist die Vorstellung subjektiver Gesetze ungewohnt und sie wollen stattdessen zumeist lediglich, das der Staat seine vorgegebenen  Aufgaben richtig wahrnimmt zum Wohle der Bürger. Werte wie soziale Harmonie, kollektives Wohlergehen und Loyalität gegenüber Autoritäten stehen im Vordergrund, auch in nichtkommunistischen ostasiatischen Ländern. Westliche Werte werden als Ausdruck von Egoismus und unsozialem Denken abgelehnt.
 Allerdings, Amarty Sen hat in seiner Kritik an Samuel Huntington mit Recht davor gewarnt, Kulturen als Gefängnis zu betrachten, aus dem es kein Entkommen gibt. Zumindest bei den Intellektuellen in Ostasien werden seit einiger Zeit auch westliche Werte populär.
 
Allerdings, es scheint schwierig zu sein, sich aus der originären Kultur zu lösen. So hat die liberale Partei in Japan, die seit 2012 wieder regiert, den Wahlkampf geführt mit der Forderung, den Paragraph 97 in der japanischen Verfassung von 1947 zu streichen, der allen Personen die Würde und die Menschenrechte garantiert. Er wurde als Diktat der Sieger und als  nicht der japanischen Tradition entsprechend, bezeichnet.
 
Auch in Russland sind westliche Werte nie richtig angekommen. Solschenizyn kritisierte die westlichen Demokratien und forderte sehr zur Freude von Putin ein autoritäres Regime für sein Land. Diese antiwestliche Haltung hat in Russland eine lange Tradition und war bereits im Zarenreich weit verbreitet.
 
Der größte Teil der Welt hat den Westen allerdings auch nur als Eroberer und Kolonialmacht erlebt. Das westliche Normengefüge wurde auf die okkupierten Länder nicht übertragen, die Einheimischen galten als Menschen zweiter Klasse, die wenig oder gar keine Rechte hatten. Schon aus diesem Grund ist vielen Bewohnern der „Dritten Welt“ die westliche Demokratie suspekt, die sie nur als Ausbeutungsinstitution erlebt haben. Diktatoren haben es deshalb oft einfach, ihre brutale Herrschaft zu legitimieren, indem sie vorkoloniale Werte neu beleben und sich vom Westen abgrenzen.
 
Auch islamische Länder erlebten den Westen als Kolonialmacht. Der Modernisierungsanstoß, der von ihnen ausging, war nur kurz und hat die Gesellschaften nur partiell verändert. Er hat aber die Gesellschaftsstrukturen und die Eliten durcheinander gewirbelt, ohne aber etwas neues Tragfähiges an ihre Stelle zu setzen. Die Versuche, einen arabischen Sozialismus oder Kapitalismus zu schaffen, sind weitgehend gescheitert. So ist es nicht verwunderlich, das traditionelle Werte und antiwestliche Ressentiments seit den achtziger Jahren an Bedeutung gewinnen.
 
 
Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15506
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

Dein Beitrag macht schon nachdenklich. Dennoch gilt die UN-Menschenrechtscharta universell - also für die ganze Welt. Und alle Unterzeichnerstaaten haben das umzusetzen.
Könnte es passieren, das dem Westen das alles mal um die Ohren fliegt?
Oder ist der Rest der Welt einfach nur in der Entwicklung zurück und braucht nur Zeit zum aufholen?
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Paul
Mitglied
Beiträge: 2739
Registriert: 29.04.2012, 18:44
Wohnort: Mittelhessen an der Loganaha

Einige Unterschiede in den Kulturen basieren auf der Entwicklungsstufe und der Art der Existenzsicherung, manche haben andere Ursachen.
Die Blutrache wurde weitgehend unterbunden, weil der Staat das Gewaltmonopol und Frieden durchsetzen wollte.
Das Arbeitsethos für fleißige Arbeit entwickelte sich wahrscheinlich schon in der Phase der intensiven Landwirtschaft, also in der Jungsteinzeit und hatte in der Latenekultur schon eine hohe Intensität. In Asien etwickelte es sich Parralel. Warum es nicht überall diese Intensität erreichte ist unverständlich, denn Fleiß erleichtert überall das Leben. In manchen Regionen hat sich aber Lethargie ausgebreitet. In moderner Zeit läßt das Arbeitsethos nach, da man in Industriegesellschaften oft ohne auch bequem leben kann.
Auffallend ist die unterschiedliche Reaktion auf Vergewaltigungen. In manchen Regionen wird dem Opfer auch Schuld gegeben. Sie werden manchmal als unrein angesehen. Dies ändert sich jetzt z.B. bei den Eziden, die nicht mehr immer den Selbstmord der Opfer fordern. Ein Mittelweg ist, das man es gern sieht, das sie sich mit dem Blut der Täter im übertragenen Sinn reinwaschen.
Die Gleichberechtiging der Frau ist in der Welt sehr unterschiedlich entwickelt. In Europa, insbesondere unter den Nachfahren der Germanen, Kelten und Slawen ist sie stärker als in vielen Kulturen im Südens entwickelt. In Asien und Afrika ist es sehr unterschiedlich.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Ruaidhri
Mitglied
Beiträge: 1901
Registriert: 06.05.2015, 18:09

Paul hat geschrieben:Warum es nicht überall diese Intensität erreichte ist unverständlich, denn Fleiß erleichtert überall das Leben. In manchen Regionen hat sich aber Lethargie ausgebreitet. In moderner Zeit läßt das Arbeitsethos nach, da man in Industriegesellschaften oft ohne auch bequem leben kann.

Die Gleichberechtiging der Frau ist in der Welt sehr unterschiedlich entwickelt. In Europa, insbesondere unter den Nachfahren der Germanen, Kelten und Slawen ist sie stärker als in vielen Kulturen im Südens entwickelt. In Asien und Afrika ist es sehr unterschiedlich.
Warum fleißig sein, wenn man auch anders satt wird? Fleiß ist ein moralisch durchtränkter Begriff, der mitunter zum Selbstzweck wird- ohne Notwendigkeit. Gerade die Beutegreifer, zu denen der Mensch eigentlich gehört, nimmt die Anstrengungen der Jagd nur auf sich, wenn er Hunger hat, ansonsten schont er die Reserven, wenn irgend möglich.
Die Gleichberechtigung der Frau betreffend, hat es sicherlich deutliche Unterschiede gegeben,bzw. gibt es sie. Auch abhängig zunächst von Notwendigkeiten. Die unterschieden sich sicherlich zwischen dem wilden Grmanien und Gallien und dem zivilisierten Rom.
Dass es die christliche Kirche fertigbrachte, bis in die innergesellschaftlichen Strukturen  die Frauen als üble Notwendigkeit auszugrenzen, ist eine Sache. Was die daraus machten, eine andere. Gibt nicht nur kaiserlich- königliche Gegenbeispiele "emanzipierter" Frauen.
Interessant: Die Rolle der Frauen in Kriegs- und Nachkriegszeiten des 20. Jahrhunderts.
Eine Sache zwischen Notwendigkeit und übergestülpten Überzeugungen.
Andere Kultuten- andere Werte haben wir aber schon auf viel niedrigere Ebene, und wir haben in Europa auch erst schrittweise und sicherlich nochnicht durchgehend gelernt, mit Unterschieden der Kulturen und der anders gesetzten Werte umzugehen, ohne negativ abzugrenzen.
Hinter manchem Klischee steckt durchaus Wahrheit- kommt halt darauf an, wie man mit der umgeht und sie bewertet, bzw. ob man seine erlernten Maßstäbe für die einzig richtigen und die Welt rettenden hält.
------------------------------------------
:arrow: Ich habe deinen Beritrag aus dem Zitat herausgenommen.
Anmerkung: Ich glaube, es ist beim zitieren besser, auf den schwazen Editor umzuschalten (kleine Fläche ganz links).
[Mod. aus]
Muttersprache: Deutsch Vaterland: Keins. Heimat: Europa
LG Ruaidhri
Paul
Mitglied
Beiträge: 2739
Registriert: 29.04.2012, 18:44
Wohnort: Mittelhessen an der Loganaha

Mit den wilden Germanen sehe ich ja etwas anders. Die sehr kultivierten Germanen der Latenekultur stellten wahrscheinlich den Großteil der Germanen, da sie eine hohe Bevölkerungsdichte aufwiesen. Sie hatten ein sehr demokratisches politisches System und führten wohl auch die Selbstverwaltung der Städte ein bzw. führten nie ein anderes System ein. Sklaverei spielte wahrscheinlich eine geringere Rolle, da sie kaum auf Raubzüge gingen. Sie hatten zu Hause das ganze Jahr genug Arbeit. Sie müsen also Lohnarbeit gekannt haben.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Wallenstein

Warum einige Länder unterentwickelt sind und andere nicht, das bedarf einer besonderen Diskussion und darüber gibt es eine riesige Literatur.

Nur zu einem Punkt möchte ich etwas erwähnen: Mangelnder Fleiß ist es nicht. Die Chinesen sind fleißig wie die Ameisen, mit denen sie oft verglichen werden. Wer mit diesem und anderen ostasiatischen Völkern länger Kontakt gehabt hat, weiß, dass sie praktisch für ihre Arbeit leben. Ihre Kulturen hatten ja lange Zeit einen Standard gehabt, der den von Europa übertraf. Das es dann nicht weiter ging, das lag an den politischen und sozialen Strukturen. Im alten China hat erst das konfuzianische System des Kaiserreiches und später dann der Kommunismus weitere Entwicklungen blockiert. Seitdem diese Hindernisse zumindest teilweise aus dem Weg geräumt wurden, sehen wir ja, welch eine ungeheure Dynamik die ostasiatischen Länder entwickeln.

Außerdem: Fleiß alleine genügt nicht. Die Arbeit muss auch produktiv sein. Ich bin in vielen Ländern der Dritten Welt gewesen und man stellt sehr schnell fest, dass die Menschen dort meistens viel härter und länger arbeiten als bei uns, doch es kommt nicht viel dabei heraus. Kulis in Kalkutta laufen jeden Tag 10 Stunden bei glühender Hitze durch eine Stadt, die als Ergebnis einer katastrophalen Umweltverschmutzung völlig verseucht ist, man kann kaum atmen, aber sie verdienen nur wenige Rupien, gerade genug für etwas Reis. Und wie hoch ist die Produktivität von Losverkäufern, Schuhputzern, Andenkenverkäufern? Diese Leute arbeiten sieben Tage in der Woche, täglich 10 Stunden oder mehr, doch das Ergebnis ist nicht der Rede wert. In Afrika laufen die Menschen stundenlang, um sauberes Wasser zu besorgen, arbeiten mit Grabstöcken, um die vertrocknete Erde aufzubrechen, aber es wächst kaum etwas.

Unsere Arbeit ist dank der modernen Technik viel produktiver. Wir arbeiten meistens weniger als früher, leisten aber dafür viel mehr. Das deutsche Bruttosozialprodukt des Jahres 1820 produzieren wir heute in 20 Minuten. (so einige Historiker).

Außerdem: Die Menschenrechte haben etwas zu tun mit der Individualisierung und die hängt wiederum zusammen mit der Entwicklung des Bürgertums und der Lohnarbeiterschaft. Hier hat wohl der alte Karl Marx Recht, wenn er schreibt.

Die Kooperation im Arbeitsprozess, wie wir sie in den Kulturanfängen der Menschheit, bei Jägervölkern oder etwa in der Agrikultur indischer Gemeinwesen vorherrschend finden, beruht einerseits auf dem Gemeineigentum an den Produktionsbedingungen, andererseits darauf, dass das einzelne Individuum sich von der Nabelschnur des Stammes oder des Gemeinwesens noch ebenso wenig losgerissen hat wie das Bienenindividuum vom Bienenstock. Beides unterscheidet sie von der kapitalistischen Kooperation. ... Die kapitalistische Form (der Kooperation) setzt dagegen von vornherein den freien Lohnarbeiter voraus, der seine Arbeitskraft dem Kapital verkauft.“ K. Marx, Kapital I.: 353-354.

Der Mensch muss sich sowohl von der  Nabelschnur der Gesellschaft losreißen, und das Gemeineigentum in Privateigentum verwandeln, dann erst wird er zum freien, seibstbestimmten Individuum.

Die früheren Formen der Gemeinschaft erweisen sich heute als Hindernis für die weitere Entwicklung. Im alten Russland hat die Dorfgemeinde (Mir) das Land jedes Jahr an die Familien neu aufgeteilt, aber keiner investierte in ein Feld, welches ihm im nächsten  Jahr nicht mehr gehörte. In Afrika erwartet heute die Sippe von einem ihrer Mitglieder, der das Glück hat, eine Arbeit zu finden, das er dann die komplette Großfamilie ernährt, was zu einer ungeheuren Korruption führt, da man sonst das Geld für die vielen Personen nicht auftreiben kann.  So etwas verhindert die Eigenkapitalbildung.

Ich glaube aber, das die weitere Entwicklung des Kapitalismus in diesen Ländern dazu führt, das die klassischen Formen der Gemeinschaft weiter zerfallen, die Individualisierung voran treibt und damit letztlich auch der Idee der Menschenrechte zum Durchbruch verhilft. Wir sehen so etwas in Staaten wie Singapur, Südkorea, Taiwan. Und auch in China wird es vielleicht ähnlich verlaufen. In erster Linie natürlich in Hongkong, aber Ansätze gibt es auch im eigentlichen China.
 
Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag

Zurück zu „Politische Theorien“