Unsere Demokratie: Anspruch und Wirklichkeit

Allgemeine politikwissenschaftliche Diskussionen

Moderator: Barbarossa

Ruaidhri
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Wie ich finde, ein ziemlich schwieriges Thema.
"Mehr Demokratie wagen!" Das war das erste, was mir dazu in den Sinn kam.
Der Wahlkampfspruch dürfte vielen der nicht mehr ganz jungen Jahrgänge, die in Westdeutschland aufwuchsen, bekannt sein.
Das bedeutete nicht, dass ein Kanzler Willy Brandt mehr plebiszitäre Elemente in der Politik haben wollte, was sicherlich auch in seiner Biografie begründet war.
Direkte Demokratie war nicht sein Bild, sondern eine parlamentarische- repräsentative, deren Wege zur Entscheidungsfindung für ihn unantastbar waren.
Zitat:
" „Wir werden darauf hinwirken, dass durch Anhörungen im Bundestag, durch ständige Fühlungsnahme mit den repräsentativen Gruppen unseres Volkes und durch eine umfassende Unterrichtung über die Regierungspolitik jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken.“
....
Die strikte Beachtung der Formen parlamentarischer Demokratie ist selbstverständlich für politische Gemeinschaften, die seit gut 100 Jahren für die deutsche Demokratie gekämpft, sie unter schweren Opfern verteidigt und unter großen Mühen wieder aufgebaut haben. Im sachlichen Gegeneinander und im nationalen Miteinander von Regierung und Opposition ist es unsere gemeinsame Verantwortung und Aufgabe, dieser Bundesrepublik eine gute Zukunft zu sichern.
Wir wollen mehr Demokratie wagen. Wir werden unsereArbeitsweise öffnen und
dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun. Wir werden darauf hinwirken, daß nicht nur durch Anhörungen im Bundestag,
sondern auch durch ständige Fühlungnahme mit den repräsentativen Gruppen
unseres Volkes und durch eine umfassende Unterrichtung über die Regierungspolitik jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken.
Quelle:
http://www.willy-brandt.de/informatione ... andts.html

Direkte Demokratie also nicht, nicht Volksabstimmung, aber Mitbestimmung, die dann auch als paritätische Mitbestimmung in den Unternehmen durchgesetzt werden sollte.
Im weiteren Verlauf seiner Regierungserklärung wird deutlich, dass Brandt durchaus die Beteiligung des Bürgers wünschte, aber in organisierter Form, vertreten durch Parteien und Verbände.

Wurden wir demokratischer? Gefühlt ja, zumindest, was z.B. die Organisation von Schulen und auch Universitäten betraf.
Am Ende kam aber das dabei heraus, was viele BürgerInnen dieses Landes empfinden:
Ein Parteienklüngel/ Verbände/ Lobby- System, das schwer zugänglich ist.
Der Bürger hat resigniert, ist allenfalls dankbar, wenn irgendwer etwas von seinen Vorstellungen durchsetzt.
Man schlief mehr oder weniger still vor sich hin.
Und man schlief auch dort und blieb passiv, wo direkte Wahlen z.B. möglich sind. Die Wahlbeteiligung bei Bürgermeister-Wahlen waren von Anfang an peinlich.
Nun haben wir den Wutbürger, der ganz egoistsich allein für seinen eigenen Bedarf demonstriert- und oft erst dann, wenn es zu spät ist.
Stuttgart 21 ist so ein Beispiel dafür. Das Projekt war lange bekannt, die Plöne einsehbar. Der Widerstand regte sich erst, als die ersten Bäume gefällt wurden.
In S-H ist ein Großprojekt angesagt, dass an der Ostküste zwischen Lübeck und Puttgarden fast alle irgendwie angeht. Hat endlos gedauert, bis die Leute wach waren und sich tatsächlich vehement einmischten, in dem Fall allerdings durch MdL und MdB massiv unterstützt. Rechtzeitig genug, um nicht das Projekt an sich, aber Übelstes inder Planung zu verhindern. So, wie es aussieht- die Deutsche Bahn muss neue Trassen bauen.

Müssen die Bürger erstmal wieder lernen, sich viel früher zu interessieren? Sich frühzeitig zu positionieren, zu engagieren? Und das auch mal über den unmittelbaren Betroffenheitsfaktor hinaus?
Unbequem, aber sicherlich der Demokratie zuträglicher als erst dann zu meckern der beleidigt zu resignieren und dann zu maulen., wenn er in der Bildzeitung liest, was angesagt ist.
Umgekehrt müssen Parteien und Verbände wohl dann auch lernen, dass sie keine Alleinvertretungsanspruch haben, das neue Elemente von Demokratie-Verständnis den alten gleichgestellt werden.
Jede Demokratie funktioniert nur so gut, wie der Bürger sich einbringt und beteiligt, und Beteiligung ist eben mehr als nur das Kreuzchen auf dem Zettel.
Und kann vielleicht auch mal anders als über eine Partei-Ochsentour laufen.
Immer mehr unabhängige Bürgerinitiativen haben Zulauf und auch auf kommunaler Ebene, verzeichen stabile Wahlerfolge und sind Salz und auch mal Chili in der Polit-Suppe. Doch auch das bedeutet Engagement bei dem Versuch, die altgewohnte Politkaste aufzuwecken.
Von Nichts kommt nichts.
Wobei ich zu manchem Thema auch eine Volksabstimmung für wünschenswert hielte, bei anderen wieder nicht.
Muttersprache: Deutsch Vaterland: Keins. Heimat: Europa
LG Ruaidhri
Renegat
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Nun haben wir 2 Demokratiethemen. Während sich der eine mehr mit den Theorien beschäftigt http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... 222#p59222 was dazu führt, dass eher die Vergangenheit theoretisch aufgearbeitet wird, könnten wir hier, den derzeitigen Stand in der Realität diskutieren.

Ruaidhris Überblick über die Demokratieentwicklung seit Willy Brandt ist dafür sehr hilfreich.

Ruaidhri hat geschrieben:Wie ich finde, ein ziemlich schwieriges Thema.
"Mehr Demokratie wagen!" Das war das erste, was mir dazu in den Sinn kam.
Der Wahlkampfspruch dürfte vielen der nicht mehr ganz jungen Jahrgänge, die in Westdeutschland aufwuchsen, bekannt sein.
Das bedeutete nicht, dass ein Kanzler Willy Brandt mehr plebiszitäre Elemente in der Politik haben wollte, was sicherlich auch in seiner Biografie begründet war.
Direkte Demokratie war nicht sein Bild, sondern eine parlamentarische- repräsentative, deren Wege zur Entscheidungsfindung für ihn unantastbar waren.
Zitat:
" „Wir werden darauf hinwirken, dass durch Anhörungen im Bundestag, durch ständige Fühlungsnahme mit den repräsentativen Gruppen unseres Volkes und durch eine umfassende Unterrichtung über die Regierungspolitik jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken.“
....
Die strikte Beachtung der Formen parlamentarischer Demokratie ist selbstverständlich für politische Gemeinschaften, die seit gut 100 Jahren für die deutsche Demokratie gekämpft, sie unter schweren Opfern verteidigt und unter großen Mühen wieder aufgebaut haben. Im sachlichen Gegeneinander und im nationalen Miteinander von Regierung und Opposition ist es unsere gemeinsame Verantwortung und Aufgabe, dieser Bundesrepublik eine gute Zukunft zu sichern.
Wir wollen mehr Demokratie wagen. Wir werden unsereArbeitsweise öffnen und
dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun. Wir werden darauf hinwirken, daß nicht nur durch Anhörungen im Bundestag,
sondern auch durch ständige Fühlungnahme mit den repräsentativen Gruppen
unseres Volkes und durch eine umfassende Unterrichtung über die Regierungspolitik jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken.
Quelle:
http://www.willy-brandt.de/informatione ... andts.html

Direkte Demokratie also nicht, nicht Volksabstimmung, aber Mitbestimmung, die dann auch als paritätische Mitbestimmung in den Unternehmen durchgesetzt werden sollte.
Im weiteren Verlauf seiner Regierungserklärung wird deutlich, dass Brandt durchaus die Beteiligung des Bürgers wünschte, aber in organisierter Form, vertreten durch Parteien und Verbände.

Wurden wir demokratischer? Gefühlt ja, zumindest, was z.B. die Organisation von Schulen und auch Universitäten betraf.
Ja, die "kleine Demokratie" überall in den Betrieben, Vereinen, Schulen aber auch in den Kommunen, den Stadtteilen, hätte ich fast vergessen, so selbstverständlich ist sie geworden. Dort wäre theoretisch eine direkte Demokratie, also eine schlichte Abstimmung über jede Frage, sogar möglich.

Wer sich schon mal mit einer kleinen Gruppe basisdemokratisch auseinandergesetzt hat, wird die Erfahrung gemacht haben, dass man trotz gemeinsamen Ziels, sich nicht einfach hinsetzt und über den Weg per Handzeichen abstimmt. Nein, man diskutiert das Für und Wider der verschiedenen Wege. Dabei ergeben sich schnell Wortführer, Auskenner, Spezialisten und Menschen, die sich überzeugen lassen und sich dem überzeugendsten Wortführer anschließen. Daraus könnte man ableiten, dass manche Menschen gern geführt werden, weil es bequemer ist und sie dann nicht die Verantwortung tragen müssen. Bei einem anderen Sachverhalt können die Mitläufer aber durchaus zum Wortführer werden und andere überzeugen. Im kleinen ergeben sich Systeme von Arbeits- Verantwortungsteilung und Spezialisierungen. In einer kleinen, überschaubaren Gruppe kann das gut funktionieren, es dauert zwangsläufig immer länger und ist anstrengender als wenn es für bestimmte Fragen eine Spezialistengruppe gibt, die sie betreffende Einzelfragen für alle entscheiden.



Ruaidhri hat geschrieben:Am Ende kam aber das dabei heraus, was viele BürgerInnen dieses Landes empfinden:
Ein Parteienklüngel/ Verbände/ Lobby- System, das schwer zugänglich ist.
Der Bürger hat resigniert, ist allenfalls dankbar, wenn irgendwer etwas von seinen Vorstellungen durchsetzt.
Man schlief mehr oder weniger still vor sich hin.
Und man schlief auch dort und blieb passiv, wo direkte Wahlen z.B. möglich sind. Die Wahlbeteiligung bei Bürgermeister-Wahlen waren von Anfang an peinlich.
Oben geschilderte basisdemokratische Prozesse könnten wegen ihrer Umständlichkeit dazu geführt haben, dass sich Interessenvertretungssysteme etabliert haben. Die Lobbyverbände im weitesten Sinne, von der Verbraucherzentrale über Tierschutzvereine bis zu den vielen Unternehmerverbänden. Theoretisch ein Ausdruck von Spezialisierung im komplexen, demokratischen System.
Praktisch funktioniert an vielen Stellen die Abstimmung mit der Basis nicht mehr richtig. Manchen Verbänden ist gar der Kontakt zur Basis komplett abhanden gekommen, einige wissen vielleicht gar nicht mehr, wer alles zu ihrer Basis gehört und wen sie zumindest mal fragen und überzeugen sollten, wenn sie sich schon als Interessenvertreter verstehen. Die Parteien gehören für mich auch zu den Interessenverbänden im weitesten Sinne.
Ruaidhri hat geschrieben:Nun haben wir den Wutbürger, der ganz egoistsich allein für seinen eigenen Bedarf demonstriert- und oft erst dann, wenn es zu spät ist.
Stuttgart 21 ist so ein Beispiel dafür. Das Projekt war lange bekannt, die Plöne einsehbar. Der Widerstand regte sich erst, als die ersten Bäume gefällt wurden.
In S-H ist ein Großprojekt angesagt, dass an der Ostküste zwischen Lübeck und Puttgarden fast alle irgendwie angeht. Hat endlos gedauert, bis die Leute wach waren und sich tatsächlich vehement einmischten, in dem Fall allerdings durch MdL und MdB massiv unterstützt. Rechtzeitig genug, um nicht das Projekt an sich, aber Übelstes inder Planung zu verhindern. So, wie es aussieht- die Deutsche Bahn muss neue Trassen bauen.
Könnte man sagen, dass der Wutbürger, der diffuse Meckerer das Ergebnis des oben geschilderten Prozesses ist? Die Interessenverbände sind elitär geworden und haben den Kontakt zu den Individuen verloren?
Ruaidhri hat geschrieben:Müssen die Bürger erstmal wieder lernen, sich viel früher zu interessieren? Sich frühzeitig zu positionieren, zu engagieren? Und das auch mal über den unmittelbaren Betroffenheitsfaktor hinaus?
Unbequem, aber sicherlich der Demokratie zuträglicher als erst dann zu meckern der beleidigt zu resignieren und dann zu maulen., wenn er in der Bildzeitung liest, was angesagt ist.
Umgekehrt müssen Parteien und Verbände wohl dann auch lernen, dass sie keine Alleinvertretungsanspruch haben, das neue Elemente von Demokratie-Verständnis den alten gleichgestellt werden.
Jede Demokratie funktioniert nur so gut, wie der Bürger sich einbringt und beteiligt, und Beteiligung ist eben mehr als nur das Kreuzchen auf dem Zettel.
Und kann vielleicht auch mal anders als über eine Partei-Ochsentour laufen.
Immer mehr unabhängige Bürgerinitiativen haben Zulauf und auch auf kommunaler Ebene, verzeichen stabile Wahlerfolge und sind Salz und auch mal Chili in der Polit-Suppe. Doch auch das bedeutet Engagement bei dem Versuch, die altgewohnte Politkaste aufzuwecken.
Von Nichts kommt nichts.
Wobei ich zu manchem Thema auch eine Volksabstimmung für wünschenswert hielte, bei anderen wieder nicht.
Nein, man kann keinesfalls zu allem eine Volksabstimmung machen, denn wie eingangs geschildert, gehört vor jede qualifizierte Abstimmung die Diskussion der Vor- und Nachteile, des Für und Wider, eure Dialektik :).

Allerdings habe ich den Eindruck, dass die Zeiten des bequemen Zurücklehnens der Bürger und hinterher unqualifiziert Meckern, langsam zu Ende gehen. Überall versuchen bes. die Kommunen so etwas wie einen Bürgerdialog. Der holpert noch gewaltig, weil die Kommunikationswege erst entwickelt werden müssen. Das I-Netz ist sicher der Weg der Zukunft, die Basis muß aber auch hier aufpassen, dass sich dabei nicht unlegitimierte Wortführer zum Bestimmer aufschwingen.
Am I-Netz als basisdemokratischen Meinungsbildungsinstrument der Zukunft muß noch viel gearbeitet werden und ich weiß nicht, ob mir dieser Weg gefällt, denn er wird zwangsläufig zu mehr Kontrolle führen.
Zuletzt geändert von Renegat am 21.09.2015, 12:32, insgesamt 1-mal geändert.
Spartaner
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Renegat hat geschrieben: Nein, man kann keinesfalls zu allem eine Volksabstimmung machen, denn wie eingangs geschildert, gehört vor jede qualifizierte Abstimmung die Diskussion der Vor- und Nachteile, des Für und Wider, eure Dialektik :).
Es gibt überhaupt so gut wie keine Bürgerabstimmungen . Vor den Wahlen ist bekanntlich nicht zwischen den Wahlen. Sobald die beiden elitären Parteien CDU und SPD ihre Machtpostition durch überwiegnd Klientelwähler und denen die sich etwas von den Parteien beruflich versprechen, gewählt haben, wird diktatorisch gemacht, was man will. Das finde ich eine Art Willkür im demokratischen Sytem, gegenüber dem Volk. Man kann deshalb nicht mehr von Demokratie in eigensichtlichen Sinne sprechen, sondern von einer Art " Diktatur der Demokratie".
Zuletzt geändert von Spartaner am 21.09.2015, 12:52, insgesamt 1-mal geändert.
Spartaner
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Renegat hat geschrieben: Allerdings habe ich den Eindruck, dass die Zeiten des bequemen Zurücklehnens der Bürger und hinterher unqualifiziert Meckern, langsam zu Ende gehen. Überall versuchen bes. die Kommunen so etwas wie einen Bürgerdialog. Der holpert noch gewaltig, weil die Kommunikationswege erst entwickelt werden müssen. Das I-Netz ist sicher der Weg der Zukunft, die Basis muß aber auch hier aufpassen, dass sich dabei nicht unlegitimierte Wortführer zum Bestimmer aufschwingen.
In welcher Stadt lebst du?
Bürgerdialog bei Bügerämtern findet so gut wie nicht statt.
Dazu Zitat Welt am Sonntag 13. 09. 2015
" Mehrmals versucht ich mein Bürgeramt zu erreichen. Doch es gibt jetzt keine Telefonanschlüsse mehr bei den Bürgerämtern. Es gibt nur noch eine zentrale Nummer,und wenn man dort durchkommt - ich bin der einzige in meinen Freundeskreis, der das einmal gelungen ist-, dann sagen sie einem nur, dass die Bürgerämter keinen mehr vorlassen ohne Termin. Aber Termine sind immer ausgebucht. Schließlich empfahl mir ein Freund eine Service-App. Das Start-up reserviert Termine bei den Bürgerämtern und verkauft sie an die verzweifelten Passanwärter weiter. So landete ich bei eiem Bürgeramt im Norden von Berlin, fast 30 Kilometer von meinem Wohnsitz im Süden entfernt, die Beamten waren sehr freundlich, und es ging sehr schnell. Es gibt keine Türhüter mehr, keinen teigigen offiziersblick und keine sanft blickende Rezeptionisten, die einem den Eingang verwehren. Wer Geld hat, wird direkt vorgelassen, wer kein Geld hat, schafft es nicht mal bis zur Tür. "
Ruaidhri
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Spartaner hat geschrieben:Es gibt überhaupt so gut wie keien Bürgerabstimmungen
Doch, zumindest in HH und S-H gibt es die auf kommunaler Ebene öfter. Allerdings muss auch da der Bürger seinen A... vom Sofa bekommen.
Direktwaheln haben wir in den Kreisen und Kommunen.
Peinlich sind die direkten Wahlen schon oft genug. Stehen ja zumeist nicht nur die Kandidaten etablierter Parteien zur Wahl, sondern auch unabhängie. Wahlbeteiligung: Peinlich gering.
Andererseits habe ich in meinem und im Nachbardorf erlebt, wieviel das Engagement der Bürger doch bringen kann. Die Erweiterung unseres Gewerbegebietes an sich stand außer Diskussion. Aldi mit seinem zentralen Auslieferungslager war schon da, mit eigener Verkehrsanbindung von der Bundesstraße, weit ab von Wohnbebauung. Eine hier heimische Supermarktkette wiollte ihre Zentrale nun auch dort ansiedeln, mit Anbindung durchs Dorf. Das ging mal gar nicht, Wohnbebauung, Schulweg, Bushaltestelle ohne Bürgersteig-und auchdas Lager selbst, dass wussten wir seit Aldi, würde im Tag- und Nachtbetrieb reichlich laut.
Trotz der Konkurrenz und der Bemühungen des damals noch hoch subventionierten nahen Ostens: Mit konkreten Vorschlägen und Eingaben an Kommunal- und Landespolitik erreichten wir erstens die Anbindung über die vorhandene Aldi-Trasse und einen Lärmschutzwall zu Dorf hin, für den heute alle dankbar sind. Auch die, die damals die angeblichen Verhinderer beschimpften.
Was passiert wäre, hätte sich nicht die Mehrheit der Bewohner gewehrt, erlebt man ab und zu, wenn die Bundesstraße(n) blockiert sind und der Schwerlastverkehr durchs Dorf muss.
Die Poststelle im Nachbardorf blieb auch Dank Bürgerbewegung aller umliegenden Dörfer erhalten, die nächsten wären 9 und 8 KM entfernt gewesen. Den nun endlich fertig werdenden Verteilerkreis statt übler Kreuzung mit der ehemaligen Bundesstraße haben wir auch geschafft, den Erhalt des Kurparks ebenso, geht also.
Mehr plebiszitäre Elemente wären möglich, denke ich auch. Ob freiwillig von "oben" gewährt oder durch Bewegung von unten.
Wo ich keine Volksabstimmungen will: Dort, wo es die Grundrechte und die Menschenrechte beträfe.
Das muss der Minimal-Konsens bleiben.
Z.B. die Wiedereinführung der Todesstrafe darf nicht zum Thema einer Volksabstimmung werden. Oder der Paragraf des Asylrechts an sich.
Muttersprache: Deutsch Vaterland: Keins. Heimat: Europa
LG Ruaidhri
Renegat
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Renegat hat geschrieben: Allerdings habe ich den Eindruck, dass die Zeiten des bequemen Zurücklehnens der Bürger und hinterher unqualifiziert Meckern, langsam zu Ende gehen. Überall versuchen bes. die Kommunen so etwas wie einen Bürgerdialog. Der holpert noch gewaltig, weil die Kommunikationswege erst entwickelt werden müssen. Das I-Netz ist sicher der Weg der Zukunft, die Basis muß aber auch hier aufpassen, dass sich dabei nicht unlegitimierte Wortführer zum Bestimmer aufschwingen.
Spartaner hat geschrieben:In welcher Stadt lebst du?
In einer westdeutschen Stadt.

Spartaner hat geschrieben:Bürgerdialog bei Bügerämtern findet so gut wie nicht statt.
Dazu Zitat Welt am Sonntag 13. 09. 2015
" Mehrmals versucht ich mein Bürgeramt zu erreichen. Doch es gibt jetzt keine Telefonanschlüsse mehr bei den Bürgerämtern. Es gibt nur noch eine zentrale Nummer,und wenn man dort durchkommt - ich bin der einzige in meinen Freundeskreis, der das einmal gelungen ist-, dann sagen sie einem nur, dass die Bürgerämter keinen mehr vorlassen ohne Termin. Aber Termine sind immer ausgebucht. Schließlich empfahl mir ein Freund eine Service-App. Das Start-up reserviert Termine bei den Bürgerämtern und verkauft sie an die verzweifelten Passanwärter weiter. So landete ich bei eiem Bürgeramt im Norden von Berlin, fast 30 Kilometer von meinem Wohnsitz im Süden entfernt, die Beamten waren sehr freundlich, und es ging sehr schnell. Es gibt keine Türhüter mehr, keinen teigigen offiziersblick und keine sanft blickende Rezeptionisten, die einem den Eingang verwehren. Wer Geld hat, wird direkt vorgelassen, wer kein Geld hat, schafft es nicht mal bis zur Tür. "
Wir schreiben von verschiedenen Dingen. Du schreibst vom Bürgeramt. Dort ist Bürger der Kunde und geht iW hin, weil sein Ausweis verlängert werden muß. An der Stelle ist das Bürgeramt ein konkurrenzloser Monopolbetrieb, der meist aus Kostengründen nicht mehr kundenfreundlich aufgestellt ist. Die Mode der Callcenter kennen wir doch auch von den großen, privatwirtschaftlichen Firmen. Die sind doch soooo effizient. :D

Nein, ich meine eher die Fälle, wenn Bürger sich in die Politik einmischen möchte. Dazu gibt es gerade auf kommunaler Ebene viele Möglichkeiten. Die Bezirksräte auf Stadtteilebene z.B. sind idR ehrenamtlich, sollten einen guten Draht zu den kommunalen Stellen haben und außerdem noch so nahe am Bürger leben und wohnen, dass sie entweder Meinungen selbst aufnehmen oder an sie herangetragene weitergeben bzw. beraten können, welcher Weg durch den Behördendschungel am erfolgversprechendsten ist.
Aber auch andersrum wird einiges versucht, in meiner Kommune hauptsächlich auf Stadtteilebene zur Quartiersentwicklung z.B. Da muß Bürger natürlich hingehen, wenn er eingeladen wird. Ohne Engagement und Zeitaufwand geht es nicht. Dass viele Dialogforen auch eine gewisse Alibifunktion haben, ist ein anderes Thema, man muß schon dranbleiben, wenn man im kleinen etwas verändern will. Und wenn viele im kleinen etwas verändern, ändert sich irgendwann auch das große.
Ruaidhri
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Registriert: 06.05.2015, 18:09

Renegat hat geschrieben:Aber auch andersrum wird einiges versucht, in meiner Kommune hauptsächlich auf Stadtteilebene zur Quartiersentwicklung z.B. Da muß Bürger natürlich hingehen, wenn er eingeladen wird. Ohne Engagement und Zeitaufwand geht es nicht. Dass viele Dialogforen auch eine gewisse Alibifunktion haben, ist ein anderes Thema, man muß schon dranbleiben, wenn man im kleinen etwas verändern will. Und wenn viele im kleinen etwas verändern, ändert sich irgendwann auch das große.
Richtig, die leibhaftige, persönliche Anwesenheit samt persönlicher Stellungnahme ist immer noch unabdingbar.
Egal, ob auf politischer Ebene oder in jeder anderen Organisation.
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LG Ruaidhri
Wallenstein

Spartaner
Die Bürgerämter sind reine Verwaltungen und bestimmen nicht die Richtlinien der Politik. Das machen sie genauso wenig wie die örtliche Polizeistation oder Feuerwehrwache, die ansässige KITA, die Grundschule, das Katasteramt oder die Friedhofsverwaltung. Das sind nun mit Sicherheit nicht die richtigen Adressen, um in der Politik mitzuwirken.

Was für Möglichkeiten es gibt, wurde hier von einigen Forumsmitglieddern erwähnt. Sicherlich gibt es noch mehr.
Katarina Ke
Mitglied
Beiträge: 137
Registriert: 04.11.2014, 02:09
Wohnort: Köln
Kontaktdaten:

Wenn man Quoten für Berufsgruppen festlegt, läuft man schnell Gefahr, eine Ständeparlament einzusetzen.

Die Demokratie ist keine ideale Regierungsform; aber sie ermöglicht ein Recht auf Opposition und damit Korrekturen in der Politik.
Geschichte sollte so geschrieben werden, wie man eine Geschichte erzählt - lebendig und an den Fakten orientiert. Meine Homepage: http://www.katharinakellmann-historikerin.de/
Ruaidhri
Mitglied
Beiträge: 1901
Registriert: 06.05.2015, 18:09

Katarina Ke hat geschrieben:Wenn man Quoten für Berufsgruppen festlegt, läuft man schnell Gefahr, eine Ständeparlament einzusetzen.

Die Demokratie ist keine ideale Regierungsform; aber sie ermöglicht ein Recht auf Opposition und damit Korrekturen in der Politik.
Das Recht durchzusetzen, bzw. nur zu verwirklichen, ist letztlich Sache jedes Bürgers. Die Möglichkeiten sind gegeben, ob man sie nutzt, ist die freie Entscheidung des Staatsbürgers.
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LG Ruaidhri
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