Was bedeutet "nationalkonservativ"?

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Barbarossa
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Zusammenfassung einiger verlorengegangener Beiträge:


Renegat » 03.02.2015, 09:59
Dietrich hat geschrieben:
Allerdings: Die meisten PEGIDA-Leute, die ich antraf, waren weder rassistisch noch fremdenfreindlich. Vielleicht könnte man sagen, wie waren nationalkonservativ, eine Richtung, die heute von keiner Partei mehr vertreten wird. Abgesehen wohl von der AfD. An Neonazis und Rechtsextremen gab es wenige und die waren isoliert.
Da hätte ich mal eine Frage: Wie geht denn nationalkonservativ? Gab´s das schon mal?
Wenn ich ganz naiv das Wort nehme, heißt das, man konserviert (friert ein) die Nationen (Nationalstaaten). Man schmort nur im eigenen Saft.
Wie kann man das praktisch durchführen? Grenzen, Mauern, Schutzzölle? Der ideale, nationalkonservative Staat kommt mit den Ressourcen aus, die er auf seinem Gebiet hat. Dann ist kein Handel über die Außengrenze mehr nötig, es wird das gegessen, was das eigene Land hergibt. Nur die Energie verbraucht, die auf dem eigenen Gebiet erzeugt werden kann.

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Barbarossa » 03.02.2015, 15:40

Nein Renegat, das ist sicher nicht gemeint mit nationalkonservativ.
"National" meint vor allem, die Souveränität der Nationalstaaten zu erhalten, das ist sicher das Ziel von Nationalkonservativen und vor allem - jeder wirtschaftet für sich selbst. Schutzzölle gegen subventionierte Billigwaren aus dem Ausland um die einheimischen Unternehmen zu schützen, gehört dabei dazu. Das schließt aber keinesfalls den Handel mit anderen Nationen aus. Warum auch?
Aber schon die Einführung des Euro hat den Teilnehmerstaaten viel an Souveränität genommen. Notfalls müssen Teilnehmerstaaten unterstützt werden, muß im allerhöchsten Notfall auch auf ehrlich verdientes und angelegtes Geld verzichtet werden, damit die ganze Währung nicht den Bach hinunter geht - siehe Griechenland. Das ist sicher der größte Knachpunkt bei dieser Sache und das wird uns noch eine lange Zeit begleiten.

"Konservativ" meint vor allem, konservative gesellschaftliche Werte. Also vor allem Religion (in Deutschland also Christentum und Judentum), Ehe, Familie usw.

In diesem Zusammenhang wundert es mich, dass so eine Bewegung wie in Dresden vom Namen her gerade das "christliche Abendland" hochhält, wo doch die meisten Bürger im Osten Atheisten sind.
:mrgreen:

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:arrow: Ich habe aus der Frage ein neues Thema gemacht.

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Dietrich » 03.02.2015, 16:34
Renegat hat geschrieben:
Da hätte ich mal eine Frage: Wie geht denn nationalkonservativ? Gab´s das schon mal?
"Nationalkonservative Parteien" gab's durchaus einmal, sie waren besonders vor dem Zweiten Weltkrieg stark verbreitet und sind heutzutage in einer ganzen Reihe europäischer Staaten bei Wahlen dabei. Die Richtung "nationalkonservativ" betont die nationale, ethnische und kulturelle Identität und hat die Tendenz, traditionelle Moralvorstellungen zu verteidigen.

Sammelbecken für diese Geisteshaltung war während der Weimarer Republik vor allem die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die noch stark in den traditionellen Vorstellungen des Kaiserreichs befangen war. Nach dem Krieg war die Deutsche Partei (DP) ein nationalkonservatives Sammelbecken, in Polen ist es die Partei "Recht und Gerechtigkeit" und auch anderswo gibt es das. Allerdings ist der Nationakonservatismus nach 1945 stark auf dem Rückzug begriffen, doch gibt es aktuelle Parteien, bei denen sich die Grenze zum Rechtsradikalismus verwischt - denn rechtsradikal waren die alten etablierten nationakonservativen Parteien nicht und sie waren in der Parteienlandschaft wohl angesehen.

Ob man die AfD als "nationalkonservativ" bezeichnen kann oder ob sie sich in diese Richtung entwickelt, ist unsicher.

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Renegat » 03.02.2015, 16:47

Meine Frage zielte nicht auf Parteiprogramme, da kann man viel reinschreiben, sondern um Staaten, Länder, Gebiete, die phasenweise so agiert haben. Nur um den Begriff mit Leben zu füllen, falls das möglich ist.

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Dietrich » 03.02.2015, 17:09
Renegat hat geschrieben: Meine Frage zielte nicht auf Parteiprogramme, da kann man viel reinschreiben, sondern um Staaten, Länder, Gebiete, die phasenweise so agiert haben. Nur um den Begriff mit Leben zu füllen, falls das möglich ist.
Ich sagte doch, dass der Nationalkonservatismus zur Zeit der Weimarer Republik sehr verbreitet war und unter anderem von der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) als größter Gruppierung repräsentiert wurde. Daneben gab es eine große Anzahl von Splitterparteien, die nationalkonservatives Gedankengut bewahrten. Heutzutage gibt es in vielen Staaten Europas nationalkonservative Gruppierungen, so z.B. die Partei "Recht und Gerechtigkeit" in Polen. die "Anexartiti Ellines" in Griechenland, der "Front National" in Frankreich, die "British National Party" In England, die "Jobbik Magyarországért Mozgalom" in Ungarn oder die "Sverigedemokraterna" in Schweden.

Bei einigen dieser Parteien verschwimmt die Grenze zwischen nationalkonservativ und rechtsextrem, wobei sich solche Parteien nach eigenem Selbstverständnis nicht als "extrem" verstehen.

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Barbarossa » 03.02.2015, 17:15
Renegat hat geschrieben: Meine Frage zielte nicht auf Parteiprogramme, da kann man viel reinschreiben, sondern um Staaten, Länder, Gebiete, die phasenweise so agiert haben. Nur um den Begriff mit Leben zu füllen, falls das möglich ist.
Dietrich hat geschrieben: Ich sagte doch, dass der Nationalkonservatismus zur Zeit der Weimarer Republik sehr verbreitet war und unter anderem von der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) als größter Gruppierung repräsentiert wurde. Daneben gab es eine große Anzahl von Splitterparteien, die nationalkonservatives Gedankengut bewahrten. Heutzutage gibt es in vielen Staaten Europas nationalkonservative Gruppierungen, so z.B. die Partei "Recht und Gerechtigkeit" in Polen. die "Anexartiti Ellines" in Griechenland, der "Front National" in Frankreich, die "British National Party" In England, die "Jobbik Magyarországért Mozgalom" in Ungarn oder die "Sverigedemokraterna" in Schweden.
Bei einigen dieser Parteien verschwimmt die Grenze zwischen nationalkonservativ und rechtsextrem, wobei sich solche Parteien nach eigenem Selbstverständnis nicht als "extrem" verstehen.


Dazu will ich mal hinzufügen, dass regierende Pateien die Politik eines Staates bestimmen. Wenn man heute Beispiele sucht, dann würde ich Regierungschef Orban - Ungarn dazu zählen, oder auch Putin - Russland.

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Dietrich » 03.02.2015, 17:25
Barbarossa hat geschrieben: Wenn man heute Beispiele sucht, dann würde ich Regierungschef Orban - Ungarn dazu zählen, oder auch Putin - Russland.
Das sind sicher glänzende Beispiele ihrer Spezies.

Ansonsten haben wir in Europa keine nationalkonservativen Regierungschefs am Ruder. Es sei denn, man möchte Recep Tayyip Erdoğan dazuzählen.

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Barbarossa » 03.02.2015, 17:34

Dietrich, wie würdest du Cameron - GB einschätzen?

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Dietrich » 03.02.2015, 18:32
Barbarossa hat geschrieben: Dietrich, wie würdest du Cameron - GB einschätzen?
Wir hatten mal in der FDP unter dem früheren Parteivorsitzenden Erich Mende eine Richtung, die sich "nationalliberal" nannte. Diese Haltung hat eine alte Tradition und zu ihr zählten u.a. Rudolf Augstein und Ralf Dahrendorf. http://de.wikipedia.org/wiki/Nationalliberalismus

Dort würde ich auch David Cameron verorten.

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Barbarossa » 03.02.2015, 21:50

Ah ja, ok.

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Katarina Ke » 04.02.2015, 08:26

Ralf Dahrendorf gehörte in den sechziger Jahren doch zu den Linksliberalen, die eine Erneuerung der FDP anstrebten. Die "alte FDP" um Erich Mende sollte inhaltlich zu neuen Ufern aufbrechen. Was Augstein in der Politik wollte, entzieht sich meiner Kenntnis. Er hat sein Bundestagsmandat auch schnell zurückgegeben.

Als nationalkonservativ hätte ich früher Alfred Dregger von der CDU eingeschätzt. Dieser Flügel der Union strebte die deutsche Einheit unter Einschluss der deutschen Ostgebiete an.

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dieter » 04.02.2015, 09:02

Liebe Katarina,
mit Dregger hast Du recht, ich konnte ihn im hessischen Wahlkampf erleben. Ich würde noch den alten Guttenberg, der Vater des unrühmlich abgegangenen Verteidigungsminister, dazu rechnen. :wink:

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Renegat » 04.02.2015, 12:45
Renegat hat geschrieben:
Da hätte ich mal eine Frage: Wie geht denn nationalkonservativ? Gab´s das schon mal?
Wenn ich ganz naiv das Wort nehme, heißt das, man konserviert (friert ein) die Nationen (Nationalstaaten). Man schmort nur im eigenen Saft.
Wie kann man das praktisch durchführen? Grenzen, Mauern, Schutzzölle? Der ideale, nationalkonservative Staat kommt mit den Ressourcen aus, die er auf seinem Gebiet hat. Dann ist kein Handel über die Außengrenze mehr nötig, es wird das gegessen, was das eigene Land hergibt. Nur die Energie verbraucht, die auf dem eigenen Gebiet erzeugt werden kann.
Barbarossa hat geschrieben: Nein Renegat, das ist sicher nicht gemeint mit nationalkonservativ.
"National" meint vor allem, die Souveränität der Nationalstaaten zu erhalten, das ist sicher das Ziel von Nationalkonservativen und vor allem - jeder wirtschaftet für sich selbst. Schutzzölle gegen subventionierte Billigwaren aus dem Ausland um die einheimischen Unternehmen zu schützen, gehört dabei dazu. Das schließt aber keinesfalls den Handel mit anderen Nationen aus. Warum auch?
Aber schon die Einführung des Euro hat den Teilnehmerstaaten viel an Souveränität genommen. Notfalls müssen Teilnehmerstaaten unterstützt werden, muß im allerhöchsten Notfall auch auf ehrlich verdientes und angelegtes Geld verzichtet werden, damit die ganze Währung nicht den Bach hinunter geht - siehe Griechenland. Das ist sicher der größte Knachpunkt bei dieser Sache und das wird uns noch eine lange Zeit begleiten.

"Konservativ" meint vor allem, konservative gesellschaftliche Werte. Also vor allem Religion (in Deutschland also Christentum und Judentum), Ehe, Familie usw.


So ganz einfach scheint der Begriff nun doch nicht zu sein. Bisher habe ich außer Barbarossas Antwort hauptsächlich bekannte Politikernamen gelesen, die mit der Bezeichnung nationalkonservativ verknüpft wurden und das noch nicht mal unstrittig.

Das ist, als würde ich auf die Frage "Was ist Blond", die Antwort "Angela Merkel" erhalten.

Die in Dietrichs Antwort erwähnte DNVP der WR, findet man auch in Wiki. http://de.wikipedia.org/wiki/Nationalkonservatismus Da steht weiteres diskussionswürdiges:
Nationalkonservativen gemeinsam ist eine skeptische bis ablehnende Haltung gegenüber der Zuwanderung und der europäischen Integration,[3] sowie eine Tendenz zum Wertkonservatismus und traditionellen Moralvorstellungen. [1][4] Sie verstehen den Konservatismus als Korrektiv zu Modernismus und Fortschrittsgläubigkeit und stellen die Gemeinschaft vor das Individuum.[4] Nicht selten geht der Nationalkonservatismus auch Verbindungen zu konservativen religiösen Strömungen ein.[5] Ökonomisch werden hingegen sowohl sozial-marktwirtschaftliche als auch laissez-faire Ansichten vertreten.
Unter Tendenz zum Wertkonservatismus und traditionellen Moralvorstellungen sind wohl die von Barbarossa genannte Religion, Ehe und Familie zu verstehen. Natürlich nur die mit einem andersgeschlechtlichen Partner.

Zum Wirtschaftssystem scheint es keine positive Aussage zu geben, d.h. man sagt, was man nicht will, aktuell EU-Skepsis, aber nicht, was man will, jedenfalls nicht konkret. Deshalb wiederhole ich meine Anfangsfrage, wie soll das funktionieren?

Die von Barbarossa genannten Schutzzölle und andere Zölle hatten wir ja auch im Splitterstaatenbund HRR. War das HRR vielleicht nationalkonservativ?

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Lia » 04.02.2015, 12:48
Dieter hat geschrieben: Ich würde noch den alten Guttenberg, der Vater des unrühmlich abgegangenen Verteidigungsminister, dazu rechnen.
Wieso Vater? Enoch zu Guttenberg, Jahrgang 1946, ist Musiker, Dirigent, nicht in erster Linie Politiker, trotz seines Engagements für Umwelt- und Naturschutz und zeitweiliger Zugehörigkeit zur CSU.
Sein Vater, also der Großvater des einstigen Verteidigungsministers, Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, Jahrgang 1921, war Bundestagsabgeordenter und parlamentarischer Staatssekretär. Der ist wohl gemeint.

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Dietrich » 04.02.2015, 15:51
Renegat hat geschrieben:
So ganz einfach scheint der Begriff nun doch nicht zu sein. Bisher habe ich außer Barbarossas Antwort hauptsächlich bekannte Politikernamen gelesen, die mit der Bezeichnung nationalkonservativ verknüpft wurden und das noch nicht mal unstrittig.
Ich denke mal, im Verlauf dieses Threads dürfte doch klar geworden sein, was unter dem Begriff "nationalkondervativ" zu verstehen ist.

Wenn man das politische Handeln diesbezüglicher Politiker verfolgt, so muss einem klar sein, dass es unter dieser Gruppe wie bei allen Parteien verschiedene Flügel gibt, die einzelne Aspekte des Nationalkonservatismus unterschiedlich interpretieren. Die großen Grundlinien sind aber deutlich erkennbar und können z.B. bei der alten Tante Wiki gut nachgelesen werden, http://de.wikipedia.org/wiki/Nationalkonservatismus

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Artikel der "WELT", der dem etwa schillernden Begriff "nationalkonservativ" näher kommen will. Immerhin gibt es auch heute noch Nationalkonservative, die diesen etwas in die Jahre gekommenen Begriff nicht mehr für sich verwenden wollen - aber politisch im gleichen ideologischen Fahrwasser fahren. http://www.welt.de/print-welt/article27 ... vativ.html
Die Diskussion ist eröffnet!

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dieter
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Lieber Dietrich,
da es laut Wikipedia verschiedene Richtungen gibt, glaube ich als liberaler Preußischer Protestant auch zu den Nationalkonservativen zu gehören. :wink: :mrgreen:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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