Recht jeder Ethnie auf eigenen Staat?

Allgemeine politikwissenschaftliche Diskussionen

Moderator: Barbarossa

Dietrich
Mitglied
Beiträge: 1755
Registriert: 04.05.2012, 18:42
Wohnort: Ostfalen

Renegat hat geschrieben: Ich denke aber, sortierte Völker in Nationalstaaten können nur eine Momentaufnahme sein und vor allem, sie lassen sich nur mit Gewalt durchsetzen. Menschen lassen sich nicht dauerhaft sortieren, sie sind mobil, manchen gefällt es woanders besser. Manchen, wie dir, Nemeth ist es wichtiger, im Geburtsland zu leben als mit Menschen deiner Ethnie. Bei anderen ist es umgekehrt.
Schon aus ganz pragmatischen Gründen lässt sich eine staatliche Souveränität aller ethnischen Minderheiten nicht durchführen. Wie sollen z.B. die Sorben, Nordfriesen, Aromunen, Istro-Rumänen, Rätoromanen, Pomaken, Sarden oder Gagausen funktionierende und wirtschaftlich stabile Staaten bilden? Das ist doch absurd.

Ein vernünftiges Rezept ist ein Minderheitenstatut, das die kulturelle Autonomie und eine innere Selbstverwaltung garantiert. An eine Abspaltung kann man nur denken, wenn Majorität und Minorität gravierende Probleme miteinander haben, ein Minderheitenstatut abgelehnt wird und keine Verständigung möglich ist. Aber auch dann muss die Minderheit in der Lage sein, ein funktionierendes Staatswesen zu gründen, das auf sich gestellt finanziell und wirtschaftlich lebensfähig ist. Wenn das nicht möglich ist, muss die Staatenwelt auf beide Kontrahenten einwirken, damit wenigstens ein vernünftiges Minderheitenstatut zustande kommt.
Lia

Karlheinz hat geschrieben:Fragen, die kaum zu beantworten sind.
Aber Fragen, bei denen Möglichkeiten zu diskutieren sind, ob allgemein oder auf einen spezifischen Fall bezogen.
Was ist, wenn verschiedene Ethnien etwa gleich stark in einem Gebiet vertreten sind? Entscheidet letztlich dann die Gewalt?
Beim derzeitigen status quo leider immer noch zu oft.
Es gilt ja eben, nach anderen Denkmodellen (oder auch Beispielen) zu suchen, wie unterschiedliche Ethnien miteinander umgehen könn(t)en.
Mal auf eine andere Ebene gebracht: Idenfikationsmuster scheint der Mensch zu brauchen. Ob nun Zugehörigkeit zu einem Fußballverein oder sonstigen Hobby-Gruppen. Doch sogar dort gibt es Binnen-Differenzierungen und Abgrenzungen unter ein und demselben Dach. Und Zoff dazu.
Spartaner
Mitglied
Beiträge: 1649
Registriert: 25.12.2013, 23:36

Dietrich hat geschrieben: Schon aus ganz pragmatischen Gründen lässt sich eine staatliche Souveränität aller ethnischen Minderheiten nicht durchführen. Wie sollen z.B. die Sorben, Nordfriesen, Aromunen, Istro-Rumänen, Rätoromanen, Pomaken, Sarden oder Gagausen funktionierende und wirtschaftlich stabile Staaten bilden? Das ist doch absurd.

Ein vernünftiges Rezept ist ein Minderheitenstatut, das die kulturelle Autonomie und eine innere Selbstverwaltung garantiert. An eine Abspaltung kann man nur denken, wenn Majorität und Minorität gravierende Probleme miteinander haben, ein Minderheitenstatut abgelehnt wird und keine Verständigung möglich ist. Aber auch dann muss die Minderheit in der Lage sein, ein funktionierendes Staatswesen zu gründen, das auf sich gestellt finanziell und wirtschaftlich lebensfähig ist. Wenn das nicht möglich ist, muss die Staatenwelt auf beide Kontrahenten einwirken, damit wenigstens ein vernünftiges Minderheitenstatut zustande kommt.
Es ist ja auch nicht überall nötig jeder Minderheit eine staatliche Souveränität zu geben. Aber in einigen Fällen ist sie offensichtlich zeitreif. In einigen Fällen gibt es sogar keinen gemeinsammen Konsenz mehr, da man weiter mit Unterdrückung rechnen muss bzw. die Volksgruppen unterdrückt wurden und das Vertrauen nicht mehr gegeben ist. Aber auch zu Recht. Die Kurden sind jahrelang in der Türekei und im Iran unterdrückt worden, wobei man sagen muss in der Türkei mehr als im Iran . Folgerichtig war dort der bewaffnete Widerstand auch grösser, ebenfalls auch in Abchasien und Südossetien. Ja man könnte auch Tschetschenien hnzufügen. Das Beispiel der Sorben und Friesen hinkt ein wenig , denn diese Volksgruppen fühlen sich nicht benachteiligt.
Lia

Spartaner hat geschrieben:Das Beispiel der Sorben und Friesen hinkt ein wenig , denn diese Volksgruppen fühlen sich nicht benachteiligt.
Doch, aber dennoch möchten die Friesen keinen eigenen Staat, die Sorben wohl auch nicht.
Friesland wäre dann ja auf dem Territorium zweier Staaten, der Niederlande und der Bundesrepublik, dort denn 2 Bundesländer- Nds. und Schleswig-Holstein. Die Nordfriesen scheinen mir keine Abspaltung zu wollen, die gehören als Friesen zum Land.
Benutzeravatar
Triton
Mitglied
Beiträge: 1909
Registriert: 09.10.2012, 10:30

Mal provokant gefragt: Sind Bundesdeutsche und Österreicher nicht eine Ethnie?
"Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, in dem man sie ignoriert." (Aldous Huxley)
Renegat
Mitglied
Beiträge: 2045
Registriert: 29.04.2012, 19:42

Triton hat geschrieben:Mal provokant gefragt: Sind Bundesdeutsche und Österreicher nicht eine Ethnie?
Nöö, es sei denn, du möchtest das am intensivsten ausdiskutierte Thema erneut debattieren? :D , was aber mindestens einen neuen Thread wert ist. Weitere Threadhits wären dann "Sind Deutschschweizer ethnisch Deutsche? Und besonders nett für den Norden "Sind Niederländer eigentlich auch Deutsche?

Ne, ernsthaft, da ich erst kürzlich das Vergnügen hatte, die Nachbarn in Ö zu besuchen, kann ich nur sagen, nein, denn inzwischen haben wir uns auch sprachlich soweit auseinanderentwickelt, dass man Deutsche in der Wiener U-Bahn schon von weitem an der Sprache von Österreichern unterscheiden kann. Das liegt nicht so sehr am Dialekt (Klangfarbe der Sprache) sondern an der Wortwahl. Wahrscheinlich so ähnlich wie in der Schweiz, die haben ja auch andere Vokabeln, wie ich gerade eben bei Oriannes Führerschein lesen konnte.
Die DDR hat die Kurve geradesoeben noch rechtzeitig gekriegt, ein paar Jahre länger und die Zweiraumwohnung hätte uns ethnisch auf ewig von der Zweizimmerwohnung getrennt. :D

Von den anderen Kriterien für Ethnien zur Staatenbildung wie Bräuche, Geschichte und vor allem dem Willen mal ganz zu schweigen.
Spartaner
Mitglied
Beiträge: 1649
Registriert: 25.12.2013, 23:36

Triton hat geschrieben:Mal provokant gefragt: Sind Bundesdeutsche und Österreicher nicht eine Ethnie?
Nein sind sie nicht .
Aber beide Volksgruppen würden gut zueinander passen, weil sie fast die gleiche Sprache sprechen und auch mental sich gut verstehen. Zumindest die Süddeutschen(Bayern) und die Österreicher .
Benutzeravatar
Titus Feuerfuchs
Mitglied
Beiträge: 1632
Registriert: 07.05.2012, 21:42

Renegat hat geschrieben: Ne, ernsthaft, da ich erst kürzlich das Vergnügen hatte, die Nachbarn in Ö zu besuchen, kann ich nur sagen, nein, denn inzwischen haben wir uns auch sprachlich soweit auseinanderentwickelt, dass man Deutsche in der Wiener U-Bahn schon von weitem an der Sprache von Österreichern unterscheiden kann. Das liegt nicht so sehr am Dialekt (Klangfarbe der Sprache) sondern an der Wortwahl. Wahrscheinlich so ähnlich wie in der Schweiz, die haben ja auch andere Vokabeln, wie ich gerade eben bei Oriannes Führerschein lesen konnte.
Richtig, allerdings trifft das auf einen Bayern in der berliner U-Bahn oder einen Sachsen in der hamburger U-Bahn auch zu, taugt also nicht als (Haupt)Kriterium zur Unterscheidung.

Renegat hat geschrieben: Die DDR hat die Kurve geradesoeben noch rechtzeitig gekriegt, ein paar Jahre länger und die Zweiraumwohnung hätte uns ethnisch auf ewig von der Zweizimmerwohnung getrennt. :D
Möglich, wir werden es nie erfahren.
Sollte es eines Tages zu einem Sturtz der nordkoreanischen Diktatur kommen, wird man sehen, ob und wie eine Wiedervereinigung eines Staates nach noch längerer Trennung möglich ist.
MfG,
Titus Feuerfuchs
Benutzeravatar
Titus Feuerfuchs
Mitglied
Beiträge: 1632
Registriert: 07.05.2012, 21:42

Triton hat geschrieben:Mal provokant gefragt: Sind Bundesdeutsche und Österreicher nicht eine Ethnie?
Theoretisch ja, praktisch nein.
Österreicher fühlen sich seit 1945 nicht mehr (das "mehr" ist der entscheidende Punkt) als Deutsche. Bei den (Deutsch)Schweizern ist's noch länger her, da war's 1648.

Abgesehen vom Selbstbild gibt's auch mentalitätsmäßig eklatante Unterschiede, allerdings gibt's die innerhalb Österreichs in abgeschwächter Form auch, wenn ich z.B. Wiener mit Tirolern oder Vorarlbergern vergleiche...
MfG,
Titus Feuerfuchs
Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15506
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

Deutsche sind ja auch nicht gleich Deutsche. Interessant sind dabei immer die Dialekte mit den größten Verwandtschaftsgrad, also:
Bayern-Österreicher (dort wahrscheinlich noch näher die Tiroler) oder
Badener-Deutschschweizer
gibt sicher noch mehr
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Barbarossa hat geschrieben:Lia und Paul haben schon vieles geschrieben, das ich unterstütze. Auf solchen Überlegungen aufbauend, habe ich für mich eine relativ einfache Formel gefunden:

Abspaltungstendenzen bei einer nationalen Minderheit werden immer dann entstehen, wenn sich diese politisch unterdrückt oder wirtschaftlich benachteiligt fühlt (oftmals ist es beides). Schon Einschränkungen, seine eigene Muttersprache zu gebrauchen (z. B. bei Amtsgängen), kann solche Tendenzen hervorrufen.
In echten Demokratien sollte solches nicht vorkommen und damit auch keine ernst gemeinten Forderungen nach Abspaltung einer Region.
Wenn dann eine Ethnie oder Region seine politische Souveränität mehrheitlich verlangt, ist diese zu gewähren, denn nach unserem Verständnis ist das Volk ja nunmal der Souverän. Dieser Wille kann in einer Volksabstimmung festgestellt werden und über die internationale Staatengemeinschaft überwacht werden.

Und nein Lia, auch die Katalanen verstehen sich als eigene Ethnie.

Und noch eine Anmerkung zur Krim und zur Ostukraine:
In diesen Regionen mag es zwar jeweils eine mehrheitlich russisch-sprachige Bevölkerung geben, bei der es möglicherweise auch mehrheitlich einen Willen zur Abspaltung gab bzw. gibt, aber so etwas geht nicht im Alleingang. Und schon gar nicht aufgehetzt durch einen großen Nachbarstaat. Der richtige Weg wäre der über die UNO gewesen, die nach einer Anhörung eine Resolution verfasst, die von allen beteiligten Parteien anerkannt werden muss.
Die Bezeichnung in unseren Medien allerdings, die stets von der "selbsternannten Republik" sprechen, finde ich dann auch wieder ziemlich lächerlich, denn eine Republik kann sich nur selbst ernennen bzw. proklamieren. Wer denn auch sonst? Aber eben nur nach dem von mir skizzierten Weg.
Lieber Barbarossa,
Du hast mit den von Dir aufgestellten Prinzipien ja Recht. Ich bezweifele aber, dass Russland sich mit Putin daran je halten wird. Auch die Wahlen in Russland selber sind nicht demokratisch. :roll:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Barbarossa hat geschrieben:Deutsche sind ja auch nicht gleich Deutsche. Interessant sind dabei immer die Dialekte mit den größten Verwandtschaftsgrad, also:
Bayern-Österreicher (dort wahrscheinlich noch näher die Tiroler) oder
Badener-Deutschschweizer
gibt sicher noch mehr
Lieber Barbarossa,
bei meinen Reisen stellte ich fest, dass Bayern und Österreicher doch sehr miteinander verwandt sind. Die Bayern sind dabei sturer als die Österreicher. :wink: :mrgreen: Ich nehme an, das die Alpenvölker durch die Struktur ihrer Landschaft sowieso verwandt mit einander sind. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Benutzeravatar
Peppone
Mitglied
Beiträge: 2414
Registriert: 30.04.2012, 18:41

dieter hat geschrieben: Ich nehme an, das die Alpenvölker durch die Struktur ihrer Landschaft sowieso verwandt mit einander sind. :wink:
Du nimmst richtig an, aber deine Begründung ist unscharf.
Die Alpenvölker sind miteinander verwandt, weil die Alpen aus dem Alpenvorland heraus besiedelt worden ist.

Österreich war einst schlicht der Ostteil Bayerns ("Ostmark"/"Ostarrichi"), Brixen ein bayerisches Bistum, Kärnten und Steiermark wurden von Bayern kolonisiert und damit zu Teilen Bayerns, beherrscht von bayerischen Grafen (das slawische Fürstentum Karantanien anerkannte 743 die bayerische Oberhoheit und bekam im Gegenzug bayerische Unterstützung im Abwehrkampf gegen die Awaren, unter Karl dem Großen wurden Bayern und Karantanien vereint, so blieb es bis 976; die Steiermark war Teil Karantaniens bis Mitte des 12.Jhs.).
Die heutige Deutsch-Schweiz war altes alamannisches Siedlungsgebiet, von daher ist eine Verwandtschaft zwischen (Verzeihung an die Schwaben und Schweizer im Forum) "Kuhschwaben" und "Sauschwaben" nur logisch.

Mit der Struktur der Landschaft hat das eher wenig zu tun, die hat vielmehr dazu geführt, dass sich alte Verwandtschaftsverhältnisse auflösten, weil einzelne Täler eine andere Entwicklung nahmen als andere. Auch dass sich in den Alpen Reste ur- und vorbairischers/-alemannischer Bevölkerungen erhalten haben, hat mit der Struktur des LAndes zu tun, war aber einer gemeinsamen Verwandtschaft eher hinderlich.

Beppe
Lia

Kommt darauf an, wie weit man zurückgeht, um die "Blutsverwandschaft" festzustellen. Oder ob man Ethnie nur als Absatmmung, ncht auch als Gruppe gleicher sozialer Prägung versteht.
Wahrscheinlich hatder durchschnittliche Ur-Schleswig-Holsteiner oder auch Mecklenburger mehr mit den Engländern, den Skandinaviern, den Friesen in Holland oder slawischen Verwandten gemeinsam als mit einem Österreicher oder Bayern.
Die in Holstein ansässigen Abotriten und Wagrier wurden ja nicht ausgerrottet, gab lange Zeiten munteren Handels zwischen Sachsen, Dänen und den Slawen.
Mal abgesehen davon, dass, wo die Liebe hinfiel oder Kriege es mit sich brachten, ethnische Grenzen keine Rolle spielten.
Jeder Ethnie einen eigenen Staat? Könnte ein Bumerang werden für die, es es so wollen. Jeder Ethnie Anerkennung, Freiheit, Autonomie zu gewähren, muss eine Selbstverständlichkeit werden und wäre sicherlich in den allermeisten Fällen die bessere Lösung für alle.
Benutzeravatar
Peppone
Mitglied
Beiträge: 2414
Registriert: 30.04.2012, 18:41

Lia hat geschrieben:Jeder Ethnie einen eigenen Staat? Könnte ein Bumerang werden für die, es es so wollen.
Richtig. Würde wohl vor allem im kleinteiligen Europa, aber auch in Asien und Afrika darauf hinauslaufen, dass wir einen Flickenteppich aus Kleinstaaten bekommen, die sich untereinander spinnefeind sind, weil ja der "andere" Staat in der Nachbarschaft irgendeinen Fetzen Land besitzt, wo die ethnische Zugehörigkeit nicht ganz so klar ist und schon wird darum gestritten...

Beppe
Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag

Zurück zu „Politische Theorien“