Recht jeder Ethnie auf eigenen Staat?

Allgemeine politikwissenschaftliche Diskussionen

Moderator: Barbarossa

Renegat
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Das Thema kommt in diesem Forum öfter auf, bei den Schotten, Katalanen wird es zivilisiert bearbeitet.
Barbarossa hat geschrieben:Die Kurden haben ebenfalls keinen eigenen Staat. Das stört aber, außer den Kurden, niemanden.
Agrippa hat geschrieben:Doch, ich bin der Meinung, auch Kurdistan sollte frei sein, genau wie Tibet oder die Palästinenser... :wink:
Barbarossa hat geschrieben: Und wo, wenn nicht in Israel, sollen den Juden ihren Staat finden? Oder steht ihnen kein Staat zu?
Deshalb ganz allgemein, ist ein eigener Staat für jede Ethnie wirklich der einzige Weg oder sind wir nur gedanklich in der Nationalstaatsidee gefangen?
Für mich stellen sich bei diesem Thema viele, viele Fragen:
1. Was ist eine Ethnie und ist die Zugehörigkeit zu einer Ethnie wirklich so wichtig für den Einzelnen, dass er nur mit seinesgleichen glücklich zusammenleben kann?
2. Sind sortierte Völker und Nationalstaaten nicht nur ein vorübergehender Status?
3. Gibt es keine anderen Möglichkeiten, dem Einzelnen ein selbstbestimmtes, diskriminierungsfreies Leben zu ermöglichen? Minderheitenrechte/schutz beziehen sich ja nicht nur auf ethnisches Anderssein sondern auch auf sexuelle Orientierung, Handicaps usw. Deshalb etwas provokant: Haben auch Schwule ein Recht auf einen eigenen Staat?
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Nemeth
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Das ist eine Frage, die sich schon Jahrhunderte umtreibt.
Um nicht zu weit in die Historie zurückzugreifen wären da:
1871 Gründung des detschen Reiches (aus einer Vielzahl deutscher Staaten)
Entlassung von Luxemburg
1918 Auflösung der K.u.k. Monarchie (unter teilweiser Mißachtung der ethnischen Grenzen)
Bildung von Staaten mit ethnischen Problematiken (z.B. Tschecheslowakei, Jugoslawien)

Bis hin in die jüngste Vergangenheit, als doch angenommen wurde, daß nach den ethnischen
"Säuberungen" nach WKII, die se Frage in Europa geklärt wäre.
Wer zur Quelle will, muss gegen den Strom schwimmen
Renegat
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Nemeth hat geschrieben: Bis hin in die jüngste Vergangenheit, als doch angenommen wurde, daß nach den ethnischen
"Säuberungen" nach WKII, die se Frage in Europa geklärt wäre.
Ja, genau das meinte ich. Nach dem 2.WK und dem erbarmungslosen Völkersortieren auf vielen Seiten, hätte doch eigentlich glückliche Ruhe einkehren müssen.
Ich denke aber, sortierte Völker in Nationalstaaten können nur eine Momentaufnahme sein und vor allem, sie lassen sich nur mit Gewalt durchsetzen. Menschen lassen sich nicht dauerhaft sortieren, sie sind mobil, manchen gefällt es woanders besser. Manchen, wie dir, Nemeth ist es wichtiger, im Geburtsland zu leben als mit Menschen deiner Ethnie. Bei anderen ist es umgekehrt.
Lia

Renegat hat geschrieben:Deshalb ganz allgemein, ist ein eigener Staat für jede Ethnie wirklich der einzige Weg oder sind wir nur gedanklich in der Nationalstaatsidee gefangen?
Für mich stellen sich bei diesem Thema viele, viele Fragen:1. Was ist eine Ethnie und ist die Zugehörigkeit zu einer Ethnie wirklich so wichtig für den Einzelnen, dass er nur mit seinesgleichen glücklich zusammenleben kann?
2. Sind sortierte Völker und Nationalstaaten nicht nur ein vorübergehender Status?
3. Gibt es keine anderen Möglichkeiten, dem Einzelnen ein selbstbestimmtes, diskriminierungsfreies Leben zu ermöglichen? Minderheitenrechte/schutz beziehen sich ja nicht nur auf ethnisches Anderssein sondern auch auf sexuelle Orientierung, Handicaps usw. Deshalb etwas provokant: Haben auch Schwule ein Recht auf einen eigenen Staat?
Frage 1: Das ist durchaus wichtig für viele, sich zu einer Ethnie, einem Sprach- oder Kulturkreis zugehörig zu fühlen.
Das wieder schließt in Teilen Europas inzwischen nicht mehr aus, sich dennoch für den Staat zu engagieren, in dem man als anerkannte Minderheit lebt- mit den Angehörigen in Frieden und Freundschaft, nicht nur abgegrenzt für sich selbst.
Fage 2: Vermutlich ja. Nur kann man die Dinge anders handhaben als in der Vergangenheit, wenn es alle wollen und die Voraussetzungen dafür schaffen.
Frage 3: Setzt Lernprozesse in Sachen Toleranz und Miteinander voraus, und das wird dauern, solches Denken in den jeweiligen Bevölkerungen durchzusetzen. Wir sind ja mal in Europa auch erst am Beginn.
Nie haben Grenzen und Abgrenzungen eine solche Rolle gespielt wie in der Zeit der Nationalstaaten.
(Zu Funktionen von Grenzen unterschiedlicher Art von der Antike bis in die Neuzeit gibt es inzwischen ziemlich viel wissenschaftliche Literatur)
Abgrenzung und Territorialverhälten stecken im homo sapiens immer noch- einzeln und in Gruppen, nur sollte er schneller als bisher die Möglichkeiten der Sapientia nutzen lernen, instinktives Verhalten mit Vernunft und anderen Fähigkeiten in besseren Einklang zu bringen.
Spartaner
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Renegat hat geschrieben:
Nemeth hat geschrieben: Bis hin in die jüngste Vergangenheit, als doch angenommen wurde, daß nach den ethnischen
"Säuberungen" nach WKII, die se Frage in Europa geklärt wäre.
Ja, genau das meinte ich. Nach dem 2.WK und dem erbarmungslosen Völkersortieren auf vielen Seiten, hätte doch eigentlich glückliche Ruhe einkehren müssen.
Ich denke aber, sortierte Völker in Nationalstaaten können nur eine Momentaufnahme sein und vor allem, sie lassen sich nur mit Gewalt durchsetzen. Menschen lassen sich nicht dauerhaft sortieren, sie sind mobil, manchen gefällt es woanders besser. Manchen, wie dir, Nemeth ist es wichtiger, im Geburtsland zu leben als mit Menschen deiner Ethnie. Bei anderen ist es umgekehrt.
Sortierte Völker ist villeicht nicht der richtige Ausdurck. Keiner will hier etwas sortieren außer vl. der IS im Irak.
Apropos Irak am Beispiel gerade diesen Landes kann man sehen was passiert ,wenn man aus nur profitorientierten Überlegungen die Grenzen zieht. Nachdem man dort in den Kurdengebieten Erdöl gefunden hatte, haben die Briten den Kurden, die im Vertrag von 1920 versprochene Souveränität nicht gegeben. Das späte Resultat dessen sehen wir heute.
Lia

Abgrenzungsbestrebungen sind übrigens nicht immer nur aus ethnischer "Motivation" im Gange, sondern- wie eigentlich auch in Schottland, Katalanien oder Norditalien auf wirtschaftlichen Interessen basierend.

Kurden in der Türkei:
Unterlagen dem Sprachverbot, der Unterdrückung in allen kulturellen Belangen. Unsere türkischen Ladeninhaber waren völlig verdutzt, als sie von etlichen Kunden vernahmen, das sei einer der Kernfehler und nicht akzeptabel. Wisse man aus Erfahrung, wohin derlei führt.
" Die können ja nichtmal Türkisch, wollen sie auch nicht können, da muss man sie doch zwingen."
Mit anerkannter Zweisprachigkeit wäre auch das aus der Welt, aber nie mit Zwang.
Man wurde nachdenklich, bedankte sich sogar für die Zeit, die einige Dörfler investierten, um andere, bis dahin schlicht nicht gekannte Gesichtspunkte und Möglichkeitenzu zeigen und zu diskutieren.
Es wäre den Kurden wenigstens etwas geholfen, wenn sie als eigene ethnische Gruppe anerkannt würden und gleichberechtigt gesehen würden statt verfolgt und gefoltert zu werden. Das allein schon in die über Jahrzehnte mit national- türkischer Propaganda vollgehämmerten Köpfe hineinzu bekommen, ist eine Aufgabe...
Den Kurden einen eigenen Staat auf türkischem Staatsgebiet zu gewähren: derzeit wohl noch undenkbar.
Gleiches auf irakischer Seite. Trotz künstlicher Grenzziehung sah man sich dort als Staat, kurdische Teile abzutrennen und den Kurden einen eigenen Staat zu schenken- womöglich grenzüberschreitend, war und ist immer noch undenkbar. Reicht ja nichtmal für Minimal-Ziele wie weitgehende Autonomie.
Haben die Europäer ja auch nicht vorgelebt, sondern als Kolonialmächte gehandelt- Die Folgen sehen wir jetzt allenthalben.

Zur Ausgangsfrage: Im Prinzip wäre das Recht auf eigenes Territorium natürlich anzuerkennen. Ob es sich als wünschenswert und sinnvoll erweist, ist aus Sicht der jeweiligen Gruppe und abhängig von der Größenordnung eine andere Sache.
Aus der Perspektive der Außenstehenden ganz sicher oft wirtschaftspolitisch unsinnig.
Wäre zu fragen, woher solche Nationalstaats- Bestrebungen rühren. Zum einen sicherlich auf der Nichtanerkennung und oft Unterdrückung durch durchdie Majoritäten im Staate.
Zum anderen ist es ein anderes, uns inzwischen veraltet erscheinendes Denken. Umdenken, Lernen, dass es auch anders gehen könnte, wäre angesagt- auf allen Seiten. Wieder müssen wir Besserwisser uns hüten, unsere Maßstäbe sofort übertragen zu wollen.
Manche Lern- ud Verständnisprozesse dauern länger, bedürfen immer wieder der Erklärungen und vor allem der positiven Beispiele.
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dieter
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Spartaner hat geschrieben:
Renegat hat geschrieben:
Nemeth hat geschrieben: Bis hin in die jüngste Vergangenheit, als doch angenommen wurde, daß nach den ethnischen
"Säuberungen" nach WKII, die se Frage in Europa geklärt wäre.
Ja, genau das meinte ich. Nach dem 2.WK und dem erbarmungslosen Völkersortieren auf vielen Seiten, hätte doch eigentlich glückliche Ruhe einkehren müssen.
Ich denke aber, sortierte Völker in Nationalstaaten können nur eine Momentaufnahme sein und vor allem, sie lassen sich nur mit Gewalt durchsetzen. Menschen lassen sich nicht dauerhaft sortieren, sie sind mobil, manchen gefällt es woanders besser. Manchen, wie dir, Nemeth ist es wichtiger, im Geburtsland zu leben als mit Menschen deiner Ethnie. Bei anderen ist es umgekehrt.
Sortierte Völker ist villeicht nicht der richtige Ausdurck. Keiner will hier etwas sortieren außer vl. der IS im Irak.
Apropos Irak am Beispiel gerade diesen Landes kann man sehen was passiert ,wenn man aus nur profitorientierten Überlegungen die Grenzen zieht. Nachdem man dort in den Kurdengebieten Erdöl gefunden hatte, haben die Briten den Kurden, die im Vertrag von 1920 versprochene Souveränität nicht gegeben. Das späte Resultat dessen sehen wir heute.
Lieber Spartaner,
deshalb bin ich für einen Kurdenstaat, dessen Souveränität nicht durch Erdöl begrenzt sein dürfte. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Paul
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Natürlich können nicht ein paar hundert Leute einen Staat aufmachen. Außer einer gewissen Größe müssen sie auch zumindest die relative Mehrheit in einem Gebiet stellen. Oft kann eine echte Autonomie eine akzeptable Lösung sein. Wenn die Verhältnisse akzeptabel sind, gibt es normalerweise auch keine Abspaltungstendenzen.
Viele Staaten machen sehr gute Erfahrungen damit ihren Minderheiten viele Rechte zu geben. Die PKK hat das örtliche Selbstverwaltungsprinzip zu einem wichtigen politischen Anliegen erklärt, nicht nur für Kurden, sondern auch in Gebieten, wo sie Einfluß ausüben für die anderen Ethnien. In Nordsyrien machen sie gute Erfahrungen mit der freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Kurden, Arabern, Assyrern, Armeniern, Tschetschenen...
Die Schweiz macht ja auch gute Erfahrungen mit ihrem komplexen System von Kantonen und dem Minderheitenschutz in Graubünden und den zweisprachigen Kantonen.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
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Barbarossa
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Lia und Paul haben schon vieles geschrieben, das ich unterstütze. Auf solchen Überlegungen aufbauend, habe ich für mich eine relativ einfache Formel gefunden:

Abspaltungstendenzen bei einer nationalen Minderheit werden immer dann entstehen, wenn sich diese politisch unterdrückt oder wirtschaftlich benachteiligt fühlt (oftmals ist es beides). Schon Einschränkungen, seine eigene Muttersprache zu gebrauchen (z. B. bei Amtsgängen), kann solche Tendenzen hervorrufen.
In echten Demokratien sollte solches nicht vorkommen und damit auch keine ernst gemeinten Forderungen nach Abspaltung einer Region.
Wenn dann eine Ethnie oder Region seine politische Souveränität mehrheitlich verlangt, ist diese zu gewähren, denn nach unserem Verständnis ist das Volk ja nunmal der Souverän. Dieser Wille kann in einer Volksabstimmung festgestellt werden und über die internationale Staatengemeinschaft überwacht werden.

Und nein Lia, auch die Katalanen verstehen sich als eigene Ethnie.

Und noch eine Anmerkung zur Krim und zur Ostukraine:
In diesen Regionen mag es zwar jeweils eine mehrheitlich russisch-sprachige Bevölkerung geben, bei der es möglicherweise auch mehrheitlich einen Willen zur Abspaltung gab bzw. gibt, aber so etwas geht nicht im Alleingang. Und schon gar nicht aufgehetzt durch einen großen Nachbarstaat. Der richtige Weg wäre der über die UNO gewesen, die nach einer Anhörung eine Resolution verfasst, die von allen beteiligten Parteien anerkannt werden muss.
Die Bezeichnung in unseren Medien allerdings, die stets von der "selbsternannten Republik" sprechen, finde ich dann auch wieder ziemlich lächerlich, denn eine Republik kann sich nur selbst ernennen bzw. proklamieren. Wer denn auch sonst? Aber eben nur nach dem von mir skizzierten Weg.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Paul
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Lia hat geschrieben:Abgrenzungsbestrebungen sind übrigens nicht immer nur aus ethnischer "Motivation" im Gange, sondern- wie eigentlich auch in Schottland, Katalanien oder Norditalien auf wirtschaftlichen Interessen basierend.
Für uns in Deutschland ist es eigentlich unverständlich, das aus religiösen Unterschieden nationale Gegensätze werden.
Serben, Kroaten, Bosnier gehören eigentlich zu einer Sprachnation. Um es kompliziert zu machen gehören auch Serben, Mazedonier, Montenegriner und Bulgaren zur selben Sprachnation und haben sogar dieselbe christlich orthodoxe Religion. Da kann man sich fragen, warum sie sich noch nicht zusammengeschlossen haben?(Serbien liegt im Dialektkontinium in der Mitte Südslawiens.)
In der Geschichte gehörten auch die Juden wie die aramäischen Christen und Baalanhänger zur selben Nation. Es wurde aber ein nationaler Unterschied definiert. Viele Juden gehören national auch zu ihren Sprachnationen. So sind viele Israelis Juden und gleichzeitig Araber. Auch heute noch gibt es christliche und jüdische Assyrer, sowie moslemische Assyrer.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
ehemaliger Autor K.

Barbarossa:
Abspaltungstendenzen bei einer nationalen Minderheit werden immer dann entstehen, wenn sich diese politisch unterdrückt oder wirtschaftlich benachteiligt fühlt (oftmals ist es beides). Schon Einschränkungen, seine eigene Muttersprache zu gebrauchen (z. B. bei Amtsgängen), kann solche Tendenzen hervorrufen.
In echten Demokratien sollte solches nicht vorkommen und damit auch keine ernst gemeinten Forderungen nach Abspaltung einer Region.
Wenn dann eine Ethnie oder Region seine politische Souveränität mehrheitlich verlangt, ist diese zu gewähren, denn nach unserem Verständnis ist das Volk ja nunmal der Souverän. Dieser Wille kann in einer Volksabstimmung festgestellt werden und über die internationale Staatengemeinschaft überwacht werden.

Das mit dem wirtschaftlich benachteiligt müsste man noch näher differenzieren. Regionen wollen sich abspalten, wenn sie glauben, sie kommen zu kurz. Oft ist es aber ja so, das gerade wirtschaftlich erfolgreiche Gebiete sich abspalten möchten, weil sie glauben, dass sie die anderen Regionen, die weniger leistungsfähig sind, mit finanzieren müssen. So verhält es sich wahrscheinlich derzeit mit Katalonien. Auch weitreichende Autonomieregelungen helfen da nicht. Verfügen diese dann über eine eigene Steuerhoheit, werden sich die Unterschiede in dem Staat immer weiter verschärfen und nicht ausgleichen.
Das ist nicht so einfach in den Griff zu bekommen, auch nicht in einer Demokratie.

Hinzu kommt noch, das in manchen Staaten die Ethnien nicht geographisch getrennt leben, sondern direkt nebeneinander, in verschiedenen Stadtteilen, in unterschiedlichen Straßenzügen.

Im Libanon habe ich das gesehen mit seinen vielen verschiedenen Ethnien und Religionsgruppen. In Beirut leben sie in verschiedenen Vierteln, auch in anderen Städten. In der einen Hälfte des Dorfes ist die eine christlich, die andere Hälfte moslemisch. In dem Gebirge ist die eine Siedlung drusisch, die Nachbarsiedlung christlich, das nächste Dorf schiitisch, das andere sunnitisch. Wie soll man das trennen? Autonomie für eine Gruppe, das ist fast nicht praktikabel.

Auf Zypern habe ich das vor 1974 auch erlebt. In jedem Dorf, in jeder Stadt gab es ein griechisches Viertel und ein türkisches Viertel. Die Feindschaft zwischen den beiden Volksgruppen währte schon seit Jahrhunderten und es gab ständig Konflikte. Erst die Teilung der Insel und die ethnische Trennung der Völker hat den Konflikt vorläufig beendet. Die Griechen leben jetzt im Süden, die Türken im Norden der Insel. In manchen Fällen hat die sogenannte ethnische, brutale „Säuberung“ Auseinandersetzungen beendet. Aber das kann nicht eine wirkliche Lösung sein.
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Peppone
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Karlheinz hat geschrieben:Hinzu kommt noch, das in manchen Staaten die Ethnien nicht geographisch getrennt leben, sondern direkt nebeneinander, in verschiedenen Stadtteilen, in unterschiedlichen Straßenzügen.
Es ist sowieso erst einmal zu diskutieren, bis auf welche Ebene hinab eine Staatsgründung oder Abspaltung überhaupt sinnvoll ist und wen man da fragen sollte?
Wird jeder Gruppe, die sich selbst als eigenständige Ethnie definiert, eine Staatsgründung zugestanden? Wo zieht man die Grenzlinie zwischen Bevölkerungsgruppe und Ethnie. M.E. unmöglich. Damit sind wir wieder am Anfang...

Beppe
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Orianne
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Ich tue mich da ein wenig schwer, ich finde, dass wir mit geschätzten 210 Staaten* schon sehr viele Gebilde haben. Es gibt Länder, die sollte es nicht geben, ich nehme einmal Moldawien als Beispiel. In der früheren SU war es der Garten sowie das Weinland, heute ist es ein Staat mit "Sklavenarbeitern", die vorzugsweise in Italien ihr Auskommen suchen, zu Hause warten Kinder mit ihren Grosseltern auf ihre Väter und Mütter, die Felder sind erodiert, weil die Alten und Kinder das Land nicht bestellen können. Als Problem sehe ich Transnistrien und Gagausien, sowie das Verhältnis zu Rumänien und der Ukraine.

*Von der UNO anerkannt oder nicht!
Grant stood by me when I was crazy, and I stood by him when he was drunk, and now we stand by each other.

General William Tecumseh Sherman
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Lia

Barbarossa hat geschrieben:Und nein Lia, auch die Katalanen verstehen sich als eigene Ethnie.
Bei Bedarf sicher, da werden auch gebürtige Basken und Andalusier zu Katalanen. Das ist eine Schwierigkeit im Umgang mit dem Begriff der Ethnie, der so unterschiedlich interpretiert werden kann, eben abseits von "Blutsbanden".
Peppone hat geschrieben:Es ist sowieso erst einmal zu diskutieren, bis auf welche Ebene hinab eine Staatsgründung oder Abspaltung überhaupt sinnvoll ist und wen man da fragen sollte?
Wird jeder Gruppe, die sich selbst als eigenständige Ethnie definiert, eine Staatsgründung zugestanden? Wo zieht man die Grenzlinie zwischen Bevölkerungsgruppe und Ethnie. M.E. unmöglich. Damit sind wir wieder am Anfang..
Just das erfordert ein Umdenken, bei jedem einzelnen wie bei einer als Ethnie zu bezeichnenden Gruppe, bei der Mehrheit wie der Minderheit.
Abgrenzung, Gruppenzugehörigkeit,territoriales Verhalten sind einerseits naturgegeben, wie anderes auch.
Eine sehr idealistische Vorstellung, dass der Mensch qua Vernunft und aus Erfahrungen lernt, anders als mit Angst und Aggression gegen "Fremdes"zu reagieren.
Kooperation statt Konfrontation- mühsame Schritte, denn noch ist der Mensch eher des Menschen Wolf, kämpft ein Rudel gegen das andere, statt die Erkenntnisfähigkeit zu nutzen, dass genau dieses Verhalten am Ende ineffektiv ist.
Unterschiede, Kultur-Transfers, konkurriende Vorstellungenund Fertigkeiten verschiedener Gruppen auf einem Territorium als positiv zu sehen und zu nutzen, hat es immer gegeben- genauso wie erbitterte Kämpfe.
Letztere zu vermeiden, ist dem Menschen eigentlich möglich- eigentlich, sollte in Europa zumal möglich sein. So lange keine Gruppe/ Ethnie tatsächlich ums eigene Überleben kämpfen muss, weil sie innerhalb einer größeren Gemeinschaft mit gleichen Zielen und einigermaßen übereinstimmenden Wertvorstellungen überleben kann.
Diese Vorstellung muss erlernt, gelernt, geübt werden werden- und solche Lernprozesse dauern Generationen, so überhaupt umfassend möglich.
Gar nicht so einfach, hie Abgrenzung, dort Kooperation. Nicht einmal im Europa von heute, mit Minderheiten umzugehen. Wie schwierig die Dinge sein können, wie sie vielleicht gelöst werden könnten, mag man sich vielleicht u.a. am Beispiel Grönlands oder der Faröer erlesen.
Die Dänen haben sich im Umgang mit den Grönländern, zumal den Inuit (Kalaallit) alles andere als mit Ruhm bekleckert, inzwischen allerdings geht man doch etwas anders mit den fernen Insulanern um.
Die Samen in Finnland, Norwegen und Schweden wieder besitzen keine Eigenstaatlichkeit, und obwohl als ethnische Minderheit der Mehrheit gleichgestellt, werden ihre Lebensgewohnheiten durchaus mal von den ( nicht immer richtigen) Vorstellungen in den fernen Hauptstädten oder der EU beschnitten.
ehemaliger Autor K.

Div. Beiträge:
Genau das ist das Problem. Ausgerechnet Stalin definierte einmal eine Nation nach „objektiven“ Gesichtspunkten: „
„Eine Nation ist eine historisch entstandene stabile Gemeinschaft von Menschen, entstanden auf der Grundlage der Gemeinschaft der Sprache, des Territoriums, des Wirtschaftslebens und der sich in der Gemeinschaft der Kultur offenbarenden psychischen Wesensart.“ (Stalin, Marxismus und nationale Frage, 1912, S.272)

Erstaunlicherweise wurde dem selten widersprochen. Nichtmarxistische Definitionen sind nicht viel anders. Sie fügen manchmal noch Abstammung, Religion und weitere Begriffe hinzu.

Der liberale Ökonom John Stuart Mill machte noch auf einen subjektiven Faktor aufmerksam: Eine Nation muss auch eine Nation sein wollen.
Und, ein wichtiger Punkt: Die Gründung einer Nation muss auch sinnvoll und praktikabel sein. Der Wunsch der Waliser, Schotten, Bretonen usw. nach Unabhängigkeit schien ihm völlig sinnlos zu sein:

„Niemand wird behaupten wollen, dass es nicht für einen Bretonen, einen Basken oder einem französischen Navarresen ein Gewinn sei… als ein Mitglied der französischen Nationalität alle Vorrechte des französischen Staatsbürgertums unter gleichen Bedingungen zu genießen..“(J.S.Mill, Gesammelte Werke, Bd.8, 1873, S.225)

Diese „Schwellentheorie“ wurde in der Zukunft viel diskutiert. Unabhängigkeit kleiner Nationen wurde als „Balkanisierung“ oder „Kleinstaaterei“ in Misskredit gebracht.

Ist die Unabhängigkeit von Singapur sinnvoll, nicht aber die von Katalonien?

Wer entscheidet dies jetzt? Wenn die Mitglieder einer Region aus dem Staat ausscheiden wollen, dürfen das nur die Menschen bestimmen, die dort leben oder auch diejenigen, die im gleichen Staat wohnen und für die dann die Aufteilung mit schweren Einbußen verbunden ist?

Kriegen nur die einen Staat, die am lautesten dafür schreien?
Was ist, wenn verschiedene Ethnien etwa gleich stark in einem Gebiet vertreten sind? Entscheidet letztlich dann die Gewalt?
Fragen, die kaum zu beantworten sind.
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