Die Globalisierung im Kontext der menschlichen Evolution

Allgemeine politikwissenschaftliche Diskussionen

Moderator: Barbarossa

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Peppone
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Barbarossa hat geschrieben:[Wobei ich allerdings einige "Bauchschmerzen" bekomme ist, wenn ich höre, daß die Entwicklung einer Kultur, einer Gesellschaft in eine Richtung ebenfalls bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegen soll. Da sind wir dann tatsächlich bei Marx, Engels oder Hegel. Da glaube ich einfach nicht dran.
Naja, bestimmte Gesetzmäßigkeiten gibt es schon, man darf sie nur nicht zu hoch hängen.
Eine Hochkultur hat ein "Auf" und ein "Ab" und dazwischendrin ein "Hoch". Das Hoch dauert mal länger, mal kürzer, der Auf- wie auch der Abschwung haben je nach Kultur verschiedene Gründe - mal innere, mal äußere, häufig ein Zusammenspiel von beidem - aber genau diese Umstände hängen von der jeweiligen Kultur und der Geisteshaltung ihrer Träger ab. China, Rom, Ägypten oder Sumer haben da ganz unterschiedliche Merkmale, die sich nur in den von ihnen verursachten Symptomen gleichen.
Diese ähnlichen Symptome verführen dann dazu, die Gründe für die Symptome typisieren zu wollen. Das klappt meistens nicht, wird dennoch unverdrossen immer wieder versucht. Um im Evolutions-Jargon zu bleiben: ES handelt sich dabei um kovergente Evolution, wobei die Symtome der kulturellen Entwicklung mal der evolutionären Analogie entsprechen, mal der Homologie.

Beppe
Aneri

@Barbarossa

Ich knüpfe mich an Beppes Beitrag. Sicher hat eine Gesellschaft ihre gesetzmäßige Entwicklung. Ähnlich unterliegt der Mensch, ein Individuum, gesetzmäßiger Entwicklung. Am deutlichsten zeigt es sich in der Pubertät. Alle durchlaufen diese Periode, dennoch trifft es einiger weniger schwer als den anderen. Einerseits ist es aufgrund seiner „Kultur“ – der genetischen Erbe, anderseits hängt es von sozialer Umwelt, die die Extreme, die von Genen ausgehen (z. B. Temperament) mildern, aber auch verstärken können, ab.

Ähnlich geht es Hochkulturen und späteren Staaten. Sie beginnen in (relativ „demokratischen“ aber mit starker Führung) Stadt-Staaten, die gesetzmäßig zum autoritären Reich mutieren. Das autoritäre/totalitäre Stadium scheint gesetzmäßig zu sein, das bei manchen Staaten nur milder verläuft. Wie gesagt, es hängt von der vorhandenen Kultur und der Umwelt.
Das Erkennen der Gesetzmäßigkeiten hilft uns agieren in der zivilisatorischen W-W-Netz. Daher das Negieren des objektiv Vorhandenen schwächt dessen Position, der sie vertritt.
ehemaliger Autor K.

zu Aneri:
Ähnlich geht es Hochkulturen und späteren Staaten. Sie beginnen in (relativ „demokratischen“ aber mit starker Führung) Stadt-Staaten, die gesetzmäßig zum autoritären Reich mutieren. Das autoritäre/totalitäre Stadium scheint gesetzmäßig zu sein, das bei manchen Staaten nur milder verläuft. Wie gesagt, es hängt von der vorhandenen Kultur und der Umwelt.
Das Erkennen der Gesetzmäßigkeiten hilft uns agieren in der zivilisatorischen W-W-Netz. Daher das Negieren des objektiv Vorhandenen schwächt dessen Position, der sie vertritt.
Diese Thesen stimmen aber nicht mit historischen Fakten überein. Aus Ägypten, Mesopotamien oder China sind uns keine demokratischen Stadtstaaten überliefert. Sie erscheinen bereits am Anfang als undemokratische Gebilde. Die historisch orientierten Soziologen haben in den letzten Jahrzehnten verschiedene Begriffe dafür geprägt (Patrimonialstaaten, konische Clanstaaten, Archaisches Prestigegütersystem und noch einige andere Begriffe mehr). Ich will diese nicht näher erläutern, aber es bedeutet, dass diese politische Einheiten keinen Demokratien waren.
Auch gibt es keine gesetzmäßigen Mutationen zum autoritären Staat. Die griechischen Staaten wie Athen durchliefen am Anfang ihrer Entwicklung eine Tyrannis, dann wurde die gestürzt und durch eine Demokratie ersetzt. Später dann wurde Athen autoritär regiert, aber von einer fremden Macht. Rom begann als Königtum, dann wurde eine (halbe) Demokratie daraus, die viele Jahrhunderte hielt, dann entstand ein autoritärer Staat unter den Kaisern. Im Mittelalter erkämpfte sich die Stadtgemeinde wieder eine Reihe Freiheiten zurück, bis der Papst dann vorübergehend erneut eine autoritäre Herrschaft durchsetzte. Es verläuft also nicht ganz so linear.
Die Betrachtung der Geschichte zeigt, dass die meisten Hochkulturen schon am Anfang diktatorische Gebilde waren.
In den letzten Jahrzehnten haben vor allem die Amerikaner unglaublich viel Quellenmaterial zusammengetragen und eindrucksvolle Studien zu diesem Thema erstellt. Langsam verstehen wir immer besser, wie die alten Gesellschaften funktioniert haben. Basierend auf der historischen Soziologie von Max Weber und den Arbeiten der Neoevolutionisten sind hervorragende Arbeiten erschienen. Hier eine kleine Auswahl:
Fried, M. The evolution of political society
Service,E.R., Ursprünge des Staates und der Zivilisation
Friedman,J. Notes towards an epigenetics model of the evolution of civilization
Friedman,J. The evolution of social systems
Breuer, S. Zur Soziogenese des Patrimonialstaates
Breuer, S. Entstehung des konischen Klanstaates, des Prestigegütersystems und des urbanen Territorialstaates
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Peppone
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In Ägypten, Mesopotamien und China musst du nur zu den allerfrühesten Ursprüngen zurück:
All diese Kulturen gingen aus neolithischen Bauernkulturen hervor, die anfangs - allerdings noch ohne Städte - eine durchaus demokratisch zu nennende Gesellschaftsform gehabt haben dürften, wie sie eben für Bauerndörfer eigentlich typisch ist. Schließlich müssen die Bauern zusammenarbeiten, um eine Ernte einfahren zu können.

Rom entstand ebenfalls aus bäuerlichen Siedlungen. Die Stadtgründung verlief dann allerdings schon unter autoritären Kennzeichen, von den Etruskern und einzelnen Führungspersönlichkeiten aus dem etruskischen Kulturkreis angestoßen.

Beppe
ehemaliger Autor K.

zu Peppone:
In Ägypten, Mesopotamien und China musst du nur zu den allerfrühesten Ursprüngen zurück:
All diese Kulturen gingen aus neolithischen Bauernkulturen hervor, die anfangs - allerdings noch ohne Städte - eine durchaus demokratisch zu nennende Gesellschaftsform gehabt haben dürften, wie sie eben für Bauerndörfer eigentlich typisch ist. Schließlich müssen die Bauern zusammenarbeiten, um eine Ernte einfahren zu können.

Rom entstand ebenfalls aus bäuerlichen Siedlungen. Die Stadtgründung verlief dann allerdings schon unter autoritären Kennzeichen, von den Etruskern und einzelnen Führungspersönlichkeiten aus dem etruskischen Kulturkreis angestoßen.
Das ist klar. Aneri meinte aber Stadtstaaten. Von einer Hochkultur sprechen wir eigentlich, wenn dieses neolithische Stadium bereits überwunden wurde.
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Peppone
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Karlheinz hat geschrieben:Das ist klar. Aneri meinte aber Stadtstaaten. Von einer Hochkultur sprechen wir eigentlich, wenn dieses neolithische Stadium bereits überwunden wurde.
Gut, dann müssen wir Ägypten und China ausklammern. Mesopotamien nicht. Dort begann die Hochkultur mit Stadtstaaten.

Aber schon ein Gegenbeispiel muss ja dazu führen, dass eine These modifiziert werden muss.

Mein Vorschlag:
Jede Hochkultur beginnt mit einem demokratischen Stadium, das aber noch nicht unbedingt zum Stadium der Hochkultur gezählt werden kann.

Ich habe aber ein weiteres Merkmal gefunden, das allen Hochkulturen zu eigen sein müsste: Am Anfang steht immer ein Stadium, in dem Priester die Oberherrschaft ausüben.
In Ägypten die ersten Könige und Pharaonen, bei den Shang waren es ebenfalls Priesterkönige, bei den Sumerern ebenfalls. Auch die Mayakönige waren Priesterkönige, dito die ersten etruskischen Stadtherrscher und höchstwahrscheinlich auch die minoischen Herrscher. Harappa-Kultur, Mykener? Zumindest haben da die Priester ein gehöriges Wort bei der Herrschaftsausübung mitgeredet.

Beppe
Aneri

KArlheinz:
Aus Ägypten, Mesopotamien oder China sind uns keine demokratischen Stadtstaaten überliefert. Sie erscheinen bereits am Anfang als undemokratische Gebilde.
Ich habe nicht umsonst „demokratisch“ in Anführungszeichen gesetzt. Die Tyrannei kommt schleichend. Erst waren es Stammesführer, bzw. Stammesverbandführer, die aufgrund ihrer Eigenschaften gewällt wurden. Nur wenn in Menschen-Weltanschauung die Notwendigkeit des Führers verankert ist, wenn die nötige für die Erhaltung und der Sicherung der Macht Strukturen sich herausbilden (was nur in bestehenden Stadt-Staat möglich ist), kann sich das Verhältnis kippen und der Machtinhaber sein Macht missbrauchen. Es muss aber Zeitlang dauern.
Die Betrachtung der Geschichte zeigt, dass die meisten Hochkulturen schon am Anfang diktatorische Gebilde waren.
Ich würde nicht starke Führung mit Diktator gleichstellen. Aber würde auch nicht die Möglichkeit der Tyrannei in Stadt-Staat verneinen. Nur finde ich falsch, der Tyrannei vorausgegangene Geschichte übersehen. Sie ist zwar nicht so spektakulär, dennoch wäre sie nicht, käme kein Tyrann.

Danke für die Literaturliste. Werde unbedingt nachschauen.
Renegat
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Peppone hat geschrieben:Mein Vorschlag:
Jede Hochkultur beginnt mit einem demokratischen Stadium, das aber noch nicht unbedingt zum Stadium der Hochkultur gezählt werden kann.


Ich habe aber ein weiteres Merkmal gefunden, das allen Hochkulturen zu eigen sein müsste: Am Anfang steht immer ein Stadium, in dem Priester die Oberherrschaft ausüben.
In Ägypten die ersten Könige und Pharaonen, bei den Shang waren es ebenfalls Priesterkönige, bei den Sumerern ebenfalls. Auch die Mayakönige waren Priesterkönige, dito die ersten etruskischen Stadtherrscher und höchstwahrscheinlich auch die minoischen Herrscher. Harappa-Kultur, Mykener? Zumindest haben da die Priester ein gehöriges Wort bei der Herrschaftsausübung mitgeredet.
Interessanterweise sind fast alle Beispiele, auf denen sich nach der neolithischen Bauerndörferphase sog. Hochkulturen entwickelten, in einem für intensive Landwirtschaft begünstigten Gebiet. Meist in Schwemmlandflußtälern. Diese erlauben eine intensive Landwirtschaft und damit eine dichtere Besiedlung. Bei dichterer Besiedlung entstehen Konflikte, um diese zu vermindern, braucht es Regeln, Gesetze, Rituale. Und um diese durchzusetzen, braucht es Legitimation entweder durch Gewaltandrohung oder "Bestechung" durch Geschenke. Eine Priesterherrschaft mit höherer Gewalt und Opfergaben liegt da irgendwie nahe.
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Barbarossa
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Karlheinz hat geschrieben:
zu Aneri:
Ähnlich geht es Hochkulturen und späteren Staaten. Sie beginnen in (relativ „demokratischen“ aber mit starker Führung) Stadt-Staaten, die gesetzmäßig zum autoritären Reich mutieren. Das autoritäre/totalitäre Stadium scheint gesetzmäßig zu sein, das bei manchen Staaten nur milder verläuft. Wie gesagt, es hängt von der vorhandenen Kultur und der Umwelt.
Das Erkennen der Gesetzmäßigkeiten hilft uns agieren in der zivilisatorischen W-W-Netz. Daher das Negieren des objektiv Vorhandenen schwächt dessen Position, der sie vertritt.
Diese Thesen stimmen aber nicht mit historischen Fakten überein. Aus Ägypten, Mesopotamien oder China sind uns keine demokratischen Stadtstaaten überliefert. Sie erscheinen bereits am Anfang als undemokratische Gebilde.
(...)
Auch gibt es keine gesetzmäßigen Mutationen zum autoritären Staat. Die griechischen Staaten wie Athen durchliefen am Anfang ihrer Entwicklung eine Tyrannis, dann wurde die gestürzt und durch eine Demokratie ersetzt. Später dann wurde Athen autoritär regiert, aber von einer fremden Macht. Rom begann als Königtum, dann wurde eine (halbe) Demokratie daraus, die viele Jahrhunderte hielt, dann entstand ein autoritärer Staat unter den Kaisern. Im Mittelalter erkämpfte sich die Stadtgemeinde wieder eine Reihe Freiheiten zurück, bis der Papst dann vorübergehend erneut eine autoritäre Herrschaft durchsetzte. Es verläuft also nicht ganz so linear...
Diese Feststellung habe ich irgendwo anders auch schon getroffen. Eine geradlinige historische Entwicklung nachzuweisen, ist auch meines Erachtens schwierig. Vielmehr ist es eher ein "auf-und-ab". Oftmals erklärt sich der Zustand einer Gesellschaft zu einem großen Teil aus dem jeweiligen Zeitgeist heraus. Der Zeitgeist einer Gesellschaft ist wiederum abhängig von der jeweiligen Philosophie. Das sind aber alles Dinge, die sich nicht genetisch oder physikalisch erklären lassen, sondern sind Gedankenkonstrukte von Menschen.
Das nur mal als kleiner gedanklicher Einwurf von mir.
Die Diskussion ist eröffnet!

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Aneri

Renegat hat geschrieben:Bei dichterer Besiedlung entstehen Konflikte, um diese zu vermindern, braucht es Regeln, Gesetze, Rituale. Und um diese durchzusetzen, braucht es Legitimation entweder durch Gewaltandrohung oder "Bestechung" durch Geschenke. Eine Priesterherrschaft mit höherer Gewalt und Opfergaben liegt da irgendwie nahe.
Ich sehe es etwas anders. Regeln, Gesetze, Rituale waren schon in Sippen vorhanden. Auch beschauliches Weltanschauungssystem, wo eigene Abstammung wichtigen Platz einnimmt.
Die Ballungsraum der Landwirtschaft, wo verschiedene Sippen mit einfachen Weltanschauungen verkehrten, bedeutet den intensiven Austausch, in Folge dessen immer komplexere Religion sich ausbildete, die auch verschiedene Sippen in einer Gemeinschaft vereinte. Einerseits die Religion war eine Folge der wachsenden Rate der Wechselwirkungen zwischen der neolithischen Familien und Sippen. Anderseits koppelte sie zurück und verstärkte die Gemeinsamkeitsgefühl, das für die Herausbildung der Hochkultur notwendig ist.

Auch hier m. E. ging es vollkommen friedlich bis gewisssen Punkt, wo das Verhältnis umkippte und der Mensch war der Religion untergeben.
ehemaliger Autor K.

Zu Barbarossa
Diese Feststellung habe ich irgendwo anders auch schon getroffen. Eine geradlinige historische Entwicklung nachzuweisen, ist auch meines Erachtens schwierig. Vielmehr ist es eher ein "auf-und-ab". Oftmals erklärt sich der Zustand einer Gesellschaft zu einem großen Teil aus dem jeweiligen Zeitgeist heraus. Der Zeitgeist einer Gesellschaft ist wiederum abhängig von der jeweiligen Philosophie. Das sind aber alles Dinge, die sich nicht genetisch oder physikalisch erklären lassen, sondern sind Gedankenkonstrukte von Menschen.
Das nur mal als kleiner gedanklicher Einwurf von mir.
Mein lieber Barbarossa. Ich will dir deine Entdeckerfreude nicht nehmen, aber diese Gedanken stammen natürlich weder von mir oder dir, sondern sie sind von Wissenschaftlern schon viele Male gedacht und ausführlich beschrieben worden. Wir haben also allenfalls das Rad vielleicht zum fünfzigsten Mal neu erfunden
ehemaliger Autor K.

zu Peppone:
Mein Vorschlag:
Jede Hochkultur beginnt mit einem demokratischen Stadium, das aber noch nicht unbedingt zum Stadium der Hochkultur gezählt werden kann.
Damit könnte ich mich notfalls anfreunden. Die Frage ist natürlich, ob uns dies viel weiterbringt, denn wir brauchen nur bei jedem Volk weit genug in die Vergangenheit zu gehen, um überall irgendwann auch demokratische Strukturen zu finden, spätestens bei den Jägern und Sammlern. Deshalb gab es in jeder Kultur anfänglich Demokratie, nicht nur bei den Hochkulturen, sondern überall. Das ist aber nun viel zu allgemein. Die meisten Hochkulturen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass bei ihnen diese demokratischen Elemente verschwunden sind.
Unter Demokratie verstehe ich übrigens: Mitwirkung eines größeren Teiles der Bevölkerung an den wichtigsten politischen Entscheidungen, z.B. die Wahl der Führer etc. Demokratie ist es auch noch, wenn Frauen nicht wahlberechtigt sind, wenn von den Männern auch nicht alle das Wahlrecht haben weil es etwa ein Zensuswahlrecht gibt, Sklaven und Fremde nicht wählen können und damals in Athen vielleicht nur 20-25% der Bürger überhaupt sich demokratisch artikulieren konnten.
Eine Hochkultur hat folgende Kennzeichen:
Eine hinreichend produktive Landwirtschaft, die auch einen größeren Teil von Personen unterhalten kann, die nicht in der Primärproduktion tätig sein. Nur dann ist eine Arbeitsteilung möglich, die die Entstehung von Handwerkern, Kaufleuten, Kriegern, Verwaltungspersonal, Priestern etc. überhaupt erst ermöglicht
Die Existenz von stadtähnlichen Siedlungen
Eine Regierung, die das Machtmonopol weitgehend errungen hat, damit ihre Anordnungen auch durchgesetzt werden können
Die Gesetzgebung durch Monarchen und Priestern. Diese ersetzen die frühere Gesetzbildung durch Dorfgemeinschaften oder Clanchefs
Eine institutionalisierte hierarchische Ordnung der Verwaltung und der Versuch, die Gesellschaft von oben her zu planen und zu organisieren (Bewässerungsbauten, Kultbauten, auch Pyramidenbau, chinesische Mauer etc.)
Aufgrund der archäologischen Befunde zeigen sich die weitaus meisten Hochkulturen bereits im ganzen frühen Stadium als hierarchische, undemokratische Ordnungssysteme. Dies kennen wir natürlich von den Stromuferkulturen her, aber auch in kleineren Gemeinschaften, wie bei den Etruskern oder den frühen Griechen haben wir Könige und einen Erbadel. Die Frage ist natürlich, wann wir eine Kultur als Hochkultur gelten lassen. Wenn wir aber die obigen Kriterien nehmen, gehören auch sie dazu.
Hatten sie vielleicht vorher eine demokratische Phase? Vielleicht. Ich glaube ja. Solange wir das aber nicht beweisen können, muss diese Frage zunächst offen bleiben.
Vieles spricht dafür, dass die demokratischen Elemente oftmals schon lange vor der Erreichung der Hochkultur verloren gehen. Das zeigt zumindest die Entwicklungsdynamik tribaler Strukturen, die ja der Hochkultur zeitlich vorgelagert sind. Bei ausreichender Produktivität der Landwirtschaft und einer entsprechender Bevölkerungsanzahl wird das Häuptlingsamt bald erblich, er umgibt sich mit einer loyalen Gefolgschaft, der Rat der Sippenältesten tritt an Stelle der Volksversammlung, diese Clanchefs werden eine privilegierte Schicht. In einem zweiten Stadium unterwirft der Stamm andere Stämme, deren Führungsschichten werden in das System integriert. Jetzt ist das Gebiet auch hinreichend groß, um sich zu einer Hochkultur zu entwickeln. Die demokratischen Elemente wurden schon lange vorher zurückgedrängt. Manchmal gelingt es später wieder, die Macht der Herrscher zu brechen oder zu beschneiden, wie in Rom oder Athen. Historisch gesehen sind diese Ausnahmefälle.
zu Peppone
Ich habe aber ein weiteres Merkmal gefunden, das allen Hochkulturen zu eigen sein müsste: Am Anfang steht immer ein Stadium, in dem Priester die Oberherrschaft ausüben.
In Ägypten die ersten Könige und Pharaonen, bei den Shang waren es ebenfalls Priesterkönige, bei den Sumerern ebenfalls. Auch die Mayakönige waren Priesterkönige, dito die ersten etruskischen Stadtherrscher und höchstwahrscheinlich auch die minoischen Herrscher. Harappa-Kultur, Mykener? Zumindest haben da die Priester ein gehöriges Wort bei der Herrschaftsausübung mitgeredet.
Sind am Anfang die Könige gleichzeitig Priester? Möglich, dass weltliche und geistliche Macht zunächst vereint war. Bei vielen Stämmen sind das Häuptlingsamt und das Priesteramt getrennt. Ob es sich zwangsläufig später vereinen muss? Wissenschaftler verneinen dies meistens. Der Pharao galt oftmals als Gott, war aber weltlicher Herrscher, kein Priester. Er vollzog nur wenige Rituale, dafür gab es eine gesonderte Priesterschaft. Man kann sich darüber streiten. Die frühen etruskischen oder griechischen Herrscher waren zumindest keine Priester. Wohl behaupteten aber einige, dass sie von Göttern abstammten.
Aneri

Ich sehe auch die Trennung der weltlichen Führung und der Priesterschaft getrennt und zwar aus folgendem Grund. Der Priester ist immer ein Gottesdiener. Der weltliche Machtinhaber strebt nach mehr. Er muss selbst mindestens göttlicher Abstammung sein. Er muss irgendwem haben, der seine Verehrung organisiert und aufrecht hält. Es ist die Priesterschaft.
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Peppone
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Karlheinz hat geschrieben:Sind am Anfang die Könige gleichzeitig Priester? Möglich, dass weltliche und geistliche Macht zunächst vereint war. Bei vielen Stämmen sind das Häuptlingsamt und das Priesteramt getrennt. Ob es sich zwangsläufig später vereinen muss? Wissenschaftler verneinen dies meistens. Der Pharao galt oftmals als Gott, war aber weltlicher Herrscher, kein Priester. Er vollzog nur wenige Rituale, dafür gab es eine gesonderte Priesterschaft. Man kann sich darüber streiten. Die frühen etruskischen oder griechischen Herrscher waren zumindest keine Priester. Wohl behaupteten aber einige, dass sie von Göttern abstammten.
Im Alten Reich WAR der Pharao ein Gott, der auf Erden wandelte. Der Gott (Amun) schlüpfte quasi beim Herrscherwechsel in einen neuen Körper. Das wandelte sich, im Neuen Reich galt der Pharao "nur" noch als Sohn des Amun, der nach dem Tod zu Horus wurde. Im Mittleren Reich hatte der Pharao eine Zwischenstellung.
Immer jedoch war er Mittler zwischen irdischer und göttlicher Welt. In seiner Verantwortung lag es, die Welt am Laufen zu halten.
In Mesopotamien war es bis zum Ende des Neubabylonischen Reichs so, dass der König gleichzeitig der oberste Priester war. Beim Neujahrsfest vollzog er als Stellvertreter Marduks mit einer Priesterin die "Heilige Hochzeit" und sorgte so dafür, dass die Welt weiter existieren konnte. Auch hier wieder: Der König war der Mittler zwischen irdischer und göttlicher Welt.
Bei den Shang existierte ein Kult um vergöttlichte Ahnen. Aus ihrem Stammbaum zogen König und Aristokratie die Legitimation zur Herrschaft. Noch einmal: Der König als Mittler zwischen Menschen und Göttern.
Auch bei den Maya war der König dafür verantwortlich, einen "guten Draht" zu den Göttern zu erhalten. Als die Maya im Zuge einer langen Trockenheit ihre auf Regen basierende Landwirtschaft nicht mehr aufrechterhalten konnten, verloren die Könige ihre Legitimation, die Stadtstaaten brachen auseinander, die Städte verwaisten.
Im alten Rom wurden in der Zeit der Republik königliche Insignien wie der rote Mantel auf die obersten Priester übertragen, die priesterlichen Aufgaben der Könige übenahm der "rex sacrorum". Auch hier wieder: Der König galt als oberster Priester und Mittler zwischen Menschen und Göttern.
Aus der Ilias wissen wir, dass die griechischen Könige der mykenischen Zeit Opfer vollzogen, die Priester um Rat fragten, selbst jedoch sich über priesterliche Weisungen hinwegsetzen konnten. Aus Linear-B-Tafeln z.B. aus Pylos wissen wir, dass der König ("Wanax") in den Listen, die die Verteilugn von Öl regelten, nicht bei den "normalen Sterblichen", sondern bei den Tempeln, Heiligtümern und Priestern steht. Er scheint also zumindest ansatzweise eine religiöse Natur gehabt zu haben, denn dieses Öl wurde für kultische Zwecke verwendet. Die "normalen Sterblichen" bekamen das Öl "für (die Verwendung für) das Fest XY", der Wanax wie auch die Götter bzw. die mit den Göttern verbundenen Heiligtümer bekamen das Öl "aus Anlass des Festes XY". Der Wanax war zwar in erster Linie ökonomischer und militärischer Anführer, aber er scheint auch gewisse religiöse Funktionen gehabt zu haben.

In allen alten Hochkulturen war es also so, dass König mindestens eine priesterliche Funktion gehabt hat, in den großen Hochkulturen war er meist als Mittler zwischen irdischer und göttlicher Sphäre ein über die anderen Priester gestellter "Funktionär". Zwar wurden die Könige selten vergöttlicht (aus Ägypten - Ramses II. - und aus Mesopotamien sind uns zwar nur zwei Beispiele bekannt, in denen ein lebender König göttliche Verehrung genoß, dennoch sind Religion und weltliche Macht in den Hochkulturen nicht zu trennen.

Beppe
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Lieber Beppe,
in China scheint es etwas anders gewesen zu sein, der erste Kaiser Qin Shi Huangdi dürfte sich selbst und von der Bevölkerung nicht als Gott angesehen haben und werden, er wollte zwar sein Ewiges Leben sichern, deswegen seine Tarrakotta Armee und die Nachbildung einer Landschaft mit Quecksilber als Fluß. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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