Vetospieler-Theorie von George Tsebelis

Allgemeine politikwissenschaftliche Diskussionen

Moderator: Barbarossa

Marvin

Die Vetospieler-Theorie von George Tsebelis analysiert die Staatstätigkeit von politischen Systemen. Sie kann als Vergleich von einem oder mehreren Staaten herangezogen werden. Bei dieser Theorie werden nicht die politischen Systeme unterschieden, sondern die politischen Akteure, die in einem bestimmten politischen Entscheid ihre Zustimmung geben müssen um den Status quo zu verändern. Diese Akteure nennt Tsebelis Vetospieler, die er wie folgt definiert:

„Ein Vetospieler ist ein individueller oder kollektiver Akteur, dessen Zustimmung für eine Policy-Entscheidung notwendig ist. “

Dies können Institutionen oder Parteien sein. Bei den institutionellen Vetospielern handelt es sich um diejenigen Akteure die in der demokratischen Verfassung festgelegt sind. Je nach politischem System treten die institutionellen Vetospieler unterschiedlich auf. Dazu zählen,
  • das nationale Parlament,
    die zweite Kammer in föderativen Systemen,
    der Präsident in präsidentiellen System,
    das Volk
.

Neben institutionellen Vetospielern kommen noch sogenannte „Partisan“ Vetospieler hinzu. Dies sind die Akteure die nicht in der Verfassung aufgeführt werden, sondern die welche aus dem politischen Prozess entstehen. Diese Vetospieler sind die unabhängige Variable der Analyse und bilden den Kern der Theorie. Je nach Politikfeld kommen noch weitere dazu, wie zum Beispiel die Gerichte oder Interessenverbände. Als abhängige Variable ist demzufolge das Politikfeld zu definieren, wo die mögliche Veränderung stattfindet.
Damit man den Einfluss der unabhängigen Variablen auf die Staatstätigkeit messen kann benötigt man folgende Faktoren:

1. Anzahl der Vetospieler
2. Ihre Kongruenz, d. h ihre ideologische Distanz und Polarisierung und
3. Ihre Kohäsion, also den internen Zusammenhalt der kollektiven Vetospieler

Um den Status quo im Politikfeld zu verändern braucht es ihre Zustimmung. Tsebelis geht davon aus dass jeder Vetospieler bei einer Entscheidung in einem bestimmten Politikfeld eine Idealvorstellung vom Ergebnis hat, die nicht veränderbar ist. Dazu wird ein Politikmodell nach dem euklidischen Präferenzen erstellt.

Bei diesem Beispiel-Modell (siehe Anhang) sind es drei Vetospieler (VP 1 bis VP3), die an ihrem Idealpunkt liegen. Eine Veränderung des Status quo ist dann möglich wenn es Lösungen gibt, die für alle Vetospieler eine Verbesserung darstellt. Die Menge dieser Lösungen nennt man im Politikmodell „winset“, dies ist der politische Konsensbereich. Wenn der „winset“ leer ist gibt es keine Veränderung des Status quo. Der „winset“ wird durch die Schnittmenge der Indifferenzkurven der Vetospieler ermittelt. Liegt der Status quo im Dreieck, dem „unanimity core“ gibt es ebenfalls keine Veränderung der Stabilität. Der „unanimity core“ wird durch die Verbindung der Idealpunkte der Vetospieler ermittelt. Einen Wandel in der Stabilität ergibt sich wenn folgende Punkte eintreffen:

1. Kommt ein zusätzlicher Vetospieler hinzu der nicht im „unanimtiy core“ steht, verändert sich der „winset“. Je nach Idealvorstellung wird er kleiner oder grösser.
2. Kommt ein zusätzlicher Vetospieler hinzu der im „unanimity core“ steht, wird die Stabilität nicht beeinflusst und dieser Akteur wird dann nicht als Vetospieler gezählt.
3. Je kleiner der „winset“ ist umso grösser ist die Stabilitiät.

Der Agenda-Setzer bestimmt in diesem Modell, worüber abgestimmt wird. Er kennt die Idealpositionen der Vetospieler und damit den „winset“. Somit wird er eine Lösung die innerhalb dieses „winset“ liegt vorschlagen, so dass jeder Vetospieler bei seinem Idealpunkt bleiben kann. Dieses Modell wird bei den individuellen Akteuren angewendet. Wenn bei einem Modell kollektive Akteure massgeblich beteiligt sind, muss zuerst untersucht werden wie bei dem kollektiven Vetospieler die Entscheidung zu Stande kommt . Kollektive Vetospieler bestehen aus mehreren Individuen, deren Entscheidungen nicht von den Präferenzen der Mitglieder abhängen, sondern von der Entscheidungsregel, ob es eine einfache, absolute oder qualifizierte Mehrheit braucht um einen Entscheid zu fällen. Damit ist eine Änderung des Status quo nicht mehr nur durch die Zahl, der Kongruenz und Kohäsion abhängig, sondern auch von der jeweiligen gültigen Mehrheitsregel . Dabei gilt, je schwächer eine Mehrheitsregel ist umso mehr Punkte können den Status quo besiegen. Bei der einfachen Mehrheitsregel erhöht sich der „winset“ wenn die Kohäsion des kollektiven Vetospielers zunimmt.

Literatur:

Abromeit, Heidrun und Stoiber Michael: Demokratien im Vergleich. Einführung in die vergleichende Analyse politischer Systeme. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. 2006.

Merkel, Wolfgang: Institutionen und Reformpolitik: Drei Fallstudien zur Vetospieler-Theorie. In Berliner Journal für Soziologie. Hrsg. Institut für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zur Berlin. 2/2003. Verlag für Sozialwissenschaften Wissbaden

Tsebelis, George: Veto Players. How Politival Instituions Work. Russel Sage Fondation. New York. 2002. Wagschal, Uwe: Verfassungsgerichte als Vetospieler in der Steuerpolitik. In Politik und Recht. Hrsg. Becker, Michael und Zimmerling, Ruth. Politisches Vierteljahresheft. Sonderheft. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.

Wagschal, Uwe: Blockieren Vetospieler Steuerreform? In Politische Vierteljahresschrift. Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft. 40. Jahrgang. Heft 4. Dezember 1999. Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden
Modell Veto-Spieler.docx
Modell der Vetospieler Theorie von George Tsebelis.
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Peppone
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Hast du da vielleicht ein historisches Beispiel, wann und wie ein oder mehrere Vetospieler die Geschichte beeinflusst haben?
So, wie ich das sehe, sind beinahe alle politischen Akteure, egal wo, in gewisser Weise Vetospieler, solange sie nur die Möglichkeit haben, ins politische Geschehen irgendwie einzugreifen.
Sogar in Diktaturen gäbe es dann Vetospieler, seien es Gefolgsleute oder Gegner des Diktators. Gefolgsleute können versuchen, den Diktator zu steuern oder ihm nachzufolgen, Gegner können ihn stürzen.

Peppo
Marvin

Peppone hat geschrieben:Hast du da vielleicht ein historisches Beispiel, wann und wie ein oder mehrere Vetospieler die Geschichte beeinflusst haben?
So, wie ich das sehe, sind beinahe alle politischen Akteure, egal wo, in gewisser Weise Vetospieler, solange sie nur die Möglichkeit haben, ins politische Geschehen irgendwie einzugreifen.
Sogar in Diktaturen gäbe es dann Vetospieler, seien es Gefolgsleute oder Gegner des Diktators. Gefolgsleute können versuchen, den Diktator zu steuern oder ihm nachzufolgen, Gegner können ihn stürzen.

Peppo
Ein historisches Beispiel habe ich jetzt gerade nicht zur Hand. Da müsste ich zuerst eine Anlyse machen. Die Vetospieler Therorie wird in der Politikwissenschaft angewandt und nicht in der Geschichte.

Aber sicher kann man das auf jedes System anwenden, man muss dann die Akteure genau einsetzen. Am Ende kommt es auf die Fragestellung an.

Vielleicht interssiert dich ja diese Publikation:

Christoph Hönnige: Verfassungsgerichte: neutrale Verfassungshüter oder Vetospieler? In Regierungssysteme in Mittel- und Osteuropa: Die neuen EU-Staaten im Vergleich von
Florian Grotz (Hrsg.). Seite 262 - 281. VS Verlag für Sozialwissenschaften. 2011



Florian Blank: Vetospieler in der Policy-Forschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. 2012
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Peppone
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Marvin hat geschrieben:Vielleicht interssiert dich ja diese Publikation:

Christoph Hönnige: Verfassungsgerichte: neutrale Verfassungshüter oder Vetospieler? In Regierungssysteme in Mittel- und Osteuropa: Die neuen EU-Staaten im Vergleich von
Florian Grotz (Hrsg.). Seite 262 - 281. VS Verlag für Sozialwissenschaften. 20112
Hm. Unser bundesdeutsches Verfassungsgericht ist, wenn ich das recht verstanden hab, im Sinne der Grundgesetzmütter und -väter also KEIN Vetospieler, wurde aber von der Politik in verschiedenen Fällen zu einem solchen gemacht, etwa als es um den Einsatz der Bundeswehr im Ausland ging, oder um das Kopftuchverbot für Lehrer an Schulen oder um das NPD-Verbot.

In diesen Fällen hat die Politik entweder Entscheidungen bewusst so getroffen, dass das BVerfG eingreifen MUSSTE. Dadurch machte das BVerfG Politik. Ergebnis socher Entscheidungen war es oft, dass die Regierung gestärkt wurde, da sie am Rande des Grundgesetzes laviert hatte und sich so angreifbar gemacht hatte. Man traf dann eine Entscheidung, in der Hoffnung, das BVerfG würde dem zustimmen und es so grundgesetzkonform machen.
Oder die Opposition war gegen eine Entscheidung der Regierung, rief das BVerfG an und bekam dann dort Recht, wodurch ein Regierungsbeschluss gekippt wurde.
Oder das BVerfG stoppte einen politischen Vorgang wie das NPD-Verbot.

In all diesen Fällen war das BVerfG nolens volens politischer Mitspieler mit Vetokraft anstatt Überprüfer der Verfassungskonformheit politischer Entscheidungen und Gesetze.

Beppe
Marvin

„I argued that constituional courts ard additional veto players (since for all practical purposes they cannot be legislativey ouverruled). However, because of the rules of selection of these courts, most of the time they are absorbed as veto players by the existing political ones"

Zitat: Tsebelis, George: Veto Players. How Political Instituional Work. Russel Sage Foundaton, New York. 2002. S. 246

George Tsebelis geht davon aus, dass Verfassungsgerichte nur bedingt Vetospieler sein können, da sie meist durch andere Akteure absorbiert werden. Dies weil die Richterpositionen in der Regel von andern Vetospielern durch Mehrheitswahlrecht besetzt werden . Tsebelis nimmt an, dass die Verfassungsrichter vor allem durch ihre politischen Präferenzen bestimmt werden und damit die politische Ideologie des Akteurs vertritt der die Richter einsetzt. Somit wird dieser Vetospieler laut Tsebelis absorbiert.
Laut Uwe Wagschal muss man analysieren ob die Verfassungsgerichte eigene Präferenzen aufweisen oder ob sie dieselben aufweisen wie die Parteien oder Akteure die sie zu den Verfassungsrichtern machten . Wagschal wendet für die Analyse die Prinzipal-Agent-Theorie an. Diese Theorie besagt, dass der Prinzipal (hier die Partei), den Agenten (Verfassungsgericht) beauftragt um seine Ziele zu verfolgen. Dabei erwartet der Prinzipal die Gefolgschaft des Agenten. Das bedeutet, der Agent muss sich für das Ziel des Prinzipals einsetzen und nicht für seine eigenen.
Dies bedeutet, wenn die Präferenzen, die man anhand der parteipolitischen Zusammensetzung des Gerichtes messen kann, mit den andern legislativen Vetospielern überreinstimmen, dann wird das Verfassungsgericht absorbiert. Gibt es aber eine Unterscheidung der politischen Färbung des Verfassungsgerichtes zu den andern Vetospielern, dann wird das Gericht zu den Vetospielern dazugezählt.

Für Christoph Hönnige sind Verfassungsgerichte Vetospieler wenn sie
  • nicht im formalen Entscheidungsprozess überstimmt werden,
    zeitnah über zahlreiche Gesetze entscheiden können,
    nicht absorbiert werden, wenn die Opposition nicht durch die Regierung besser gestellt wird
.
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Peppone
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Marvin hat geschrieben: Gibt es aber eine Unterscheidung der politischen Färbung des Verfassungsgerichtes zu den andern Vetospielern, dann wird das Gericht zu den Vetospielern dazugezählt.
Wann immer das BVerfG eine Entscheidung der Regierung kippt oder zum Nachbessern auffordert oder auch einer Klage der Opposition gegen eine Maßnahme der Regierung nicht recht gibt, wird das Gericht zum Vetospieler?

Beppe
Marvin

Peppone hat geschrieben:
Marvin hat geschrieben: Gibt es aber eine Unterscheidung der politischen Färbung des Verfassungsgerichtes zu den andern Vetospielern, dann wird das Gericht zu den Vetospielern dazugezählt.
Wann immer das BVerfG eine Entscheidung der Regierung kippt oder zum Nachbessern auffordert oder auch einer Klage der Opposition gegen eine Maßnahme der Regierung nicht recht gibt, wird das Gericht zum Vetospieler?

Beppe
Dazu gibt es gerade ein Forschungsprojekt (ich habe die USA untersucht und nicht Deutschland). Ich mache es mir jetzt einwenig einfach und kopiere es mal rein und streiche die wichtigsten Punkte an:



Das Bundesverfassungsgericht als Vetospieler
Projektleiter_innen: Thomas Gschwend, Christoph Hönnige (Göttingen)
Mitarbeiter_innen: Caroline Wittig, Benjamin Engst (Göttingen)
Finanzierung: DFG
Laufzeit: 2011 bis 2014
Status: laufend


Inhaltliche Angaben zum Projekt
Fragestellung/Ziel: Ziel des Projektes ist es, zu untersuchen, wann und unter welchen Bedingungen das Bundesverfassungsgericht Gesetze beanstandet und somit einen wirksamen Vetospieler im politischen System der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Ein Vetospieler ist ein politischer Akteur, der die Veränderung eines Gesetzes verhindern kann. Das Bundesverfassungsgericht ist durch die Möglichkeit zur Normenkontrolle ein solcher Akteur. Allerdings ist empirisch bisher unklar geblieben, wie oft und unter welchen Umständen es von dieser Möglichkeit Gebrauch macht und inwiefern es zu einer Stabilisierung des Status Quo und einer Reformunfähigkeit innerhalb des komplexen institutionellen Systems der Bundesrepublik Deutschland beiträgt.
Die bisherige Forschung argumentiert zwar, dass das Bundesverfassungsgericht ein Vetospieler ist, erklärt aber das Verhalten des Gerichtes entweder gar nicht oder über juristische Ansätze. Im Unterschied dazu führt dieses Projekt originär politikwissenschaftliche Konzepte, politische Präferenzen der Richter als erklärende Faktoren, mit ein, um vorherzusagen, unter welchen Umständen das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz beanstandet und somit von seinem Vetorecht Gebrauch macht und unter welchen nicht. Es lassen sich anhand der Regierungszusammensetzung, des Gesetzgebungsverfahrens, der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat sowie den Präferenzen der Verfassungsrichter und den daraus resultierenden Mehrheitsverhältnissen im Bundesverfassungsgericht Akteurskonstellationen unterscheiden, unter denen das Gericht eher als Vetospieler auftreten sollte als in anderen. Eine empirische Überprüfung findet anhand der Gesetzgebungsverfahren und der Urteile des Bundesverfassungsgerichtes in den Jahren 1976 bis 2009 statt.
Das Projekt passt gut in den Forschungsschwerpunkt B2, da es bestimmte Kontexte demokratischen Regierens charakterisiert. Das Bundesverfassungsgericht als Akteur im Regierungssystem ist bisher wenig untersucht, so dass dieses Projekt sich zunächst auf eine quantitative Fallstudie des Bundesverfassungsgerichts im bundesdeutschen Regierungssystem beschränkt. Potentielle Vergleichsmöglichkeiten (insbesondere mit Frankreich) ergeben sich aber durch Kooperationen der Projektleiter mit Sylvain Brouard (Sciences-Po, Bordeaux).
Datenart: Daten aus den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts 1976-2009; GESTA/DIP-Datenbank
Geographischer Raum: Deutschland

http://www.mzes.uni-mannheim.de/projekt ... ?Recno=365
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