Gorbatschows Rezeption in Russland und Osten heute

Informationen und Diskussionen, aktuelle Ereignisse, politische und wirtschaftliche Hintergründe

Moderator: Barbarossa

Benutzeravatar
Marek1964
Mitglied
Beiträge: 1474
Registriert: 30.11.2013, 12:53

Ein sicher interessantes Thema, wenn wir über Russland und Stalins Rezeption sprechen, ist wie Gorbatsschow gesehen wird.

Herleitung von hier http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... =20&t=4346
Spartaner hat geschrieben:Warum wird Gorbatschow eigentlich von den Russen heut zu Tage noch so gehasst? Er war doch auch ein starker Mann?
Benutzeravatar
Marek1964
Mitglied
Beiträge: 1474
Registriert: 30.11.2013, 12:53

Ein paar subersive Elemente, elende Revanchisten und T(r)ito(n)isten, haben es gewagt, den Thread vom Weisesten aller Weisen, dem unfehlbaren und genialen, allseits geliebten Väterchen, dem grossartigen Generalissimus Stalin, mit Gorbatschow zu verhunzen. In unserem unendlichen Grossmut ist ihnen hier Platz gegeben , über diesen Totengräber des grossartigen Werkes des oben erwähnten Weisesten aller Weisen, dem unfehlbaren und genialen, allseits geliebten Väterchen, dem grossartigen Generalissimus Stalin, hier sich auszulassen.
Triton hat geschrieben:
Titus Feuerfuchs hat geschrieben:Gorbatschow ist in meinen Augen ein Held, ein absoluter Ausnahmepolitiker, der weiter gedacht hat, als jeder andere zu der Zeit.
Weiß nicht, er hat die UDSSR aufgelöst und viele Menschen in wirtschaftliche Not gebracht. Ehrlich gesagt bin ich mir ziemlich sicher, dass er so gut wie keinen Bezug zur Ökonomie hatte. Beweis genug dafür ist schon die lächerliche Summe, für die er die DDR preisgab.

Natürlich mussten Reformen her, aber denkst Du nicht, dass die KPCh den für das Volk besseren, weil behutsameren Weg gegangen ist?
Benutzeravatar
Marek1964
Mitglied
Beiträge: 1474
Registriert: 30.11.2013, 12:53

Das Problem ist, dass es schwer ist, Chinesen und Russen miteinander zu vergleichen. Es geht - aber das ist meine Spekulation - einen durchschnitllichen Chinesen wohl nicht allzu viel besser als einem Russen, nur dass er Arbeit hat.

Die Chinesen sind von ihrer Kultur her unternehmensfreudiger, sie nützen die Arbeitskräfte besser aus, während Russland in hohen Mass von Rohstoffen und Energieträgern lebt.

Politisch sehe ich China gleich weit wie Russland, vielleicht sogar weniger weit, aber unternehmerisch eben weiter, auch mit viel mehr Sinn für Weltmärkte. Das haben sie aber eben in der Tat, schon seit den frühen 80er Jahren aufgebaut.
Benutzeravatar
Titus Feuerfuchs
Mitglied
Beiträge: 1632
Registriert: 07.05.2012, 21:42

Conzaliss hat geschrieben:Für mich ist Gorbatschow auch ein Ausnahmepolitiker mit großer Weitsicht. Sein Pech war es, dass ihn sein Volk nicht verstanden hat - vielleicht nicht verstehen konnte...
Du sagst es...
MfG,
Titus Feuerfuchs
Benutzeravatar
Marek1964
Mitglied
Beiträge: 1474
Registriert: 30.11.2013, 12:53

Conzaliss hat geschrieben:Für mich ist Gorbatschow auch ein Ausnahmepolitiker mit großer Weitsicht. Sein Pech war es, dass ihn sein Volk nicht verstanden hat - vielleicht nicht verstehen konnte...
Manche bringen das auf die einfache Formel - erst wirtschaftlich Reformen, dann politische. Und Gorbatschow habe es umgekehrt gemacht.

Da man in China ja keine wirklichen politischen Reformen eingeleitet hat, kann man auch nicht sagen, wie es denn gekommen wäre, wenn die politischen Reformen vor den wirtschaftlichen gekommen wären.

Ich sehe es aber, wie oben schon erwähnt, auf unterschiedliche Kulturen und deren Auswirkungen auf das Unternehmertum. Auch sehe ich den Rohstoffreichtum Russlands nicht unbedingt als Vorteil: Die Oligarchen brauchen nicht mit unternehmerischen Ideen reich werden, sondern mit einfachem Handel. Und die alten Monopolstrukturen halfen denjenigen, die Zugang hatten, zu unermesslichem Reichtum, ohne unternehmerisch besonders einfallsreich zu sein.
Benutzeravatar
Titus Feuerfuchs
Mitglied
Beiträge: 1632
Registriert: 07.05.2012, 21:42

Triton hat geschrieben:
Titus Feuerfuchs hat geschrieben:Gorbatschow ist in meinen Augen ein Held, ein absoluter Ausnahmepolitiker, der weiter gedacht hat, als jeder andere zu der Zeit.
Weiß nicht, er hat die UDSSR aufgelöst und viele Menschen in wirtschaftliche Not gebracht. Ehrlich gesagt bin ich mir ziemlich sicher, dass er so gut wie keinen Bezug zur Ökonomie hatte. Beweis genug dafür ist schon die lächerliche Summe, für die er die DDR preisgab.
Bzgl Ökonomie war er nicht der Einzige. Und was Ökonomie betrifft, war er wohl der Einäugige unter den Blinden, denn wie es um die ökonomischen Kenntnisse seiner Kollegen im Warschauer Pakt bestellt war, sieht man an der desaströsen ökonomischen Entwicklung der involvierten Staaten. Besonders greifbar wird das bei zuvor gut entwicklten Gebieten wie Tschechien oder Ost- und Mitteldeutschland, die zügig völlig heruntergewirtschaftet wurden.
Gorbatschow erkannte, dass die Marktwirtschaft der Planwirtschaft überlegen war und scheute sich auch nicht davor, sich dieser Erkenntnis zu stellen und die Konsequenzen daraus zu ziehen.


Bei deiner Überlegung vergisst du imho weitere wichtige Punkte. Es geht nämlich mitnichten nur um Russland und dessen Ökonomie, sondern auch um den Rattenschwanz an Versallenstaaten, die heute z.T. in der EU sind und wirtschaftlich x-fach besser da stehen, als zur Zeit der Udssr. :!:
Und im Gegensatz zu China genießen die Menschen dieser Länder die Freiheit, wie sie in demokratischen Rechtsstaaten üblich ist.
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind in China Fremdworte.

Der Fall des Eisernen Vorhangs, der Fall der diversen kommunistischen Verbrecherregime, die ihre Bürger ( ein Begriff den es im Kommunismus nicht gibt, der kennt ähnlich wie die Nazis nur "Genossen") daran hindern Wohlstand zu erwirtschaften, bespitzeln, willkürlich einsperren und ermorden, das Ende des Kalten Krieges, die Überwindung der deutschen Teilung, all das hat Gorbatschow möglich gemacht.

Triton hat geschrieben: Natürlich mussten Reformen her, aber denkst Du nicht, dass die KPCh den für das Volk besseren, weil behutsameren Weg gegangen ist?

Nein, überhaupt nicht, obwohl der Vergleich durchaus interessant ist.
MfG,
Titus Feuerfuchs
Benutzeravatar
Triton
Mitglied
Beiträge: 1909
Registriert: 09.10.2012, 10:30

Gorbatschows Ziele und Analysen waren richtig und wichtig, aber ich denke trotzdem, dass er hätte langsamer vorgehen müssen. Sicher hatte er berechtigte Angst vor einem Putsch, deshalb möglichst schnell unumkehrbare Verhältnisse schaffen.

Dass die Planwirtschaft der nicht umsonst "bleierne Zeit" genannten 70er und 80er am Ende war, ist unbestritten. Aber man kann doch von einem Volk, dass keine unternehmerische Tätigkeit seit 70 Jahren kannte, nicht von heute auf morgen verlangen, den Schalter umzulegen.
"Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, in dem man sie ignoriert." (Aldous Huxley)
Benutzeravatar
Marek1964
Mitglied
Beiträge: 1474
Registriert: 30.11.2013, 12:53

Ein schieres Versäumnis der Wissenschaft, auch und gerade im Westen war es, dass man zwar Jahrzehnte lang in der Lage war, zu erklären, warum der Osten, der Kommunismus, oder die Staatshandelsländer, wie man es ganz objektiv nennen wollte, aber nie an Konzepten arbeitete, wie sowas vernüftiger Weise rückgangig machbar wäre.

So stand man 1990 vor der Situation, dass die Freiheit plötzlich da war, man aber wenig Ideen hatte, wie aus Monopolwirtschaften plötzlich Marktiwirtschaften, und wie aus Unternehmen, die in abgeschotteten Märkten fungierten, global konkurrenzfähige Unternehmen werden sollten.
Benutzeravatar
Marek1964
Mitglied
Beiträge: 1474
Registriert: 30.11.2013, 12:53

Triton hat geschrieben:Gorbatschows Ziele und Analysen waren richtig und wichtig, aber ich denke trotzdem, dass er hätte langsamer vorgehen müssen. Sicher hatte er berechtigte Angst vor einem Putsch, deshalb möglichst schnell unumkehrbare Verhältnisse schaffen.

Dass die Planwirtschaft der nicht umsonst "bleierne Zeit" genannten 70er und 80er am Ende war, ist unbestritten. Aber man kann doch von einem Volk, dass keine unternehmerische Tätigkeit seit 70 Jahren kannte, nicht von heute auf morgen verlangen, den Schalter umzulegen.
Das ist sicher richtig. Aber das zielt in die Richtung in meien Vorpost: Was verlangt Unternehmertum, wie baut man das auf? Da gab es keine Konzepte.

Aber ich vermute, dass da die Chinesen von ihrer Mentalität her eben näher haben als der Russe.
Benutzeravatar
Titus Feuerfuchs
Mitglied
Beiträge: 1632
Registriert: 07.05.2012, 21:42

Triton hat geschrieben:Gorbatschows Ziele und Analysen waren richtig und wichtig, aber ich denke trotzdem, dass er hätte langsamer vorgehen müssen. Sicher hatte er berechtigte Angst vor einem Putsch, deshalb möglichst schnell unumkehrbare Verhältnisse schaffen.
So ist es, du gibst dir selber die Antwort, warum er nicht langsamer konnte. Im Westen hatte man berechtigterweise Angst, er könnte weggeputscht werden, bevor die Wiedervereinigung über die Bühne gebracht war.
Triton hat geschrieben: Dass die Planwirtschaft der nicht umsonst "bleierne Zeit" genannten 70er und 80er am Ende war, ist unbestritten. Aber man kann doch von einem Volk, dass keine unternehmerische Tätigkeit seit 70 Jahren kannte, nicht von heute auf morgen verlangen, den Schalter umzulegen.
Schon richtig, nur muss man irgendwann mal damit anfangen.
Ich merke z.B bei meinen Kontakten mit Slowaken einen Wechsel der Einstellung. Die Jungen sind überdurchschnittlich gebildet und fleißig und wollen raus aus der Armut, während bei den Älteren noch eine Art der Staatsgläubigkeit vorherrscht. Die Spuren kommunistischer Indoktrination sind noch nicht ganz verblasst.
MfG,
Titus Feuerfuchs
Benutzeravatar
Marek1964
Mitglied
Beiträge: 1474
Registriert: 30.11.2013, 12:53

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wer zu früh kommt, den auch (wobei der letztere dann immerhin oft den moralischen Trostpreis bekommt, "seiner Zeit weit voraus gewesen zu sein"; der andere landet auf dem Misthaufen der Geschichte).
Benutzeravatar
Triton
Mitglied
Beiträge: 1909
Registriert: 09.10.2012, 10:30

Was man Gorbatschow nicht absprechen kann war seine intellektuelle Begabung und seine Fähigkeit, querzudenken- für einen kommunistischen Führer der Nach-Stalin-Ära ungewöhnlich, eigentlich sogar ein Widerspruch in sich. Weil man nur mit Anpassung und sehr langem Atem nach oben gelangte und die Fehler des Systems gerade kritische Köpfe über kurz oder lang auf Abstand zum Regime brachten. Hier durchgehalten zu haben und sicher jahrzehntelang auf die Chance zur Veränderung zu warten, ist gar nicht hoch genug einzuschätzen.

In der DDR fällt mir nur Modrow ein und der war, wie man heute weiß, eher belächelt in SED-Kreisen. Wie sowieso in den Satellitenstaaten wegen der geforderten Treue zum großen Bruder und nach den Erfahrungen in Ungarn und Prag nur der Typ des farblosen Apparatschiks nach oben gelangen konnte.
"Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, in dem man sie ignoriert." (Aldous Huxley)
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

ihr Lieben,
Gorbatschow war für Deutschland ein Glücksfall, für die SU auch aber für Russland nicht. Er hätte zuerst mit wirtschaftlichen Reformen anfangen müssen. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Benutzeravatar
Orianne
Mitglied
Beiträge: 3147
Registriert: 11.06.2014, 21:14
Wohnort: Suisse
Kontaktdaten:

Marek1964 hat geschrieben:Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wer zu früh kommt, den auch (wobei der letztere dann immerhin oft den moralischen Trostpreis bekommt, "seiner Zeit weit voraus gewesen zu sein"; der andere landet auf dem Misthaufen der Geschichte).
Das ist so wahr!
Grant stood by me when I was crazy, and I stood by him when he was drunk, and now we stand by each other.

General William Tecumseh Sherman
Bild
Benutzeravatar
Titus Feuerfuchs
Mitglied
Beiträge: 1632
Registriert: 07.05.2012, 21:42

Triton hat geschrieben:Was man Gorbatschow nicht absprechen kann war seine intellektuelle Begabung und seine Fähigkeit, querzudenken- für einen kommunistischen Führer der Nach-Stalin-Ära ungewöhnlich, eigentlich sogar ein Widerspruch in sich. [...]
Das ist genau das, was ich so faszinierend finde. Aber dabei blieb es bei Gorbi ja nicht, er setzte die aus seinem Querdenkertum gewonnenen Schlüsse auch um, auch wenn sie ihm unterm Strich zum Nachteil gereichten.

Wie viele Politiker gibt es, die so handeln?
MfG,
Titus Feuerfuchs
Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag

Zurück zu „Russland“