Kambodscha unter Pol Pot – der Alptraum der Roten Khmer

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Moderator: Barbarossa

Wallenstein

Kambodscha ist ein buddhistisches Land mit freundlichen, liebenswürdigen Menschen. Das steht jedenfalls in den Reisebüchern.

1973 machte ich Urlaub in Thailand und fuhr auch kurz an die kambodschanische Grenze. Einreisen konnte ich nicht, denn seit 1970 tobte dort ein mörderischer Krieg. An dem kleinen Grenzfluss verbrachte ich auf thailändischer Seite mehrere Stunden in einem kleinen Ort. Die Brücke über den Fluss war gesperrt, auf thailändischer Seite durch Militärposten, auf kambodschanischer Seite durch Stacheldrahtverhaue. Dort war kein Mensch zu sehen.

Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, aber dann kamen sie schließlich doch, die geheimnisvollen Soldaten des „Roten Khmer“ in ihren schwarzen Pyjama Anzügen und den rot-weiß gepunkteten Halstüchern und kontrollierten den Stacheldraht. Es handelte sich um eine Gruppe aus ca. 10 Personen, alle noch sehr jung, ab 16 Jahren aufwärts, die Soldaten der Apokalypse, wie sie Peter Scholl-Latour einmal genannt hatte. Damals wusste man über sie noch so gut wie gar nichts. Sie kontrollierten kurz den Stacheldraht, wenige Minuten später waren sie wieder verschwunden.

Die Roten Khmer hatten überall im Land in den Dörfern die männlichen Kinder und Jugendlichen rekrutiert, von den Eltern isoliert, in Ausbildungslager gebracht, sie indoktriniert und zu brutalen Killermaschinen erzogen. Die Anführer dieser jugendlichen Armee aus Bauernsöhnen gehörten größtenteils zur kambodschanischen Ober – und Mittelschicht. Einige hatten in Paris studiert, wo sie im Quartier Latin mit linken Studenten und Professoren Kontakt aufgenommen hatten. Ihre Ideen, entwickelt in Bistros und Kellerlokalen, wollten sie in die Realität umsetzen.

Der damalige Anführer und Chefideologie hieß Khieu Samphan, der nach der Machtübernahme von Pol Pot abgelöst wurde, aber weiterhin in der Führungsspitze saß. 1959 hatte er an der Sorbonne mit einer Dissertation über die kambodschanische Wirtschaft promoviert. Teile seiner Doktorarbeit habe ich später gelesen.

Er argumentiert wie folgt: In Kambodscha werden die Bauern entweder durch die Grundbesitzer oder durch Händler, Wucherer und Beamte ausgebeutet. Deshalb besitzen sie kaum Geld und entwickeln keine Nachfrage. Die herrschenden Klassen kaufen mit ihrem Einkommen Luxusgüter aus den Industrienationen, die sie importieren. Das nützt nur den Metropolen, aber unterbindet eine eigene Industrialisierung in Kambodscha.

Die Lösung: Enteignung der herrschenden Klassen. Dann haben die Bauern mehr Geld zur Nachfrage nach einfachen Konsumgütern und Produktionsmitteln übrig. Diese könnten vor Ort in kleinen Werkstätten und Industriebetrieben hergestellt werden. Die Bauern sollten ihre Felder zusammenlegen, um produktiver zu arbeiten und höhere Einkommen zu erzielen. Es würden sich eine Reihe von weitgehend autarken Produktionseinheiten bilden. Die Bauern produzieren Nahrung und tauschen sie vor Ort gegen lokal hergestellte Konsumgüter. Überschüsse müssten diese Wirtschaftseinheiten an den Staat abliefern, der damit überregionale Projekte durchführt. Der Ausbau der ländlichen Industrie würde zur Rückführung der vielen Arbeitslosen und Unterbeschäftigten in den Städten führen. Die chaotischen Megastädte würden dadurch entlastet.

Das klingt alles gar nicht so dumm. Ähnliches hatte aber schon Mao-Tse-tung mit seinem Konzept der Volkskommunen versucht während des Großen Sprungs und war damit gescheitert. Das konnte Khieu Samphan 1959 jedoch noch nicht wissen, denn das chinesische Experiment lief damals gerade erst an. Der Versuch, sein gesellschaftliches Konzept durchzusetzen, führte zu einer der größten Tragödien des 20. Jahrhunderts.

Der Rote Khmer war lange Zeit eine kleine Splittergruppe gewesen. Dass er so groß werden konnte, verdankte er vor allem der katastrophalen Indochinapoliltik der USA.

Im Vietnamkrieg wurde Kambodscha von dem Vietkong als Rückzugsgebiet benutzt und die Regionen, in denen sie aktiv waren, wurden ständig von den Amerikanern bombardiert. Der Prinz Sihanouk, der sich aus dem Krieg heraushalten wollte, wurde 1970 durch die CIA gestürzt und durch den General Lon Nol ersetzt, der jetzt militärisch gegen den Vietkong vorging, dabei aber jämmerlich scheiterte. Um ihm zu helfen, fielen amerikanische und vietnamesische Truppen in das Land ein und es kam zu mörderischen Kämpfen. Im Windschatten dieser Auseinandersetzungen konnten sich die Roten Khmer herausbilden. Sie appellierten an das Nationalgefühl und riefen zum Kampf auf gegen die Amerikaner und die korrupte Lon Nol Regierung. Prinz Sihanouk, der nach Peking geflüchtet war, wurde von ihnen formal als Oberhaupt der Regierung weiter anerkannt. Die USA zogen sich bald aus dem Land zurück und 1973 rückten auch die Nordvietnamesen ab. Doch der Rote Khmer kontrollierte inzwischen große Teile des Landes und belagerte die Hauptstadt Phnom Penh.

Um die Kommunisten zu stoppen, begannen die USA 1972 mit einem mörderischen Bombardement und belegten Kambodscha mit immer neuen Bombenteppichen. Militärisch völlig sinnlos, aber das Land wurde systematisch zerstört und zwischen 200.000 bis 600.000 Menschen kamen dabei ums Leben. Dies trieb den Roten Khmer immer neue Anhänger zu.

Nach langer Belagerung kapitulierte am 17. April 1975 Phnom Penh und die Armee von Lon Nol stellte den Kampf ein. Er selbst war kurz zuvor nach Indonesien geflüchtet. Ausländische Reporter berichteten:
An dem Morgen dieses Tages passierte zuerst nichts. Erst nach einigen Stunden erschien aus dem Urwald ein Soldat der roten Khmer, der einsam und scheinbar verlassen auf den Stadtrand zuging. Ein jovialer, freundlicher Mann, der der Bevölkerung zuwinkte. Er war kein Unbekannter, es handelte sich um einen stadtbekannten Playboy aus der Vorkriegszeit. Offensichtlich sollte er Vertrauen erwecken. In den nächsten Stunden rückten dann die Rebellen ein, eine Armee aus jungen, ernsten Bauernburschen, die von den Menschen freudig begrüßt wurde. Die Bewohner waren froh über das Ende des Krieges, nichts ahnend von den Schrecken, die folgen sollten.

Doch schon zwei Tage später zwangen sie die zwei Millionen Einwohner, Phnom Penh zu verlassen. Angeblich befürchtete man Luftangriffe der Amerikaner und vordergründig ging es darum, die zahlreichen Menschen, die während des Krieges in die Stadt geflohen waren, in ihre Heimatdörfer zurückzuführen.
Doch in Wahrheit ging es darum, die Ideologie der Roten Khmer umzusetzen.

Khieu Samphan wollte offensichtlich keine Zeit verlieren, um seine Vorstellungen einer neuen Gesellschaft zu realisieren. Die gesamte Bevölkerung der Hauptstadt wurde auf Todesmärschen durch das Land getrieben und auf den kollektivierten Feldern zur Zwangsarbeit eingeteilt. Geld, Handel, Märkte, alles wurde verboten.

Der Rote Khmer teilte die Bewohner auf in das „Altvolk“, die bäuerliche Bevölkerung, die schon länger unter der Herrschaft der Rebellen lebten und dem „Neuvolk“, den Menschen aus den Städten. Gerade das „Neuvolk“ litt unter dem Terror, denn sie wurden wie Sklaven zu der ihnen ungewohnten Feldarbeit getrieben. Die Zwangsarbeit war völlig unproduktiv, die Nahrungsmittelproduktion brach zusammen. Die geplante lokale Industrie entstand erst gar nicht. Hinzu kamen der unglaubliche Terror und die Machtkämpfe in der Führungsspitze. Die Kommunisten töteten alle Anhänger des alten Regimes, die Soldaten der Lon Nol Armee und die Beamten, alle, die irgendwie verdächtig waren. Als Pol Pot auch noch einen Grenzkrieg mit den Vietnamesen begann, rückten diese in Kambodscha ein und bereiteten dem Spuk ein Ende.

Khieu Samphan versuchte seine neue Gesellschaft im Schweinsgalopp durchzusetzen und endete in einem primitiven Steinzeit Kommunismus.
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