Der arabische Sozialismus

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Moderator: Barbarossa

Wallenstein

Das plötzliche Erstarken islamischer Bewegungen gegen Ende des 20. Jahrhunderts war die große Sensation, die Beobachter in West und Ost, aber auch viele Menschen in den arabischen Ländern selbst überraschte, spielte der politische Islam auch in den moslemischen Ländern lange Zeit vorher eher eine periphere Rolle und viele glaubten, er würde im Verlauf der Modernisierung, ähnlich wie früher das Christentum in Europa, immer mehr an Bedeutung verlieren und nur in Ländern mit feudalen Oligarchien wie in Saudi-Arabien, Oman oder den Golfstaaten würde er seine Hegemonie behalten.

Lange Zeit dominierte der arabische Sozialismus mit seinen verschiedenen Spielarten in der nahöstlichen Welt: Der Nasserismus in Ägypten, die Baath-Parteien in Syrien und im Irak, der konstitutionelle Sozialismus in Tunesien, der „Volkssozialismus“ von Gaddafi in Libyen, die Volksrepublik Süd Jemen (Aden). Der Zusammenbruch dieser Systeme hat den Aufstieg des radikalen Islamismus überhaupt erst ermöglicht.

Der arabische Sozialismus entstand nach dem Zweiten Weltkrieg und der anschließenden Unabhängigkeit der arabischen Staaten. Dieses System hat nichts mit dem Marxismus-Leninismus der Ostblock-Staaten zu tun, die Protagonisten lehnten die Diktatur des Proletariats ausdrücklich ab. Er sollte ein „Dritter Weg“ sein, zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Die Forderungen lauteten:

Freiheit: Darunter verstanden sie die Unabhängigkeit ihres Landes

Sozialismus: Für sie gleichbedeutend mit Wohlstand und Gerechtigkeit für alle

Einheit: Einheit und Zusammenschluss aller Araber

Untersuchen wir diesen Sozialismus näher, so stellen wir fest: Überall regierten die Militärs, von Demokratie konnte keine Rede sein. Die Offiziere stammten überwiegend aus dem Mittelstand, der sich während der Kolonialzeit gebildet hatte. Der arabische Sozialismus ist in Wirklichkeit ein Sozialismus der Militärs, eine Militärdiktatur mit populistischem Beiwerk.

Die Generäle planten, ihre Länder nach der Unabhängigkeit schnell zu industrialisieren. Sie versuchten dies über eine Stärkung des staatlichen Sektors. Die alten Oligarchien wurden gegen Entschädigung enteignet und ihr Land an die Bauern verteilt. Sie enteigneten die ausländischen Unternehmen, um ihre Unabhängigkeit vom Westen zu erlangen und die staatlichen Betriebe sollten systematisch ausgebaut werden, um das Land zu entwickeln. Ansonsten blieb die Wirtschaft aber überwiegend privat organisiert. Die ersten Reformen der Generäle waren sehr populär, ebenso ihr Kampf gegen die alten Kolonialmächte. Propaganda, Massenaufmärsche, all dies gab den Regimen einen populistischen Anstrich.

Die Entwicklungstheorie ging davon aus, dass die ehemaligen Kolonien duale Gesellschaften sind. Es gäbe einen modernen Sektor und einen traditionellen Sektor. Die Militärs gehörten demzufolge dem modernen Sektor an, der den traditionellen Sektor absorbieren soll. Da Generäle immer die besten Technologien für ihre Armeen haben wollen, sind sie fortschrittsorientiert und wollen ihr Land entwickeln. Im Westen schätzte man sie trotz vieler Vorbehalte als mögliche Partner ein. Auch die Sowjetunion dachte so, sie pries die Generäle als Wegbereiter eines nichtkapitalistischen Entwicklungsweges, da diese das Staatseigentum förderten. Ost und West wollten die neuen Staaten als Verbündete haben, wobei die Sowjetunion zeitweilig die Nase vorne hatte. Doch die Regime nutzten die Rivalität der Supermächte geschickt aus und zu deren Kummer erwiesen sich die Diktatoren als unzuverlässige Bündnispartner und wechselten öfters die Fronten wie z.B. Ägypten.

Der arabische Sozialismus führte vor allem zur Entstehung einer gigantischen Bürokratie, die das Staatseigentum als private Akkumulationsquelle ausbeutete. Die individuelle Bereicherung, durch Korruption und Raub öffentlicher Mittel, bereicherte die Cliquen an der Spitze, so dass die Staaten bald von mächtigen Familienclans beherrscht wurden. Diese bauten ihre Herrschaft weiter aus, in dem sie nach östlichem Vorbild Einparteiensysteme begründeten, die Medien kontrollierten, die Menschen in staatliche Organisationen hineindrängten, wie z.B. in staatliche Jugendverbände. Die Diktatoren betrieben einen absurden Personenkult und regierten mit Terror und Geheimpolizei.

Der arabische Sozialismus verhinderte die Entstehung einer Zivilgesellschaft, da jede Opposition, Parteien und Gewerkschaften, radikal unterdrückt wurden. Nur die religiösen Institutionen rührten sie nicht an. Deshalb entwickelte sich als einzige, geduldete Widerstandsbewegung der politische Islam, der sich rund um die Moscheen organisieren konnte. Sie wurden zum Sammelbecken aller Gegner.

Nach dem Ende dieses bizarren Sozialismus herrscht in einigen Ländern das Chaos wie in Libyen, dem Irak oder in Syrien. Radikale Islamisten, im Bündnis mit Anhängern der alten Regime, haben sich zu einer unheilvollen Allianz zusammengeschlossen. Da alle früheren politischen Modelle in der nahöstlichen Region, die Zeit der feudalen Herrscher, die koloniale Epoche, sozialistische und kapitalistische Entwicklungsmodelle nichts bewirkt haben, glauben einige, die Zukunft liegt in der Vergangenheit, im 7. Jahrhundert, als angeblich alles besser war.
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Barbarossa
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Wieder ein guter Beitrag, Wallenstein. Nur noch einige Anmerkungen dazu:
Wallenstein hat geschrieben:...

Lange Zeit dominierte der arabische Sozialismus mit seinen verschiedenen Spielarten in der nahöstlichen Welt: Der Nasserismus in Ägypten, die Baath-Parteien in Syrien und im Irak, der konstitutionelle Sozialismus in Tunesien, der „Volkssozialismus“ von Gaddafi in Libyen, die Volksrepublik Süd Jemen (Aden). Der Zusammenbruch dieser Systeme hat den Aufstieg des radikalen Islamismus überhaupt erst ermöglicht.

Der arabische Sozialismus entstand nach dem Zweiten Weltkrieg und der anschließenden Unabhängigkeit der arabischen Staaten. Dieses System hat nichts mit dem Marxismus-Leninismus der Ostblock-Staaten zu tun, die Protagonisten lehnten die Diktatur des Proletariats ausdrücklich ab. Er sollte ein „Dritter Weg“ sein, zwischen Kapitalismus und Kommunismus.
Das hat man übrigens im Ostblock selbst etwas anders gesehen. Dort wurden alle diese Länder unverhohlen als "sozialistisch orientierte Staaten" bezeichnet und nach Kräften unterstützt. Der Kalte Krieg der Systeme tobte nunmal auf allen Kontinenten und eigentlich in fast jedem Land der Welt.
Übrigens, dass es auch in Tunesien eine Form des Sozialismus gegeben haben soll, ist mir neu. Eher trifft das noch auf Algerien zu - das war auch noch so ein "sozialistisch orientiertes Land".
Wallenstein hat geschrieben:Untersuchen wir diesen Sozialismus näher, so stellen wir fest: Überall regierten die Militärs, von Demokratie konnte keine Rede sein. Die Offiziere stammten überwiegend aus dem Mittelstand, der sich während der Kolonialzeit gebildet hatte. Der arabische Sozialismus ist in Wirklichkeit ein Sozialismus der Militärs, eine Militärdiktatur mit populistischem Beiwerk.

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Der arabische Sozialismus führte vor allem zur Entstehung einer gigantischen Bürokratie, die das Staatseigentum als private Akkumulationsquelle ausbeutete. Die individuelle Bereicherung, durch Korruption und Raub öffentlicher Mittel, bereicherte die Cliquen an der Spitze, so dass die Staaten bald von mächtigen Familienclans beherrscht wurden. Diese bauten ihre Herrschaft weiter aus, in dem sie nach östlichem Vorbild Einparteiensysteme begründeten, die Medien kontrollierten, die Menschen in staatliche Organisationen hineindrängten, wie z.B. in staatliche Jugendverbände. Die Diktatoren betrieben einen absurden Personenkult und regierten mit Terror und Geheimpolizei.

Der arabische Sozialismus verhinderte die Entstehung einer Zivilgesellschaft, da jede Opposition, Parteien und Gewerkschaften, radikal unterdrückt wurden. Nur die religiösen Institutionen rührten sie nicht an. Deshalb entwickelte sich als einzige, geduldete Widerstandsbewegung der politische Islam, der sich rund um die Moscheen organisieren konnte. Sie wurden zum Sammelbecken aller Gegner.
Ja und das klingt sehr nach den Verhältnissen, wie sie im gesamten Ostblock herrschten, nur dass in der DDR z. B. die evangelische Kirche zu einem solchen Sammelbecken wurde, aber aus denselben Gründen.
Organisationen, wie Solidarność in Polen und Charta 77 in der ČSSR waren da wohl auch eher die Ausnahmen.
Wallenstein hat geschrieben:Doch die Regime nutzten die Rivalität der Supermächte geschickt aus und zu deren Kummer erwiesen sich die Diktatoren als unzuverlässige Bündnispartner und wechselten öfters die Fronten wie z.B. Ägypten.
Ja, aber Ägypten war da eher die Ausnahme von der Regel. Ansonsten bleiben diese Länder dem Ostblock gegenüber relativ loyal.


Wie gesagt, sonst eine gute Diskussionsgrundlage.
Die Diskussion ist eröffnet!

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Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Wallenstein

Tunesien: Der sogenannte "konstitutionelle Sozialismus" wurde geschaffen durch den Staatsgründer Bourgiba, der mit staatlichem Dirigismus und Agrarsozialismus das Land umformen wollte. Das änderte sich abrupt nach dem Putsch von Ben Ali 1985, der ein marktwirtschaftliches System präferierte.

Man könnte auch noch Numeiri im Sudan hinzufügen. 1969 gibt es dort einen neuen Putsch. Diesmal unter Oberst Dschafar Muhammad an-Numeiri (* 1930), der in der Folge die Sudanesische Sozialistische Union (SSU) als alleinige Partei im Staate installiert. Er nähert sich außenpolitisch der Sowjetunion an und verstaatlicht 1970 ausländische Banken und Unternehmen. Seine Politik richtet sich zunächst am damaligen panarabistischen Vorbild Gamal abd an-Nassir aus.
Nach einem kommunistischen Putschversuch 1971 verschlechtert sich die Beziehung zur UDSSR und er nähert sich später Ägypten unter Sadat an, zeitweilig hatte er auch gute Kontakte zu Libyen. Die Politik von Numeiri stößt auf den Widerstand religiöser Gruppen. Deshalb ändert er erneut seine Politik, rückt vom Sozialismus ab und erklärt den Sudan zu einem islamischen Staat. 1985 wird er gestürzt.
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