von ehemaliger Autor K. » 28.08.2014, 15:37
Israel 1984
Ich unterbreche einmal meine Berichte über die Fahrt nach Australien, da ich im Moment meine alten Aufzeichnungen darüber nicht finden kann. Da inzwischen aber so viel über Israel hier im Forum geschrieben wird, viele aber das Land vielleicht gar nicht kennen, möchte ich über meine erste Reise 1984 in diese Region schreiben. Vorher hatte ich nur die umliegenden „Feindstaaten“ kennen gelernt, wie Ägypten, Syrien etc. und war auch 1978 in die Wirren des libanesischen Bürgerkrieges geraten (darüber habe ich hier im Forum mehrmals berichtet), aber Israel kannte ich noch nicht. 1984 hatte ich dort beruflich zu tun und ein mit mir befreundeter jüdischer Geschäftsfreund lud mich ein, in seinem Land Urlaub zu machen. Die Gelegenheit nahm ich gerne wahr. Er stellte mir eine luxuriöse Vier-Zimmer-Wohnung in Tel Aviv zur Verfügung. Der Glückspilz besaß in der Stadt mehrere solcher Objekte. In Israel haben allerdings viele Familien Wohneigentum. Mietwohnungen sind seltener und sehr teuer.
Die Unterkunft lag zentral und man konnte den Strand und die Hauptstraßen bequem zu Fuß erreichen, was sich als günstig herausstellte, denn der Nahverkehr in Tel Aviv bestand nur aus Bussen, die ständig hoffnungslos überfüllt waren und manchmal keine weiteren Fahrgäste aufnahmen. Außerdem streikten die Fahrer öfters und überhaupt schien damals der Arbeitskampf eine Lieblingsbeschäftigung der Israelis zu sein. Dafür sorgten die mächtigen Gewerkschaften. Das Land war nicht gerade preiswert und es wütete eine Inflation. Der Schekel befand sich im freien Fall gegenüber dem Dollar und in den Lebensmittelgeschäften und Lokalen korrigierten sie laufend die Preise nach oben, die vorsichtshalber in Kreide auf Tafeln angeschrieben und deshalb leicht zu korrigieren waren. Ich gab die Umrechnerei in DM bald auf und kaufte einfach drauflos.
Tel Aviv ist sehr modern und ein angenehmer Ort. In den Straßen wogte das Leben und die Cafés waren ständig überfüllt. Wir hatten Anfang März und es war ziemlich kalt, nur ungefähr 10 Grad, doch trotzdem hielten sich viele Menschen am Strand auf, nur in Badehosen oder in Bikinis bekleidet und spielten mit Bällen. Die Jeunesse dorée stellte ihre Körper zur Schau. Gewöhnungsbedürftig waren die vielen Soldatinnen und Soldaten in Uniform und häufig mit Maschinenpistolen bewaffnet. Ein Volk in Waffen, ein modernes Sparta. Sonst war Tel Aviv eine ganz moderne Großstadt, sie erinnerte mich ein wenig an Alexandria oder Beirut.
Doch wirklich interessant sind andere Städte, z.B. Jerusalem, mit dem Bus in ca. 1 Stunde zu erreichen. Als ich zum ersten Mal dort hinfuhr, geriet ich in ein heftiges Schneegestöber und stapfte durch dicke Schneewehen in der heiligen Stadt umher. Jerusalem liegt ca. 750 m über Meereshöhe und es ist deutlich kälter als an der Küste. Ich besuchte einen Herrn Mayer, den ich aus Hamburg kannte, ein älterer Herr, der die älteste Buchhandlung von Jerusalem besitzt, sie befindet sich kurz vor der arabischen Altstadt, nicht weit von dem ehemaligen Mandelbaumtor entfernt, welches bis 1967 das arabische Jerusalem von dem neuen jüdischen Jerusalem trennte und von dem jetzt nichts mehr zu sehen ist. Herr Mayer redete nicht gerne über die Vergangenheit, ich habe ihn auch nicht danach gefragt. Wir unterhielten uns eigentlich auch nur über die jüngere deutsche Literatur. Er selbst bezeichnete sich stolz als „Jecke“, ein Spitzname für Juden aus Deutschland, die in Israel auffielen durch ihr angepasstes Benehmen. Immer ordentlich gekleidet, pünktlich, korrekt, autoritätshörig, eben richtige Deutsche, nur jüdischen Ursprungs. Jeckes soll heißen „Juden, die schwer von Begriff sind“. Die Jeckes konnten sich nur schwer an orientalische Lebensweisen anpassen und kamen lange in Israel nicht richtig zurecht.
Jerusalem besteht aus der jüdischen, sehr moderne Neustadt und der arabischen Altstadt, die von einer Mauer aus osmanischer Zeit umgeben ist und in die mehrere Tore hineinführen. Dazwischen liegt noch das Viertel der orthodoxen Juden, Mea Shearim. Dies besuchte ich als erstes und hier glaubt man sich zurückversetzt in die Zeit der europäischen Ghettos früherer Zeiten. Männer tragen schwarze Anzüge mit weißen Hemden, einen schwarzen Hut als Kopfbedeckung. Sie haben die typischen Ringellocken. Frauen sind meist in schwarze, lange Röcke mit Blusen gekleidet, die verheirateten tragen ein Kopftuch oder Perücke aus glattem Haarersatz. Allgemeine Verkehrssprache ist hier weiterhin Jiddisch.
Besucher sind hier nicht gerne gesehen und ich wurde misstrauisch beäugt. Zum Glück war ein Sauwetter, es schneite wie verrückt und ich wurde deshalb nicht weiter beachtet. Die Kopfbedeckung, die hier verlangt wird, ersparte ich mir, in dem ich mir die Kapuze von meinem Mantel über den Kopf zog.
Die eigentliche Attraktion ist die Altstadt, die in ein christliches, muslimisches, armenisches und jüdisches Viertel unterteilt ist. Sie bestehen aus vielen überdachten, engen Gassen mit zahlreichen Geschäften. Hier verspürt man den wahren Orient und kann sich in frühere Zeiten zurückversetzt fühlen. Zwar hatte ich ähnliche Städte schon gesehen, wie etwa Marrakesch oder Aleppo, aber Jerusalem war doch etwas Besonderes. Das farbenfrohe Gewimmel der Menschen in den Straßen, die seltsamen Gerüche, das hatte schon etwas. Viele fühlen sich hier wie verzaubert und einige bekommen das berüchtigte „Jerusalem-Syndrom“, sie halten sich plötzlich für Heilige oder für Christus.
Und die Stadt hat auch eine spirituelle Kraft, das verspürte sogar ich als Atheist. Die drei Weltreligionen prallen hier unmittelbar zusammen und ihre Heiligtümer liegen nur wenige hundert Meter auseinander. Ich besuchte den Tempelberg mit der Klagemauer, vor denen die Gläubigen unaufhörlich die Köpfe vor- und zurück bewegten. Direkt darüber befindet sich der Felsendom mit seiner goldenen Kuppel. Innen drin besah ich mir den mächtigen Felsbrocken, auf dem einst angeblich Abraham seinen Sohn Isaak opfern wollte und von dem aus Mohammed auf seinem Pferd für eine Nacht in den Himmel aufgestiegen sein soll. Das steht zwar nicht im Koran, wird aber von den Moslems geglaubt. Heute ist das Innere des Felsendoms für Nicht-Moslems gesperrt, ebenso die gegenüberliegende al-Aqsa-Moschee. Damals war das alles kein Problem, die Bauwerke zu besuchen.
In der Altstadt liegt auch die Via Dolorosa, der einstige Leidensweg von Jesus, der hier sein Kreuz trug und man kann die markierten Stationen seines früheren Weges bewundern, die deutlich markiert sind. Diesen Kreuzweg gehen ständig Pilgertrupps, ausgestattet mit Holzkreuzen und lauten Gesängen entlang. Die meisten kamen aus den USA.
Am Ende befindet sich die Grabeskirche, ein byzantinischer Kuppelbau, der angeblich über Golgatha, der Hinrichtungsstätte von Jesus, errichtet wurde. Heute ist die Grabeskirche in der Hand von sechs christlichen Konfessionen: Die Hauptverwaltung der Kirche haben die Griechisch-Orthodoxe, die Römisch-Katholische Kirche, vertreten durch den Franziskaner-Orden, und die Armenische Apostolische Kirche inne. Im 19. Jahrhundert kamen die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien, die Kopten und die Äthiopisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche hinzu. Die Konfessionen sind untereinander erbittert verfeindet und kämpfen um jeden Fußbreit Boden. Zwei moslemische Familien, Nusseibeh und Joudeh, müssen seit den Tagen von Saladin dafür sorgen, dass sie sich nicht ständig bekriegen.
Das Innere der Kirche ist prunkvoll ausgestattet mit zahlreichen Leuchtern und Altären. Und was mich begeisterte: ständig fanden irgendwelche Gottesdienste statt. Ich besuchte deshalb die Versammlungen der Armenier, der Syrer usw. und lernte die verschiedensten Gottesdienste kennen. Besonders beeindruckten mich die Sprechgesänge und Liturgien der orientalischen Kirchen.
Während der vierzehn Tage in Israel hielt ich mich fast jeden Tag wenigstens einmal kurz in Jerusalem auf und kannte die Altstadt bald wie meine Westentasche. Sie ist unglaublich beeindruckend und eine der interessantesten Städte der Welt.
Auch hier war die militärische Präsenz von Israel erdrückend. Es wimmelte von Soldaten und die jungen Frauen und Männer der Armee benahmen sich oft ziemlich arrogant gegenüber den arabischen Einwohnern und die Älteren von denen verhielten sich häufig beschämend unterwürfig gegenüber den Israelis. Es handelte sich halt um Besatzungstruppen in einem feindlichen Land, das wurde sehr deutlich.
Eines Abends traf ich mich in Tel Aviv mit einem Herrn Landsberger, den ich in Hamburg kennen gelernt hatte. Er konnte mit einer interessanten Lebensgeschichte aufwarten. Während der Nazizeit wurde er von deutschen Familien in Hamburg versteckt und lebte jahrelang in Kellern und Trockenböden. Nach dem Krieg zog er nach Israel, wohnte lange Zeit in einem Kibbuz und verbrachte jetzt seinen Lebensabend eigentlich in Haifa, wo ich ihn später auch noch einmal besuchte. Wie die meisten Kibbuz Bewohner war er politisch links eingestellt und unterstützte die Arbeiterpartei, war auch noch aktiv in der Peace now Bewegung, die in den achtziger Jahren hunderttausende von Menschen auf die Straßen brachte. Allerdings war er durchaus skeptisch:
„Ein großer Teil der Demonstranten sind Soldaten. Sie demonstrieren im Urlaub oder in der Freizeit. Danach treten sie wieder ihren Dienst an und dann ist es vorbei mit dem Frieden.“ Heute spielt diese Bewegung kaum noch eine Rolle.
Ich erwiderte ihm, dass man auf die Araber auch nicht sehr vertrauen sollte. Ein halbes Jahr zuvor hatte ich Ägypten besucht und mein Eindruck war, dass die meisten Bewohner dort mit dem Camp David Abkommen nicht zufrieden sind. Es gibt nur deshalb keinen neuen Krieg, weil die Generäle zu faul sind, um Krieg zu führen. Sie bekommen jährlich ihren Scheck aus den USA und verprassen das Geld dann. Ein Krieg würde ihrem fröhlichen Lotterleben zu einem jähes Ende bringen.
„Das ist wohl so“, erwiderte er. „Nach dem Abkommen wurden die Grenzen geöffnet und viele Israelis sind nach Ägypten gefahren. Damals wurden wir dort begeistert empfangen. Das ist aber schon lange her. Inzwischen ist der Reiseverkehr zum Stillstand gekommen. Die beiden Völker mögen sich nicht. Viele meiner Landsleute verhielten sich allerdings auch ziemlich arrogant in Ägypten. Sie schimpften auf das primitive Leben und den Schmutz, den es dort überall gibt. Das nahm man ihnen übel, diese Herrenmentalität.“
Herr Landsberger ist leider schon Ende der neunziger Jahre gestorben.
(Teil II folgt).
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[i]Ich unterbreche einmal meine Berichte über die Fahrt nach Australien, da ich im Moment meine alten Aufzeichnungen darüber nicht finden kann. Da inzwischen aber so viel über Israel hier im Forum geschrieben wird, viele aber das Land vielleicht gar nicht kennen, möchte ich über meine erste Reise 1984 in diese Region schreiben. Vorher hatte ich nur die umliegenden „Feindstaaten“ kennen gelernt, wie Ägypten, Syrien etc. und war auch 1978 in die Wirren des libanesischen Bürgerkrieges geraten (darüber habe ich hier im Forum mehrmals berichtet), aber Israel kannte ich noch nicht. 1984 hatte ich dort beruflich zu tun und ein mit mir befreundeter jüdischer Geschäftsfreund lud mich ein, in seinem Land Urlaub zu machen. Die Gelegenheit nahm ich gerne wahr. Er stellte mir eine luxuriöse Vier-Zimmer-Wohnung in Tel Aviv zur Verfügung. Der Glückspilz besaß in der Stadt mehrere solcher Objekte. In Israel haben allerdings viele Familien Wohneigentum. Mietwohnungen sind seltener und sehr teuer.[/i]
[i]Die Unterkunft lag zentral und man konnte den Strand und die Hauptstraßen bequem zu Fuß erreichen, was sich als günstig herausstellte, denn der Nahverkehr in Tel Aviv bestand nur aus Bussen, die ständig hoffnungslos überfüllt waren und manchmal keine weiteren Fahrgäste aufnahmen. Außerdem streikten die Fahrer öfters und überhaupt schien damals der Arbeitskampf eine Lieblingsbeschäftigung der Israelis zu sein. Dafür sorgten die mächtigen Gewerkschaften. Das Land war nicht gerade preiswert und es wütete eine Inflation. Der Schekel befand sich im freien Fall gegenüber dem Dollar und in den Lebensmittelgeschäften und Lokalen korrigierten sie laufend die Preise nach oben, die vorsichtshalber in Kreide auf Tafeln angeschrieben und deshalb leicht zu korrigieren waren. Ich gab die Umrechnerei in DM bald auf und kaufte einfach drauflos.
Tel Aviv ist sehr modern und ein angenehmer Ort. In den Straßen wogte das Leben und die Cafés waren ständig überfüllt. Wir hatten Anfang März und es war ziemlich kalt, nur ungefähr 10 Grad, doch trotzdem hielten sich viele Menschen am Strand auf, nur in Badehosen oder in Bikinis bekleidet und spielten mit Bällen. Die Jeunesse dorée stellte ihre Körper zur Schau. Gewöhnungsbedürftig waren die vielen Soldatinnen und Soldaten in Uniform und häufig mit Maschinenpistolen bewaffnet. Ein Volk in Waffen, ein modernes Sparta. Sonst war Tel Aviv eine ganz moderne Großstadt, sie erinnerte mich ein wenig an Alexandria oder Beirut.
Doch wirklich interessant sind andere Städte, z.B. Jerusalem, mit dem Bus in ca. 1 Stunde zu erreichen. Als ich zum ersten Mal dort hinfuhr, geriet ich in ein heftiges Schneegestöber und stapfte durch dicke Schneewehen in der heiligen Stadt umher. Jerusalem liegt ca. 750 m über Meereshöhe und es ist deutlich kälter als an der Küste. Ich besuchte einen Herrn Mayer, den ich aus Hamburg kannte, ein älterer Herr, der die älteste Buchhandlung von Jerusalem besitzt, sie befindet sich kurz vor der arabischen Altstadt, nicht weit von dem ehemaligen Mandelbaumtor entfernt, welches bis 1967 das arabische Jerusalem von dem neuen jüdischen Jerusalem trennte und von dem jetzt nichts mehr zu sehen ist. Herr Mayer redete nicht gerne über die Vergangenheit, ich habe ihn auch nicht danach gefragt. Wir unterhielten uns eigentlich auch nur über die jüngere deutsche Literatur. Er selbst bezeichnete sich stolz als „Jecke“, ein Spitzname für Juden aus Deutschland, die in Israel auffielen durch ihr angepasstes Benehmen. Immer ordentlich gekleidet, pünktlich, korrekt, autoritätshörig, eben richtige Deutsche, nur jüdischen Ursprungs. Jeckes soll heißen „Juden, die schwer von Begriff sind“. Die Jeckes konnten sich nur schwer an orientalische Lebensweisen anpassen und kamen lange in Israel nicht richtig zurecht.
Jerusalem besteht aus der jüdischen, sehr moderne Neustadt und der arabischen Altstadt, die von einer Mauer aus osmanischer Zeit umgeben ist und in die mehrere Tore hineinführen. Dazwischen liegt noch das Viertel der orthodoxen Juden, Mea Shearim. Dies besuchte ich als erstes und hier glaubt man sich zurückversetzt in die Zeit der europäischen Ghettos früherer Zeiten. Männer tragen schwarze Anzüge mit weißen Hemden, einen schwarzen Hut als Kopfbedeckung. Sie haben die typischen Ringellocken. Frauen sind meist in schwarze, lange Röcke mit Blusen gekleidet, die verheirateten tragen ein Kopftuch oder Perücke aus glattem Haarersatz. Allgemeine Verkehrssprache ist hier weiterhin Jiddisch.
Besucher sind hier nicht gerne gesehen und ich wurde misstrauisch beäugt. Zum Glück war ein Sauwetter, es schneite wie verrückt und ich wurde deshalb nicht weiter beachtet. Die Kopfbedeckung, die hier verlangt wird, ersparte ich mir, in dem ich mir die Kapuze von meinem Mantel über den Kopf zog.
Die eigentliche Attraktion ist die Altstadt, die in ein christliches, muslimisches, armenisches und jüdisches Viertel unterteilt ist. Sie bestehen aus vielen überdachten, engen Gassen mit zahlreichen Geschäften. Hier verspürt man den wahren Orient und kann sich in frühere Zeiten zurückversetzt fühlen. Zwar hatte ich ähnliche Städte schon gesehen, wie etwa Marrakesch oder Aleppo, aber Jerusalem war doch etwas Besonderes. Das farbenfrohe Gewimmel der Menschen in den Straßen, die seltsamen Gerüche, das hatte schon etwas. Viele fühlen sich hier wie verzaubert und einige bekommen das berüchtigte „Jerusalem-Syndrom“, sie halten sich plötzlich für Heilige oder für Christus.
Und die Stadt hat auch eine spirituelle Kraft, das verspürte sogar ich als Atheist. Die drei Weltreligionen prallen hier unmittelbar zusammen und ihre Heiligtümer liegen nur wenige hundert Meter auseinander. Ich besuchte den Tempelberg mit der Klagemauer, vor denen die Gläubigen unaufhörlich die Köpfe vor- und zurück bewegten. Direkt darüber befindet sich der Felsendom mit seiner goldenen Kuppel. Innen drin besah ich mir den mächtigen Felsbrocken, auf dem einst angeblich Abraham seinen Sohn Isaak opfern wollte und von dem aus Mohammed auf seinem Pferd für eine Nacht in den Himmel aufgestiegen sein soll. Das steht zwar nicht im Koran, wird aber von den Moslems geglaubt. Heute ist das Innere des Felsendoms für Nicht-Moslems gesperrt, ebenso die gegenüberliegende al-Aqsa-Moschee. Damals war das alles kein Problem, die Bauwerke zu besuchen.
In der Altstadt liegt auch die Via Dolorosa, der einstige Leidensweg von Jesus, der hier sein Kreuz trug und man kann die markierten Stationen seines früheren Weges bewundern, die deutlich markiert sind. Diesen Kreuzweg gehen ständig Pilgertrupps, ausgestattet mit Holzkreuzen und lauten Gesängen entlang. Die meisten kamen aus den USA.
Am Ende befindet sich die Grabeskirche, ein byzantinischer Kuppelbau, der angeblich über Golgatha, der Hinrichtungsstätte von Jesus, errichtet wurde. Heute ist die Grabeskirche in der Hand von sechs christlichen Konfessionen: Die Hauptverwaltung der Kirche haben die Griechisch-Orthodoxe, die Römisch-Katholische Kirche, vertreten durch den Franziskaner-Orden, und die Armenische Apostolische Kirche inne. Im 19. Jahrhundert kamen die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien, die Kopten und die Äthiopisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche hinzu. Die Konfessionen sind untereinander erbittert verfeindet und kämpfen um jeden Fußbreit Boden. Zwei moslemische Familien, Nusseibeh und Joudeh, müssen seit den Tagen von Saladin dafür sorgen, dass sie sich nicht ständig bekriegen.
Das Innere der Kirche ist prunkvoll ausgestattet mit zahlreichen Leuchtern und Altären. Und was mich begeisterte: ständig fanden irgendwelche Gottesdienste statt. Ich besuchte deshalb die Versammlungen der Armenier, der Syrer usw. und lernte die verschiedensten Gottesdienste kennen. Besonders beeindruckten mich die Sprechgesänge und Liturgien der orientalischen Kirchen.
Während der vierzehn Tage in Israel hielt ich mich fast jeden Tag wenigstens einmal kurz in Jerusalem auf und kannte die Altstadt bald wie meine Westentasche. Sie ist unglaublich beeindruckend und eine der interessantesten Städte der Welt.
Auch hier war die militärische Präsenz von Israel erdrückend. Es wimmelte von Soldaten und die jungen Frauen und Männer der Armee benahmen sich oft ziemlich arrogant gegenüber den arabischen Einwohnern und die Älteren von denen verhielten sich häufig beschämend unterwürfig gegenüber den Israelis. Es handelte sich halt um Besatzungstruppen in einem feindlichen Land, das wurde sehr deutlich.
Eines Abends traf ich mich in Tel Aviv mit einem Herrn Landsberger, den ich in Hamburg kennen gelernt hatte. Er konnte mit einer interessanten Lebensgeschichte aufwarten. Während der Nazizeit wurde er von deutschen Familien in Hamburg versteckt und lebte jahrelang in Kellern und Trockenböden. Nach dem Krieg zog er nach Israel, wohnte lange Zeit in einem Kibbuz und verbrachte jetzt seinen Lebensabend eigentlich in Haifa, wo ich ihn später auch noch einmal besuchte. Wie die meisten Kibbuz Bewohner war er politisch links eingestellt und unterstützte die Arbeiterpartei, war auch noch aktiv in der Peace now Bewegung, die in den achtziger Jahren hunderttausende von Menschen auf die Straßen brachte. Allerdings war er durchaus skeptisch:
„Ein großer Teil der Demonstranten sind Soldaten. Sie demonstrieren im Urlaub oder in der Freizeit. Danach treten sie wieder ihren Dienst an und dann ist es vorbei mit dem Frieden.“ Heute spielt diese Bewegung kaum noch eine Rolle.
Ich erwiderte ihm, dass man auf die Araber auch nicht sehr vertrauen sollte. Ein halbes Jahr zuvor hatte ich Ägypten besucht und mein Eindruck war, dass die meisten Bewohner dort mit dem Camp David Abkommen nicht zufrieden sind. Es gibt nur deshalb keinen neuen Krieg, weil die Generäle zu faul sind, um Krieg zu führen. Sie bekommen jährlich ihren Scheck aus den USA und verprassen das Geld dann. Ein Krieg würde ihrem fröhlichen Lotterleben zu einem jähes Ende bringen.
„Das ist wohl so“, erwiderte er. „Nach dem Abkommen wurden die Grenzen geöffnet und viele Israelis sind nach Ägypten gefahren. Damals wurden wir dort begeistert empfangen. Das ist aber schon lange her. Inzwischen ist der Reiseverkehr zum Stillstand gekommen. Die beiden Völker mögen sich nicht. Viele meiner Landsleute verhielten sich allerdings auch ziemlich arrogant in Ägypten. Sie schimpften auf das primitive Leben und den Schmutz, den es dort überall gibt. Das nahm man ihnen übel, diese Herrenmentalität.“
Herr Landsberger ist leider schon Ende der neunziger Jahre gestorben.[/i]
(Teil II folgt).