von Orianne » 15.06.2014, 17:55
@RedScorpion: Du fragst nach der Analogie zwischen dem Genozid der Armenier und dem Genozid der Juden? Ja da gibt es Gemeinsamkeiten, denn auch die Osmanen wollten die Armenier vergiften, nur war die "Forschung" noch nicht so weit, deshalb wurden ja fast allen männlichen Personen gleich erschossen, und die Frauen und Mädchen in die Wüste getrieben.
Es gibt noch einen Zusammenhang, beide Völker hatten keinen eigenen Staat.
Hier noch ein Zitat aus dem BuchDer verpasste Friede.Mission, Ethnie und Staat in den Ostprovinzen der Türkei 1839-1938, Zürich: Chronos, 2000, S. 504-508. von Hans-Lukas Kieser (Eine Buchempfehlung von mir) Kapitel: Das armenische und das jüdische Schicksal
In beiden Fällen waren aus den einstigen Schutzbefohlenen des religiös begründeten Ancien Régime nach einer liberalen Zwischenphase auszustossende und auszurottende Elemente geworden. In beiden Fällen setzte ein extrem nationalistisches Regime auf pauschal verteufelnde Weise seine innere Minderheit mit fremder bedrohlicher Weltmacht gleich: Die Armenier wurden mit dem angelsächsisch-imperialistischen Protestantismus und dem russischen Erzfeind identifiziert, die Juden mit dem Bolschewismus und der kapitalistischen angelsächsischen Welt. In beiden Fällen war der Völkermord Teil einer gigantischen «völkischen Flurbereinigungspolitik» (Heinrich Himmler), die auch andere Völker betraf. Auch die administrativen Sprachen glichen einander: Umsiedlung hiess der ominöse Vorgang, der im Falle der Juden und Armenier ins Nichts führte, obzwar in beiden Fällen vorgängig auch improvisierte reale Umsiedlungsziele bestanden. In beiden Fällen spielte eine ähnliche Institution, die Umsiedlungs- und Ansiedlungszentrale beziehungsweise das Asayir ve Muhacirîn Müdüriyet-i Umumiyesi, das Zentraldirektorium für Stämme und Migranten, eine wichtige Rolle. Die wirtschaftliche Umverteilung - die räuberische «Nationalisierung» armenischen beziehungsweise jüdischen Gutes - war eine wichtige Komponente beider Genozide. Wie viele westliche Beobachter während des Ersten Weltkrieges feststellten, widersprach die Vernichtungspolitik indes jeglicher bisherigen rationalen wirtschaftspolitischen Logik. Sie warf Kleinasien auf Jahrzehnte hinaus unternehmerisch zurück, denn die einheimischen Christen spielten in Handel und Industrie eine Vorreiterrolle.
Die Armenier waren im Gegensatz zu den Zionisten die Verlierer des europäischen Imperialismus im Nahen Osten: Anstatt in ihrem Siedlungsgebiet eine sichere Heimstätte zu erlangen, wurden sie dort vollständig ausgerottet. Immerhin bewahrte sie die Sowjetarmee 1920 vor weiterer türkischer Verfolgung in ihrer kaukasischen Restheimat. Der Preis dafür war der Verlust der Unabhängigkeit der kaum zweijährigen Republik Armenien. Das europäische Versprechen einer armenischen Heimstätte im angestammten Siedlungsgebiet wurde 1923 in Lausanne vor aller Welt gebrochen. Dies war auch ein Zeichen für die tiefe Krise von Europa selbst.
Da es bisher noch keine wissenschaftliche Aufarbeitung der Rezeption des armenischen Völkermordes im Deutschland der Zwischenkriegszeit gibt, ist seine Vorbildfunktion für die Nationalsozialisten schwierig abzuschätzen.**** Das Wissen um den vom einstigen Weltkriegsverbündeten verübten Völkermord war jedenfalls in Staats- und Militärkreisen in aller Breite vorhanden. Ihre Archive bargen die präzisesten, von deutschen Zivilbeamten, Offizieren und Missionaren verfassten Berichte darüber. Zahlreiche Texte belegen, dass die genozidäre unionistische Gewalt, die einer positivistischen Staatsräson zu folgen schien, die rechtsgerichteten Kreise im damaligen Deutschland faszinierte. Allein eine Rezeptionsgeschichte folgender, von Johannes Lepsius überlieferter Sätze Enver Paschas wäre in diesem Zusammenhang aufschlussreich: «Wir können mit unseren inneren Feinden fertig werden. Sie in Deutschland können das nicht. Darin sind wir stärker als Sie.» Es war den rassistisch orientierten Nationalisten klar, dass der Völkermord und die Massnahmen, in die er eingebettet gewesen war, die ethnisch-demographische Grundlage für den Nationalstaat Türkei geschaffen hatten. An ihm bewunderten sie die konsequente ethnische Homogenisierung und die autoritäre Führungsstruktur. Neidisch blickte die deutsche Rechte zudem auf die erfolgreiche Revision des entsprechenden Pariser Vorortsvertrages durch den ehemaligen Weltkriegsverbündeten. Darin war er ihr Vorbild. Die strikte territoriale Beschränkung, die Mustafa Kemal der Aussenpolitik der Republik Türkei auferlegte, nahmen die Nationalsozialisten allerdings nicht zu Herzen.
Dan Diner, ein Spezialist der nahöstlichen und mitteleuropäischen Geschichte, hat kürzlich eine universalhistorische Deutung des 20. Jahrhunderts unternommen: Sieben Seiten in seinem Buch Das Jahrhundert verstehen handeln vom Genozid an den Armeniern; darauf folgt fast nahtlos die Darstellung der Vernichtung der europäischen Juden. Seine Überleitung untermauert die enge Verknüpftheit von europäischer und spätosmanischer Geschichte. In beiden geschichtlichen Räumen führten die Theorien der Volkssouveränität und der Selbstbestimmung zu unabsehbaren Konsequenzen, da sie nicht im angelsächsischen Sinn auf die Bevölkerung, sondern auf eine religiös oder ethnisch definierte Gruppe angewandt wurden. «Die Abspaltung der rumelischen [Balkan-] Christen [...], die gegenseitigen Vertreibungen von Muslimen und Orthodoxen [...] sowie der Genozid am armenischen Volk waren jeweils Ausdruck einer Entwicklung: der Ausbildung von ethnisch homogenen Nationalstaaten [...]. Bei den Staaten Mittel- und Osteuropas traten die für Balkan und Levante konstitutiven Momente religiöser Zugehörigkeit hinter denen der Nationalität zurück, aber sie waren gleichermassen mit Problemen belastet, die dem Widerspruch zwischen der Realität ethnischer Heterogenität und dem Anspruch auf nationale Homogenität entsprangen. [...] Während sich die polnische Regierung eines, wie sie meinte, überschüssigen Teils der jüdischen Bevölkerung mittels Auswanderung [...] zu entledigen suchte, legten es die antijüdischen Massnahmen der Nazis offenkundig darauf an, alle Juden ausser Landes zu treiben. [...] Die Ausrottung selbst begann 1941 parallel zu jener spezifisch antibolschewistischen Kriegsführung, wie sie dem ‚Unternehmen Barbarossa‘ [Russlandfeldzug] von Anfang an eingeschrieben war. [...] Die Erschiessungen männlicher Juden [gemäss ‚Kommissarbefehl‘] wurden bald zu Liquidierungs- und Vernichtungsaktionen auf alle Juden ausgedehnt. [...] Unmerklich war im August und September 1941 die Schwelle vom antibolschewistischen Weltanschauungskrieg zum Genozid an den Juden überschritten worden.»
****Deine Theorie, oder?
@RedScorpion: Du fragst nach der Analogie zwischen dem Genozid der Armenier und dem Genozid der Juden? Ja da gibt es Gemeinsamkeiten, denn auch die Osmanen wollten die Armenier vergiften, nur war die "Forschung" noch nicht so weit, deshalb wurden ja fast allen männlichen Personen gleich erschossen, und die Frauen und Mädchen in die Wüste getrieben.
Es gibt noch einen Zusammenhang, beide Völker hatten keinen eigenen Staat.
Hier noch ein Zitat aus dem BuchDer verpasste Friede.Mission, Ethnie und Staat in den Ostprovinzen der Türkei 1839-1938, Zürich: Chronos, 2000, S. 504-508. von Hans-Lukas Kieser (Eine Buchempfehlung von mir) Kapitel: Das armenische und das jüdische Schicksal
In beiden Fällen waren aus den einstigen Schutzbefohlenen des religiös begründeten Ancien Régime nach einer liberalen Zwischenphase auszustossende und auszurottende Elemente geworden. In beiden Fällen setzte ein extrem nationalistisches Regime auf pauschal verteufelnde Weise seine innere Minderheit mit fremder bedrohlicher Weltmacht gleich: Die Armenier wurden mit dem angelsächsisch-imperialistischen Protestantismus und dem russischen Erzfeind identifiziert, die Juden mit dem Bolschewismus und der kapitalistischen angelsächsischen Welt. In beiden Fällen war der Völkermord Teil einer gigantischen «völkischen Flurbereinigungspolitik» (Heinrich Himmler), die auch andere Völker betraf. Auch die administrativen Sprachen glichen einander: Umsiedlung hiess der ominöse Vorgang, der im Falle der Juden und Armenier ins Nichts führte, obzwar in beiden Fällen vorgängig auch improvisierte reale Umsiedlungsziele bestanden. In beiden Fällen spielte eine ähnliche Institution, die Umsiedlungs- und Ansiedlungszentrale beziehungsweise das Asayir ve Muhacirîn Müdüriyet-i Umumiyesi, das Zentraldirektorium für Stämme und Migranten, eine wichtige Rolle. Die wirtschaftliche Umverteilung - die räuberische «Nationalisierung» armenischen beziehungsweise jüdischen Gutes - war eine wichtige Komponente beider Genozide. Wie viele westliche Beobachter während des Ersten Weltkrieges feststellten, widersprach die Vernichtungspolitik indes jeglicher bisherigen rationalen wirtschaftspolitischen Logik. Sie warf Kleinasien auf Jahrzehnte hinaus unternehmerisch zurück, denn die einheimischen Christen spielten in Handel und Industrie eine Vorreiterrolle.
Die Armenier waren im Gegensatz zu den Zionisten die Verlierer des europäischen Imperialismus im Nahen Osten: Anstatt in ihrem Siedlungsgebiet eine sichere Heimstätte zu erlangen, wurden sie dort vollständig ausgerottet. Immerhin bewahrte sie die Sowjetarmee 1920 vor weiterer türkischer Verfolgung in ihrer kaukasischen Restheimat. Der Preis dafür war der Verlust der Unabhängigkeit der kaum zweijährigen Republik Armenien. Das europäische Versprechen einer armenischen Heimstätte im angestammten Siedlungsgebiet wurde 1923 in Lausanne vor aller Welt gebrochen. Dies war auch ein Zeichen für die tiefe Krise von Europa selbst.
[u]Da es bisher noch keine wissenschaftliche Aufarbeitung der Rezeption des armenischen Völkermordes im Deutschland der Zwischenkriegszeit gibt, ist seine Vorbildfunktion für die Nationalsozialisten schwierig abzuschätzen.[/u]**** Das Wissen um den vom einstigen Weltkriegsverbündeten verübten Völkermord war jedenfalls in Staats- und Militärkreisen in aller Breite vorhanden. Ihre Archive bargen die präzisesten, von deutschen Zivilbeamten, Offizieren und Missionaren verfassten Berichte darüber. Zahlreiche Texte belegen, dass die genozidäre unionistische Gewalt, die einer positivistischen Staatsräson zu folgen schien, die rechtsgerichteten Kreise im damaligen Deutschland faszinierte. Allein eine Rezeptionsgeschichte folgender, von Johannes Lepsius überlieferter Sätze Enver Paschas wäre in diesem Zusammenhang aufschlussreich: «Wir können mit unseren inneren Feinden fertig werden. Sie in Deutschland können das nicht. Darin sind wir stärker als Sie.» Es war den rassistisch orientierten Nationalisten klar, dass der Völkermord und die Massnahmen, in die er eingebettet gewesen war, die ethnisch-demographische Grundlage für den Nationalstaat Türkei geschaffen hatten. An ihm bewunderten sie die konsequente ethnische Homogenisierung und die autoritäre Führungsstruktur. Neidisch blickte die deutsche Rechte zudem auf die erfolgreiche Revision des entsprechenden Pariser Vorortsvertrages durch den ehemaligen Weltkriegsverbündeten. Darin war er ihr Vorbild. Die strikte territoriale Beschränkung, die Mustafa Kemal der Aussenpolitik der Republik Türkei auferlegte, nahmen die Nationalsozialisten allerdings nicht zu Herzen.
Dan Diner, ein Spezialist der nahöstlichen und mitteleuropäischen Geschichte, hat kürzlich eine universalhistorische Deutung des 20. Jahrhunderts unternommen: Sieben Seiten in seinem Buch Das Jahrhundert verstehen handeln vom Genozid an den Armeniern; darauf folgt fast nahtlos die Darstellung der Vernichtung der europäischen Juden. Seine Überleitung untermauert die enge Verknüpftheit von europäischer und spätosmanischer Geschichte. In beiden geschichtlichen Räumen führten die Theorien der Volkssouveränität und der Selbstbestimmung zu unabsehbaren Konsequenzen, da sie nicht im angelsächsischen Sinn auf die Bevölkerung, sondern auf eine religiös oder ethnisch definierte Gruppe angewandt wurden. «Die Abspaltung der rumelischen [Balkan-] Christen [...], die gegenseitigen Vertreibungen von Muslimen und Orthodoxen [...] sowie der Genozid am armenischen Volk waren jeweils Ausdruck einer Entwicklung: der Ausbildung von ethnisch homogenen Nationalstaaten [...]. Bei den Staaten Mittel- und Osteuropas traten die für Balkan und Levante konstitutiven Momente religiöser Zugehörigkeit hinter denen der Nationalität zurück, aber sie waren gleichermassen mit Problemen belastet, die dem Widerspruch zwischen der Realität ethnischer Heterogenität und dem Anspruch auf nationale Homogenität entsprangen. [...] Während sich die polnische Regierung eines, wie sie meinte, überschüssigen Teils der jüdischen Bevölkerung mittels Auswanderung [...] zu entledigen suchte, legten es die antijüdischen Massnahmen der Nazis offenkundig darauf an, alle Juden ausser Landes zu treiben. [...] Die Ausrottung selbst begann 1941 parallel zu jener spezifisch antibolschewistischen Kriegsführung, wie sie dem ‚Unternehmen Barbarossa‘ [Russlandfeldzug] von Anfang an eingeschrieben war. [...] Die Erschiessungen männlicher Juden [gemäss ‚Kommissarbefehl‘] wurden bald zu Liquidierungs- und Vernichtungsaktionen auf alle Juden ausgedehnt. [...] Unmerklich war im August und September 1941 die Schwelle vom antibolschewistischen Weltanschauungskrieg zum Genozid an den Juden überschritten worden.»
****Deine Theorie, oder?