von ehemaliger Autor K. » 12.09.2013, 11:16
Nachtrag
Vielen Dank für eure verständnisvollen Beiträge. Mich hatte viele Jahre lang die Frage gequält, wieso ich in der Lage gewesen wäre, einfach so einen Menschen zu erschießen und deswegen später einen Psychiater aufgesucht. Hier noch eine Ergänzung des damaligen Gesprächs. Er sagte zu mir:
„Wissen sie, es macht einen großen Unterschied, ob man auf einen Menschen nur zielt oder auch wirklich schießt. Sie haben ja nur gezielt, sonst nichts. Das ist aber so ähnlich, wie früher bei den Indianerspielen. Man zeigt mit der Wasserpistole auf einen anderen Jungen, sagt: ‚Peng, du bist tot‘, er fällt um und die Sache ist ein Heidenspaß. Das hat aber nichts mit der Wirklichkeit zu tun.“
Vorher hatte ich ihm erzählt, dass ich etwa 10 Tage nach dem Ereignis in der Pension tatsächlich eine Leiche mit Kopfschuss gesehen hatte. Die Kugel hatte den jungen Mann in die linke Schläfe getroffen. Dort klaffte eine tiefe Wunde, aus der das Gehirn herausgelaufen war. Mir wurde übel, aber ich zwang mich dazu, ihn mir näher anzusehen. Der Mann lag mit dem Gesicht auf der Straße, mit meinen Füßen stieß ich ihn an und drehte ihn so herum, dass ich ihn mir ansehen konnte. Sein Antlitz war noch gut zu erkennen. Er war noch jung, vielleicht Mitte Zwanzig, die Augen weit geöffnet und sahen irgendwie quallig aus. Aus ihnen tropfte bereits das Augenwasser und es sah aus, als würde er weinen. Auch der Mund war weit geöffnet, wie zu einem letzten Schrei, das aus ihm ausgelaufene Blut schon vertrocknet. Völlig erschüttert ging ich fort. Keiner kümmerte sich um die Leiche, alle gingen einfach daran vorbei.
„Sehen sie“, erklärte mir der Arzt, „ das ist der Unterschied. Hätten sie wirklich auf den Mann geschossen, dann hätten sie gesehen, wie sein Schädel von ihrer Kugel zerrissen worden wäre. Das Gehirn und das Blut wären nach allen Seiten gespritzt und glauben sie mir, dann hätten sie gemerkt, was sie angerichtet hätten. Dieser Anblick hätte sich in ihr Gehirn eingefressen. So etwas können nur wenige wirklich vertragen. Und sie bestimmt nicht, so schätze ich sie ein. Sie hätten ein schweres Traumata gehabt.“
Kürzlich habe ich in einer Zeitung gelesen, dass bei Rentnern, die früher im Krieg dabei waren, erst jetzt, nach vielen Jahren, die frühen Erlebnisse plötzlich wieder präsent werden. Über 60 Jahre lang hatten sie alles verdrängt, jetzt brechen die Traumata plötzlich mit voller Wucht über sie herein.
[b]Nachtrag[/b]
[i]Vielen Dank für eure verständnisvollen Beiträge. Mich hatte viele Jahre lang die Frage gequält, wieso ich in der Lage gewesen wäre, einfach so einen Menschen zu erschießen und deswegen später einen Psychiater aufgesucht. Hier noch eine Ergänzung des damaligen Gesprächs. Er sagte zu mir:
„Wissen sie, es macht einen großen Unterschied, ob man auf einen Menschen nur zielt oder auch wirklich schießt. Sie haben ja nur gezielt, sonst nichts. Das ist aber so ähnlich, wie früher bei den Indianerspielen. Man zeigt mit der Wasserpistole auf einen anderen Jungen, sagt: ‚Peng, du bist tot‘, er fällt um und die Sache ist ein Heidenspaß. Das hat aber nichts mit der Wirklichkeit zu tun.“
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[i]Vorher hatte ich ihm erzählt, dass ich etwa 10 Tage nach dem Ereignis in der Pension tatsächlich eine Leiche mit Kopfschuss gesehen hatte. Die Kugel hatte den jungen Mann in die linke Schläfe getroffen. Dort klaffte eine tiefe Wunde, aus der das Gehirn herausgelaufen war. Mir wurde übel, aber ich zwang mich dazu, ihn mir näher anzusehen. Der Mann lag mit dem Gesicht auf der Straße, mit meinen Füßen stieß ich ihn an und drehte ihn so herum, dass ich ihn mir ansehen konnte. Sein Antlitz war noch gut zu erkennen. Er war noch jung, vielleicht Mitte Zwanzig, die Augen weit geöffnet und sahen irgendwie quallig aus. Aus ihnen tropfte bereits das Augenwasser und es sah aus, als würde er weinen. Auch der Mund war weit geöffnet, wie zu einem letzten Schrei, das aus ihm ausgelaufene Blut schon vertrocknet. Völlig erschüttert ging ich fort. Keiner kümmerte sich um die Leiche, alle gingen einfach daran vorbei.[/i]
[i]„Sehen sie“, erklärte mir der Arzt, „ das ist der Unterschied. Hätten sie wirklich auf den Mann geschossen, dann hätten sie gesehen, wie sein Schädel von ihrer Kugel zerrissen worden wäre. Das Gehirn und das Blut wären nach allen Seiten gespritzt und glauben sie mir, dann hätten sie gemerkt, was sie angerichtet hätten. Dieser Anblick hätte sich in ihr Gehirn eingefressen. So etwas können nur wenige wirklich vertragen. Und sie bestimmt nicht, so schätze ich sie ein. Sie hätten ein schweres Traumata gehabt.“
Kürzlich habe ich in einer Zeitung gelesen, dass bei Rentnern, die früher im Krieg dabei waren, erst jetzt, nach vielen Jahren, die frühen Erlebnisse plötzlich wieder präsent werden. Über 60 Jahre lang hatten sie alles verdrängt, jetzt brechen die Traumata plötzlich mit voller Wucht über sie herein.[/i]