Barbarossa hat geschrieben:
Da sind wir offenbar unterschiedlicher Meinung, denn ein Lohn von 3-5 Euro pro Stunde ist eigentlich nicht mehr als ein Almosen. Versuch doch mal mit einem Lohn von 4 Euro, der bei 40 Stunden pro Woche einem Bruttolohn von ~ 650 Euro pro Monat entspricht, auszukommen?
Geht nicht, wenn man auch noch Miete zahlen muß.
Dass es mit derart niedrigen Löhnen sehr schwierig ist, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, will ich gern zugestehen.
Glaub mir, ich habe in 30 Jahren erlebt, wie es ist, wenn die eigene Familie recht viel Geld hat und ebenso wie es ist, wenn man 3 Jeans, diverse T-Shirts, ein Paar Stiefel und praktisch 1 Lederjacke (Kutte!!!
) sein Eigen nennt und im Gegensatz zu anderen nicht in den Urlaub fährt und vergleichsweise wenig Taschengeld erhält, uws. usf.
Nicht wirklich. Ich weiß aus eigener Erfahrung nur, daß in der freien Wirtschaft einem Arbeitnehmer nichts geschenkt wird und somit freiwillig auch nichts mehr gezahlt wird, so daß man ohne Streiks auch 10 Jahre für das gleiche Geld arbeiten würde und niemanden würde es interessieren, ob der Lohn zum leben reicht. Das sieht man ja schon an diesen z. T. katastrophal niedrigen Löhnen in verschiedenen Branchen.
Nun, mein Vater war Arbeitgeber und die Familie meiner Frau besteht aus Arbeitnehmern.
Meine Frau selbst wird nicht nach Tarif bezahlt. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass mein Vater (grundsätzlich zwar ein Knauser ^^) regelmäßig die Löhne seiner Angestellten erhöhte. Ohne Streik!
Ebenso weiß ich, dass die Löhne meiner Frau und ihrer Eltern ohne den Einsatz von Streik erhöht wurden.
Dass es nicht überall so ist, das weiß ich auch. Dass es niergends und niemals so ist, ist aber falsch.
Grundsätzlich würde ich Dir aber insofern zustimmen, dass heuer mit härteren Bandagen und rücksichtsloser gekämpft wird. Nicht wenigen täten einige Lektionen "Geschichte des rheinischen Kapitalismus" sehr gut!
...Traurige Popularität erlangte kürzlich etwa ein besonders drastischer Fall von Niedriglohn in Sachsen: Frisöre der untersten Lohngruppe verdienen dort 3,06 Euro pro Stunde – laut Tarif. Selbst in der Lohngruppe 3, in der die meisten sächsischen Frisöre arbeiten, liegt der Verdienst bei gerade einmal 5,16 Euro pro Stunde. Das entspricht einem Monatslohn von 830 Euro. Es überrascht wenig, dass bei dieser Lohnsituation 70 Prozent der Beschäftigten im sächsischen Frisörhandwerk ihr Lohn durch Transferleistungen aufgestockt wird.
Kaum besser ist es um das Bäckereihandwerk in Sachsen-Anhalt bestellt. In der untersten Lohngruppe werden hier 4,48 Euro pro Stunde gezahlt. Mit einem Monatseineinkommen von 775 Euro liegen Bäcker aus Sachsen-Anhalt unterhalb der Armutsgrenze von 781 Euro.
In Sachsen-Anhalt existieren insgesamt 34 Tarifverträge, die Bruttostundenlöhne von weniger als 7,50 Euro vorsehen. Die Löhne sind in den vergangenen Jahren kräftig gesunken „Die Arbeitgeber des Landes zahlten 2005 insgesamt Bruttolöhne und -gehälter, inkl. der Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber, in Höhe von 15,6 Mrd. Euro. Das waren eine Milliarde Euro weniger als noch im Jahr 2000“, so der Landeschef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Udo Gebhardt. Gleichzeitig seien die Verkaufspreise gestiegen. Um Löhne und Kaufkraft zu stärken, betont Gebhard, seien Mindestlöhne und Lohnuntergrenzen deshalb „ein Gebot der Stunde“...
Zunächst einmal möchte ich doch festhalten, wie bigott es ist, einerseits solche Tarifverträge abzuschließen und andererseits daraufhin nach dem Gesetzgeber zu schreien. Das riecht förmlich nach einer Strategie......!
Davon ab ging es ja darum, ob in vielen Branchen weit unter dem Existenzminimum gezahlt wird. In einigen kann man darüber streiten, aber in Anbetracht der Branchenvielfalt ist diese Aussage so einfach nicht richtig.
Interessant finde ich diesen Vorschlag (müsste ihn allerdings mal durchrechnen):
http://www.arm-trotz-arbeit.org/
So kann das nicht bleiben. Da muß dringend was geändert werden, denn gerade hier steckt der meiste soziale Sprengstoff drin und ist ein gefundenes Fressen für z. B. "Die Linke".
Da sind wir durchaus wieder einer Meinung. Die Veränderungen der letzten 20 Jahre haben einiges verbessert, aber es gab und gibt auch Fehlentwicklungen. Bei den Großen etwa das Quartalsdenken, in der Politik die Vernachlässigung des Mittelstandes, bei den Gewerkschaften Ideologie anstelle sinnvoller Interessenvertretung (die IG BCE möchte ich ausdrücklich ausnehmen; deren Tarifverträge haben Hand und Fuß),was sich an diversen Konflikten zwischen Betriebsräten und Gewerkschaftsfunktionären festmachen lässt, usw.
interessant auch:
http://www.caritas-nrw.de/cgi-bin/showc ... hemaID=555
Allerdings darf man ein Problem auch nicht unterschätzen:
so mancher sehr niedrig entlohnter Arbeitsplatz würde andernfalls gar nicht existieren und der Staat und damit die Steuerzahler müssten niedrige Löhne nicht durch Transfer(teil)leistungen aufstocken, sondern einem Arbeitslosen die Transferleistung in vollem Umfang erbringen.
Die Politik steckt da insoweit in einem Dilemma, um das sie nicht zu beneiden ist:
entweder
a) man führt z.B. einen hohen (ein niedriger würde zur aktuellen Situation nichts ändern) allgemeinen Mindestlohn ein und hat in der Folge einen Abbau der Beschäftigung samt Anstieg bei den Arbeitslosen und steigenden Kosten bei den Transferleistungen oder
b) man ermöglicht Niedriglohn, den man teilweise durch staatliche Transferleistungen aufstockt, muss sich aber mit den Gefahren des Missbrauchs des Niedriglohnsektors durch Unternehmer rumschlagen
Was die Unternehmer angeht, so hat die New Economy mit ihrer Scheinwelt und all den Seifenblasen auf Arbeitgeberseite den eigentlich schon toten Manchesterkapitalismus reanimiert; man hat teilweise die durch Einsicht gewonnenen Erkenntnisse über Bord geworfen und gegen die neoliberale Wirtschaftsordnung agitiert. Das ging so lange gut, wie sich das virtuelle Geld stetig mehrte und man es sich in seiner Seifenblase gutgehen lassen konnte.
Man muss hoffen, dass jetzt endlich die Rückkehr des rheinischen Kapitalismus erfolgt und die Fürsorge für die Angestellten und Mitarbeiter wieder mehr Anerkennung findet.
In den USA gab es dazu mal vor einigen Jahren eine interessante Debatte. Dort wird ja jährlich veröffentlicht, wer wohl die reichsten Personen seien. Einer der genannten hat dies kritisiert und vorgeschlagen, stattdessen eine Liste zu veröffentlichen, die ein ranking der wohltätigsten Personen enthält (wer also sein Geld zum gemeinsamen Nutzen einsetzt, statt es zu horten).