Der Untergang der Bild Zeitung
Verfasst: 19.09.2015, 15:20
Anlässlich der Diskussion über Manipulation durch die Medien, fällt mir die Diskussion Ende der sechziger Jahre ein. Damals hatten die Studenten als Parole ausgegeben: „Bild lügt“ und „Enteignet Springer“. Der Protest richtete sich aber nur gegen Springer, nicht gegen die Presse insgesamt. Die Berichterstattung durch das Fernsehen und den seriösen Zeitungen war seinerzeit durchaus differenziert.
In meinem Keller fand ich ein Buch von dem „Sozialistischen Deutschen Studenten“ (SDS) mit dem Titel „Der Untergang der Bild Zeitung“, erschienen Frühjahr 1968 und noch einige andere Publikationen. Die damalige Rhetorik mutet heute etwas bizarr an, ich übersetze sie in die heutige Sprache.
Folgende Vorwürfe wurden von den Studenten erhoben:
Springer produziert die öffentliche Meinung
Springer hatte damals bei den Print Medien einen Marktanteil von 45%, in Berlin sogar 70%. Damit beeinflusste der Konzern maßgeblich den Mainstream in der Meinungsbildung. Diese Macht wurde, so die Auffassung der Kritiker, missbraucht. Springer würde die Öffentlichkeit systematisch manipulieren und verdummen. Springer selbst hatte 1959 erklärt: „Ich war mir seit dem Kriegsende darüber klar, dass der Leser eines auf keinen Fall wollte, nämlich nachdenken. Und darauf habe ich meine Zeitungen eingestellt.“ (Sonntagsblatt, Hamburg, 5.9.1959)
Vermittlung einer absurden Sicht der Welt
Schaut man sich die Headlines aus den sechziger Jahren an, klingen sie heute wie Satire. Hier einige Beispiele:
Wildschweine zerrissen Dackel – Tiertragödie im Grunewald
77jährige überfuhr 75jährige – Drama in der Innenstadt
Fotomodell wollte sich am Balkon erhängen-abgestürzt
Arbeiter warf Holzklotz aus dem 4.Stock: Chef erschlagen!
Hund gefoltert – Man sollte dem Tierquäler die Finger abhacken!
Haus mit Liebespaar in die Luft gesprengt!
Kaufmann rottete seine ganze Familie aus. Nach dem 4.Mord küsste er seine tote Frau
Der Leser der Bild-Zeitung wird täglich durch solche absurden Geschichten und Überschriften verdummt. Die Leser bekommen ein kurioses Weltbild vermittelt. Aufgabe der Presse ist aber die verantwortungsvolle Information, sollte es jedenfalls sein. Wer nur diese Zeitung liest, bekommt so gut wie gar keine sinnvollen Informationen, erfährt praktisch nichts über die Welt. Diese Scheininformationen führen in Wirklichkeit zur Unwissenheit und solche Leute sind leichter zu beeinflussen.
Bild manipuliert durch Auswahl der Wörter:
Demonstranten sind immer „schmutzig“, „ungepflegt“, „frech“, „undiszipliniert“. Polizisten hingegen haben „schneidige Uniformen“, sind „stets gepflegt“, „höflich“ und „diszipliniert“. Schon durch die Auswahl der Worte wird klar gemacht, wer Freund und wer Feind ist, die Welt in Gut und Böse eingeteilt. Ohnehin zeichnet sich Bild dadurch aus, dass hier ein ganz einfaches Weltbild vermittelt wird. Es gibt nur Schwarz und Weiß, keine Zwischentöne. Bild bedient sich eines verarmten Vokabulars und einer elementaren Syntax, um die Instrumente komplexen und kritischen Denkens im Keim zu ersticken.
Tautologien
Fragwürdige Aktionen der Staatsmacht werden durch simple Tautologien gerechtfertigt. Eine Militärparade darf man nicht stören, denn „Eine Parade ist eine Parade“, eine Rede darf nicht unterbrochen werden, weil „Eine Rede ist eine Rede“. Diese „Begründungen“ sind in Wirklichkeit keine.
Entpolitisierung gesellschaftlicher Probleme
Bild geht vom Alltagsverständnis der Menschen aus. Gesellschaftliche Probleme werden so zu individuellen Problemen umgedeutet. Ein gieriger Vermieter in Berlin schmeißt eine Familie raus, denn „die Kinder sind zu laut!“ Dahinter steht allerdings die ganze Misere der Wohnungsnot, die niedrigen Einkommen von Familien mit Kindern usw. Dieser ganze gesellschaftliche Hintergrund wird aber ausgeblendet. Stattdessen erscheint ein allgemeines Problem nun lediglich als ein singuläres, persönliches Problem der Akteure, welches keine Verallgemeinerung zulässt. Die Habgier einer einzelnen Person, auch individuelles Versagen der Mutter, Schwierigkeiten mit dem früheren Ehemann usw. Bild arbeitet stets auf dieser Ebene und vermeidet eine umfassendere Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen und deutet sie um in rein individuelle Probleme, die nur individuell lösbar sind, bringt den Leser somit auf eine falsche Spur und entpolitisiert ihn.
Aufruf zur Selbstjustiz
Bild will unterhalten. Es wird eine oft tragische Geschichte erzählt. Mit der Person sollen sich die Leser identifizieren. Anschließend werden aber die Sündenböcke genannt, auf die man draufhauen kann, die vermeintlichen Verursacher dieser Tragödie.
Beispiel: in einem Park treiben sich Sittlichkeitsverbrecher herum. Es wird ein diesbezüglicher Fall geschildert. Dann der Aufruf: „Wieder geschah ein Sittlichkeitsverbrechen an einem Kind! Und kein Erwachsener in der Nähe! Wo seid ihr denn, ihr Opas und Omas? Ich rufe euch zur Selbsthilfe! Opas und Omas, tut euch zusammen! Bewacht die Spielplätze, lasst Kinder nicht alleine spielen!“ (Untergang der Bild Zeitung, 1968, S. 37)
Bild bietet immer „Lösungsmöglichkeiten“ an, die oft extrem grenzwertig sind. Über Sittlichkeitsverbrechen wird nicht weiter aufgeklärt. Man schildert nur ein Schicksal, mit dem man sich identifizieren kann und fordert dann zur Selbsthilfe bzw. zur Selbstjustiz auf. Der Staat ist schwach, er tut nichts. Der Bürger soll selber aktiv werden und draufhauen. Bild verabschiedet sich hiermit vom demokratischen Rechtsstaat und fördert damit antidemokratisches Ideengut. Der Gesetzesbruch wird legitimiert, weil das „Volk es so will!“. Bild spricht aus, was das Volk denkt und verändern möchte.
Umdeutung der Realität
Bild verkehrt die Kräfteverhältnisse. In der Auseinandersetzung mit den Studenten verglich sich der Springer-Konzern mit den Juden, sie seien das Opfer einer mächtigen Verschwörung der Intellektuellen. Damit wird das Verhältnis völlig falsch dargestellt und die Demonstranten erscheinen als übermächtig, gegen die sich der arme Konzern verteidigen muss. Bild dichtet häufig kleinen Gruppierungen oftmals gigantische Kräfte an, seien es Gammler, Beatniks, Hippies oder was auch immer und entwickelt Bedrohungs Szenarien, die es in dieser Form gar nicht gibt. Immer droht der Untergang des Abendlandes.
Bild als Kampfblatt
Bild betrieb damals einen offenen Aufruf zum Pogrom und die Überschriften erinnerten an den „Stürmer“. Hier einige Überschriften:
Herr Bürgermeister, machen sie Schluss mit der Seuche! (Gemeint war die APO)
Rote Horden und akademische Eierköpfe gehören nicht in unsere Stadt!
Senat, werde endlich hart!
Damit hatte Bild sich endgültig als Zeitung diskreditiert und war zum Kampfblatt geworden.
Ich muss zugeben, ich habe Bild schon lange nicht mehr gelesen. Ich weiß daher nicht, wie es heute aussieht.
In meinem Keller fand ich ein Buch von dem „Sozialistischen Deutschen Studenten“ (SDS) mit dem Titel „Der Untergang der Bild Zeitung“, erschienen Frühjahr 1968 und noch einige andere Publikationen. Die damalige Rhetorik mutet heute etwas bizarr an, ich übersetze sie in die heutige Sprache.
Folgende Vorwürfe wurden von den Studenten erhoben:
Springer produziert die öffentliche Meinung
Springer hatte damals bei den Print Medien einen Marktanteil von 45%, in Berlin sogar 70%. Damit beeinflusste der Konzern maßgeblich den Mainstream in der Meinungsbildung. Diese Macht wurde, so die Auffassung der Kritiker, missbraucht. Springer würde die Öffentlichkeit systematisch manipulieren und verdummen. Springer selbst hatte 1959 erklärt: „Ich war mir seit dem Kriegsende darüber klar, dass der Leser eines auf keinen Fall wollte, nämlich nachdenken. Und darauf habe ich meine Zeitungen eingestellt.“ (Sonntagsblatt, Hamburg, 5.9.1959)
Vermittlung einer absurden Sicht der Welt
Schaut man sich die Headlines aus den sechziger Jahren an, klingen sie heute wie Satire. Hier einige Beispiele:
Wildschweine zerrissen Dackel – Tiertragödie im Grunewald
77jährige überfuhr 75jährige – Drama in der Innenstadt
Fotomodell wollte sich am Balkon erhängen-abgestürzt
Arbeiter warf Holzklotz aus dem 4.Stock: Chef erschlagen!
Hund gefoltert – Man sollte dem Tierquäler die Finger abhacken!
Haus mit Liebespaar in die Luft gesprengt!
Kaufmann rottete seine ganze Familie aus. Nach dem 4.Mord küsste er seine tote Frau
Der Leser der Bild-Zeitung wird täglich durch solche absurden Geschichten und Überschriften verdummt. Die Leser bekommen ein kurioses Weltbild vermittelt. Aufgabe der Presse ist aber die verantwortungsvolle Information, sollte es jedenfalls sein. Wer nur diese Zeitung liest, bekommt so gut wie gar keine sinnvollen Informationen, erfährt praktisch nichts über die Welt. Diese Scheininformationen führen in Wirklichkeit zur Unwissenheit und solche Leute sind leichter zu beeinflussen.
Bild manipuliert durch Auswahl der Wörter:
Demonstranten sind immer „schmutzig“, „ungepflegt“, „frech“, „undiszipliniert“. Polizisten hingegen haben „schneidige Uniformen“, sind „stets gepflegt“, „höflich“ und „diszipliniert“. Schon durch die Auswahl der Worte wird klar gemacht, wer Freund und wer Feind ist, die Welt in Gut und Böse eingeteilt. Ohnehin zeichnet sich Bild dadurch aus, dass hier ein ganz einfaches Weltbild vermittelt wird. Es gibt nur Schwarz und Weiß, keine Zwischentöne. Bild bedient sich eines verarmten Vokabulars und einer elementaren Syntax, um die Instrumente komplexen und kritischen Denkens im Keim zu ersticken.
Tautologien
Fragwürdige Aktionen der Staatsmacht werden durch simple Tautologien gerechtfertigt. Eine Militärparade darf man nicht stören, denn „Eine Parade ist eine Parade“, eine Rede darf nicht unterbrochen werden, weil „Eine Rede ist eine Rede“. Diese „Begründungen“ sind in Wirklichkeit keine.
Entpolitisierung gesellschaftlicher Probleme
Bild geht vom Alltagsverständnis der Menschen aus. Gesellschaftliche Probleme werden so zu individuellen Problemen umgedeutet. Ein gieriger Vermieter in Berlin schmeißt eine Familie raus, denn „die Kinder sind zu laut!“ Dahinter steht allerdings die ganze Misere der Wohnungsnot, die niedrigen Einkommen von Familien mit Kindern usw. Dieser ganze gesellschaftliche Hintergrund wird aber ausgeblendet. Stattdessen erscheint ein allgemeines Problem nun lediglich als ein singuläres, persönliches Problem der Akteure, welches keine Verallgemeinerung zulässt. Die Habgier einer einzelnen Person, auch individuelles Versagen der Mutter, Schwierigkeiten mit dem früheren Ehemann usw. Bild arbeitet stets auf dieser Ebene und vermeidet eine umfassendere Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen und deutet sie um in rein individuelle Probleme, die nur individuell lösbar sind, bringt den Leser somit auf eine falsche Spur und entpolitisiert ihn.
Aufruf zur Selbstjustiz
Bild will unterhalten. Es wird eine oft tragische Geschichte erzählt. Mit der Person sollen sich die Leser identifizieren. Anschließend werden aber die Sündenböcke genannt, auf die man draufhauen kann, die vermeintlichen Verursacher dieser Tragödie.
Beispiel: in einem Park treiben sich Sittlichkeitsverbrecher herum. Es wird ein diesbezüglicher Fall geschildert. Dann der Aufruf: „Wieder geschah ein Sittlichkeitsverbrechen an einem Kind! Und kein Erwachsener in der Nähe! Wo seid ihr denn, ihr Opas und Omas? Ich rufe euch zur Selbsthilfe! Opas und Omas, tut euch zusammen! Bewacht die Spielplätze, lasst Kinder nicht alleine spielen!“ (Untergang der Bild Zeitung, 1968, S. 37)
Bild bietet immer „Lösungsmöglichkeiten“ an, die oft extrem grenzwertig sind. Über Sittlichkeitsverbrechen wird nicht weiter aufgeklärt. Man schildert nur ein Schicksal, mit dem man sich identifizieren kann und fordert dann zur Selbsthilfe bzw. zur Selbstjustiz auf. Der Staat ist schwach, er tut nichts. Der Bürger soll selber aktiv werden und draufhauen. Bild verabschiedet sich hiermit vom demokratischen Rechtsstaat und fördert damit antidemokratisches Ideengut. Der Gesetzesbruch wird legitimiert, weil das „Volk es so will!“. Bild spricht aus, was das Volk denkt und verändern möchte.
Umdeutung der Realität
Bild verkehrt die Kräfteverhältnisse. In der Auseinandersetzung mit den Studenten verglich sich der Springer-Konzern mit den Juden, sie seien das Opfer einer mächtigen Verschwörung der Intellektuellen. Damit wird das Verhältnis völlig falsch dargestellt und die Demonstranten erscheinen als übermächtig, gegen die sich der arme Konzern verteidigen muss. Bild dichtet häufig kleinen Gruppierungen oftmals gigantische Kräfte an, seien es Gammler, Beatniks, Hippies oder was auch immer und entwickelt Bedrohungs Szenarien, die es in dieser Form gar nicht gibt. Immer droht der Untergang des Abendlandes.
Bild als Kampfblatt
Bild betrieb damals einen offenen Aufruf zum Pogrom und die Überschriften erinnerten an den „Stürmer“. Hier einige Überschriften:
Herr Bürgermeister, machen sie Schluss mit der Seuche! (Gemeint war die APO)
Rote Horden und akademische Eierköpfe gehören nicht in unsere Stadt!
Senat, werde endlich hart!
Damit hatte Bild sich endgültig als Zeitung diskreditiert und war zum Kampfblatt geworden.
Ich muss zugeben, ich habe Bild schon lange nicht mehr gelesen. Ich weiß daher nicht, wie es heute aussieht.