Religionsentstehung nach Jared Diamond
Verfasst: 14.03.2014, 16:15
Der amerikanische Anthropologe Jared Diamond, bekannt durch Werke wie „Arm und Reich“ oder „ Kollaps“ versucht in seinem neuesten Buch „Das Vermächtnis“, darzustellen, welche Verhaltensweisen sich in früheren Gesellschaften entwickelt haben und noch heute von Bedeutung sind. In dem Buch „Vermächtnis“ geht er auch auf die Religion ein.
Religion gibt es nur bei dem Menschen, Tiere haben nichts Vergleichbares, offensichtlich ist hier ein Zusammenhang zu sehen mit der sich entwickelnden Intelligenz. Wir beobachten die Entstehung von Religion bei dem Cro-Magnon Menschen erstmals wohl vor 40.000 Jahren. Es gab im Laufe der Zeit Tausende von Religionen, jeder Stamm besaß eigene Glaubensvorstellungen. Religionen verursachen Kosten durch Sakralbauten, Riten, Feste, aufwendige Rituale. Gesellschaften ohne Religionen müssten theoretisch einen Vorteil haben, weil sie diese Kosten nicht haben. Da wir aber keine atheistischen Gesellschaften kennen, muss Religion einen Selektionsvorteil haben. Welchen Nutzen kann sie haben?
Diamond definierte Religion zunächst wie folgt: „Religion ist der Glaube an eine postulierte übernatürliche Kraft, für deren Existenz uns unsere Sinne keinen Beleg liefern können, die aber zur Erklärung von Dingen herangezogen wird, für die unsere Sinne uns Belege liefern.“ (Diamond, 2013 S. 381). Götter, Parallelwelten, übernatürliche Kräfte spielen in der Tat eine große Rolle. Später hat er die Definition erweitert:“ Sie sind auch soziale Bewegungen von Menschen, die nach eigener Auffassungen tiefe Glaubensüberzeugungen teilen“ (Diamond 2013, S.383)
Diamond benutzt für die Entstehung der Religion zunächst den funktionellen Ansatz: Die Religion verlangt von den Menschen viele Opfer, den Bau von Pyramiden, Fastengebote, viele freie Zeit für Gebete, Feierlichkeiten usw.
Was gibt sie an Nutzen zurück?
1.) Sie erklärt übernatürliche Phänomene
2.) Sie lindert Angst durch Rituale, versucht mit ihnen die übernatürliche Welt positiv zu beeinflussen, damit diese in der realen Welt Vorteile einbringt
3.) Sie tröstet angesichts von Schmerz und Tod
4.) Sie organisiert die Menschen in Gruppen
5.) Sie schafft eine politische Verfassung. Standardisiert Verhaltensweisen, entwickelt einen Moralkodex, rechtfertigt Herrschaft in einem späteren Stadium
6.) Sie entwickelt einen Moralkodex und Verhaltensweisen gegenüber Fremden außerhalb der eigenen Gemeinschaft
7.) Sie rechtfertigt im Extremfall auch Kriege mit anderen Gruppen.
Wie aber könnte sie ursprünglich entstanden sein? Diamond meint, dass die Religion ein Nebenprodukt bestimmter Merkmale des menschlichen Gehirns ist, die sich nicht zum Bau von Pyramiden entwickelt hat, sondern aus anderen Gründen. Er nimmt ein Beispiel aus der Tierwelt. Der Zitterwal produziert Stromstöße von 600 Volt und tötet damit seine Opfer. Kreationisten meinen, so ein Aal könnte nicht durch die Evolution aus einem Null-Volt-Aal entstehen, weil die Zwischenstufen von einem Niedervolt- Aal ihre Opfer nicht lähmen können, also keinen Nutzen gehabt haben und wieder verschwunden wären. Doch in Wirklichkeit produzieren viele Fische elektrischen Strom, sie benötigen Stromfelder, um sich zu orientieren oder Beute überhaupt zu orten. Das aus solchen Fischen dann ein Zitteraal durch Mutation entstanden ist, klingt nun einleuchtend, ursprünglich hatte der Strom eine andere Funktion.
Bei dem Menschen sei es so ähnlich gewesen. Religion hatte ursprünglich einen anderen Zweck. Sie entsteht aus der Fähigkeit des Menschen, Kausalbeziehungen herzustellen und dies ist ein Produkt seiner Intelligenz. Der Mensch versucht seine Umgebung ständig zu interpretieren und zu deuten, dies ist für ihn lebenswichtig. Er glaubt, dass auch Tiere, Pflanzen, die Gestirne, die Wolken usw. ebenfalls Lebewesen sind und er unterstellt auch ihnen intelligente Fähigkeiten. Die frühen Menschen unterscheiden nicht zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Religion stellt Kausalbeziehungen her und man versucht mit ihr, Einfluss zu nehmen. Hat ein Regentanz Erfolg, glaubt man vielleicht, dies sei ein geeignetes Mittel, Regen zu produzieren. Die Menschen unterscheiden in einem frühen Stadium nicht zwischen falschen und richtigen Kausalbeziehungen. Religion ist also letztlich ein Nebenprodukt der Intelligenz des Menschen, nämlich seiner Fähigkeit, Kausalbeziehungen abzuleiten. Später hat sie sich dann auch noch als wichtig für die anderen, oben beschriebenen Funktionen herausgestellt.
Zugegeben, völlig neu ist dieser Ansatz nicht. Schon der Soziologe Max Weber hatte vor über 100 Jahren geschrieben, dass Religion aus falschen Kausalbeziehungen entsteht und sie dann später in der Gesellschaft noch eine Reihe weiterer Aufgaben übernahm. Und das Religion im Verlauf der Evolution ursprünglich eine andere Bedeutung hatte, darauf wies kürzlich auch der Biologe Dawkins in seinem Buch „Der Gotteswahn“ hin.
Aber dennoch, alles in allem, wegen seiner Vielseitigkeit ein interessantes Buch. Lesenswert.
Jared Diamond, Vermächtnis , Frankfurt am Main 2013
Religion gibt es nur bei dem Menschen, Tiere haben nichts Vergleichbares, offensichtlich ist hier ein Zusammenhang zu sehen mit der sich entwickelnden Intelligenz. Wir beobachten die Entstehung von Religion bei dem Cro-Magnon Menschen erstmals wohl vor 40.000 Jahren. Es gab im Laufe der Zeit Tausende von Religionen, jeder Stamm besaß eigene Glaubensvorstellungen. Religionen verursachen Kosten durch Sakralbauten, Riten, Feste, aufwendige Rituale. Gesellschaften ohne Religionen müssten theoretisch einen Vorteil haben, weil sie diese Kosten nicht haben. Da wir aber keine atheistischen Gesellschaften kennen, muss Religion einen Selektionsvorteil haben. Welchen Nutzen kann sie haben?
Diamond definierte Religion zunächst wie folgt: „Religion ist der Glaube an eine postulierte übernatürliche Kraft, für deren Existenz uns unsere Sinne keinen Beleg liefern können, die aber zur Erklärung von Dingen herangezogen wird, für die unsere Sinne uns Belege liefern.“ (Diamond, 2013 S. 381). Götter, Parallelwelten, übernatürliche Kräfte spielen in der Tat eine große Rolle. Später hat er die Definition erweitert:“ Sie sind auch soziale Bewegungen von Menschen, die nach eigener Auffassungen tiefe Glaubensüberzeugungen teilen“ (Diamond 2013, S.383)
Diamond benutzt für die Entstehung der Religion zunächst den funktionellen Ansatz: Die Religion verlangt von den Menschen viele Opfer, den Bau von Pyramiden, Fastengebote, viele freie Zeit für Gebete, Feierlichkeiten usw.
Was gibt sie an Nutzen zurück?
1.) Sie erklärt übernatürliche Phänomene
2.) Sie lindert Angst durch Rituale, versucht mit ihnen die übernatürliche Welt positiv zu beeinflussen, damit diese in der realen Welt Vorteile einbringt
3.) Sie tröstet angesichts von Schmerz und Tod
4.) Sie organisiert die Menschen in Gruppen
5.) Sie schafft eine politische Verfassung. Standardisiert Verhaltensweisen, entwickelt einen Moralkodex, rechtfertigt Herrschaft in einem späteren Stadium
6.) Sie entwickelt einen Moralkodex und Verhaltensweisen gegenüber Fremden außerhalb der eigenen Gemeinschaft
7.) Sie rechtfertigt im Extremfall auch Kriege mit anderen Gruppen.
Wie aber könnte sie ursprünglich entstanden sein? Diamond meint, dass die Religion ein Nebenprodukt bestimmter Merkmale des menschlichen Gehirns ist, die sich nicht zum Bau von Pyramiden entwickelt hat, sondern aus anderen Gründen. Er nimmt ein Beispiel aus der Tierwelt. Der Zitterwal produziert Stromstöße von 600 Volt und tötet damit seine Opfer. Kreationisten meinen, so ein Aal könnte nicht durch die Evolution aus einem Null-Volt-Aal entstehen, weil die Zwischenstufen von einem Niedervolt- Aal ihre Opfer nicht lähmen können, also keinen Nutzen gehabt haben und wieder verschwunden wären. Doch in Wirklichkeit produzieren viele Fische elektrischen Strom, sie benötigen Stromfelder, um sich zu orientieren oder Beute überhaupt zu orten. Das aus solchen Fischen dann ein Zitteraal durch Mutation entstanden ist, klingt nun einleuchtend, ursprünglich hatte der Strom eine andere Funktion.
Bei dem Menschen sei es so ähnlich gewesen. Religion hatte ursprünglich einen anderen Zweck. Sie entsteht aus der Fähigkeit des Menschen, Kausalbeziehungen herzustellen und dies ist ein Produkt seiner Intelligenz. Der Mensch versucht seine Umgebung ständig zu interpretieren und zu deuten, dies ist für ihn lebenswichtig. Er glaubt, dass auch Tiere, Pflanzen, die Gestirne, die Wolken usw. ebenfalls Lebewesen sind und er unterstellt auch ihnen intelligente Fähigkeiten. Die frühen Menschen unterscheiden nicht zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Religion stellt Kausalbeziehungen her und man versucht mit ihr, Einfluss zu nehmen. Hat ein Regentanz Erfolg, glaubt man vielleicht, dies sei ein geeignetes Mittel, Regen zu produzieren. Die Menschen unterscheiden in einem frühen Stadium nicht zwischen falschen und richtigen Kausalbeziehungen. Religion ist also letztlich ein Nebenprodukt der Intelligenz des Menschen, nämlich seiner Fähigkeit, Kausalbeziehungen abzuleiten. Später hat sie sich dann auch noch als wichtig für die anderen, oben beschriebenen Funktionen herausgestellt.
Zugegeben, völlig neu ist dieser Ansatz nicht. Schon der Soziologe Max Weber hatte vor über 100 Jahren geschrieben, dass Religion aus falschen Kausalbeziehungen entsteht und sie dann später in der Gesellschaft noch eine Reihe weiterer Aufgaben übernahm. Und das Religion im Verlauf der Evolution ursprünglich eine andere Bedeutung hatte, darauf wies kürzlich auch der Biologe Dawkins in seinem Buch „Der Gotteswahn“ hin.
Aber dennoch, alles in allem, wegen seiner Vielseitigkeit ein interessantes Buch. Lesenswert.
Jared Diamond, Vermächtnis , Frankfurt am Main 2013