Vergangenheitsbewältigung in der frühen BRD?

Die junge Republik: Bonn, Adenauer, RAF, Schmidt, Kohl

Moderator: Barbarossa

Noswell
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Hallo Forengemeinde,

im Rahmen des Geschichtsunterrichtes beschäftigen wir uns mit dem Thema, ob die Entnazifizierung und die "Reeducation" in Deutschland auch tatsächlich geglückt ist.
Zum einen spricht ja dafür, dass das es Unterstützung bei der Entnazifizierung von den Regime Gegnern gab und auch die frühe Umgestaltung von Presse und Bildung im Sinne einer Demokratisierung stand.
Jedoch spricht durchaus dagegen, dass es sich ähnlich wie beim ersten Weltkrieg um eine "Siegerjustiz" handelte und einem somit gewisse Ideale und Wertvorstellungen vorgegeben wurden und man diese als "aufgezwungen" empfunden hat. Des Weiteren wurden viele bzw jeder Deutsche mit den Auswirkungen der Nazi-Verbrechen konfrontiert (z.b. die Filme oder Bilder, welche im Umlauf waren oder die Besichtigungen der KZ und Vernichtungslager, die ja durchaus auch psychische Schäden bei der Zivilbevölkerung hinterlassen haben). Auch haben die Straffreiheitsgesetze und das "131 Gesetz" zu einer Abschwächung der Strafverfolgung schon in den 50ern geführt.

Man könnte also insgesamt sagen, dass die BRD in den Anfangsjahren zwar äußerlich sehr dem Westen angepasst war und aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat, aber durchaus innerlich in den Köpfen vieler noch die "alte Denkweise" erhalten geblieben ist.

Mich würde eure Meinung zu dem Thema interessieren.

Gruß
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Marek1964
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Du sprichst von der "frühen¨ BRD - kannst Du das zeitlich eingrenzen? Ich denke 1968 und später ist nicht mehr gemeint. Nur um Klarheit zu haben, wie Du das Thema eingrenzen möchtest.
Renegat
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Das ist ein interessantes Thema, worauf man nicht in einem Satz antworten kann. Die Siegerjustiz fiel aus mehreren Gründen ganz anders aus, als nach dem 1. WK.
1. hatte man aus den Folgen des 1. WK gelernt.
2. Setzte unmittelbar nach dem 2. WK der kalte Krieg ein und man steckte seine Claims ab, die BRD war Ostgrenze.
Trotzdem war in vielen Köpfen die NS-Propaganda noch präsent, die Verstrickungen waren nicht so leicht zu lösen und eine echte Aufarbeitung fand in breiten Bevölkerungskreisen nicht statt, in den 50er und frühen 60er Jahren. Das änderte sich erst mit dem Generationswechsel ab 1968. Dazu läuft gerade ein Nachbarthread http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... =26&t=4062

Ich würde deinem letzten Satz deshalb zustimmen.
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dieter
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Die Nürnberger Prozesse waren in Ordnung, mit zwei kleinen Fehlern. Ich hätte Speer mindestens Lebenslang gegeben und nicht nur 20 Jahre, er war für die Zwangsarbeiter in den Rüstungsbetrieben zuständig und deren schlechten bis tödlichen Behandlung.
Entweder war Hess balabala, dann gehörte er in die Spychiatrie, wenn nicht kann nach heutigen Strafrecht lebenslang nicht mehr lebenslang sein. Zuletzt ein ganzes System in Spandau für einen Menschen aufrecht zu erhalten, das ist doch ein Witz. :roll:
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Noswell
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Marek1964 hat geschrieben:Du sprichst von der "frühen¨ BRD - kannst Du das zeitlich eingrenzen? Ich denke 1968 und später ist nicht mehr gemeint. Nur um Klarheit zu haben, wie Du das Thema eingrenzen möchtest.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit bis etwa Anfang/Mitte der 50er.

Kann dir da in beiden Punkten durchaus zustimmen, Renegat. Man kann sieht ja, dass dem Präsidenten viele Rechte entzogen wurden, das konstruktive Misstrauensvotum wurde eingeführt und die Ewigkeitsklausel schützt vor dem Ausbrechen einer erneuten Autokratie.
Jedoch ähnlich wie in der Weimarer Republik könnte ich mir vorstellen, dass die Umgestaltung Deutschlands durchaus auch als "aufgezwungen" empfunden worden ist und es somit keine 100%ige Zustimmung in der Bevölkerung gab.
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Marek1964
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Noswell hat geschrieben: Jedoch ähnlich wie in der Weimarer Republik könnte ich mir vorstellen, dass die Umgestaltung Deutschlands durchaus auch als "aufgezwungen" empfunden worden ist und es somit keine 100%ige Zustimmung in der Bevölkerung gab.
Ich möchte schon etwas in Zweifel stellen, ob die Weimarer Republik als aufgezwungen empfunden wurde. Immerhin war ja Revolution und die Republik wurde von Scheidemann ausgerufen. Man hat ja dann viele Fehler gemacht, aber es war ja auch nicht so, dass alle gegen die Republik waren. Die Demokraten haben es versäumt, die Verantwortung für das Desaster des Ersten Weltkriegs dem Kaiser und dem Generalstab zuzuordnen und die Höhe der Reparationen in vernünftigem Verhältnis zu setzen, die Inflation in den Griff zu kriegen und damit Dolchstosslegenden und der Aversion gegen die Republik einzudämmen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war gewissermassen der Vorteil, dass die Niederlage diskussionlos war. Man konzentrierte sich vor allem auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau, der dann dank Währungsreform und Marshallplan, aber auch dadurch, dass man auch in der Industrialisierung weiter war als 1918, erfolgreich anlief. Der kalte Krieg überlagerte sicher viele potentielle Konflikte, mit Adenauer erhielt BRD dann auch eine Autorität.

Die Entnazifizierung ging den Leuten je länger je mehr auf die Nerven, lief dann aber auch ins Leere, siehe zum Beispiel der Manstein Prozess. Auch hier "half" der kalte Krieg, dass auch die Westmächte mit der Entnazifizierung immer weniger Ernst machten. Man schaute dann gewissermassen "vorwärts", wie man es wohl modern ausdrücken würde.

Der amerikanische Lebensstil, Elvis, Kaugummi und Lucky Strike Zigaretten, um es mal etwas plakativ darzustellen, waren bei den Jungen beliebt was sicher auch dazu beitrug, die Westmächte und die BRD als westlichen, freiheitlichen Staat sehr viel beliebter zu machen als die Weimarer Republik.
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dieter
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Lieber Marek,
gerade die Älteren hielten noch am alten Lebensstil fest. Kann mich an meine Oma erinnern, die sagte: "Stell die Negermusik im Radio aus". :wink: :mrgreen: Habe mich mit ihr nächtelang unterhalten, sie hatte Rheuma und konnte nicht schlafen, sagte mir immer wieder, dass sie von der Judenvergasung nichts gewußt habe. Wir wohnten in Kassel-Bettenhausen, da hat es bis 1933 bei den Reichtagwahlen ein Drittel Sozialdemokraten, ein Drittel Kommunisten und ein Drittel Nazis gegeben. Ein typischer Industriestandort von Kassel aber ohne jüdische Geschäfte. Wir haben einen großen jüdischen Friedhof in Bettenhausen, da kamen die ganzen Juden aus Nordhessen hin. Dieser Friedhof wurde nicht während der Nazizeit oder später geschändet. Es gab keine Juden in Bettenhausen, Bettenhausen war ein Arbeiter-Stadtteil. :wink:
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Pryde
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Die Leute hatten doch auch teilweise andere Probleme:
-fliehen
-Verwandte/Freunde/Ehepartner/Kinder wiederfinden
-überleben
-dann aufräumen/aufbauen

Es gab wahrscheinlich immer was zu tun. Auch und gerade um sich abzulenken. Vielleicht war das auch gerade der Grund für den schnellen Aufschwung. In der frühen BRD gab es in der breiten Bevölkerung glaube ich kaum Vergangenheitsbewältigung. In der DDR ja noch weniger, da konnte man sich ja darauf ausruhen auf der antifaschistischen Seite zu sein...
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Marek1964
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dieter hat geschrieben:Lieber Marek,
gerade die Älteren hielten noch am alten Lebensstil fest. Kann mich an meine Oma erinnern, die sagte: "Stell die Negermusik im Radio aus".
Nun ja, die amerikanische Musik mochten die älteren wohl nicht, wie dachte damals Deine Oma oder andere ältere über die Amerikaner?
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dieter
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Marek1964 hat geschrieben:
dieter hat geschrieben:Lieber Marek,
gerade die Älteren hielten noch am alten Lebensstil fest. Kann mich an meine Oma erinnern, die sagte: "Stell die Negermusik im Radio aus".
Nun ja, die amerikanische Musik mochten die älteren wohl nicht, wie dachte damals Deine Oma oder andere ältere über die Amerikaner?
Lieber Marek,
sie und fast alle waren froh, dass wir in der amerikanischen Besatzungszone lagen und nicht in der russischen. Die Russen hätten mit ihren Panzern in einer Viertelstunde von der Zonengrenze aus in Kassel sein können.. Sie hatte zwei Schwestern in der USA, zuerst in New York, dann in St. Petersburg/Florida. Die schickten uns in der schlechten Zeit ab 1945 Pakete, damit wir nicht hungern mußten. Sie ersparte sich als Krankenpfleger und Erzieher ein kleines Vermögen. Davon kauften sie sich ein Haus in St. Petersburg/Florida. In die Gegend zogen Afroamerikaner, sie waren zuletzt nur noch die einzigen Weißen dort, sie mußten ihr Haus für einen Appel und Ei verkaufen und mieteten sich dann ein Haus. The american way of live. :roll:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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Marek1964
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dieter hat geschrieben: Sie ersparte sich als Krankenpfleger und Erzieher ein kleines Vermögen. Davon kauften sie sich ein Haus in St. Petersburg/Florida. In die Gegend zogen Afroamerikaner, sie waren zuletzt nur noch die einzigen Weißen dort, sie mußten ihr Haus für einen Appel und Ei verkaufen und mieteten sich dann ein Haus. The american way of live. :roll:
Nun ja, eine Investition in eine einzige Sache ist immer riskant, aber ich kann das natürlich verstehen, zumal es wohl in der Zeit nicht so viele Alternativen gab wie heute.

Da stellt sich für mich noch eine ganz andere Frage: Wenn jemandem ein Haus im Krieg zerstört wurde - da gab es wohl von keine staatliche Entschädigung, oder?
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dieter
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Marek1964 hat geschrieben:
dieter hat geschrieben: Sie ersparte sich als Krankenpfleger und Erzieher ein kleines Vermögen. Davon kauften sie sich ein Haus in St. Petersburg/Florida. In die Gegend zogen Afroamerikaner, sie waren zuletzt nur noch die einzigen Weißen dort, sie mußten ihr Haus für einen Appel und Ei verkaufen und mieteten sich dann ein Haus. The american way of live. :roll:
Nun ja, eine Investition in eine einzige Sache ist immer riskant, aber ich kann das natürlich verstehen, zumal es wohl in der Zeit nicht so viele Alternativen gab wie heute.

Da stellt sich für mich noch eine ganz andere Frage: Wenn jemandem ein Haus im Krieg zerstört wurde - da gab es wohl von keine staatliche Entschädigung, oder?
Doch lieber Marek,
es gab den Lastenausgleich, der meines Wissens nach nicht nur die Vertriebenen betraf sondern auch die zerstörten Häuser. Außerdem mußten Frauen zum Neuaufbau klopfen, um überhaupt bessere Lebensmittelmarken zu bekommen. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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