Warum annektierte Bismarck Elsass-Lothringen 1871?

Versailles, 1871, Bismarck, Deutsches Reich, Wilhelm I

Moderator: Barbarossa

Benutzeravatar
Marek1964
Mitglied
Beiträge: 1474
Registriert: 30.11.2013, 12:53

Eine Frage, die mich heute in der Diskussion mit Pryde um die traditionelle Rivalität zwischen Frankreich und Deutschland. Sicher, zur Zeit von Napoleon war Frankreich die führende Nation, dann glich sich das aus und im Krieg 1870 unterlag Frankreich Deutschland und sollte niemehr Deutschland bis 1918 allein machtpolitisch herausfordern können.

Indessen, würde ich sagen, dass der Machtkampf ja eigentlich hätte beigelegt werden können, ähnlich wie fünf Jahre vorher, mit der Donaumonarchie. Hier wurde aber eine Annexion vorgenommen, die zu dauerhafter Verbitterung führen musste. Warum tat Bismarck dies? Hier ein Link einer webpage, die sich mit der Deutsch-Französischen Rivalität beschäftigt:

http://www.deuframat.de/de/konflikte/di ... ngens.html

Dort steht:

"Die deutsche Geschichtswissenschaft geht unisono von zwei wesentlichen Motiven auf deutscher Seite für die Annexion aus: Zum einen habe eine nationale Hochstimmung in der Öffentlichkeit eine Abtretung zumindest des Elsass geradezu erzwungen, zum anderen sei Elsass und Lothringen als Glacis mit wichtigen Festungen aus militärisch-strategischen Erwägungen annektiert worden. Die These, Bismarck habe die nationalistische Presse im Hinblick auf die Annexion gesteuert, wird heute durchgehend abgelehnt und auch kaum mehr erörtert."

Ich halte es auch nicht für glaubwürdig, dass Bismarck sich der Presse gebeugt hätte. Er war in der Aussenpolitik ein Machtpolitiker, im Inneren aber alles andere als einer, der sich allzu sehr von der öffentlichen Meinung hätte leiten lassen.

Dabei war er aber ein Gleichgewichtspolitiker, Meister des Kompromisses. Warum liess er deshalb die Annexion von Elsass Lothringen zu?

Was habt Ihr für Vermutungen?
Paul
Mitglied
Beiträge: 2739
Registriert: 29.04.2012, 18:44
Wohnort: Mittelhessen an der Loganaha

Elsaß-Nordlothringen war ein deutsches Land, welches von Frankreich anektiert worden war. Die deutsche Bevölkerung wollte, das dies im Sinne des Selbstbestimmungsrecht rückgängig gemacht wird. Bismark ist diesem Wunsch gefolgt.
Deutschland sollte ja vereint werden. Mit Rivalität hatte das nichts zu tun.
Zuletzt geändert von Paul am 22.03.2014, 00:19, insgesamt 1-mal geändert.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Benutzeravatar
Marek1964
Mitglied
Beiträge: 1474
Registriert: 30.11.2013, 12:53

Paul hat geschrieben:Elsaß-Nordlothringen war ein deutsches Land, welches von Frankreich anektiert worden war. Die deutsche Bevölkerung wollte, das dies im Sinne des Selbstbestimmungsrecht rückgängig gemacht wird. Bismark ist diesem Wunsch gefolgt.
Deutschland sollte ja vereint werden.
Hatte es aber nicht den Schönheitsfehler, dass die Mehrheit der Bewohner lieber bei Frankreich geblieben wäre?
Paul
Mitglied
Beiträge: 2739
Registriert: 29.04.2012, 18:44
Wohnort: Mittelhessen an der Loganaha

[/quote]
Hatte es aber nicht den Schönheitsfehler, dass die Mehrheit der Bewohner lieber bei Frankreich geblieben wäre?[/quote]

Es stimmt, das es keine Volksabstimmung gab. Sie wäre aber wahrscheinlich zugunsten Deutschlands ausgegangen.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Benutzeravatar
Peppone
Mitglied
Beiträge: 2414
Registriert: 30.04.2012, 18:41

Paul hat geschrieben:
Hatte es aber nicht den Schönheitsfehler, dass die Mehrheit der Bewohner lieber bei Frankreich geblieben wäre?[/quote]

Es stimmt, das es keine Volksabstimmung gab. Sie wäre aber wahrscheinlich zugunsten Deutschlands ausgegangen.[/quote]

Sicher? Bei den Reichstagswahlen gleich nach der Annexion bekamen regionale Parteien 1874 sagenhafte 96%, 1877 fast 98%. Bis 1887 blieb es bei diesen 90+x % für regionale Parteien, danach konnte sich zumindest die SPD schrittweise auf am Ende 30% steigern, aber "einheimische" Parteien hatten nach wie vor eine erdrückende Mehrheit.
Das alles spricht dafür, dass die EL-Bevölkerung mit Reichsdeutschland eher weniger zu tun haben wollten.

Beppe
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Lieber Beppe,
das ist leider wahr. Anscheinend kann man einen deutschen Dialekt sprechen ohne Deutscher sein zu wollen. Siehe Österreich und die Schweiz. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach wollte das nicht Bismarck, sondern Wilhelm I. damit er sich überhaupt zum Deutschen Kaiser ausrufen ließ. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Benutzeravatar
Marek1964
Mitglied
Beiträge: 1474
Registriert: 30.11.2013, 12:53

dieter hat geschrieben:Lieber Beppe,
das ist leider wahr. Anscheinend kann man einen deutschen Dialekt sprechen ohne Deutscher sein zu wollen. Siehe Österreich und die Schweiz. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach wollte das nicht Bismarck, sondern Wilhelm I. damit er sich überhaupt zum Deutschen Kaiser ausrufen ließ. :wink:
Ich habe ja lange in Basel gelebt und dort habe ich auch einige Elsässer (auch Waggis genannt) kennengelernt. Deren Dialekt mochte ich gerne.

Es wurde auch immer geschrieben, dass es Bismarck nicht wirklich wollte. Nur denke ich, seine Autorität war doch so gross, selbst gegenüber dem Kaiser, dass er es selbst hätte durchsetzen können, wenn er es gewollt hätte.
ehemaliger Autor K.

Die neuere Geschichtsforschung geht davon aus, das Bismarck die Annexion von Elsass-Lothringen wollte, um eine Glacis gegen Frankreich zu haben und um den Gegner zu schwächen. Das Bismarck die Annexion angeblich nicht wollte, sich aber die Generäle und möglicherweise Wilhelm I dafür aussprachen, ist wahrscheinlich nicht richtig.

Die Untersuchungen zeigen auch, dass die große Mehrheit der Bewohner in Elsass-Lothringen gegen die deutsche Zugehörigkeit war. Arbeiten von Gall, Stürmer, Kolb, Nipperdey. Bis 1911 wurde es als Reichsland von Berlin regiert. Erst dann erhielt es den Status von einem selbständigen Bundesstaat.

"Zweifellos war der Annexionsentschluß ein schwerer Fehler, vielleicht der schwerste in Bismarcks Laufbahn überhaupt, weil er nicht nur den Widerstand der französischen Bevölkerung erst recht anfachte, sondern die Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich über den Krieg hinaus dauerhaft verfestigte."
Volker Ullrich, Bismarck, Reinbek 1998, S.93
Benutzeravatar
Marek1964
Mitglied
Beiträge: 1474
Registriert: 30.11.2013, 12:53

Karlheinz hat geschrieben:Die neuere Geschichtsforschung geht davon aus, das Bismarck die Annexion von Elsass-Lothringen wollte, um eine Glacis gegen Frankreich zu haben und um den Gegner zu schwächen. Das Bismarck die Annexion angeblich nicht wollte, sich aber die Generäle und möglicherweise Wilhelm I dafür aussprachen, ist wahrscheinlich nicht richtig.
Es passt aber eigentlich nicht zu seiner Gleichgewichtsstrategie, die er doch sonst immer so beherrschte und eigentlich seiner Zeit so weit voraus war.
ehemaliger Autor K.

Marek1964 hat geschrieben:
Karlheinz hat geschrieben:Die neuere Geschichtsforschung geht davon aus, das Bismarck die Annexion von Elsass-Lothringen wollte, um eine Glacis gegen Frankreich zu haben und um den Gegner zu schwächen. Das Bismarck die Annexion angeblich nicht wollte, sich aber die Generäle und möglicherweise Wilhelm I dafür aussprachen, ist wahrscheinlich nicht richtig.
Es passt aber eigentlich nicht zu seiner Gleichgewichtsstrategie, die er doch sonst immer so beherrschte und eigentlich seiner Zeit so weit voraus war.
Wieso denn?
Die anderen Mächte sollten alle in etwa gleichstark sein, Deutschland ihnen allen aber überlegen. Ein etwas schwächeres Frankreich, schwächer jedenfalls als Deutschland, konnte nur in seinem Interesse sein.
Benutzeravatar
Marek1964
Mitglied
Beiträge: 1474
Registriert: 30.11.2013, 12:53

Hier noch eine schöne Karikatur, die Peppone und Karlheinz recht geben:

http://www.germanhistorydocs.ghi-dc.org ... ge_id=1408
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Marek1964 hat geschrieben:
dieter hat geschrieben:Lieber Beppe,
das ist leider wahr. Anscheinend kann man einen deutschen Dialekt sprechen ohne Deutscher sein zu wollen. Siehe Österreich und die Schweiz. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach wollte das nicht Bismarck, sondern Wilhelm I. damit er sich überhaupt zum Deutschen Kaiser ausrufen ließ. :wink:
Ich habe ja lange in Basel gelebt und dort habe ich auch einige Elsässer (auch Waggis genannt) kennengelernt. Deren Dialekt mochte ich gerne.

Es wurde auch immer geschrieben, dass es Bismarck nicht wirklich wollte. Nur denke ich, seine Autorität war doch so gross, selbst gegenüber dem Kaiser, dass er es selbst hätte durchsetzen können, wenn er es gewollt hätte.
Lieber Marek,
Wilhelm wollte König von Preußen bleiben und nie Deutscher Kaiser werden. Das ging soweit, dass bei der Ausrufung des Kaiserreiches in Versailles er nicht Kaiser des Deutschen Reiches genannt werden wollte und der Badener Großherzog ausrief, "es lebe Kaiser Wilhelm". :wink:
Wilhelm war das ganze Kaiserreich suspekt. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Benutzeravatar
Marek1964
Mitglied
Beiträge: 1474
Registriert: 30.11.2013, 12:53

dieter hat geschrieben:Wilhelm wollte König von Preußen bleiben und nie Deutscher Kaiser werden. Das ging soweit, dass bei der Ausrufung des Kaiserreiches in Versailles er nicht Kaiser des Deutschen Reiches genannt werden wollte und der Badener Großherzog ausrief, "es lebe Kaiser Wilhelm". :wink:
Wilhelm war das ganze Kaiserreich suspekt. :wink:
Interessanter Aspekt. Das spricht ja zusammen mit der Einlassung von Karlheinz dafür, dass die Annexion in der Tat Bismarck selbst wollte.

Man hat dann vielleicht erst im Nachhinein die "Lichtgestalt" Bismarck hier entlasten wollen, als man gesehen hatte, dass die Annexion ein politischer Fehler war. Möglicherweise hat die Geschichtsschreibung oder besser gesagt die Gesschichtsinterpretation hier eine Legende geschaffen.
Harald
Mitglied
Beiträge: 595
Registriert: 30.04.2012, 12:44
Wohnort: Frankfurt a.M.

Man hat in Deutschland nicht mit der deutschfeindlichen Haltung der elsaß-l. Bevölkerung gerechnet, die von der Borniertheit der preußischen Offiziere noch angeheizt wurde.
Man glaubte nicht, daß der Bevölkerung die lässig-liberale Art der Franzosen besser gefiel als preußischer Kommiß.

[ Post made via iPad ] Bild
Benutzeravatar
Marek1964
Mitglied
Beiträge: 1474
Registriert: 30.11.2013, 12:53

Harald hat geschrieben:Man hat in Deutschland nicht mit der deutschfeindlichen Haltung der elsaß-l. Bevölkerung gerechnet, die von der Borniertheit der preußischen Offiziere noch angeheizt wurde.
Man glaubte nicht, daß der Bevölkerung die lässig-liberale Art der Franzosen besser gefiel als preußischer Kommiß.

[ Post made via iPad ] Bild
In der Tat, man war auch weniger demokratisch. So schrieb die Augsburger Zeitung zur Forderung einer Volksabstimmung in Elsass-Lothringen: „Hübsch! Die Kinder sollen abstimmen, ob sie Kinder ihrer Mutter seien! Der Wille! Als ob es nicht auch einen schlechten Willen gebe! Mit der Rute müssen wir leider anfangen. Die entarteten Kinder müssen unsere Faust fühlen! Der Züchtigung wird die Liebe folgen, und diese wird sie wieder zu Deutsche machen."
Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag

Zurück zu „Das deutsche Kaiserreich“