Die Tudors – Englands Weg in die moderne Gesellschaft

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Wallenstein

Die Tudors – Englands Weg in die moderne Gesellschaft (1485-1603)

Im 16. Jahrhundert vollzogen sich auf der bis dahin eher unbedeutenden britischen Insel unter der Tudor Dynastie gewaltige Umwälzungen, deren Tragweite damals vielen nicht bewusst war und die auch nicht gesteuert wurden. Aber in dieser Zeit entstand der modere Kapitalismus als neues Wirtschaftssystem mit all seinen Implikationen.

Zur Definition: Charakteristisch für kapitalistische Wirtschaftssysteme ist die Trennung in eine kleine Gruppe privater Verfügungsberechtigter über Produktionsmittel, bei denen die maßgeblichen Entscheidungsbefugnisse liegen, und die erheblich größere der Nichteigentümer, die keinen nennenswerten Anteil an den Entscheidungen über die Produktion haben. Es braucht also: Kapitaleigentümer und Lohnarbeiter.

Fernerhin: kapitalistische Wirtschaftssysteme lassen sich als „Marktwirtschaften“ kennzeichnen, da die einzelnen Wirtschaftspläne der Unternehmer und auch Konsumenten vorwiegend über Marktsignale koordiniert werden. Dieser Markt sollte nicht reglementiert sein, damit sich Wettbewerb und Innovationen entwickeln können. In der Anfangszeit waren die Märkte allerdings meistens von staatlichen und privaten Monopolen beherrscht.

Und es muss Leute geben, die Geld als Kapital einsetzen wollen. In früheren Epochen wurde Vermögen entweder konsumiert oder diente der Schatzbildung. Benutzt man aber Vermögen als Kapital, ist nicht das Bedarfsprinzip kennzeichnend, sondern das Erwerbsprinzip. Geld soll mehr Geld einbringen. Dafür muss man es investieren.

Damit sich Kapitalismus bilden kann, braucht es schon eine gewisse Arbeitsteilung in der Gesellschaft, eine einfache, durch Geld vermittelte Warenproduktion – und Zirkulation sowie sicheres Privateigentum.

All dies hatte sich in England schon seit dem 13. Jahrhundert herausgebildet. Die Bauern waren zumeist Pächter, die ihre Überschüsse gegen Geld verkauften. Die Feudalherren zogen ihre Renten von den Pächtern in Geldform ein. Es existierten viele lokale Märkte, die Entfernungen zwischen Produzenten und Konsumenten waren klein, es gab fast keine Binnenzölle und bereits ein einheitliches Münzsystem.

Im 15. Jahrhundert hatten sich in den sogenannten Rosenkriegen die Angehörigen des Hochadels weitgehend gegenseitig ausgerottet. Dies führte zum Aufstieg der Gentry, kleine adlige Grundbesitzer, die kommerziell orientiert waren und Schafzucht für den Binnenmarkt und das Ausland betrieben. Fernerhin bildete sich eine Gruppe wohlhabender Bauern, die Yeomen. Gentry und Yeomen trieben den Kapitalismus voran.

1485 kam Heinrich VII an die Regierung und begründete die Tudor Dynastie. Eine seiner wichtigsten Maßnahmen war das strikte Verbot aller Privatfehden 1506. Nicht mehr Kriegstüchtigkeit war für den Adel wichtig, sondern kommerzieller Erfolg. Sie lösten daraufhin ihre große Gefolgschaft auf, deren Angehörige nun arbeitslos wurden und neben anderen das Heer der zukünftigen Proletarier bildeten.

Sein Nachfolger Heinrich VIII verstaatlichte 1534 die römische Kirche und eignete sich auf diese Weise 25% des englischen Bodens an, welchen er anschließend verkaufte. Bürger konnten dies Land erwerben und wurden auf diese Weise in den Adelsstand erhoben, die Gentry wuchs zahlenmäßig stark an. Das gekaufte Land sollte nun nicht mehr der Bedürfnisbefriedigung dienen, sondern Profit bringen. Grundeigentümer bewirtschafteten es entweder selbst oder ließen es von kapitalistischen Pächtern bebauen.

Im 16. Jahrhundert gab es nun drei bedeutende Gruppen; Die großen Landlords, die ihr Land meist verpachteten, die Gentry und die Yeomen. Sie alle waren an Profitmaximierung interessiert und trieben die Kapitalisierung voran.

Die Klöster wurden aufgelöst, Nonnen und Mönche wurden arbeitslos und proletarisiert. Die Leidtragenden der weiteren Entwicklung waren die bisherigen Bauern: Die Gentry betrieb Schafzucht, die nur wenige Arbeitskräfte benötigte und jagte die Überflüssigen davon. Die Yeoman betrieben zwar weiter Ackerbau, eigneten sich aber bisheriges Gemeindeland an (Einhegungen). Dieses Land wurde nun kommerziell genutzt. Die Yeoman rationalisierten ihre Betriebe, um Arbeitskräfte zu sparen.

Die vertriebenen Bauern strömten in die Städte, London wuchs auf 450.000 Einwohner an. Es entstanden überall Manufakturen, um die Schafwolle zu verarbeiten. Unter Elisabeth I wurden zahlreiche „Monopole“ vergeben, um den Aufbau der Produktionsstätten zu fördern. Das widersprach zwar dem Marktprinzip, erwies sich aber anfänglich als günstig, um überhaupt solche Firmen zu gründen.

Die Krone förderte die weitere Bildung von Kapital durch Gründung großer Handelsgesellschaften. Die Merchant Adventures, die schon im 13. Jahrhundert gegründet worden waren, wurden 1551 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Sie sollte Seewege nach China und Indien erkunden und lieferte sich Handelskriege mit anderen Nationen. Sir Franzis Drake betrieb im Auftrage seiner Königin Piraterie, überfiel Städte und Schiffe der Spanier und teilte die Beute mit Elisabeth I. Ein beträchtlicher Teil des englischen Kapitals stammte aus Raubüberfällen und Sklavenhandel.

Das englische Kapital kam also ursprünglich aus der Landwirtschaft, aus dem Fernhandel und zu einem bedeutenden Teil aus Raub- und Plünderungszügen. Die Unternehmer waren zumeist Adlige, die Gentry oder die Yeomen und Angehörige des Handelsbürgertums, die sich oft in den Adelsstand einkauften. Die Arbeiter stammten überwiegend von den Bauern ab, oder sie waren früher Geistliche oder Gefolgsleute von Adligen gewesen.

Am Ende der Tudor Zeit, mit dem Tod von Elisabeth I im Jahre 1603, waren die Grundstrukturen der kapitalistischen Gesellschaft entstanden. Sie war nun vorbereitet auf die nächsten Schritte, die weitere Kommerzialisierung der Wirtschaft und die daraus später entstehende Industrialisierung.

Allerdings, noch fehlten entscheidende Komponenten. Die Märkte waren nicht frei, sondern 700 Monopole teilten sich Handel und Gewerbe auf. Sie diktierten die Preise und verhinderten einen Wettbewerb. Vergeben wurden die Privilegien vom Königshaus. Auch Land unterlag noch zahlreichen Beschränkungen und konnte nicht so ohne weiteres gekauft oder verkauft werden.

Es bedurfte des Bürgerkrieges gegen die auf die Tudors folgende Dynastie der Stuarts 1642-1649 und der Glorious Revolution von 1688, um die kapitalistische Entwicklung weiter voranzutreiben.
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