Kelten und Germanen

Moderator: Barbarossa

Dietrich
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Kohlhaas hat geschrieben: Das ist die Sichtweise, die lange Zeit unbestritten war und die wir römischen und griechischen Schriftquellen "verdanken", deren Darstellung weitgehend unhinterfragt übernommen wurde. Diese Sichtweise ist aber nicht unumstritten, wie auch der von Dir angesprochene Wiki-Artikel anmerkt. Dort heißt es: ...
Mir ist nicht ganz klar, was du überhaupt sagen willst. Die Existenz von "Germanen", d.h. einer Kultur- und Sprachgemeinschaft, wird von der der Forschung nicht ernsthaft angezweifelt. In unzähligen auch neuesten Publikationen kannst du Archäologie und Geschichte der Germanen verfolgen und es lohnt nicht darüber zu diskutieren, ob an ihrer Existenz Zweifel bestehen. Der Historiker Peter Heather beschreibt in seiner Publikation "Invasion der Barbaren", die 2011 in deutscher Sprache erschien, sehr ausführlich Ausbreitung un d Geschichte der germanischen Stämme und scheint an ihrer Existenz keinen Zweifel zu hegen. Das gilt natürlich auch für ein Meer anderer Publikationen.

Ich wüsste keinen Sprachwissenschaftler oder Archäologen zu nennen, der die Existenz von Germanen ernsthaft in Zweifel zieht. Auf dieser Basis waren die Germanen eine Ethnie, obwohl man da gewiss auch anderer Meinung sein kann.
Kohlhaas hat geschrieben:
Das ist ein Zirkelschluss. Sie waren germanische Stämme, deshalb müssen sie ein germanisches Idiom gesprochen haben.
Das Kriterium für einen germanischen Stamm ist die Tatsache, dass er eine germanische Sprache spricht. Spräche er keltisch wäre er ein keltischer Stamm, späche er illyrisch, wäre er ein illyrischer Stamm. Dass Langobarden, Goten, Burgunder, Vandalen oder Alemannen germanische Sprachen sprachen, kannst du überall nachlesen. So z.B. beim renommierten Sprachwissenschaftler Harald Haarmann in "Lexikon der untergegangenen Sprachen", München 2002. Die teilweise geringen Sprachreste reichen immerhin aus, diesen und anderen germanischen Völkern oder Stämmen germanische Sprachen zuzuweisen.
Kohlhaas hat geschrieben:Tatsächlich ist nichtmal bewiesen, dass es eine "urgermanische" Sprache überhaupt gab. Ihre Existenz wird lediglich postuliert und sie wird retrospektiv "rekonstruiert", indem die Linguisten sich überlegen, wie ein Wort vor einer bestimmten Lautverschiebung ausgesprochen worden sein müsste.
Die Entwicklung der germanischen Sprachen kann natürlich nur hypothetisch erfolgen, Was denn sonst? Aus dem 1. Jahrtausend v. Chr. liegen uns schließlich noch keine germanischen Schriftquellen vor. Allerdings werden die Hypothesen zur Entstehung des Germanischen mit minimalen Unterschieden von allen Sprachwissenschaftlern geteilt.
Kohlhaas hat geschrieben:Die Existenz einer germanischen Sprachfamilie ist erst gegen Ende der Völkerwanderungszeit wirklich nachweisbar.
Ja und? Wie jede andere Sprache hat auch das Germanische einen langen Entwicklungsprozess hinter sich und ist nicht erst mit der ersten Schriftquelle entstanden.
Kohlhaas hat geschrieben:Also 500 bis 1000 Jahre nach der angenommenen Ko-Existenz von Kelten und Germanen. Und da hatten wir dann nicht eine germanische Sprache, sondern mindestens vier.
Kein vernünftiger Mensch bestreitet die Existenz verschiedener germanischer Sprachen.
Kohlhaas
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Dietrich hat geschrieben:Mir ist nicht ganz klar, was du überhaupt sagen willst. Die Existenz von "Germanen", d.h. einer Kultur- und Sprachgemeinschaft, wird von der der Forschung nicht ernsthaft angezweifelt. In unzähligen auch neuesten Publikationen kannst du Archäologie und Geschichte der Germanen verfolgen und es lohnt nicht darüber zu diskutieren, ob an ihrer Existenz Zweifel bestehen. Der Historiker Peter Heather beschreibt in seiner Publikation "Invasion der Barbaren", die 2011 in deutscher Sprache erschien, sehr ausführlich Ausbreitung un d Geschichte der germanischen Stämme und scheint an ihrer Existenz keinen Zweifel zu hegen. Das gilt natürlich auch für ein Meer anderer Publikationen.
Wir drehen uns im Kreis. Das Diskussionsthema heißt „Kelten und Germanen“. Ich interpretiere das so, dass es um Unterschiede oder Ähnlichkeiten zwischen den beiden Gruppen geht – wenn es denn überhaupt unterschiedliche Gruppen waren. Dieser Frage kann Peter Heather aber nicht nachgegangen sein, da er sich mit der Entwicklung im ersten nachchristlichen Jahrtausend befasst hat. Die Latène-Kultur, die gemeinhin als „keltisch“ angesehen wird, ist aber schon in der zweiten Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts spontan untergegangen. Dass es irgendwann Gruppen gab, die man heute als „germanisch“ bezeichnet, bezweifelt niemand. Die Frage ist doch: Ab wann gab es die, und waren das wirklich „andere Leute“ als die Kelten?

Es ist auch nicht richtig, dass „die Forschung“ hier keinen Zweifel habe. Die Ethnologie macht dazu (mangels empirischer Daten) keine Aussagen, die Archäologie traut sich auch nicht zu, anhand der Sachkultur eine Zuordnung zu Ethien vornehmen zu können. Nur die Geschichtswissenschaft versucht dies aus traditionellen Gründen. Und dass der Versuch keineswegs unumstritten ist, geht aus den Links und Zitaten hervor, die ich gepostet habe.
Das Kriterium für einen germanischen Stamm ist die Tatsache, dass er eine germanische Sprache spricht. Spräche er keltisch wäre er ein keltischer Stamm, späche er illyrisch, wäre er ein illyrischer Stamm.
Das ist genau der Punkt. Wie lässt sich archäologisch nachweisen, welche Sprache z.B. die Ubier gesprochen haben, die hier immer wieder erwähnt werden? Manche Leute halten diese Ubier für Germanen, andere für Kelten… Was waren sie und was haben sie gesprochen? Wir haben schlicht keine Ahnung!
Die von Dir angesprochenen Langobarden, Goten, Burgunder, Vandalen oder Alemannen sind ein anderer Fall. Von denen liegen uns zum Teil schon Schriftquellen vor. Das sind Großstämme, die sich im Laufe der Völkerwanderung durch den Zusammenschluss von Gruppen gebildet haben, die heute als germanisch, keltisch und slawisch bezeichnet werden. Wie mag sich das auf die Sprache ausgewirkt haben?

Allerdings werden die Hypothesen zur Entstehung des Germanischen mit minimalen Unterschieden von allen Sprachwissenschaftlern geteilt.
Richtig. Aber keiner dieser Sprachwissenschaftler lässt sich näher dazu aus, wann und wodurch sich diese Sprache herausgebildet hat – ausgehend von einer vermuteten gemeinsamen indoeuropäischen Sprache. Räumlich getrennte Gruppen, die zuvor eine gemeinsame Sprache gesprochen haben, entwickeln innerhalb weniger Generationen „Dialekte“, die sich stark unterscheiden. Die Tatsache, dass die Reste der Kelten und die Germanen im 5. Jahrhundert unterschiedliche Sprachen gesprochen haben, beweist deshalb nicht, dass es sich schon tausend Jahre zuvor um zwei verschiedene Völker gehandelt hat, von denen eines das andere verdrängt hat.
Gegen diese These spricht – wie jetzt schon mehrfach geschrieben – die Erkenntnis, dass nördlich der Main-Linie eindeutig zur Latène-Kultur gehörende Gruppen über Jahrhunderte hinweg und bis zum Zusammenbruch der Latène-Kultur gemeinsam mit Gruppen gelebt haben, die aufgrund der archäologischen Funde als „germanisch“ eingestuft werden.
Es wird immer als erwiesene Tatsache dargestellt, dass Germanen die Kelten nach Süden verdrängt hätten.

Welche Belege gibt es denn dafür? Mir sind keine bekannt.
Cherusker
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Einfach anzunehmen, daß die Germanen und Kelten vor Chr. ein Volk waren, mag wohl der ein oder andere Historiker oder Archäologe vertreten, aber es ist zu einfach gedacht, nur weil man keine Schriften überliefert bekommen hat, damit eine gemeinsame Sprache bzw. Volk abzuleiten.
Es gibt im Lebensstil eindeutige Unterschiede zwischen Germanen und Kelten auch v.Chr. ! Anders hätten sich die Germanen zurückentwickeln müssen, um so ihren "primitiven" Lebensstil gegenüber den Kelten n.Chr. zu erklären.
Gerade durch Cäsar erfahren wir einen deutlichen Unterschied. Er beschreibt den Germanen Ariovist, der mit einem Landnehmerheer Gallien für sich gewinnen wollte. Gerade hier erkennt man, daß Cäsar sich auf ein anderes Volk berufen kann, indem er später im Gallischen Krieg germanische "Söldner" anwirbt, die unter den Kelten Angst und Schrecken verbreiten.

Alle Erklärungsversuche, z.B. das nebulöse dritte Volk, das früher in den Köpfen einiger Archäologen herumspukte, um gewisse Fragen aufzuklären, sind meist sehr wage.

Und es gibt die Beweise dafür, daß die Kelten gen Süden gedrängt wurden. Wie ich schon geschrieben habe: die Schnippenburg, Amelungsburg, Barenburg,.....
Dort sind Funde gemacht worden, die auf eine keltische Bevölkerung schließen lassen. Manche Archäologen drücken sich hier als "keltisch-beeinflußt" aus. Ich sage vielmehr, das war der arme Norden des Keltengebietes. Der Schmuck und auch die anderen Sachen und Geräte zeigen keltischen Ursprungs, aber sind lange nicht so wertvoll, wie die im Süden gefundenen Gegenstände. So muß vor 300 v.Chr. bis an die norddeutschen Randgebirge (bevor das Flachland beginnt) eine keltische Bevölkerung gelebt haben, die von der Landwirtschaft (Ackerbau) lebte. In den darauffolgenden Jahrzehnten begannen unruhige Zeiten. Die keltischen Fluchtburgen wurden angegriffen und über die Jahre hinweg erweitert. Schließlich kam es ca 200v.Chr. zu vermehrten und wohl auch stärkeren Angriffen, gegen die sich diese keltische Bevölkerung nicht mehr zur Wehr setzen konnte. Die Fluchtburgen wurden erobert und die restliche Bevölkerung ist wohl geflohen bzw. assimilierte sich mit dem Eroberer. Und genau 200 v.Chr. kommen dann auch langsam die germanischen Stämme in das Geschichtsbild. Was für ein Zufall....

Für mich stellen die Germaneneinfälle eine vergleichbare Invasion dar, wie es 1000 Jahre später die Wikinger vornahmen. Erst einzelne Überfälle und dann immer mit mehr Leuten nachrücken und Gebiete besetzen.

P.S.
Ein Buchautor über die Kelten in Süddeutschland hat einmal geschrieben, daß die keltischen Befestigungsanlagen gen Norden ausgerichtet waren. Einen Angriff von Süden hielten die Kelten aufgrund der Alpen für ausgeschlossen. Sie erwarteten ihren Feind aus dem Norden....
Kohlhaas
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Cherusker hat geschrieben:Einfach anzunehmen, daß die Germanen und Kelten vor Chr. ein Volk waren, mag wohl der ein oder andere Historiker oder Archäologe vertreten, aber es ist zu einfach gedacht, nur weil man keine Schriften überliefert bekommen hat, damit eine gemeinsame Sprache bzw. Volk abzuleiten.
Das ist jetzt der Versuch einer Umkehrung der Beweislast. In unserer Diskussion lautet die von der Mehrheit vertretene These: Germanen kamen von Norden und haben Kelten nach Süden verdrängt. Diese These muss dann auch irgendwie begründet werden. Auf diese Begründung warte ich noch. Mir sind keine archäologischen Erkenntnisse bekannt, wonach ab Ende der Hallstatt-Kultur in nennenswertem Maßstab "fremde Gruppen" von Norden oder Osten nach Mitteleuropa eingewandert wären und die ansässige Bevölkerung "verdrängt" oder "assimiliert" hätten.

Die Theorie, dass dies ab 200 v. Chr. passiert sei, muss doch irgendwie begründbar sein. Es liefert aber niemand irgendwelche Belege, die dieses Szenario glaubhaft machen würden. Wo sind die archäologischen Belege dafür, dass es einen irgendwie gearteten Konflikt zwischen "Kelten" und "Germanen" gegeben hat?

In meinem Regal steht ein Buch von Alfred Franke. Der behauptet, dass es ein "germanisches Oberkommando" gegeben habe, das keltische Gebiete erobern wollte. Er behauptet weiter, dass schon der Zug der Kimbern und Teutonen dazu diente, die Kelten zu verdrängen. Er behauptet sogar, dass das "germanische Oberkommando" davon ausging, diesen Krieg im Einklang mit römischen Interessen zu führen und dass es auf einem "Missverständnis" beruhte, dass Kimbern und Teutonen in einen Krieg gegen Rom hineinrutschten.

All diese Überlegungen von Franke fußen auf den Behauptungen von Caesar und Tacitus, dass Germanen und Kelten unterschiedliche Völker gewesen seien. Aber wo ist dafür der Beleg? Gibt es archäologische Belege dafür, dass Germanen die Kelten verdrängt haben?
Kohlhaas
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PPS:
Cherusker hat geschrieben:P.S.
Ein Buchautor über die Kelten in Süddeutschland hat einmal geschrieben, daß die keltischen Befestigungsanlagen gen Norden ausgerichtet waren. Einen Angriff von Süden hielten die Kelten aufgrund der Alpen für ausgeschlossen. Sie erwarteten ihren Feind aus dem Norden....
Gerade vergessen: Kannst Du uns sagen, woraus der Autor den Schluss zieht, dass die keltischen Verteidigungsmaßnahmen gegen Anfriffe aus dem Norden ausgerichtet waren? Weitergehend: Hat sich der Buchautor darüber geäußert, ob der erwartete Angriff aus dem Norden von germanischen oder von konkurrierenden keltischen Stämme ausgehen würde?

Ich stelle diese Fragen, weil ich es grundsätzlich für zweifelhaft halte, dass man an einer RINGWALLANLAGE (die naturgemäßt RUND ist) erkennen können soll, aus welcher Richtung die Bedrohung erwartet wurde. Mal ganz unabhängig von der Frage, ob man einem Angreifer, der von Norden kam, genug Intelligenz zutrauen will, aus taktischen Gründen gegebenenfalls auch das Angriffsziel zu umgehen und sich ihm dann von der anderen Seite zu nähern....
Paul
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Einige Wanderungen ab etwa 100 v Chr. sind gut belegt:
Teutonen, Kimbern und Ambronen und später Sueben und Hermunduren und noch später Chatten haben ihren Geburtenüberschuß vom Nord nach Süden geschickt, Usipeter und Tenterer nach Westen, und Ubier nach Westen, Süden und Osten.
Süddeutschland wurde germanisiert, Hessen und die ganze Mittelgebirgsregion bis Südpolen war schon germanisch.
Die Latenegermanen behaupteten sich gegenüber den nördlichen Germanen. Ubier/Chatten verdrängten die Sueben nach Böhmen, Mähren und Südwestdeutschland.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Dietrich
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Kohlhaas hat geschrieben: Wir drehen uns im Kreis. Das Diskussionsthema heißt „Kelten und Germanen“. Ich interpretiere das so, dass es um Unterschiede oder Ähnlichkeiten zwischen den beiden Gruppen geht – wenn es denn überhaupt unterschiedliche Gruppen waren.
Im 6. Jh. v. Chr. bzw. am Ende der Hallstattzeit standen sich in Mitteleuropa zwei große, kulturell unterschiedliche Bereiche gegenüber: der der wirtschaftlich und sozial hochentwickelten Hallstattkultur im süddeutsch-österreichischen Alpenraum bis hin an den Rand des Thüringer Waldes, der später von den Trägern der Latène-Kultur, den Kelten, eingenommen wurde; und der nördlich daran anschließendend bis zur Nord- und Ostsee verbreitete und stark von den Kelten beeinflusste aber wirtschaftlich nicht so weit fortgeschrittene Bereich, in dem sich die Jastorfkultur herausgebildet hatte, deren Träger sicher die Germanen waren und die bis in das letzte Jahrhundert v. Chr. hinein unmittelbare Nachbarn der Kelten blieben.

Die Siedlungsgebiete im Norden standen unter dem Einfluss der Hallstatt- und später der Latènekultur. Vermittelt wurde nachweislich Kulturgut des persönlichen Bedarfs wie Nadeln und Fibeln. Das ästhetische Empfinden der Bevölkerung im Jastorfkulturbereich und darüber hinaus wurde dadurch maßgeblich mitbestimmt. Auch am Niederrhein findet man in der so genannten Grabhügelkultur Hallstattelemente. Über diesen Raum hinaus wurde das Gebiet westlich der Ems und das bis zur Weser und Aller beeinflusst.

Aus welcher ethnischen Basis die Jastorfkultur (bzw. die Germanen) hervorging, wie die Verteilung indoeuropäischer Sprachen in der ersten Hälfte des 1. Jahrtausends im Norden aussah, wissen wir nicht. Früher wurden gern Gedankenspiele angestellt, in denen die Illyrer und Veneter stets eine große Rolle spielten, doch ist das heute kein Thema mehr.
Kohlhaas hat geschrieben: Dass es irgendwann Gruppen gab, die man heute als „germanisch“ bezeichnet, bezweifelt niemand. Die Frage ist doch: Ab wann gab es die, und waren das wirklich „andere Leute“ als die Kelten?
Stämme wie die Markomannen, Hermunduren, Chatten oder Cherusker werden von der Forschung als germanische Stämme betrachtet, obwohl es keinerlei Schriftzeugnisse gibt. Ich habe nicht gehört, dass das hypothetusch sein soll, da zur Zeitenwende in Mitteleuropa nur zwei sehr unterschiedliche Formenkreise existierten: die weit nach Süden zurückgewichenen Kelten, deren Latènekultur sich markant von der eisenzeitlichen germanischen Kultur unterscheidet. Wenn z.B. Markomannen oder Cherusker nicht germanisch waren erhebt sich die Frage, welches Idiom sie denn sonst gesprochen haben könnte? Dazu habe ich bislang noch keine Hypothese oder Spekulation vernommen.

Neben Kelten und Germanen wird lediglich von einigen der sogenannte "Nordwestblock" postuliert. Diese Hypothese geht davon aus, dass in den Jahrhunderten vor der Zeitenwende neben Kelten und Germanen noch eine weitere Bevölkerungsgruppe existierte, die ein indoeuropäisches Idiom sprach, das weder keltisvh noch germanisch war. Stämme wie z.B. die Cherusker wären danach germanisiert worden.
Diese Hypothese stieß sowohl auf Zustimmung, als auch auf heftige Ablehnung. https://de.wikipedia.org/wiki/Nordwestblock
Kohlhaas hat geschrieben:Das ist genau der Punkt. Wie lässt sich archäologisch nachweisen, welche Sprache z.B. die Ubier gesprochen haben, die hier immer wieder erwähnt werden? Manche Leute halten diese Ubier für Germanen, andere für Kelten…
Derartige zweifelhafte Klassifizierungen gibt es durchaus. Auch bei den Treverern ist man unsicher, ob sie nun als keltisch oder aber germanisch anzusehen sind. Somit liest man stets, sie seien ein "keltisch-germanisches Mischvolk", womit man sich aus der Affäre zieht. Allerdings zählen Markomannen oder Chatten nicht zu solchen zweifelhaften Fällen und werden als durchaus germanisch betrachtet.
Kohlhaas hat geschrieben:Richtig. Aber keiner dieser Sprachwissenschaftler lässt sich näher dazu aus, wann und wodurch sich diese Sprache herausgebildet hat – ausgehend von einer vermuteten gemeinsamen indoeuropäischen Sprache.

Im allgemeinen wird die Jastorf-Kultur, die um 600 v. Chr. in Norddeutschland entstand, als Ursprung germanischer Sprache und Kultur gesehen: "Die Forschung betrachtet die Jastorfkultur als Basis der aus ihr hervorgehenden germanischen Stämme und der germanischen Sprach- und Kulturgemeinschaft. Das Fundgut zeigt bereits eine gewisse Differenzierung, die sich in Kleidung, Schmuck und Keramik manifestiert." https://de.wikipedia.org/wiki/Jastorf-Kultur
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Barbarossa
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Dietrich hat geschrieben:
Kohlhaas hat geschrieben:Das ist genau der Punkt. Wie lässt sich archäologisch nachweisen, welche Sprache z.B. die Ubier gesprochen haben, die hier immer wieder erwähnt werden? Manche Leute halten diese Ubier für Germanen, andere für Kelten…
Derartige zweifelhafte Klassifizierungen gibt es durchaus. Auch bei den Treverern ist man unsicher, ob sie nun als keltisch oder aber germanisch anzusehen sind. Somit liest man stets, sie seien ein "keltisch-germanisches Mischvolk", womit man sich aus der Affäre zieht. Allerdings zählen Markomannen oder Chatten nicht zu solchen zweifelhaften Fällen und werden als durchaus germanisch betrachtet.
Denkbar wäre es aber, dass sowohl Ubier als auch Treverer ursprünglich Germenen waren, die aufgrund ihrer engen Kontakte zum Römischen Reich selbst romanisiert wurden. Das geschah auch später noch mit anderen Stämmen, die sich auf römischem Gebiet niederließen.
Mit dem Reich ließ sich gut Handel treiben - von daher sind auch solche Überlegungen nicht abwegig.
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Paul
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Dietrich hat geschrieben:Stämme wie die Markomannen, Hermunduren, Chatten oder Cherusker werden von der Forschung als germanische Stämme betrachtet, obwohl es keinerlei Schriftzeugnisse gibt. Ich habe nicht gehört, dass das hypothetusch sein soll, da zur Zeitenwende in Mitteleuropa nur zwei sehr unterschiedliche Formenkreise existierten: die weit nach Süden zurückgewichenen Kelten, deren Latènekultur sich markant von der eisenzeitlichen germanischen Kultur unterscheidet. Wenn z.B. Markomannen oder Cherusker nicht germanisch waren erhebt sich die Frage, welches Idiom sie denn sonst gesprochen haben könnte? Dazu habe ich bislang noch keine Hypothese oder Spekulation vernommen.
Es lebten doch massenhaft Germanen im Römischen Reich, als Siedler, Sklaven und Soldaten. Die Römer berichteten oft über sie und konnten sie auch von den Kelten unterscheiden. Die südlichen Germanen wurden gut als Germanen, mit keltischer Sachkultur beschrieben. Das sind doch eindeutige Befunde. Daneben gibt es einige schriftliche Zeugnisse ihrer Sprache als Inschriften auf Kämmen, Helmen, in Höhlen, auf Weihesteinen und Gräbern. Man kann die Sprache ihrer Nachfahren analysieren. Hessen blieb z.B. germanischsprachig. Das Rheinland war sehr lange Zweisprachig. Die Germanen Ubier und Nachfahren der Treverer blieben weitgehend germanischsprachig. Sie werden in ihrer Sachkultur oft als romanisiert beschrieben, doch das war doch kaum ein Unterschied zu ihrer Latene-Sachkultur, die sie schon vorher hatten.
viele Grüße

Paul

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Kohlhaas
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Paul hat geschrieben:Es lebten doch massenhaft Germanen im Römischen Reich, als Siedler, Sklaven und Soldaten. Die Römer berichteten oft über sie und konnten sie auch von den Kelten unterscheiden. Die südlichen Germanen wurden gut als Germanen, mit keltischer Sachkultur beschrieben. Das sind doch eindeutige Befunde.
Das sind keine Befunde. Das sind Informationen aus römischen Quellen. Dabei muss man sich im Klaren sein, dass die Römer gar nicht vor hatten, fremde Völker "ethnologisch korrekt" zu beschreiben. Außerdem: So gut konnten die Römer Kelten und Germanen gar nicht unterscheiden. Als sie mit dem Kimbern und Teutonen zusammenstießen, sind sie noch ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie es mit Galliern zu tun hätten. Auch die Sprache der Eindringlinge hat sie nicht irritiert. Man konnte sich offenbar ohne größere Probleme verständigen. Erst Caesar hat gut 50 Jahre später die Kimbern und Teutonen zu Germanen erklärt - und nicht aus ethnologischen Gründen, sondern aus rein politischen.
Kohlhaas
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Dietrich hat geschrieben:Im 6. Jh. v. Chr. bzw. am Ende der Hallstattzeit standen sich in Mitteleuropa zwei große, kulturell unterschiedliche Bereiche gegenüber: der der wirtschaftlich und sozial hochentwickelten Hallstattkultur im süddeutsch-österreichischen Alpenraum bis hin an den Rand des Thüringer Waldes, der später von den Trägern der Latène-Kultur, den Kelten, eingenommen wurde; und der nördlich daran anschließendend bis zur Nord- und Ostsee verbreitete und stark von den Kelten beeinflusste aber wirtschaftlich nicht so weit fortgeschrittene Bereich, in dem sich die Jastorfkultur herausgebildet hatte, deren Träger sicher die Germanen waren...
Wenn Du es so betrachtest, liegen unsere Positionen gar nicht so weit auseinander. Abgesehen davon, dass die Jastorf-Kultur vielfach als "vorgermanisch" eingestuft wird. Sie gilt als die Vorgängerkultur der Elbgermanen.

Jedenfalls ist erkennbar, dass sich sowohl die Hallstatt- als auch die Jastorf-Kultur innerhalb der bis dahin europaweit sehr homogen erscheinenden Urnenfelderkultur entwickelt hat. Das ist nicht auf Wanderungsbewegungen von Menschengruppen zurückzuführen, sondern auf Einführung neuer Kulturtechniken (vermutlich spielte die Eisenbearbeitung hier eine Rolle). Die Hallstatt-Leute unterschieden sich von benachbarten Gruppen nicht durch ihre Herkunft (i.S. von Abstammungsgemeinschaft), sondern nur durch ihre fortschrittlichere Technik und die dadurch verursachten Handelsbeziehungen und ihren Reichtum. Die Hallstattkultur hat sich auch nicht durch Wanderungsbewegungen von Menschen ausgedehnt, sondern vielmehr dadurch, dass benachbarte Gruppen am Reichtum teilhaben wollten und die Hallstatt-Wirtschaftsweise übernommen haben.

Ähnlich sah das bei dem Jastorf-Kulturkreis aus. Mit dem Unterschied, dass der sehr stark von der Hallstatt- und später noch stärker von der Latène-Kultur beeinflusst wurde. Es ist erkennbar, dass am Südrand der Jastorf-Gebiete irgendwann deren "typische Merkmale" abnahmen und von Latène-Elementen überlagert wurden. Auch das passierte aber wieder nicht durch "Zuwanderung" fremder Gruppen. Vielmehr ist erkennbar, dass die Jastorf-Leute zunehmend Latène-Produkte "nachgeahmt" haben, zum Beispiel "keltische" Halsringe.

All diese Veränderungen spielten sich mit Beginn der Eisenzeit ab. Hallstatt ab 800 v.Chr., Jastorf ab 600 v.Chr. Ab wann sich die Kulturkreise so weit ausdifferenziert hatten, dass man von unterschiedlichen Kulturen, Ethnien oder gar Völkern reden kann, wage ich nicht zu beurteilen. Man kann davon ausgehen, dass die Menschen, die ganz im Südwesten des Latène-Kulturkreises leben, sich schon sehr deutlich von den Menschen ganz im Nordosten des Jastorf-Kreises unterschieden haben. Auch sprachlich. Man kann aber auch davon ausgehen, dass es zwischen diesen beiden "Extremen" ganz fließende Übergänge gab und dass die jeweils benachbart wohnenden Gruppen sich gut verständigen konnten und sich nicht als Angehörige unterschiedlicher Ethnien gefühlt haben.

Entscheidend ist: Es gibt keine Hinweise darauf, dass hier zwei große Blöcke von Menschen einander gegenüberstanden und der eine davon (Kelten) von dem anderen (Germanen) nach Süden verdrängt worden ist. Lediglich in Südosteuropa gibt es Hinweise, dass Gruppen der Latène-Kultur gewandert sind und Gebiete "erobert" oder besiedelt haben.

Wenn das alles so ist, dann bleibt es zweifelhaft, ob man von Kelten und Germanen überhaupt sprechen kann. Dann nämlich wurden die Menschen zu "Kelten", indem sie die Latène-Wirtschaftsweise übernahmen oder wandelten sich zu "Germanen", indem sie diese Wirtschaftsweise wieder ablegten. Inwieweit die Wirtschaftsweise sich auf die Sozialstrukturen auswirkten, muss natürlich offen bleiben. Leider wissen wir darüber sogut wie nichts.

Jedenfalls hat vor diesem Hintergrund zum Beispiel der Archäologe Heiko Steuer im Reallexikon der Germanischen Altertumskunde die Auffassung vertreten, dass die Zerschlagung der Latène-Kultur durch die Römer die Voraussetzung für die Herausbildung eines germanischen Kulturkreises gewesen sei.
Paul
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Kohlhaas hat geschrieben: Wenn das alles so ist, dann bleibt es zweifelhaft, ob man von Kelten und Germanen überhaupt sprechen kann. Dann nämlich wurden die Menschen zu "Kelten", indem sie die Latène-Wirtschaftsweise übernahmen oder wandelten sich zu "Germanen", indem sie diese Wirtschaftsweise wieder ablegten. Inwieweit die Wirtschaftsweise sich auf die Sozialstrukturen auswirkten, muss natürlich offen bleiben. Leider wissen wir darüber sogut wie nichts.

Jedenfalls hat vor diesem Hintergrund zum Beispiel der Archäologe Heiko Steuer im Reallexikon der Germanischen Altertumskunde die Auffassung vertreten, dass die Zerschlagung der Latène-Kultur durch die Römer die Voraussetzung für die Herausbildung eines germanischen Kulturkreises gewesen sei.
Die Latene Sachkultur wurde doch nicht abgelegt, ihre Elemente breiteten sich im Mittelalter langsam in ganz Germanien aus, nur man bezeichnete sie nicht mehr als Latene Kultur.
Die Fruchtwechselwirtschaft wurde von den einwandernden Chatten, von den ansässigen Nachbarn und Familienmitgliedern übernommen.
Sie wurde auch im Rheinland und Thüringen betrieben und von den Franken und Thüringern weiter ausgebreitet.
viele Grüße

Paul

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Kohlhaas
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Paul hat geschrieben:Die Latene Sachkultur wurde doch nicht abgelegt, ihre Elemente breiteten sich im Mittelalter langsam in ganz Germanien aus, nur man bezeichnete sie nicht mehr als Latene Kultur.
Die Fruchtwechselwirtschaft wurde von den einwandernden Chatten, von den ansässigen Nachbarn und Familienmitgliedern übernommen.
Sie wurde auch im Rheinland und Thüringen betrieben und von den Franken und Thüringern weiter ausgebreitet.
Ich meinte auch nicht die Sachkultur, obwohl auch davon nach dem gallischen Krieg viel verschwunden ist. Zum Beispiel das Münzwesen.

Das wichtigste Merkmal der Latène-Kultur war die europaweite Vernetzung der Oppida. Man kann die Oppida-Kultur als erste "europäische Wirtschaftsgemeinschaft" begreifen. Anhand der Drehscheiben-Töpferware aus dem Oppidum Manching (nahe Ingolstadt) ist das mal untersucht worden. Die Handelsbeziehungen reichten bis an die Oberweser. Gleichzeitig sind von Manching aus Töpferwaren aus bömischen Oppida weiter verbreitet worden und bömische Oppida verteilten ihrerseits Manchinger Waren in ihren "Einflussgebieten". Alles engstens vernetzt. Dieses ganze System brach zusammen, als Rom die Kerngebiete der Oppida-Kultur erobert hatte. Auf sich gestellt konnten die Oppida an der Peripherie nicht mehr existieren. Sie wurden aufgegeben oder von beutehungrigen Nachbarn geplündert. Was natürlich nicht bedeutet, dass die ehemaligen Bewohner dieser Oppida auswandern mussten. Sie mussten lediglich eine neue Wirtschaftsweise entwickeln. Notgedrungen war das eine Subsistenzwirtschaft mit sehr viel weniger Handel. Nach dem Verschwinden der Oppida mussten die Menschen "germanischer" werden.

So betrachtet, hat Rom den Feind, der ein paar hundert Jahre später zum Untergang des Reichs beitrug, selbst geschaffen.
Dietrich
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Kohlhaas hat geschrieben: Wenn das alles so ist, dann bleibt es zweifelhaft, ob man von Kelten und Germanen überhaupt sprechen kann. Dann nämlich wurden die Menschen zu "Kelten", indem sie die Latène-Wirtschaftsweise übernahmen oder wandelten sich zu "Germanen", indem sie diese Wirtschaftsweise wieder ablegten. Inwieweit die Wirtschaftsweise sich auf die Sozialstrukturen auswirkten, muss natürlich offen bleiben. Leider wissen wir darüber sogut wie nichts.
Wie genau die Ethnogenese der Germanen ablief, ist bis heute ungeklärt, denn es handelt sich um einen vielschichtigen, komplexen Prozess. Das ist allerdings die Regel, denn solche Entwicklungen erfolgen meist im Dunkel der Geschichte, was ebenso für andere Völker oder Stämme wie die Slawen, Etrusker, Illyrer, Iberer oder Basken gilt.

Einigkeit herrscht allerdings darüber, dass offenbar eine Vielzahl eisenzeitlicher Bevölkerungsgruppen unterschiedlichen Ursprungs und Kulturniveaus im Gebiet zwischen norddeutschem Flachland und der Mittelgebirgszone an der Entstehung germanischer Stämme beteiligt waren. In diesem Raum lassen sich in den letzten Jahrhunderten vor der Zeitenwende mehrere regionale eisenzeitliche Kulturgruppen nachweisen, die sich teilweise kontinuierlich aus bronzezeitlichen Wurzeln gebildet hatten. Diese waren einer mehr oder minder intensiven Beeinflussung seitens der höher entwickelten Zivilisation keltischer Stämme ausgesetzt, deren Siedlungsgebiete sich von Gallien über Süddeutschland und Böhmen bis nach Südpolen erstreckten. Die Aufgeschlossenheit gegenüber keltischer Kulturvermittlung (Oppida, Münzprägung, Schmuckformen und höher entwickelte Produktionsmöglichkeiten wie Drehbank und Töpferscheibe) führte in der unmittelbaren Kontakzzone zu einer partiellen Angleichung an den keltischen Süden.

Insofern kann man die germanische Ethnogenese als einen Ausgleichprozess verschiedenartiger ethnischer Gruppen verstehen, die jeweols starkem keltischen Einfluss unterlagen, ohne selbst Kelten zu werden. Ein Prozess, der in einigen Gebieten wohl schon im 3. Jh. v. Chr. einsetzte und in der Zeit um Christi Geburt teilweise noch andauerte. Dafür spricht die große Mobilität einzelner damals historisch bezeugter Stämme, die sich noch unter den Römern bildeten oder neu formierten. Die Ausbildung einer sich vom Keltischen immer weiter unterscheidenden Sprachgruppe dürfte wesentlich zur Entstehung der Germanen beigetragen haben.

Einen wichtigen Anteil an diesem Vorgang hatten die Träger der sich kontinuierlich aus der jüngeren Bronzezeit entwickelnden Jastorf-Kultur, die über Jütland, Mecklenburg und Brandenburg bis nach Nordböhmen verbreitet war. Sie gelten als die Vorläufer der sich später entwickelnden Elbgermanen.
Kohlhaas
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Dietrich hat geschrieben:Wie genau die Ethnogenese der Germanen ablief, ist bis heute ungeklärt, denn es handelt sich um einen vielschichtigen, komplexen Prozess. Das ist allerdings die Regel, denn solche Entwicklungen erfolgen meist im Dunkel der Geschichte, was ebenso für andere Völker oder Stämme wie die Slawen, Etrusker, Illyrer, Iberer oder Basken gilt.

Einigkeit herrscht allerdings darüber, dass offenbar eine Vielzahl eisenzeitlicher Bevölkerungsgruppen unterschiedlichen Ursprungs und Kulturniveaus im Gebiet zwischen norddeutschem Flachland und der Mittelgebirgszone an der Entstehung germanischer Stämme beteiligt waren.
Das ist genau der Punkt, und das ist auch der Grund, warum ich festgestellt habe, dass unsere Meinungen inhaltlich gar nicht so unterscheidlich sind.

Wenn an der Herausbildung einer "germanischen Identität" mutmaßlich ganz unterschiedliche Gruppen beteiligt waren, dann stellt sich allerdings die Frage: WARUM haben die unterschiedlichen Gruppen damals an dem Prozess mitgewirkt? Sicherlich nicht, weil die "Germanen"eine gemeinsame "germanische" Identität verspürt hätten. Sie haben sicherlich nicht, einen "germanischen Feldzug" gegen die Kelten geführt. Im Raum steht die These, dass germanische Stämme ab 200 v.Chr. keltische Gruppen nach Süden verdrängt haben sollen. Das erscheint mir schon deshalb widersinnig, weil ich nicht erkennen kann, welches Interesse die Träger der Jastorf-Kultur gehabt haben sollten, die Träger der Latène-Kultur zu "verdrängen". Im Grunde wollten sie doch eher an deren Reichtum teilhaben!

Wir interpretieren das heute gern als Ausdruck des Verhaltens von "Stämmen", die gegen andere "Stämme" vorgegangen seien. Die "Stämme" waren aber Gemeinschaften von "interessiert Handelnden". Die Leute fühlten sich einem "Stamm" nur so lange zugehörig, wie der "Stamm" ihren Interessen diente. Das war eigentlich nur im Kriegsfall gegeben. Der "Stamm" war das Volk in Waffen. Und selbst da gab es die Möglichkeit, sich einer "Kriegspflicht" zu entziehen. Von nordamerikanischen Plains-Indianern wissen wir, dass es den Gruppen freigestellt war, ob sie sich an einem Krieg beteiligen oder ob sie sich vom "Stamm" trennen wollten. Ich würde wetten, dass das bei den Germanen/Kelten/Barbaren genauso war. Welche Möglichkeit hätte es denn gegeben, nachzuweisen dass eine bestimmte Familie/Sippe "zum Stamm" gehörte" und damit kriegspflichtig war? Es gab ja nichtmal Einwohnermeldeverzeichnisse.

So diskutieren wir hier gerade über die Frage, ob es "Germanen" und "Kelten" überhaupt gab. Im nächsten Schritt müssten wir diskutieren, ob es "Stämme" überhaupt gab. Besser: Ob es vor dem Eintreffen der Römer "Stämme" gab. Nach deren Eintreffen gab es sie sicherlich.
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