Wie "deutsch" fühlen sich die Schweizer?

Diskussionen über die Nicht-Mitgliedstaaten der EU

Moderator: Barbarossa

Dietrich
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Eine schwierige Frage!

Die Schweizer Eidgenossen fühlten sich bis zum Ausgang des Mittelalters dem Reich zugehörig, was allerdings nicht deckungsgleich mit einer "deutschen Identität" ist. Überhaupt sind solche Vokabeln in dieser Zeit mit Vorsicht zu genießen.

Im Hochmittelalter besaßen die Fürstbischöfe von Basel, Genf und Lausanne Reichsstandschaft und waren somit auf den Reichstagen vertreten, ebenfalls die Reichsabtei St. Gallen oder die Reichsstädte Basel, Bern und Zürich. Um die Gotthardstraße für das Reich zu sichern, kaufte König Heinrich VII. 1231 den Grafen von Habsburg, dem bedeutendsten Dynastengeschlecht, die Leute von Uri ab und versprach ihnen die ewige Reichsunmittelbarkeit. 1240 erlangten die Leute von Schwyz ein ähnliches Privileg von Kaiser Friedrich II.

Als 1291 die drei so genannten Waldstätte auf unbefristete Zeit im Ewigen Bund ein Landfriedensbündnis schlossen, wurde das zur Keimzelle der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Ab hier ändert sich allmählich das Verhältnis zum Reich, denn die Schweizer Reichsstädte treten ab dem 14. Jh. in das Bündnis ein, der Einfluss eines übergeordneten Reichsvogts schwindet.

Im 15./16. Jh. erreichte die Eidgenossenschaft ungefähr ihren heutigen Umfang, das Verhältnis zum Reich kühlte sich immer mehr ab. Ein letzter Unterwerfungsversuch König Maximilians nach der Nichtanerkennung der Reformbeschlüsse des Wormser Reichstags von 1495 durch die Orte scheiterte im Schwabenkrieg 1499. Der Friede von Basel vom 22.9.1499 besiegelte mit dem Verzicht Maximilians auf alle Hoheitsrechte im Bundesgebiet de facto das Ausscheiden der Schweiz aus dem Reich, auch wenn es völkerrechtlich erst 1648 im Westfälischen Frieden dazu kam.

Dass sich die Schweizer als "Deutsche" gefühlt hätten, scheint mir bis zum 16. Jh. eine anachronistische Sichtweise zu sein, nach der völkerrechtlichen Souveränität 1644 setzte sich die Entwicklung einer besonderen schweizerischen Identität verstärkt fort.
Paul
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Die italienischen und französischen Schweizer hatten sicherlich keine Gründe sich als Deutsche zu fühlen. Das sieht für die deutsche Schweiz natürlich etwas anders aus, aber das sollen die Deutschschweizer sich individuell für sich entscheiden, ob sie zur deutschen Sprachnation gehören.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Ruaidhri
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Was ist das eigentlich, "sich deutsch fühlen"? :?:
Warum sollten sich die Schweizer deutsch fühlen?
( Die Antwort steht ja schon oben.)
Tun sie nicht, so mein Eindruck. In der italienischen und französischen Schweiz is(s)t man wenig deutsch- und spricht nicht als gängige Verkehrssprache Deutsch. ( Man kann es, aber man unterhält sich auf Italienisch oder Französisch.
Im "deutschen" Teil ist man Schwyzer, spricht Schwyzerdütsch und andere Sprachen.
Das (Deutsch) Sprachliche ist sicherlich einerseits verbindend mit Österreich und Deutschland, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt sind im gesamten deutschsprachigen Raum (immer noch) viel gelesene Schriftssteller, andererseits ist es eben nicht deutsche, sondern deutschsprachige Literatur.
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LG Ruaidhri
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Barbarossa
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Es geht hier um die nationale Identität, Ruaidhri. Also ob sich jemand aufgrund seiner Sprache (wenn sie ein deutscher Dialekt ist) auch selbst als "Deutscher" sieht. Im Falle der deutschen Nation ist das nämlich kompliziert, weil sich die deutsche Kulturnation seit ihrer Entstehung immer auf mehrere Staaten erstreckte. Selbst nach 1871 gehörten die deutschsprachigen Teile Österreichs und auch Luxemburg dazu.
Wie ich des öfteren in Foren gelesen habe, wehren sich die Deutschschweizer aber vehement dagegen, als Deutsche bezeichnet zu werden.
Es war wohl tatsächlich so, dass für die Bevölkerungsmehrheit der Austritt der Schweiz aus dem Reich viel früher kam, als der Beginn einer deutschen Identitätsbildung beim Rest der deutschsprachigen Bevölkerung. Und das selbe gilt offenbar auch für das Elsass.
Im 19. Jh. soll es dann in diesen Gegenden zwar einige wenige gegeben haben, die sich dann "deutsch fühlten", was aber unbedeutend war. Dazu wurde die Schweiz zu früh eine eigene Nation.
Lediglich im deutschen Sprachraum Österreichs und Luxemburgs sieht das anders aus. In den Ländern gab es lange Zeit noch eine deutsche Identität.

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Dietrich
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Barbarossa hat geschrieben:Es geht hier um die nationale Identität, ...
Es ist weltweit immer wieder geschehen, dass Bevölkerungsgruppen im Verlauf ihrer Geschichte eine besondere Identität entwickelten, und sich als eigenständiges Volk ausdifferenzierten. Das ist ein langwieriger Prozess, der nicht von heute auf morgen erfolgt, doch zu irgendeinem Zeitpunkt ist er abgeschlossen.

Dieses Szenario trifft unter anderem auf die Niederlande und die Schweiz zu, die folglich 1644 mit dem Westfälischen Frieden aus dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation ausschieden. Allerdings gibt es keine feste Regel für solche Prozesse und somit betrachten sich z.B. die Bayern und Sachsen nicht als eigenständiges Volk, auch wenn sie eine spezifische regionale Identität entwickelt haben. Die Luxemburger hingegen vollzogen diesen Schritt, wofür es zahlreiche historische und kulturelle Gründe gibt.

Rational lässt sich das nicht immer nachvollziehen und es gibt auch kein Rezept, wonach man die Entwicklung einer Bevölkerungsgruppe zu einem Volk vorhersagen könnte. Und somit sind die Bayern Deutsche geblieben, die Schweizer, Luxemburger und Niederländer nicht.
Ruaidhri
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Dietrich hat geschrieben:Die Luxemburger hingegen vollzogen diesen Schritt, wofür es zahlreiche historische und kulturelle Gründe gibt.
Die historischen Gründe für Luxemburg, die Niederlande und die Schweiz sind klar, in gegenseitiger Abhängigkeit resultieren daraus zunehmende kulturelle Unterschiede, die ihrerseits wieder auch in Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Konditionen stehen.
Dietrich hat geschrieben:Und somit sind die Bayern Deutsche geblieben,
Bist Du Dir da ganz sicher? Ich mir öfter mal nicht. *ironiemodusan* :angel:
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LG Ruaidhri
Dietrich
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Ruaidhri hat geschrieben: Bist Du Dir da ganz sicher? Ich mir öfter mal nicht. *ironiemodusan* :angel:
Immerhin: Dem Grundgesetz haben die Bayern bis heute ihre Zustimmung verweigert, d.h. sie haben die Urkunde nicht unterschrieben.

http://www.t-online.de/nachrichten/wiss ... timmt.html
Ruaidhri
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Immerhin: Dem Grundgesetz haben die Bayern bis heute ihre Zustimmung verweigert, d.h. sie haben die Urkunde nicht unterschrieben.
Das ist bekannt, und irgendwie auch sonst gebärden sie sich als ein "eigenes" Volk... :mrgreen:
" Bayern war der Teil Deutschlands, den Österreich nie haben wollte", Signatur in einem anderen Forum.
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