Der irrationale Homo Politicus

Kommunalwahlen, Meinungsumfragen, Konflikte, Religionen, Ereignisse

Moderator: Barbarossa

Wallenstein

Der Homo Politicus ist eine Fiktion der Wissenschaft, den es genauso wenig gibt wie den Homo Oekonomicus oder den Homo Sociologicus. Er soll ein klar rational denkender Staatsbürger sein, der kluge, überlegte Entscheidungen trifft. Ein Wunschbild. Schon am Beispiel der letzten drei Landtagswahlen hatte ich geschrieben, das Wahlen vor allem auf Sympathien gegenüber bestimmten Personen beruhen, nicht auf Überlegungen, welches Parteiprogramm jetzt für mich optimal ist. Sympathien beruhen aber vielfach auf Emotionen, nicht auf Rationalität.

Die Verhaltens Ökonomik hat nachgewiesen, dass Entscheidungen häufig nicht auf Rationalität beruhen, sondern auf lediglich „begrenzter Rationalität.“ Menschen treffen Entscheidungen unter den Bedingungen begrenzter und manchmal unverlässlicher Informationen. (siehe das hervorragende Buch von dem Nobelpreisträger Daniel Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken).
Folgende Punkte lassen sich anführen:

Naiver Empirismus:
 Menschen identifizieren, selektieren oder beobachten vergangene Ereignisse und führen sie als Beweise für ihre Standpunkte oder Hypothesen ins Feld. Der wissenschaftliche Empirismus hingegen sammelt Daten und führt mit mathematischen Methoden Untersuchungen durch, um Hypothesen zu bestätigen oder zu verwerfen. Wird eine Hypothese von 95% der Daten bestätigt, hat sie eine wissenschaftliche Signifikanz, sonst wird sie abgelehnt.

Der naive Empirismus hingegen setzt eine Hypothese, die erst bewiesen werden soll, schon als bewiesen voraus und sammelt nur Daten, die sie bestätigen. Alle anderen, vor allem die, welche das Gegenteil zeigen, werden schlichtweg ignoriert. Dann kommt man natürlich zu einer Welterklärung, frei nach Pipi Langstrumpf:
    Zwei mal drei macht vier,    widewidewitt und drei macht neune,    ich mach mir die Welt,
    widewide wie sie mir gefällt

Menschen glauben nur das, was sie glauben wollen.
Menschen neigen dazu, Befunde so zu interpretieren, das sie ihre Überzeug bestätigen. In einer Studie wurden Teilnehmer gebeten, einen Bericht zu bewerten, in dem es darum geht, ob die Todesstrafe die Kriminalität senken kann. Anhänger und Gegner der Todesstrafe lasen die gleiche Studie, fühlten sich aber beide bestätigt. Identische Befunde wurden völlig unterschiedlich gedeutet.

Kleine Anzahlen von Beobachtungen haben ein zu großes Gewicht.
In einer Studie werden 1.000 Handys getestet, das Ergebnis ist gut. Doch eine Freundin sagt nun, dass sie mit dem Ding gar nicht klar kommt. Obwohl die Stichprobe nun von lediglich von 1.000 auf 1.001 erhöht wurde, neigt man dazu, die Bewertung der Freundin viel zu stark zu beachten. Das ist in der Politik oft zu beobachten, Ereignisse, die z.B. kurz vor einer Wahl passieren, bekommen eine übermäßige Bedeutung.

Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse.
 So heißt ein Buch des Börsenhändlers Taleb.

Wer sich in Statistik auskennt, weiß, das fast alle Verteilungen einem sogenannten Random walk unterliegen. So läuft in der Börse üblicherweise das Geschäft einer Normal Verteilung, es gibt immer Schwankungen, mal nach oben, mal nach unten. Das ist berechenbar und normal. Doch gelegentlich gibt es einen Crash. Im Bewusstsein vieler Menschen bekommt der Crash nun eine überragende Bedeutung und alles andere rückt vollständig in den Hintergrund. Ein Crash ist allerdings so selten wie ein schwarzer Schwan. Man sollte daher nicht außergewöhnliche Ereignisse überbewerten und alles andere nicht beachten. Wichtiger ist die Normalverteilung, nicht eine extreme Situation. Man sollte sich eher für die Poisson-Verteilung interessieren, die besagt, wie oft etwas nicht passiert. (z.B. Flugzeugabstürze)

Natürlich sind Extreme interessant, man muss allerdings ihre Relevanz prüfen und nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Unfälle in Kernkraftwerken sind selten, doch kann die Auswirkung so katastrophal sein, das man auf ihre Benutzung verzichten will wie In Deutschland. Darüber kann man streiten. Amokläufe sind an deutschen Schulen selten. Keinen Sin würde es machen, die Schulen in einen Hochsicherheitstrakt zu verwandeln und die Lehrer zu bewaffnen.

Daraus folgt folgende Beobachtung:
Es gibt Verschiedene Heuristiken:
Menschen benutzen Heuristiken, Vereinfachungen, Faustregeln die sie bei Entscheidungen nutzen. Als da wären:

Trugschlüsse durch fehlende kognitive Fähigkeiten.
Die Menschen haben nur begrenzte Informationen und viele keine Erfahrungen mit statistischen Methoden. In der Statistik benutzt man Stichproben, um von einer begrenzten Datenmenge auf die Gesamtheit schließen zu können. Die Stichprobe benötigt aber ein Minimum an Daten und es müssen eine Reihe Voraussetzungen erfüllt sein, damit man aus ihr überhaupt Rückschlüsse ziehen kann. Bei den meisten Menschen beobachten wir aber, das sie nur wenige, zufällige Informationen besitzen und dann unzulässige Schlussfolgerungen auf die Gesamtheit schließen (Alle jungen Leute mit langen Haaren sind faul, alle Ausländer sind kriminell, alle Polen klauen Autos usw.)

Ankern.
Man hat sich eine Meinung gebildet und geht von ihr aus, wie von einem Ankerplatz. (In Hamburg ist alles viel zu teuer, alle Politiker sind schlecht usw.) Alle Entscheidungen basieren auf diesem Ankerplatz.

Verfügbarkeitsheuristik:
 Menschen haben eine Risikoabschätzung. Wenn sich Medien ausgiebig mit einem bestimmten Thema beschäftigen, können sie bei der Entscheidungsfindung eine Rolle spielen und dazu beitragen, dass die Risikoeinschätzung verzerrt wird. Wann sich gelegentlich Züge verspäten, und darüber viel gesprochen wird, kann man seine Entscheidung für den öffentlichen Nahverkehr korrigieren, auch wenn dies vielleicht gar nicht korrekt ist.

Repräsentativitätsheuristik:
 Menschen fällen Urteile danach, wie repräsentativ etwas in Bezug auf ihre eigenen Vorstellungen ist. Wenn ein guter Freund eine Partei empfiehlt, ist man eher bereit diese zu wählen.

Simulationsheuristik:
Hier wird etwas vorgeführt, was passieren könnte, wenn man die und die Entscheidung fällt. Dies machen Politiker gerne. Doch bekanntlich sind Prognosen immer dann besonders schwierig, wenn es um die Zukunft geht.

(Zu diesem Beitrag habe ich benutzt: Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 6.Auflage, 2016, s.171 ff)
 
Benutzeravatar
Triton
Mitglied
Beiträge: 1909
Registriert: 09.10.2012, 10:30

Wallenstein hat geschrieben: Menschen glauben nur das, was sie glauben wollen.
Menschen neigen dazu, Befunde so zu interpretieren, das sie ihre Überzeug bestätigen.
https://www.youtube.com/watch?v=WLrTqKtwiJs
"Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, in dem man sie ignoriert." (Aldous Huxley)
Ruaidhri
Mitglied
Beiträge: 1901
Registriert: 06.05.2015, 18:09

Toller Beitrag wieder von Wallenstein! Danke dafür!
Eigentlich kann man fast nicht drüber diskutieren, weil es nichts zu kritisieren oder hinzufügen gibt!
Muttersprache: Deutsch Vaterland: Keins. Heimat: Europa
LG Ruaidhri
Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag

Zurück zu „Gesellschaft“