Was ist Ausbeutung?

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Moderator: Barbarossa

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Der Begriff Ausbeutung wird oft wahllos und undifferenziert benutzt. Deshalb ist es sinnvoll, einmal aufzuzeigen, welche Theorien es über diesen Begriff gibt. Betrachtet werden soll nur die ökonomische Ausbeutung, nicht die der Natur etc. Am differenziertesten hat sich der Marxismismus damit beschäftigt und diese Kategorie historisch abgeleitet. Laut Marx ist Ausbeutung: Die Aneignung unbezahlter Mehrarbeit oder die Aneignung des Mehrproduktes, das aus dieser Mehrarbeit entstanden ist.

In der Sklaverei der Antike scheint die Zwangsarbeit des Sklaven ausschließlich Mehrarbeit für seinen Besitzer zu sein. Allerdings fließt ein Teil aus dem Gewinn an den Sklaven zurück, um seinen Unterhalt zu finanzieren. Antike Autoren berechnen den Mehrwert, den ein Sklave einbringt: Er ist die Differenz zwischen dem Wert der von ihm erzeugten Waren und den Produktionskosten (Unterhaltskosten, Rohstoffkosten, Werteverzehr der Werkzeuge, also Abschreibungen modern ausgedrückt, Tilgungskosten für den Kaufpreis des Sklaven) Der Mehrwert ist ganz offensichtlich aus der unbezahlten Mehrarbeit des Sklaven entstanden.

Im Mittelalter ist die Ausbeutung durch Fronarbeit offensichtlich. Der Bauer arbeitet drei Tage auf dem Feld des Grundherrn, drei Tage auf seinem eigenen Feld. Die unbezahlte Mehrarbeit für den Grundherrn (Arbeitsrente) ist die Ausbeutung. Musste der Bauer in späterer Zeit statt Fronarbeit Naturalien abliefern (Produktenrente) oder noch später Geldzahlungen leisten (Geldrente) macht dies keinen Unterschied. Die unbezahlte Mehrarbeit des Bauern nimmt hier lediglich die Form des unbezahlten Mehrproduktes an.

Die beiden frühen Formen des Kapitals, das Wucherkapital und das Kaufmannskapital, zeigen auch noch ihren ausbeuterischen Charakter klar an: Beim Wucherkapital muss der Schuldner einen Teil des von ihm erzeugten Wertes an den Gläubiger abgeben, es handelt sich also um eine Wertübertragung, die Zinsen sind also auch hier gleichbedeutend mit der unentgeltlichen Mehrarbeit bzw. des daraus entstandenen Mehrproduktes. Der ausbeuterische Charakter des Wucherkapitals wurde schon immer als solcher auch gesehen und deshalb verbot die Kirche früher das Geldverleihen gegen Zinsen. Die Nazis forderten selbst noch im 20. Jahrhundert „Bruch der Zinsknechtschaft“ und unterschieden zwischen dem „schaffenden Kapital“ und dem „raffenden Kapital“ (bei ihnen gleichbedeutend mit den Juden).

Bei dem Handel schreiben bereits die antiken Autoren, dass der Gewinn daraus entsteht, das man Waren unter ihrem wirklichen Wert ankauft, aber über ihrem Wert verkauft. Das bedeutet aber für die Produzenten: sie bekommen nicht ihren tatsächlichen Wert, sondern nur einen Teil davon bezahlt, den anderen Teil erhalten die Kaufleute, auch hier also wieder unbezahlte Mehrarbeit bzw. Mehrprodukt. Bei den Griechen war Hermes demzufolge Gott der Kaufleute und der Diebe. Dass Kaufleute eigentlich Betrüger sind, diese Meinung war früher weit verbreitet. Natürlich erbringen Kaufleute auch eine eigene Leistung, doch standen deren Gewinne nach Meinung der Zeitgenossen in keinem Verhältnis dazu.

Im Kapitalismus tritt das Kapital aus der Sphäre der Zirkulation heraus und bemächtigt sich jetzt direkt der Produktion und beschäftigt Lohnarbeiter. Die Höhe des Lohnes entspricht laut Marx den historisch gewachsenen durchschnittlichen Lebenshaltungskosten. Die Arbeitskraft hat aber nicht nur einen Tauschwert, sondern auch einen ganz speziellen Gebrauchswert, nämlich die Eigenschaft, neue Werte zu schaffen. Die Summe dieser Werte (Mehrwert) ist höher als der Tauschwert der Arbeitskraft. Marx gelingt es im Gegensatz zu seinen Vorgängern, widerspruchsfrei aus der Arbeitswertlehre die Entstehung des Mehrwertes zu erklären. Dieser ist somit auch unbezahlte Mehrarbeit. Bei Marx existiert also immer Ausbeutung, unabhängig von der Lohnhöhe. Er zeigt später die Veränderungen des ehemalige Wucherkapitals (heute Banken) und des Handelskapitals im heutigen Kapitalismus auf. Diese beziehen ihren Gewinn nach wie vor aus den Produzenten, diesmal jedoch aus dem industriellen Mehrwert.

Die nichtmarxistischen Theorien, wie z.B. die Neoklassik, haben keinen eigenen Ausbeutungsbegriff entwickelt. Sofern sie ihn benutzen, entspringt Ausbeutung ihrer Meinung nach aus Störungen des Marktgeschehens.
Theoretisch sind bei ihnen die Märkte durch vollkommene Konkurrenz der Anbieter und Nachfrager gekennzeichnet und es entsteht ein Gleichgewichtspreis. Hier gibt es keine Ausbeutung.

Gelingt es nun einem Monopolisten aufgrund seiner Marktmacht einen Preis durchzusetzen, der höher ist als der Wettbewerbspreis, sprechen sie von Ausbeutung, und zwar von Ausbeutung der Konsumenten, die nun zu viel zahlen müssen.

Anderer Fall: ein Monopolist beherrscht den Einkauf, afrikanische Kleinbauern beispielsweise werden gezwungen, ihre Produkte zu einem Preis an ihn zu verkaufen, der niedriger ist als der Wettbewerbspreis. Dann sprechen sie von Ausbeutung der Produzenten.

Schwierig ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt, da wir hier aufgrund der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände und des Staates keine vollkommene Konkurrenz haben und die Tariflöhne dominieren. Hier könnten Ökonomen der Neoklassik nur dann von Ausbeutung sprechen, wenn ein Unternehmen den Tariflohn nicht zahlt oder in einem Betrieb für gleiche Arbeit unterschiedliche Löhne bezahlt werden.

Eine Konkurrenzsituation haben wir im Bereich der Niedriglöhne ohne Tarifverträge oder im Bereich der ganz hohen Gehaltsklassen. Hier würden die Ökonomen von Ausbeutung sprechen, wenn einige Arbeitnehmer aufgrund einer besonderen Situation Löhne annehmen müssen, die unter dem allgemein üblichen Löhnen liegen.

Also: Der Marxismus bezeichnet die unentgeltliche Aneignung von Mehrarbeit als Ausbeutung, die nichtmarxistische Theorie Störungen des Marktgleichgewichtes als Ausbeutung.

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Barbarossa
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Bemerkenswert ist ist aber, dass es selbst im sog. Niedriglohnsektor durchaus auch Tariflöhne gibt, die aber oft so niedrig sind, dass die Löhne durch Sozialleistungen aufgestockt werden müssen. Gewerkschaften sind offensichtlich nicht in allen Branchen in der Lage, Ausbeutung zu unterbinden.

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Barbarossa hat geschrieben:Bemerkenswert ist ist aber, dass es selbst im sog. Niedriglohnsektor durchaus auch Tariflöhne gibt, die aber oft so niedrig sind, dass die Löhne durch Sozialleistungen aufgestockt werden müssen. Gewerkschaften sind offensichtlich nicht in allen Branchen in der Lage, Ausbeutung zu unterbinden.

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Hier genau ist ja nun die Frage, die ich oben versucht hatte zu klären. Gibt es bei der Lohnhöhe einen objektiven Maßstab? Wann wird man ausgebeutet? Bei 7,50 Euro die Stunde? Bekommt man nun 8,50 Euro die Stunde, wird man dann nicht mehr ausgebeutet? Wie hoch ist denn jetzt der „richtige“ Lohn? Kann man den überhaupt errechnen?

Die liberale Wirtschaftstheorie behauptet: Der richtige, marktgerechte Lohn entsteht durch Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Suchen aber sehr viele Menschen Arbeit für einfache Tätigkeiten, dann kann der Lohn absurd niedrig sein. Um das zu verhindern, gibt es ja Gewerkschaften oder die Forderung nach einem Mindestlohn. Auf diese Weise will man eine Lohnhöhe durchsetzen, die über dem Wettbewerbslohn liegt, der ansonsten durch Angebot und Nachfrage entstehen würde. Deshalb sträubten sich liberale und konservative Politiker ja so lange dagegen, weil ihrer Meinung nach dadurch der Markt verzerrt wird.

Nach Meinung vieler Wirtschaftswissenschaftler sind Löhne oft deshalb so niedrig und müssen vom Staat aufgestockt werden, weil in den entsprechenden Branchen nicht so viel verdient wird, die Unternehmer deshalb auch nicht mehr zahlen können. Von Ausbeutung könne daher keine Rede sein.

Grundlage für diese Auffassung ist die Grenzproduktivitätstheorie. Diese besagt: Ein Unternehmer wird solange Arbeiter einstellen, wie der zusätzliche Gewinn, der durch seine Einstellung entsteht, höher ist als die Lohnkosten. Bei jedem weiteren Arbeiter wird aber der Gewinn geringer werden, irgendwann bringt die Einstellung eines neuen Kollegen keinen zusätzlichen Erlös mehr, da der Lohn, den man für ihn zahlen muss, genauso hoch ist, wie der Gewinn. Das sind die sogenannten Grenzkosten. Sind die Grenzkosten gleich dem Grenzerlös ist eine weitere Einstellung sinnlos. Würde man nun noch mehr Leute beschäftigen, sind die Kosten sogar höher als der Erlös. Es gibt also eine objektive Grenze für die Lohnhöhe. Es ist klar: Ein Gastwirt kann nicht beliebig viel Personal einstellen, das wird zu teuer. Irgendwann wird er sagen: die Einstellung von Frau M. bringt mir gerade so viel ein, wie ich durch sie zusätzlich Geld verdiene. Grenzkosten = Grenzerlös. Stelle ich jetzt noch mehr Leute ein, würde ich sogar Verluste machen. Ich könnte zwar noch Leute brauchen, aber das wird zu teuer. Allerdings, übernimmt nun der Staat einen Teil der Lohnkosten, bräuchte ich ihnen weniger zahlen, könnte mehr Leute einstellen. Ein Teil der Grenzkosten wird nun vom Staat übernommen. Laut Wirtschaftstheorie liegt hier aber demzufolge auch bei Niedriglöhnen keine Ausbeutung vor, da die Arbeiter das erhalten, was ihre Arbeit wert ist.
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dieter
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Barbarossa hat geschrieben:Bemerkenswert ist ist aber, dass es selbst im sog. Niedriglohnsektor durchaus auch Tariflöhne gibt, die aber oft so niedrig sind, dass die Löhne durch Sozialleistungen aufgestockt werden müssen. Gewerkschaften sind offensichtlich nicht in allen Branchen in der Lage, Ausbeutung zu unterbinden.

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Lieber Barbarossa,
weil sie nicht in allen Sparten stark vertreten sind. :roll:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Schandi
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Wenn der Staat unterstützen muss, dann ist der Lohn meiner Meinung nach zu niedrig = Ausbeutung.
Da der Mensch von Natur aus egoistisch ist wird sich das auch nicht ändern.
Sobald jemand mehr verdient, als er zum Leben braucht (pauschal würd ich sagen >Durchschnittsverdienst) muss auf der anderen Seite auch einer die zusätzliche Leistung "abtreten" (ausgebeutet werden).

Gruß
Tom
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dieter
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Barbarossa hat geschrieben:Bemerkenswert ist ist aber, dass es selbst im sog. Niedriglohnsektor durchaus auch Tariflöhne gibt, die aber oft so niedrig sind, dass die Löhne durch Sozialleistungen aufgestockt werden müssen. Gewerkschaften sind offensichtlich nicht in allen Branchen in der Lage, Ausbeutung zu unterbinden.

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Lieber Barbarossa,
weil in den Neuen Bundesländern sehr viele Menschen sich nicht organisieren oder in sog. "Christlichen Gewerkschaften" sind. :roll:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Schandi
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dieter hat geschrieben: Lieber Barbarossa,
weil in den Neuen Bundesländern sehr viele Menschen sich nicht organisieren oder in sog. "Christlichen Gewerkschaften" sind. :roll:
Hallo Dieter.

Das eigentlich schlimme ist, dass man in einer intelligenten (jup kann man sich streiten ;)), aufgeklärten, technisierten Zivilisation überhaupt Gewerkschaften braucht, weil die Politik es nicht auf die Reihe bekommt, die Ausbeutung zu stoppen. :roll:

MfG
Tom
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Barbarossa
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dieter hat geschrieben:Lieber Barbarossa,
weil in den Neuen Bundesländern sehr viele Menschen sich nicht organisieren oder in sog. "Christlichen Gewerkschaften" sind. :roll:
Wie kommst du jetzt auf "Christlichen Gewerkschaften"? Denn, klick mal auf: Christliche Gewerkschaft nicht tariffähig


Wichtig wäre schon, daß sich mehr Leute in Gerwerkschaften des DGB organisieren.
:wink:
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Schandi hat geschrieben:
dieter hat geschrieben: Lieber Barbarossa,
weil in den Neuen Bundesländern sehr viele Menschen sich nicht organisieren oder in sog. "Christlichen Gewerkschaften" sind. :roll:
Hallo Dieter.

Das eigentlich schlimme ist, dass man in einer intelligenten (jup kann man sich streiten ;)), aufgeklärten, technisierten Zivilisation überhaupt Gewerkschaften braucht, weil die Politik es nicht auf die Reihe bekommt, die Ausbeutung zu stoppen. :roll:

MfG
Tom
Lieber Tom,
so isses. :wink:
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Barbarossa hat geschrieben:
dieter hat geschrieben:Lieber Barbarossa,
weil in den Neuen Bundesländern sehr viele Menschen sich nicht organisieren oder in sog. "Christlichen Gewerkschaften" sind. :roll:
Wie kommst du jetzt auf "Christlichen Gewerkschaften"? Denn, klick mal auf: Christliche Gewerkschaft nicht tariffähig


Wichtig wäre schon, daß sich mehr Leute in Gerwerkschaften des DGB organisieren.
:wink:
Lieber Barbarossa,
natürlich sollten sich alle Menschen in den Gewerkschaften des DGB organisieren. :wink: Die sog. "Christlichen Gewerkschaften" haben aber schon mit den Arbeitgebern Tarifverträge abgeschlossen, die für die Leute sehr ungünstig waren :roll: .
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