Deutschland - Föderal- National- Militär-Zentralstaat?

Diskussionen über die Mitgliedsstaaten der EU

Moderator: Barbarossa

Renegat
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Den Disput von Dietrich und Suebe in http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... 458#p48458 über die Hierarchien im Mittelalter wollte ich nicht stören, mir ist es letztlich nicht besonders wichtig, wann deutsch, tuidisk, Deutschland, deutsche Nation oder die deutschen Lande das erste Mal erwähnt wurden.
In einer Fernsehsendung mag das dazu gehören und da verkauft es sich besser, wenn das Datum möglichst weit zurück liegt. Das hat Tradition, schließlich gehört das Datum der ersten, urkundlichen Erwähnung zu den ersten Sätzen bei jeder Selbstdarstellung einer Stadt, Dorf, Firma oder was auch immer.
Für mich viel interessanter ist die Frage, inwieweit das jeweilige Lebensgefühl der Menschen betroffen war.

Deshalb möchte ich das extra diskutieren, denn Suebes Argument der langen, föderalen Struktur in D kann ich so einiges abgewinnen.
Die Folgen sieht man noch heute, in D gibt es keine alles überstrahlende Hauptstadt, wir haben eine Vielzahl von gewachsenen Zentren, alle mit ihrer eigenen, landestypischen Geschichte. Und das ist noch heute ein großer Standortvorteil.
Ob es in Italien ähnlich ist, wegen der etwas ähnlichen Geschichte, könnte man diskutieren. Andere Beispiele, wie England, Polen wären ebenso interessant. Aber auch, ob F wirklich das Gegenbeispiel als Zentralstaat ist, als das es meist etwas vereinfacht dargestellt wird.
Dietrich
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Renegat hat geschrieben: Deshalb möchte ich das extra diskutieren, denn Suebes Argument der langen, föderalen Struktur in D kann ich so einiges abgewinnen.
Dass Deutschland auf eine tausendjährige Föderation von Ländern, Territorien und halbsouveränen Staaten zurückblickt, ist überhaupt keine Frage. Allerdings werden die Folgen dieser Dezentralisierung heutzutage durchaus nicht immer negativ gesehen. Ein Resultat dieses Partikularismus ist z.B. die außerordentlich große kulturelle Vielfalt. In Frankreich ist alles auf das Zentrum Paris ausgerichtet und abseits der Hauptstadt herrscht kulturelle Einöde. Auch haben sich neben Paris kaum Großstädte gebildet. Hier haben wir allein vier Millionenstädte und zahlreiche andere über 500 000 Einwohner mit eigenständigen Theatern, Opernhäusern, Sinfonieorchestern, Universitäten u.a. Alles eine Frucht der zahlreichen deutschen Territorien, in denen jeder Landesfürst seinen Stolz dareinsetzte, ein glänzendes kulturelles Ambiente vorzuweisen. Im zentral regierten Frankreich gibt es das nicht und viele Länder blicken heute neidisch oder bewundernd auf die große kulturelle Vielfalt in Deutschland.

In wirtschaftlicher Hinsicht kann ich keinen großen Nachteil erkennen. Der Bauer musste seinen Zehnt sowohl in Frankreich als auch den Landesherrschaften des Heiligen Römischen Reichs abliefern. Und wie wir aus den cahiers de doleance - den Beschwerdebriefen - wissen, ging es den Franzosen im 18. Jh. so schlecht, dass daraus eine Revolution entstand. In Deutschland kam es kurz nach 1800 zum Deutschen Zollverein, der die Nachteile des Partikularismus mit zahlreichen Einzelstaaten milderte und später auch beseitigte.

Ob die Fähigkeit zu großen und fortdauernden Kriegen straff geführter Zentralstaaten für die Bevölkerung wünschenswert ist, sei dahingestellt. Frankreich war nach den unablässigen Kriegen Ludwigs XIV. pleite und musste Staatsbankrott anmelden. Die Folge war einige Jahrzehnte später die Revolution, da es dem Volk wirtschaftlich unglaublich schlecht ging.
Renegat
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Mmh Dietrich, irgendwas hast du mißverstanden. Weder Suebe noch ich haben die Föderalstruktur in D als negativ bezeichnet, ganz im Gegenteil. :D
Aber schön, dass du nochmal aufgelistet hast, was im anderen Thread in verschiedenen Beiträgen untergegangen ist. :clap:
Dietrich
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Renegat hat geschrieben:Mmh Dietrich, irgendwas hast du mißverstanden. Weder Suebe noch ich haben die Föderalstruktur in D als negativ bezeichnet, ganz im Gegenteil. :D
Aber schön, dass du nochmal aufgelistet hast, was im anderen Thread in verschiedenen Beiträgen untergegangen ist.
Es hat ja besonders zur Nazi-Zeit - aber auch an anderer Stelle - eine grundsätzlich negative Einstellung zur föderalen Vergangenheit Deutschlands gegeben. Da hat sich inzwischen eine Veränderung vollzogen, auf die ich hinweisen wollte.
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Barbarossa
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Dietrich hat geschrieben:
Renegat hat geschrieben:Mmh Dietrich, irgendwas hast du mißverstanden. Weder Suebe noch ich haben die Föderalstruktur in D als negativ bezeichnet, ganz im Gegenteil. :D
Aber schön, dass du nochmal aufgelistet hast, was im anderen Thread in verschiedenen Beiträgen untergegangen ist.
Es hat ja besonders zur Nazi-Zeit - aber auch an anderer Stelle - eine grundsätzlich negative Einstellung zur föderalen Vergangenheit Deutschlands gegeben. Da hat sich inzwischen eine Veränderung vollzogen, auf die ich hinweisen wollte.
Ja und auch in der DDR war das noch so. Dazu vielleich ein kurzer Abriss, weil ich glaube, dass das ganz gut hier rein passt:

Ich bin ja in der DDR zur Schule gegangen und in der dortigen Geschichtsbetrachtung hing das Wohl oder Wehe eines Reiches und werdenden Nationalstaats und seiner positiven Entwicklung von einer starken Zentralgewalt ab. Es wurde die Entwicklung in Deutschland verglichen mit der in Frankreich und man stellte eine gegensätzliche Entwicklung fest:
Frankreich war erst politisch zersplittert und wurde im Laufe der Zeit unter einer starken Zentralgewalt politisch geeint.
Deutschland machte die gegensätzliche Entwicklung durch. Unter den Sachsen noch von einer starken Zentralgewalt regiert, gab diese Stück für Stück immer mehr Privilegien an die Partikulargewalten ab und schwächte das Reich damit. Jede dieser Schwächungen wurde scharf kritisiert, weil dadurch die wirtschaftliche und vor allem gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland gehemmt wurde. Als Hauptursache für diese Schwächungen wurde die Italienpolitik der römisch-deutschen Kaiser gesehen, da diese sich für ihr Engagement in Italien durch die Abgabe von Privilegien die Ruhigstellung der Fürsten in Deutschland zu erkauften hofften.
Positiv wurde die Entwicklung des Frühkapitalismus im Deutschland des 15. und 16. Jh. gesehen, die durch den Dreißigjährigen Krieg und der darauffolgenden Phase der stärksten politischen Zersplitterung Deutschlands stark gehemmt wurde. Jede negative wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland hatte seine Ursache in dieser Zersplitterung Deutschlands (Es wurde tatsächlich stets so genannt - niemals wurde die Entwicklung des Föderalismus betrachtet und eventuelle Vorteile darin herausgearbeitet.).
Die Entstehung der Nationalstaaten wurde ebenfalls grundsätzlich als etwas Positives gesehen, nicht aber der "Militarismus" in Preußen und Deutschland.

Hintergrund dieser Geschichtsbetrachtung war natürlich - wie könnte es anders sein - die marxistisch-leninistische Ideologie, nach der nur in entwickelten Gesellschaften die nächst "höhere Stufe" der angeblich "gesetzmäßigen gesellschaftlichen Entwicklung" erreicht werden kann - also auf den Feudalismus folgt "gesetzmäßig" der Kapitalismus und auf diesen der Sozialismus... (würg)
Und eine rasche Fortentwicklung in diesem Sinne war nach diesen Ideologen erwünscht - jedes Hemmnis wurde demzurfolge scharf kritisiert.

So kann man sich den Geschichtunterricht in der DDR vorstellen. Es ist eigentlich ein Wunder, dass ich dennoch ziemlich früh ein Interesse dafür entwickelte. Ich kann mich aber erinnern, dass ich diesen ideologischen Quatsch für mich selbst auszublenden versuchte und konzentrierte mich bei meinem Interesse zunächst auf die zahlreichen Karten im Geschichtsbuch und die territoriale Entwicklung des römisch-deutschen Reiches und Deutschlands und war erstaunt, wie groß Deutschland doch einmal war. Aus diesem Blickwinkel heraus sah auch ich die Schwächung der kaiserlichen Macht recht kritisch. Dass es da auch Vorteile geben könnte, habe ich nie geahnt. Gibt es da noch mehr zu nennen?
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Renegat
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Danke Barbarossa, jetzt wissen wir endlich, woher du deine Vorliebe für den straffen Nationalstaat hast. :)
Für BRD-ler ist ein Zentralstaat D sowas von fremd, wir sind ja in der Bundesrepublik aufgewachsen mit der Zufallshauptstadt Bonn und vielen Städten und Ländern, die sich auch gegenseitig Konkurrenz machten. Und Konkurrenz belebt das Geschäft.
Starre Zentralen dagegen lähmen den Fortschritt, sind oft zu schwerfällig für Reformen.
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Barbarossa
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Ach nö, so kannste das auch nicht sagen. Ich will doch die Bundesländer in D. nicht abschaffen und sogar die Zusammenlegung von Bundeländern gegen den Willen der Bevölkerung würde ich ablehnen. Aber einen gesunden Nationalstolz halte ich schon für wichtig.
;-)
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Renegat
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Um Nationalstolz geht es hier nicht oder nur ganz am Rande, denn der würde mehr zum Nationalstaat passen oder zum Militärstaat, den Suebe auch schon im anderen Thread angeführt hat.
Hier ging es mir darum, zu diskutieren, was Deutschland heute ist und was es die längste Zeit seiner Geschichte war und was deshalb das Land aber auch das Lebensgefühl seiner Bürger geprägt hat.
Die längste Zeit waren die deutschen Lande nun mal der Flickenteppich aus unterschiedlichsten Herrschaften, wie er etwas abfällig genannt wurde. Der hatte die bekannten Nachteile, die man durch Zollverein etc überwinden konnte.
Er hatte aber eben auch viele Vorteile und von dem, was er uns an regionaler Infrastruktur und gewachsenen Unterschieden hinterlassen hat, profitieren wir noch heute. Wir haben ziemlich regelmäßig über D verteilt, Millionenstadte, Großstädte, Städte, Kleinstädte und Dörfer, die alle schon sehr lange ihre Funktion erfüllen bzw sich immer wieder an neue Funktionen anpassen.



In die Betrachtung einbeziehen würde ich weitere Teile des östlichen Mitteleuropas, deren Strukturen ähnlich waren.
Lia

Deutschland? Findet sich in Zwei- und Vier-Jahresabständen zur Fußball- EM oder WM.
Renegat hat geschrieben:Für mich viel interessanter ist die Frage, inwieweit das jeweilige Lebensgefühl der Menschen betroffen war.
Das ist auch die Frage, die ich immer hinter der Frage hatte.
Möglicherweise lässt die sich nicht für alle Regionen gleich beantworten, wenn überhaupt.
Bei den stolzen Hanseaten nebenan: Sicher, die wussten, dass sie zu Deutschland gehörten, aber in allererster Linie waren sie zu unterschiedlichen Bedingungen, Lübecker. Die Identifiaktion mit einem Gesamt-Deutschland hat man Napoleon zu verdanken.
Aber auch, ob F wirklich das Gegenbeispiel als Zentralstaat ist, als das es meist etwas vereinfacht dargestellt wird.
War es nicht, drum hatte ich in einem Post auch schon eingeschränkt. Frankreich war lange Zeit weder kulturell noch sprachlich einheitlich. Dennoch war in den Kernlanden das Verständnis von "wir sind Franzosen" früher erkennbar als in den östlichen Teilen des alten Karolinger-Reiches. Das verfestigte sich im MA, trotz zahlreicher Auseinandersetzungen zwischen König und mächtigen Adligen, die ihren Dienstherrn gelegentlich ziemlich abzockten, wenn der sie mal gerade gegen die Plantagenets brauchte. Dennoch erscheint Frankreich geschlossener, sich der Nation bewusster als der Nachbar im Osten.
Die Folgen sieht man noch heute, in D gibt es keine alles überstrahlende Hauptstadt,
Na, das mit der Hauptstadt sehen die Berliner aber anders... :) und wird Rest-Deutschland ja auch so beigebracht.
wir haben eine Vielzahl von gewachsenen Zentren, alle mit ihrer eigenen, landestypischen Geschichte. Und das ist noch heute ein großer Standortvorteil.
So ist es, und das ist auch gut so. Zwischen Zusammenarbeit der Länder und gesunder Konkurrenz liegt eine Spanne, die mehr Bewegung bringt als irgendeine Berliner Zentralregierung.
Föderale Strukturen sind- zumindest unter heutigen Bedingungen, eine eine Alternative zu einem riesigen Beamtenapparat in Berlin und in Brüssel, wo weit weg vom Geschehen noch mehr Entscheidungen gefällt würden, die an den tatsächlichen Gegebenheiten vorbeigehen. Bisweilen anstrengend, wenn die Konkurrenz dahin geht, dass ein Minister für sein Land mehr zuteilt, wo es woanders dringlichere, die gesamte Republik betreffende Notwendigkeiten gibt, aber lieber das als irgend so einen Berliner- preußisch angehauchten Einheitsstaat.
Barbarossa hat geschrieben:Aber einen gesunden Nationalstolz halte ich schon für wichtig.
Was ist das? Muss man den wirklich haben? Dann allerdings habe ich ein Defizit.
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Barbarossa
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Lia hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben:Aber einen gesunden Nationalstolz halte ich schon für wichtig.
Was ist das? Muss man den wirklich haben? Dann allerdings habe ich ein Defizit.
Naja, ich will das nun nicht zur Pflicht erheben, aber wirklich verstehen tue ich das nicht, wenn jemand sagt, er könne keinen Stolz auf sein Land/Heimat, Sprache, Kultur und seine Vorfahren empfinden. Denn das gehört ja alles mit dazu.
Und ohne das würde auch das folgende nicht stattfinden können:
Lia hat geschrieben:Deutschland? Findet sich in Zwei- und Vier-Jahresabständen zur Fußball- EM oder WM.

Aber das ist nur ein Ausdruck für das, was bei einem nicht geringen Teil der Bevölkerung ständig vorhanden ist.
:wink:
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Aneri

Renegat hat geschrieben:Die längste Zeit waren die deutschen Lande nun mal der Flickenteppich aus unterschiedlichsten Herrschaften, wie er etwas abfällig genannt wurde. Der hatte die bekannten Nachteile, die man durch Zollverein etc überwinden konnte.
Er hatte aber eben auch viele Vorteile und von dem, was er uns an regionaler Infrastruktur und gewachsenen Unterschieden hinterlassen hat, profitieren wir noch heute. Wir haben ziemlich regelmäßig über D verteilt, Millionenstadte, Großstädte, Städte, Kleinstädte und Dörfer, die alle schon sehr lange ihre Funktion erfüllen bzw sich immer wieder an neue Funktionen anpassen.
Genau wir profitieren heute. In der Vergangenheit hat es zur Folge, das die Entwicklung gehemmt wurde (in dem Sinne kann man wirklich über "Zersplitterung" sprechen. Deutschland kam auf Weltbühne, wann schon alle Ressourcen (Kolonialisierung) von anderen - früher schon zentralisierten Staaten - erobert wurden. Das imperiale Bestreben Deutschlands wurde schon von etablierten (zentralisierten) Mächten "künstlich" gehemmt. Es war auch der Auslöser des ersten W.K., der mi kleiner Unterbrechung in 2 überging. Es ist wie ein kochendes dicht geschlossenes Topf, dessen "Explosion" gesetzmäßig war (ich meine Naturgesetze :wink: ) In dem Sinne kann man die Ursache der WK sehen daran, dass Deutschland zu lange in feudalistischen Flickensystem verharrte und zur "Partie" kam, wenn die schon beendet wurde.

Ähnlich ist ein autoritäres Regime (Analogie zum starken Zentralismus) nicht unbedingt schlechteres System als demokratisches (Analogie zur Föderation). Es geht um Randbedingungen. Wenn man schnell effektiven aber nicht populären Reformen durchsetzen muss, dann ist es mit demokratischen Mitteln fast unmöglich. Es wird hin und her bewegt, da jede eigene Interessen hat, man hat Angst von den Wählern u. s. w. Eine Person, die nicht auf anderen Blicken muss, wenn sie Entscheidungen trifft, kann so etwas durchziehen. Wenn es aber Fehlentscheidung ist, dann auch ihre Folgen maximieren sich. Demokratische Regime lassen nicht das potentielle "positive" Maximum erreichen, aber auch niemals sinken auf das "negative" Maximum. Sie bewegen sich stabil in dem Mittelbereich. Es ist ihre Stärke und zugleich ihr Schwäche.

Übrigens, wenn man über die Kulturvielfalt spricht, dann ist es in Frankreich bestimmt nicht anders. Lokale kulturelle Identität wird gepflegt. Es ist aber der großter Unsinn in einem Staat (deutschland) vershiedene Programme in Ländern für Schulen zu haben, so dass keine "Bewegungsfreiheit" für die Schüler (und damit einschränkende Mobilität ihrer Eltern) sich ergibt. Soll somit Wissenschaft als Lokalkultur sich äußern?
In die Betrachtung einbeziehen würde ich weitere Teile des östlichen Mitteleuropas, deren Strukturen ähnlich waren
Nicht umsonst war Italien der Deutschland Verbündeter. Auch sie litt an späterer Konsolidierung. Ihre Unterschied zur Deutschland liegt in ihrer Geographie (abseits), kulturellen Gegebenheiten (Familienverbände, Sitten etc.) und ihre Geschichte.
Lia

Aneri hat geschrieben:Übrigens, wenn man über die Kulturvielfalt spricht, dann ist es in Frankreich bestimmt nicht anders. Lokale kulturelle Identität wird gepflegt.
Doch, es ist anders. Trotz der Regionalisierung und Lokalkolorit ist Paris bzw. die Ile de France dominant.
Kann ich mal so nach langen Aufenthalten und im engen Kontakt mit Franzosen, die ihrerseits Deutschlands Vielfalt kennen, so sagen.
Hamburg, München, Frankfurt, Kulturraum Ruhrgebiet, wo jede Stadt wieder eigene ausstrahlende Akzente setzt, Dresden, usw. usw. Berlin ist einer von vielen Orten, möchte gern dominant sein, ist es aber nicht.
Derart viele hochrangige unterschiedliche Kristallisationspunkte im kulturellen Leben hat man in Frankreich nicht.
Ein wenig mehr Zentralismus im Schul- und Hochschulbereich wäre schon wünschenswert, wer mit schulpflichtigen Kindern von einem Bundesland ins andere ziehen muss, weiß um die Ungleichheiten in Lerninhalten und Anforderungen.

Immerhin schon segensreich, dass wir innerhalb der Bundesländer zentrale Abschlussprüfungen haben. Ein Vergleich dann wieder S-H und NRW wirft Fragen auf...
[="Aneri"quote]Soll somit Wissenschaft als Lokalkultur sich äußern? [/quote]
Wissenschaft und Forschung sind eine andere Sache, da ist durchaus eine Konkurrenz und Kompetenz und Standorte oft nützliche Antriebskraft. Mit Ausstrahlung auf die Region, sogar innerhalb eines Bundeslandes.
Der Zusammenschluss war unumgänglich, Lübeck blieb erhalten, weil es in Wissenschaft und Forschung an den Standort gebundene Schwerpunkte gibt, die weder Kiel noch eine andere Uni in der Form aufweisen.
Logo bemüht man sich, wissenschaftliche Einrichtungen ins Land zu ziehen, und/ oder sie zu halten bzw. neue zu gründen.
Hindert aber nicht an Zusammenarbeit, mal gar nicht auf interantionaler Ebene.
Föderales System? Ja. Auch, weil ich inzwischen beobachte, dass gerade in der globalisierten Welt Wurzeln wichtig sind.
Greade, um nicht den Halt beim Blick in die Welt zu verlieren.
Zu verstehen und zu lernen, dass man sich verorten kann, ohne in die Untugenden von Kirchturmspolitik im Kleinen und Nationalismus und negativer Abgrenzung im Großen zurückzufallen, ist wichtig.
Barbarossa hat geschrieben: ...aber wirklich verstehen tue ich das nicht, wenn jemand sagt, wenn jemand sagt, er könne keinen Stolz auf sein Land/Heimat, Sprache, Kultur und seine Vorfahren empfinden. Denn das gehört ja alles mit dazu.
Musst Du auch nicht. Stolz ist eine der 7 Todsünden, so ein Körnchen Richtigkeit steckt drin.
Ich habe grundsätzlich Probleme mit dem Wort, mal gar im Zusammenhang mit Nationalität und Identifikation.
Ich liebe meine Muttersprache, ein Vaterland in dem Sinne habe ich eher nicht.
Ich bin mir meiner kulturellen und sprachlichen Wurzeln bewusst, vieles in diesem Land ist gut, auch in seiner Geschichte, vertrete ich sogar und bekomme "Prügel", weil ich dieses Land nicht auf 12 Jahre Geschichte reduzieren lasse, aber Stolz?
Nö, ein inzwischen gesundes Selbstbewusstsein, was den Umgang mit meiner Staatsangehörigkeit und der deutschen Geschichte und Kultur angeht, mehr nicht. ( Wobei ich mit manchem in der deutschen Mentalität überhaupt nicht gut klar komme und ich durchaus fremdle..)
Nationalstaat:
Können wir bleiben, wie alle Staaten Europas. Die Chancen, dass wir den Umgang mit der Vielfalt und den Unterschieden lernen, dass wir austauschen, wo es passt, aber nicht im zwangsverordeten Einheitsbrei enden, stehen besser als je, bei allen Schwierigkeiten, die nunmal unterschiedliche Kulturen und Sprachen mit sich bringen.
Militär- und Zentralstaat? Hatten wir- und müssen wir nicht wieder haben. Nicht deutsch, nicht europäisch.
Dietrich
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Aneri hat geschrieben:
In der Vergangenheit hat es zur Folge, das die Entwicklung gehemmt wurde (in dem Sinne kann man wirklich über "Zersplitterung" sprechen. .
Ich bin durchaus der Meinung, dass das Reich ein politischer Verband war, der Anerkennung verdient. Die Konzentration aller Macht an der Staatsspitze ist für mich nicht der Gipfelpunkt politischer Erkenntnis; achtbar ist auch eine alternative Lösung wie das "Reich": ein vornationaler Verband mit einer starken föderalen Komponente. Es bot die Rahmenbedingungen, innerhalb derer unterschiedlichste politische Gebilde in einem fruchtbaren Nebeneinander existieren konnten: Das Reich vermochte es, fürstliche, kirchliche und bürgerliche Elemente zu integrieren, ohne deren Freiheit wesentlich zu beschneiden.

Zur Lösung politischer Probleme seiner Gliedstaaten kannte das Reich eine Reihe regionaler Institutionen wie z.B. die Reichskreise, was das politische Bewusstsein und die Handlungsfähigkeit nachgeordneter regionaler Gewalten stärkte. Heute wird das im politischen Alltag als "Subsidiaritätsprinzip" bezeichnet, was allgemein als erstrebenswert erachtet wird.
Weitere Institutionen und zentrale Organe wie der Reichstag oder das Reichskammergericht gewährleisteten die Handlungsfähigkeit des gesamten Reichsverbandes, ohne indes die Interessen kleinerer Herrschaftsträger zu übergehen. Sie alle hatten Sitz und Stimme im Reichsfürstenrat des Reichstags, sei es auf der Fürstenbank, in den Reichsgrafenkollegien, bei den Reichsprälaten oder auf der Städtebank. Somit waren auch kleinere Herrschaftsträger in die politische Entscheidungsfindung auf Reichsebene eingebunden und dem Staat nicht als subalterne Befehsempfänger entfremdet. Eine besondere Leistung des Reichs ist die Integration der drei großen Konfessionen in den Reichsverband durch ein umfassendes religiöses Toleranzprinzip, auch wenn das erst nach langen blutigen Auseinandersetzungen gelang.

Über die kulturelle Vielfalt, die das Nebeneinander vieler Herrschaftsträger mit sich brachte, habe ich bereits oben geschrieben. Die zahlreichen kleinen und mittleren Höfe konkurrierten miteinander und brachten es zu großer Ausstrahlungskraft, was politisch und kulturell fruchtbar wirkte. Somit hatte das Reich nicht nur einen großen politischen, sondern auch einen gesellschaftlichen und kulturellen Gravitationskern. Wenn wir heute eine Vielzahl von Theatern und Opernhäusern mit eigenen Ensembles (!) haben, dazu zahlreiche Sinfonieorchester, Universitäten und städtische Zentren, so ist das ein Ergebnis des föderalen Reichsverbundes. Das bedeutet Vielfalt in der Einheit, ganz im Gegensatz zum Staatsprinzip des Absolutismus.

Diese Leistungen des Reichs und seiner zahlreichen regionalen Herrschaftsträger gehen oft unter hinter einer gewissen Polemik, die lediglich von "elender Kleinstaaterei" spricht, ohne indes die positiven Seiten des Reichsverbandes zu sehen. Und ob die Fähigkeit straff geführter Zentralstaaten zu großen Kriegen für die Bevölkerung wünschenswert ist, sei dahingestellt. Frankreich war nach den unablässigen Kriegen Ludwigs XIV. pleite und musste Staatsbankrott anmelden. Die Folge war einige Jahrzehnte später die Revolution, da es dem Volk wirtschaftlich unglaublich schlecht ging.
Aneri

Lia hat geschrieben:Hamburg, München, Frankfurt, Kulturraum Ruhrgebiet, wo jede Stadt wieder eigene ausstrahlende Akzente setzt, Dresden, usw. usw.
Gut Frankreich kenne ich nicht. Aber aufgrund meiner Erfahrung (ehem. Sowjet Union) hat jeder Stadt eigene ausstrahlende Akzente. Ich könnte in meiner Jugend Wetten gewinnen, indem ich jeden aus Kaunas (zweitgrößter nach Hauptstadt Vilnius) stammenden identifizieren könnte. Ähnliches kann man über Moskau und Petersburg (aber auch viel kleiner Städte: Toms, Irkutsk, Novosibirsk etc.) sagen. Eine Stadt hat schon s. z. definitionsgemäß eine "Ausstrahlung", der sehr oft mit seiner Größer zusammenhängt. "Eigene" wird es durch die Entwicklung, durch Lokalität.
Derart viele hochrangige unterschiedliche Kristallisationspunkte im kulturellen Leben hat man in Frankreich nicht.
Nein. Schon allein Größenunterschiede (nach Paris sind andere mind. 7 mal! kleiner) erlauben es nicht. Wobei ein mächtiger Kristallisationspunkt statt vielen kleineren muss doch nicht negativ bewertet sein, oder? Größere Stadt bietet mehr Möglichkeiten, wird anziehender und somit auf Dauer sichert eigens Überleben. Infrastruktur (Museen, Forschung) kann konzentrierter erfolgen. Die Dichte und Wechselwirkungsrate scheint eine Rolle auch in sozialen Gebilden spielen, nicht nur in der Natur. So ein großer Stern erzeugt durch seine Entwicklung schwere Elemente, zu dem ein kleiner Stern nicht fähig ist.

Die Städte allgemein sprengen die lokale Kultur. Sie sind eher interkulturell zu bewerten. Sicher gibt es Unterschiede zwischen Hamburg und Frankfurt. dennoch müssen sie nicht überbewertet sein. Der Unterschied besteht nicht in seiner städtischen Identifikation, eher in dem was er aus der lokalen Umgebung "angesaugt" hatte. Umso größer Stadt umso mehr international, interkulturell er bewirkt wird. Durch die Fusion der Lokalen Kultur mit Interkulturellen entspringt etwas Neues.

Unlängst hatte ich Sendung über Marsaille gesehen. Ich glaube nicht, dass dort fehlt an der Identitätsbewusstsein...
Lia

Wobei ein mächtiger Kristallisationspunkt statt vielen kleineren muss doch nicht negativ bewertet sein, oder?
Nicht grundsätzlich, kann aber auch erdrückend, erstickend sein. War so in Frankreich über lange Zeit.
Die Städte allgemein sprengen die lokale Kultur.
Sie schaffen neue, und zwar auf engem Raum unter Identifiaktion mit der Stadt.
Der Unterschied besteht nicht in seiner städtischen Identifikation
Doch, durchaus, als Kind des Ruhrgebiets konnte ich genau das erleben. Auf engstem Raum.
Größere Stadt bietet mehr Möglichkeiten, wird anziehender und somit auf Dauer sichert eigens Überleben. Infrastruktur (Museen, Forschung) kann konzentrierter erfolgen.
Paris ist nicht eines jeden Franzosen Traum-Arbeits- und Lebensort. Eher Albtraum. Sogar für gebürtige Parisiens, die von Lyon nach Paris versetzt werden sollen. Eine solch dominierende Kapitale und Umland bringen erhebliche Probleme mit sich, bis mitten hinein ins Leben.
Darüber hinaus noch andere.
Konzentration auf einzelne Orte, womöglich einen einzelnen Ort, birgt immer die Gefahr des statisch Werdens, der Selbstbezogenheit, des verengten Blickes und des Abhängens des restlichen Landes.
Das wieder gilt sogar für mein Bundesland, das ziemlich klein ist.
Auf Deutschland bezogen wäre es ein Albtraum, alle möglichen kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen in Berlin, das eh schon um sich selbst kreist, zu konzentrieren. Folgerichtig würde Rest des Landes dafür ausbluten. Wirtschaftlich, kulturell, geistig.
Die Diversität, wie wir sie noch haben, ist ein hohes Gut.
Unlängst hatte ich Sendung über Marsaille gesehen. Ich glaube nicht, dass dort fehlt an der Identitätsbewusstsein...
Marseille hat eine Sonderstellung, erst relativ spät mit Frankreich vereint. Der Midi hat so seine Besonderheiten, die auch sprachlich gelebt werden, ja.
Das regionale Identitätsbewusstsein in Frankreich unterscheidet sich aber dennoch gewaltig vom deutschen Föderalismus.
Hat sich so durch den Lauf der Geschichte ziemlich ergeben, la patrie d'abord.
Sicherlich gab und gibt es allenthalben in Frankreich eine regionale Verankerung, daran änderte der nur zögerlich aufgegebene Zentralismus nichts.
Die Kräfte, die durch größere Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Unabhängigkeit von Paris freigesetzt wurden und werden, zeigen allerdings, wie erstickend die Pariser Dominanz ( und Arroganz) war.
Bei allen organisatorischen Problemen, die die Dezentralisierung und Regionalisierung in F mit sich brachte und bringt, so ist sie sich doch als nützlich und neue Dynamik bringend erwiesen.
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