Polen - ein Gewinn für die EU

Diskussionen über die Mitgliedsstaaten der EU

Moderator: Barbarossa

Benutzeravatar
Gontscharow
Mitglied
Beiträge: 363
Registriert: 14.09.2014, 01:14

Gleich mal vorab : Ich bin "polonophil" :) Ich hoffe jetzt mal, daß es dieses Wort gibt.
Die Umstände meiner Zuneigung zu Polen haben einige ganz private Gründe,
aber es gibt auch politisch-historische Gründe.
Als ich das erste Mal in Polen war - in Warschau - war ich als Mensch, dem Geschichte sehr
präsent ist, gehemmt. Es fing schon damit an, daß ich im Bus vom Hauptbahnhof in einen
Vorort immer recht leise mit meinem ukrainischen Freund Alexey geredet habe, den
ich dort getroffen hatte.Wir reden immer in einem Gemisch aus Deutsch und Russisch...
beide Sprachen sehe ich Polen als eher belastet an :oops: und ich wollte keine
Aufmerksamkeit auf uns ziehen.

Also habe ich es mit Englisch versucht, es aber schnell wieder aufgegeben, weil das zum damaligen
Zeitpunkt nur die Schulkinder verstanden haben.
Mir gefällt so vieles an Polen, unter anderem ihr Geschichtsbewußtsein und wie es sich im Alltag
manifestiert. Ich habe noch nie so viele Gedenktafeln, Denkmäler und Erläuterungen zur Geschichte
gesehen wie in Warschau ..... fast immer mit tragischem Hintergrund. Die zahllosen Gedenkstätten für Johannes Paul II.
hatten mich schon fast amüsiert.
In ökonomischer Hinsicht sind die Polen die Musterschüler der EU, das Land hat sich in den letzten 25 Jahren rasant
verändert.So rasant, daß selbst den chauvinistischsten Deutschen ihre dämlichen Polenwitze ausgegangen sind :clap:
Ich freue mich, daß das deutsch-polnische Verhältnis nach der vorübergehenden Eintrübung in
der Kaczynski-Ära heute wieder harmonisch und gut ist.
Polen ist mein Lieblingsland in Europa.Wobei mein Polenbild hauptsächlich von der Hauptstadt Warschau geprägt
ist, in der ich durch gewisse Umstände ziemlich viel Zeit verbracht habe. Den Rest des Landes kenne ich fast gar nicht,
möchte ihn aber kennen lernen.
ehemaliger Autor K.

Ich bin in meinem Leben nur ein einziges Mal in Polen gewesen und zwar im Jahre 1975. Das ist schon ein wenig her, aber mir hat das Land auch sehr gut gefallen und zwar war ich überrascht von der ungeheuren Freundlichkeit der Menschen. Auf Einladung einer UNO-Organisation verbrachte ich eine Woche auf einer Tagung in einem kleinen Ort im ehemaligen Ostpreußen. Es war im Winter, eine wunderschöne Landschaft, die tiefen, verschneiten Wälder und die zugefrorenen Seen, einfach traumhaft. Anschließend besuchte ich Posen, Bromberg, Thorn und Warschau. Die alten, deutschen Städte hatten sie wundervoll restauriert und zeigten sie voller Stolz, vor allem Thorn hat mich begeistert, ein Ort mit mittelalterlicher Stadtkulisse.

Die Versorgungslage begann damals schon kritisch zu werden, in dem Dorfladen in Ostpreußen gab es eigentlich nur Wodka zu kaufen, davon aber reichlich. Das Essen auf der Tagung war auch einfallslos. Ich erinnere mich nur an den ständigen Kartoffelbrei ohne Soße, ein wenig Fleisch und spärliches Gemüse. Auch das Essen in den Lokalen war nicht schmackhaft und es gab wenig zur Auswahl.

Unsere Delegation war begleitet von polnischen, kommunistischen Funktionären, die waren allerdings alle schon im Westen gewesen und hatten sehr lockere Umgangsformen. Sie wollten gerne mit uns schwarz Geld tauschen, was wir auch machten. Auf der Tagung war auch ein FDJ-Funktionär aus der DDR gewesen mit Dolmetscherin, weil er kein Englisch konnte. Er drosch nur Phrasen der allerschlimmsten Art und erregte auch bei den Teilnehmern aus dem Ostblock nur Widerwillen. Seine Dolmetscherin meinte zu mir im Vertrauen: „Er ist ein Arschloch“. Das war nicht zu übersehen.

In Thorn besuchten wir eine Reihe von Kirchen. Ganz nett, aber auf die Dauer langweilig. Die kommunistischen Funktionäre aus Polen fielen jedes Mal vor den Statuen der Jungfrau Maria nieder, bekreuzigten sich und sprachen kurze Gebete. Da ich für Religion nicht viel übrig habe, fühlte ich mich ein wenig befremdet. Ein Schwede meinte zu mir: „Wir besuchen die Kirchen wohl nur, damit die doofen Kommunisten hier in Ruhe beten können.“
Na gut, wie dem auch sei. In dem neuen Polen bin ich noch nie gewesen.
Renegat
Mitglied
Beiträge: 2045
Registriert: 29.04.2012, 19:42

Karlheinz hat geschrieben: Na gut, wie dem auch sei. In dem neuen Polen bin ich noch nie gewesen.
Ich auch nicht, leider. Deshalb will ich demnächst hin. Von Menschen, die dort waren, hört man viel gutes. Am meisten beeindruckt hat mich die Aussage eines Expolen, der in den späten 80ern als Jugendlicher nach D kam und der heute oft mit seinen Kindern die Verwandten in Polen besucht. Seine Kinder wollen nach Polen ziehen, er nicht mehr, wenn sie erwachsen sind, weil Polen in den Augen der heutigen Jugendlichen moderner, offener und jünger ist.
Benutzeravatar
Gontscharow
Mitglied
Beiträge: 363
Registriert: 14.09.2014, 01:14

Interessant zu hören, wie es in den 70-er Jahren war. Nach Masuren im Winter möchte ich auch noch mal !
Daß es damals mit der Versorgung haperte, war ja nicht auf Polen beschränkt, sondern traf alle RGW-Staaten.Polen aber wohl
zeitweise am stärksten.
Hat sich schwer geändert und ins Gegenteil verkehrt - ich habe in Warschau manchmal über die Vielzahl von
Coca-Cola Automaten gelächelt ... sie stehen dort sogar in Buchhandlungen ( was man als bibliophiler
Deutscher sicher etwas merkwürdig findet, sich aber aus der Mangelwirtschaft der Vergangenheit erklärt)
@ Renegat : Das deckt sich mit meinen Erfahrungen. Deutsche Jugendliche, die selbst in Polen waren, finden
es toll dort. Meine sehr reiselustige jüngste Nichte ist auch Polenfan und sagt, daß es ihr dort sehr gefällt.
Die polnischen Freunde, die sie als Austauschschülerin gewann, hat sie immer noch und sie besuchen sich gegenseitig.
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Ihr Lieben,
ich kenne das heutige Polen nur durch meine Flucht 1945 aus Pommern. Habe nach dem Geschehenen auch kein Bedürfnis es zu besuchen. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Benutzeravatar
Triton
Mitglied
Beiträge: 1909
Registriert: 09.10.2012, 10:30

Was ist denn das Besondere an Ostpreußen? Das habe ich schon so oft gehört. Der Himmel sei anders als sonst - darunter kann ich mir schwer etwas Konkretes vorstellen.

Besuchen Sie Polen - Ihr Auto ist schon da!
Dieser Witz hatte realen Hintergrund. Muss man immer noch so auf sein Gepäck aufpassen?
"Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, in dem man sie ignoriert." (Aldous Huxley)
Benutzeravatar
Gontscharow
Mitglied
Beiträge: 363
Registriert: 14.09.2014, 01:14

Warschau kam mir sicherer, sauberer,moderner und ordentlicher vor als meine
Heimatstadt Münster - ich denke, das beantwortet deine Frage, Triton :)
Kaczynski als Bürgermeister hatte diese "zero tolerance" Politik aus den USA
kopiert, das merkt man bis heute ziemlich im Straßenbild.
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Triton hat geschrieben:Was ist denn das Besondere an Ostpreußen? Das habe ich schon so oft gehört. Der Himmel sei anders als sonst - darunter kann ich mir schwer etwas Konkretes vorstellen.

Besuchen Sie Polen - Ihr Auto ist schon da!
Dieser Witz hatte realen Hintergrund. Muss man immer noch so auf sein Gepäck aufpassen?
Lieber Joerg,
das ist die Frage. :wink: :mrgreen:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Benutzeravatar
Gontscharow
Mitglied
Beiträge: 363
Registriert: 14.09.2014, 01:14

Lieber Dieter

Natürlich akzeptiere ich voll und ganz, daß du aufgrund deiner Erfahrungen als Flüchtling aus dem Osten
nie wieder nach Polen möchtest. Teilen meiner Familie ging es mit der Ukraine genau so.
Aber das Polen von 2014 hat mit dem Polen des Jahres 1945 wenig mehr als den Namen gemeinsam,
es ist ein völlig anderes Land geworden. Darauf wollte ich u.a. in diesem Thema hinweisen.
Was es mit dem ostpreußischen Himmel auf sich hat, weiß ich nicht.Ich kann dir nur sehr grob sagen,
daß bei uns in Norddeutschland der Himmel zu allen Jahreszeiten anders aussieht und sich anders "anfühlt" als z.B. am Mittelmeer
oder weit im Osten Europas.Ich würde auch gerne mal die Nordlichter im hohen skandinavischem Norden sehen,
das fände ich bestimmt wunderbar. Also .... es gibt da schon Unterschiede.
Lia

Geht mir wie Gontscharow, ich mag Land und Leute seit den ersten Begegnungen hüben wie drüben. Die sind schon lange her, als kaum jemand glaubte, Polen könne eines Tages ein EU-Land werden..
Die Kontakte und ersten Reisen datieren zu Zeiten, als man in Deutschland-West misstrauisch beäugt wurde, pflegte man Kontakte dorthin,bevor noch Solidarnosc entstand und zur Macht wurde.
Modern und offen waren die Polen schon damals, zumindest die Intelligentia, die mit einem ganz speziellen Humor die Kunst des Überlebens auf Polnisch darstellte. Sogar unter Jaruzelki und Kriegsrecht lebte man zwar arm, aber offeneren Geistes als im deutschen Osten.
Man genoss als Student im Campingbus sehr viel mehr Freiheit als in der DDR, auch auf dem platten Land. Da habe ich ähnliche Erfahrungen wie Karlheinz gemacht- die geeichten ostdeutschen strammen Kommunisten mochte man nicht, uns kapitalistische Westdeutsche schon- und nicht wegen der Knete, die wir als Studenten eh nicht hatten, sondern ob des freien Meinungsaustausches und- unter Historikern, dem Bemühen, die deutsch- polnischen Beziehungen ohne Scheuklappen aufzuarbeiten.
Wer damit leben kann, dass man Prioritäten anders setzt und setzen musste nach als deutschem Gusto, der konnte und kann sich in Polen wohlfühlen. Intelligent, fleißig, offen, gastfreundlich. Das Wort Leistung ist dort kein Schimpfwort.
Die blöden Polenwitze, mal gar die gängigen Vorurteile, gingen und gehen mir auf den Keks, stimmen einfach nicht.
Karlheinz hat geschrieben:Am meisten beeindruckt hat mich die Aussage eines Expolen, der in den späten 80ern als Jugendlicher nach D kam und der heute oft mit seinen Kindern die Verwandten in Polen besucht. Seine Kinder wollen nach Polen ziehen, er nicht mehr, wenn sie erwachsen sind, weil Polen in den Augen der heutigen Jugendlichen moderner, offener und jünger ist.
Das ist kein Einzelfall, die Kinder einer deutsch- polnischen Familie aus dem Dorf sind teilweise zurück nach Polen gegangen, auch etliche meiner einstigen Spätaussiedler-Schüler-Familien sind, nachdem Polen demokratisch wurde, zum Teil zurück nach Polen gegangen.
Masuren? Ostpreußen? Man muss dort gewesen gewesen und sicherlich auch eine Affintät zur Landschaft haben, um den Reiz zu verstehen, egal, ob nun polnisch oder russisch.
Conzaliss hat geschrieben:Vom Tourismus her fand ich das Land etwas unterentwickelt - doch das mag sich inzwischen geändert haben...
Man bemüht sich, man bemüht sich allerdings auch um sanften Tourismus statt um Bettenburgen. Eher an Skandinavien orientiert- und das ist auch gut so.
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Gontscharow hat geschrieben:Lieber Dieter

Natürlich akzeptiere ich voll und ganz, daß du aufgrund deiner Erfahrungen als Flüchtling aus dem Osten
nie wieder nach Polen möchtest. Teilen meiner Familie ging es mit der Ukraine genau so.
Aber das Polen von 2014 hat mit dem Polen des Jahres 1945 wenig mehr als den Namen gemeinsam,
es ist ein völlig anderes Land geworden. Darauf wollte ich u.a. in diesem Thema hinweisen.
Was es mit dem ostpreußischen Himmel auf sich hat, weiß ich nicht.Ich kann dir nur sehr grob sagen,
daß bei uns in Norddeutschland der Himmel zu allen Jahreszeiten anders aussieht und sich anders "anfühlt" als z.B. am Mittelmeer
oder weit im Osten Europas.Ich würde auch gerne mal die Nordlichter im hohen skandinavischem Norden sehen,
das fände ich bestimmt wunderbar. Also .... es gibt da schon Unterschiede.
Lieber Gontscharow,
schön dass Du Verständnis für mich hast. :) Ich hoffe auch, dass sich die Zeiten total geändert haben. :wink:
Die Norddeutsche Tiefebene kenne ich durch meine liebe Frau, sie stammt aus Niedersachsen, außerdem war ich auch schon in Schleswig-Holstein, eine Verwandte ist dort aus Hessen hingemacht. Ostfiesland haben wir auch schon besucht. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag

Zurück zu „Europäische Mitgliedstaaten“