Lokalpatriotismus - angelegt im menschl. Gehirn???

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Moderator: Barbarossa

Renegat
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Dieses Thema ist ein Versuch, der sich aus http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... 183#p28183 ergeben hat.
Schandi hat geschrieben:
Wenn ich aber den Leuten im Forum meinen "Fund" mitteilen möchte, ohne einen Blog zu haben, ist das dann schlecht?
Aus einer Mitteilung kann doch auch eine Diskussion entstehen ;)
Renegat hat geschrieben:Könnte....tut es aber meist nicht. Weil der Blogger ohne eigenen Blog den Meinungsbildungsprozeß meist schon hinter sich hat und durch andere Meinungen selten umzustimmen ist.
Schandi hat geschrieben: zu 2)
Gebe ich dir recht. Aber mal ehrlich. Wer hat Zeit dazu?
Um zu einem Thema These, Antithese und Schlussfolgerung zu erarbeiten braucht man Stunden (je nach Thema auch mehr) und viele Quellen.
Viele haben kaum Zeit für ihre Kinder. Wie soll man da noch "nebenbei" zu jedem Thema etwas ausarbeiten?
Renegat hat geschrieben:Du hast mich falsch verstanden, ich möchte gerade den Meinungsbildungsprozeß ins Forum verlagern und nicht vorarbeiten, siehe 1. Das heißt für mich, ergebnisoffen an eine Frage herangehen. Die einzelnen Argumente kämen dann durch die verschiedenen User zusammen.
Bei den verschiedensten Diskussionen über Nationalitäten, Identitäten frage ich mich oft, wo ich die emotionale Bindung an vertrautes Umfeld und bekannte Menschen unterbringen soll.
Ab und an las ich von Gruppengrößen von bis zu 25 Personen, evtl. bis zu 100, die in der Frühzeit ohne vererbte Führung auskamen. Schulklassen haben auch ungefähr diese Größe.
Soziologen und Psychologen haben zu dieser, für das Individuum gut überschaubaren Anzahl von persönlichen Beziehungen, bestimmt auch schon was gesagt.
Ähnliches gilt für die Größe des geographischen Raums, der das Individuum umgibt. Das kann ein Dorf, ein Stadtteil, vielleicht noch eine Region sein. Das könnte abhängig von der Mobilität der Person sein. Kann man vielleicht beschreiben, mit der Freude, in einem unbekannten Terrain eine bekannte Kreuzung zu finden. Aber auch mit der Neugierde, einen unbekannten Weg zu beschreiten.
Ob Lokalpatriotismus der richtige Begriff dafür ist, weiß ich auch nicht, wie ich überhaupt noch keine feste Meinung zu diesem Phänomen habe.
Deshalb meine Frage, wie seht ihr das?
Kennt ihr das auch?
Gibt es dabei individuelle Unterschiede?
Sind diese Emotionen in unserer Gehirnstruktur angelegt? Veränderbar?
Was kann man daraus ableiten?
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dieter
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Lieber Renegat,
es ist doch alles ganz einfach, der Mensch wird durch seine Umgebung geprägt und nach einer Zeit akzeptiert man sogar eine solche Umgebung. :wink: Bestes Beispiel ist für mich Frankfurt/M., als ich als Elfjähriger zuerst nach Ffm. kam war mir hier alles fremd. Die Leute schwätzten einen anderen Dialekt als in Kassel wo ich herkam. Sie sprachen mehr und schneller als ein Kasseläner und nahmen es mit der Wahrheit auch nicht immer so genau. Es gab Aussprüche wie: "Was kümmert mich mein dumm Geschwätz von Gestern oder wenns geht, dann geht's." :wink:
Meine liebe Frau meinte von einer Arbeitskollegin zum Besuch eingeladen worden sein, wir fuhren hin und auf unser mehrmaliges Klingeln öffnete niemand. Fazit. Man darf hier nicht alles zu Ernst nehmen. :wink: :mrgreen:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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Barbarossa
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Hallo Renegat,
wie du von dem von dir verlinkten Pfad auf dieses Thema kommst, erschließt sich mir jetzt gerade nicht - aber egal, es ist ein wirlich interessantes Thema.
Ich glaube tatsächlich, daß das "Revier" einer Gruppe schon vor dem Beginn der Menschwerdung wichtig war, um zu überleben. Vor einiger Zeit habe ich im Fernsehen etwas über Schimpansen gesehen, wo zwei Gruppen dieser Affenart "Krieg" gegeneinander führten. Ich gehe dewegen davon aus, daß solche Kämpfe um Lebensraum zwischen Gruppen der selben Menschen(affen)art älter sind, als die Menscheit selbst. Anfangs lebten die Menschen in Stämmen, dann in Stammesverbänden, dann Königreiche - schließlich in Nationen zusammen.
Bis ins 20. Jh. hinein galt es als legitim, Kriege zu führen, um das eigene Territorium auf Kosten anderer zu vergrößern. Und dabei meine ich nicht nur die beiden Weltkriege, sondern auch die Eroberung von Kolonien, an der fast alle europäischen Nationen beteiligt waren. Nicht nur für neuen Lebensraum wurden neue Gebiete erobert, sondern auch, um sowohl Bodenschätze als auch Menschen ausbeuten zu können.
Diese Sichtweise änderte sich eigentlich erst ab der zweiten Hälfte des 20. Jh. ganz langsam - vor allem, weil sich die unterworfenen Völker selbst befreiten.
Innerhalb dieser Nationen gibt es aber nach wie vor einen auf eine bestimmte Region beschränkten Lokalpatriotismus. Selbst die heutigen Bundesländer sind dafür bereits meist zu groß. Dieser Lokalptriotismus beschränkt sich auf eine überschaubare Gegend, wie ein Tal, einen Landkreis, eine Insel, ein Bruch oder innerhalb von Großstädten auf einen Stadtbezirk.
Dieser Lebensraum wird von uns heute als Heimat bezeichnet. Es werden damit Emotionen verbunden - eben ein Heimatgefühl. Geht man für eine längere Zeit aus seiner Heimat weg, kann man sogar das sogenannte Heimweh bekommen - eine sehr starke Emotion.

Fazit:
Ja ich denke, Lokalpatriotismus ist nicht nur in unserem Gehirn, sondern sogar in unseren Genen angelegt.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
ehemaliger Autor K.

Renegat:
Mir ist deine Fragestellung nicht ganz klar. Hier werden zwei Dinge vermischt, die man aus analytischen Gründen zunächst trennen sollte:
1.) Locus, also ein geographisch definierter Ort
2.) Bezugsgruppen. Hierfür gibt es unterschiedliche Definitionen. Du meinst wahrscheinlich eine face to face group, also Menschen, mit denen du intensive Kontakte pflegst und die ähnliche Normen und Wertvorstellungen teilen. Aus Gründen, die ihre Ursache in der Ökonomie der Zeit haben, ist es ist nicht möglich, mit beliebig vielen Personen enge Beziehungen zu unterhalten. Deshalb sind solche Gruppen in der Regel auf 20 bis 30 Personen beschränkt. Heute, in der Zeit der modernen Medien, kann eine solche face to face group theoretisch über die ganze Welt verteilt sein. In der Praxis befindet sie sich aber meist in der näheren Umgebung. Der Ort und die da lebenden Bezugsgruppen bilden normalerweise eine Einheit.

Die frühkindliche Sozialisation ist entscheidend für die spätere Entwicklung. Die ersten Bezugsgruppen, Eltern, Geschwister, Freunde sind normalerweise stationär an einen bestimmten Ort gebunden. Falls die Erfahrungen nicht überwiegend negativ gewesen sind, wird man zu diesem Ort eine bestimmte Beziehung entwickeln, er ist das, was man als Heimat bezeichnet, der Platz, wo man geboren wurde und seine ersten Bezugsgruppen hatte. Heimat ist aber noch mehr: Sie ist das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse, die Sitten, Gebräuche, Festlichkeiten, Gewohnheiten usw. Auch die Umwelt, sei es nun Land, Gebirge oder Meer, das Klima, all dies gehört dazu. Zu der Heimat wird man in der Regel immer ein besonderes Gefühl haben, auch wenn man dort schon lange nicht mehr wohnt und die einstigen Bezugsgruppen nicht mehr existieren. Stößt man in der Fremde auf Dinge, die aus der Kindheit bekannt und positiv besetzt sind, bekommt man Heimweh.

Das Wort Lokalpatriotismus klingt vielleicht in der heutigen Zeit etwas befremdlich, aber viele fühlen sich auch noch nach langer Zeit mit ihrem Ursprungsort verbunden und wollen etwas für ihn tun. Das könnte man dann vielleicht so bezeichnen.

Andererseits wird Heimat heute auch oft definiert, als der Ort, wo man sich wohlfühlt. Das wird in der Regel dann der Fall sein, wenn man an dem neuen Wohnsitz wieder eine face to face group hat, in der man sich geborgen und nun heimisch fühlt. Bezugsgruppen und ihr Wohnsitz gehören also in der Regel zusammen. Das kann dann natürlich zu einem Lokalpatriotismus führen.

Was den biologischen Aspekt betrifft: Biologisch angelegt ist bei dem Menschen, das er ein soziales Wesen ist und auf Bezugsgruppen angewiesen ist, um zu existieren. Da eine solche Bezugsgruppe ein bestimmtes Gebiet benötigt, um sich zu reproduzieren, wird sie zu ihrem Wohnort eine besondere Beziehung entwickeln und ihn unter Umständen gegen andere Bezugsgruppen verteidigen. Dies wird in der Regel dann der Fall sein, wenn die Ressourcen begrenzt sind und eine Zuwanderung anderer als Bedrohung angesehen wird. In der Frühphase der menschlichen Entwicklung wird dies sicherlich oft passiert sein.

Auch in einer späteren Zeit, wenn schon Staaten vorhanden sind und die Gemeinschaften wachsen, wird man sich mit Menschen näher verbunden fühlen, die aus dem gleichen Ort oder der gleichen Region stammen, weil sie ähnliche Normen, Wertvorstellungen und Sozialisationsprozesse durchlaufen haben, wie man selbst. Auch wenn sie nicht zu der face to face group gehören, stehen sie einem gefühlsmäßig meistens näher, als Menschen, die aus Gebieten stammen mit anderen Normen und Wertvorstellungen.
Ich hoffe, dass ich deine Frage richtig verstanden habe.
Aneri

Barbarossa hat geschrieben:Ich glaube tatsächlich, daß das "Revier" einer Gruppe schon vor dem Beginn der Menschwerdung wichtig war, um zu überleben. Vor einiger Zeit habe ich im Fernsehen etwas über Schimpansen gesehen, wo zwei Gruppen dieser Affenart "Krieg" gegeneinander führten. Ich gehe dewegen davon aus, daß solche Kämpfe um Lebensraum zwischen Gruppen der selben Menschen(affen)art älter sind, als die Menscheit selbst. Anfangs lebten die Menschen in Stämmen, dann in Stammesverbänden, dann Königreiche - schließlich in Nationen zusammen.
Doch ich bin überzeugt von dem Gegenteil. Die Menschheit zu solche geworden ist, wann sie eigene Regeln des Zusammenseins entwarf. Der Fortpflanzungsrecht des Alpha Männchen ist ein biologischer Regel. Die Vertreibung des erwachsenen männlichen Nachwuchses aus einer sozialen Gruppe ist ein biologischer Regel, da er erst sich beweisen muss um sich fortpflanzen zu können. Wenn wir die Geschichte der Entstehung des Menschen wie in einem Film verfolgen wurden, dann das Treffen der paläolithischen Familien, in dem die Bräute bzw. Bräutigame direkt ausgetauscht wurden, würde bedeuten, dass die Schwelle des wildes Tieres schon überschritten ist und es begann die zivilisatorische Evolutionsphase.

Anders gesagt es entsteht die Kommunikation zwischen der sozialen Gruppen. Keine tierische soziale Gruppe pflegt die Kommunikation mit ihresgleichen. Es geht nicht nur um das (Jagd-)Revier und das Überleben. Es geht um das Fortpflanzungsrecht, das dieser Kommunikation in Wege steht. Es müssen besondere Mechanismen entstehen, die es unterbunden: die Variation der Gefühle (Scham, Mitleid, Liebe etc.), das Wertsystem und vor allem das Sprachmedium, in dem man über das alles unterhalten kann.

Warum aber kehrte man letztendlich zu dem Muster, den eigentlich schon mal verlassen hat?! Ich denke klarer wird, wenn wir verstehen, dass in dem Leben ging es um das Lebewesen und die Art, in Zivilisation geht es um die Gemeinschaft und deren Strukturen. Eine Gemeinschaft ist kein Lebewesen, dennoch unterliegt sie ähnlich dem Letzten der Selbsterhaltung. Daher betreibt sie die Sicherung der Ressourcen (humanen-, Natur- und der Information), die für ihre Funktionsfähigkeit sorgen.

---
Ob es in unserem Gehirn angelegt ist? Es gibt ein großer Streit diesbezüglich. Die Deterministen glauben, das Alles nach kausalen Prinzip verläuft. So z. B. das mentale Erlebnis wird als Folge der Gehirnaktivität betrachtet. Ich aber denke, dass schon mein Denken (also ein mentale Erlebnis) koppelt an Gehirnaktivität zurück und lenkt ihn in bestimmte Richtung, so dass die Freiheit des Gehirnaktivität beschränkt wird. Auf die Weise bestimmt das Erlebnis zum Teil sich selbst.

Auf die Weise wird das Gehirn (der Bauplan des Körpers) in der Evolution an das Mentale angepasst, um ihn bestmögliche (materielle) Mechanismus für seine Entwicklung anzubieten. Das Mentale bot dem Organismus eine Flexibilität in der Anpassung an die Umwelt. Genetische Information gilt unverändert den ganzen Leben. Das Denken lässt die Gewohnheiten hinterfragen, es strengt sich bei Problemen die Lösungen zu finden. Die Lösungen, die jetzt gleich realisiert werden können und nicht bis zur nächsten Generationen warten wie mit der Genetik der Fall, wenn das schon womöglich nicht aktuell ist. Diese neue Potential müsste von der Genetik unterstützt werden. Daher stellte sie die "Hardware" zur Verfügung. Es war eben für Gene nützlich. Der überlebende Individuum bedeutete auch größeren Chancen auf seine Fortpflanzung. Also Erhaltung der Art.

So ähnliches Evolutionsverlauf kann man in der Entstehung des mehrzelligen Organismus beobachten. Der Einzeller hat Zuflucht in der Kolonie gesucht. Da es für Einzelnen nützlich ist, verankerte er den Wert der Kolonie in dem genetischen Erbgut. Umso mehr die Kolonie nützlich für die Erhaltung des Einzelnen war, umso mehr der genetische Gut würde so "präpariert", dass der Einzelne, der von Genen getrieben wird, für die Erhalt der Kolonie s. z. gesetzmäßig sorgte. Bis es seinem eigenem Erhaltung nicht wiedersprach, war es kein Problem. Dennoch wissen wir, dass das Verhältnis einmal kippte. So kann der Einzeller sich selbst altruistisch für die Erhalt des Ganzen opfert bzw. gezwungen zu opfern. Nur damit das übergeordnete Ganze überlebt. Der Einzelne blieb in Abhängigkeit von den übergeordneten Ganzen.

Seit dem Säugetieren bleibt ein Lebewesen von seine sozialen Einheit abhängig. Höhere Tiere brauchen den Vorbild, von dem sie lernen. Schon hier ist die Abhängigkeit angelegt. Das Kind überlebt ohne Mutter nicht. Alles andere ist theoretische Ansätze, die mit der Realität nicht zu tun haben. Wir hineingeboren in soziale Umwelt, von ihr lernen, erzogen werden, sie hinterfragen werden und sie verändern.
Paul
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Die Vertreibung des männlichen Nachwuchses findet beim Menschen nicht statt bzw. fand in der Altsteinzeit nicht statt. Die Frauen wechselten die Gruppe, während die Männer in der Gruppe blieben. Löwen vertreiben wahrscheinlich auch nur fremde junge Löwen, wenn sie eine Gruppe Weibchen "erobern". Letztlich verbünden sich Löwen mit ihren Brüdern, mit denen sie vertrieben werden und auch mit ihren eignen Söhnen. Es ist aber selten, das Löwen eine Gruppe Weibchen so lange beherrschen können, bis die eignen Söhne dem Vater bei der Verteidigung helfen könnten.
Bei Schimpansen verbünden sich auch die Brüder. Die Mütter ranghoher Schimpansenmänner haben auch eine hohe Stellung, da die Mutter-Sohn-Bindung aufrecht erhalten bleibt. Die weiblichen engen Verwandten helfen sich bei der Aufzucht der Jungen. Die weiblichen Schimpansen halten sich aber nicht nur in einer Männnergruppe auf, sondern wechseln auch zwischen Gruppen.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Aneri

Paul hat geschrieben: Die Frauen wechselten die Gruppe, während die Männer in der Gruppe blieben.
Du weiß es nicht, wer die Gruppe wechselte. Das kann man nicht aus archäologischen Befunden entnehmen. Es ist logischer anzunehmen, dass anfangs gerade das männliche Nachwuchs ging von einer Gruppe in andere über. Zum Einem ist es nur etwas abgewandelte Vorgang der tierischen Welt. Zum Anderem ist ein direkte Übergang von einer in anderer Gruppe ein Indizier dafür, dass man Stammbild mit dem Stammgründer entworfen hat. Es hängt zusammen mit der Bevorzugung einer der Abstammungslinie, von der Mutter oder dem Vater. Es ist aber relativ sicher, dass an Wurzeln der Zivilisation eher matriarchalische Verhältnisse herrschten. Daher liegt nah, dass der männliche Nachwuchs wanderte, nicht der weibliche.
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dieter
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Aneri hat geschrieben:
Paul hat geschrieben: Die Frauen wechselten die Gruppe, während die Männer in der Gruppe blieben.
Du weiß es nicht, wer die Gruppe wechselte. Das kann man nicht aus archäologischen Befunden entnehmen. Es ist logischer anzunehmen, dass anfangs gerade das männliche Nachwuchs ging von einer Gruppe in andere über. Zum Einem ist es nur etwas abgewandelte Vorgang der tierischen Welt. Zum Anderem ist ein direkte Übergang von einer in anderer Gruppe ein Indizier dafür, dass man Stammbild mit dem Stammgründer entworfen hat. Es hängt zusammen mit der Bevorzugung einer der Abstammungslinie, von der Mutter oder dem Vater. Es ist aber relativ sicher, dass an Wurzeln der Zivilisation eher matriarchalische Verhältnisse herrschten. Daher liegt nah, dass der männliche Nachwuchs wanderte, nicht der weibliche.
Liebe Aneri,
zu mindestens bei den Menschen war es bis in jüngster Zeit anders. In meiner Familie auch, bei einer Heirat zog die Frau zur Familie des Mannes, wenn nicht wie in jüngster Zeit, gleich beide wegziehen, um woanders eine neue Existenz zu gründen. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Aneri

Man kann nicht derzeitige Verhältnisse auf die ursprüngliche übertragen. Wir sprechen über Hominini Familien bzw. soziale Gruppen. Also die Arten, die waren s. z. auf dem Weg zum Homo Sapiens. Über diese Zeiten gibt es keine Zeugnisse auf soziale Struktur. Wir sind angewiesen auf die Analyse der derzeitigen Ethnien.

Ich will gar nicht streiten um das, was keiner genau weiß, wie es war. Verweise doch, dass es gibt triftiger Gründer anzunehmen, dass es nicht so wie es bei uns bis zur jungster Zeit üblich war. Der Patriarchat geht aus dem männlichen Zentrum in einer Familiengemeinschaft aus. Es ist eben eine gewandelte Form des Alpha-Männchens, nur entfaltet er seine Macht überall außer der Fortpflanzung. Ich denke aber, dass um dem Fortpflanzungsrecht entgegenzuwirken, das wichtigste was die Menschen von Tieren unterscheidet, müsste erst der Status des Alpha-Männchen abgeschafft werden. Nicht seine Rechte abschneiden. Nein. Es müsste egalitäre Struktur auch in Bezug der Geschlechte.

Zum anderem gibt es ich glaube etwa 13% von allen untersuchten Ethnien, die matrilineare Verwandschaftssystem führen.
Von den etwa 1/3 treiben die Matrilokalität: die künftige Ehepaar bleibt in Wohnsitz der Mutter. Also gibt es auch in jüngster Zeit verschiedene Systeme! Daher sehe ich keine Anlass die Patriarchat - als unseres ursprüngliches System - bevorzügen.
Renegat
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Spannende Antworten, ich versuche, sie auf das für´s Thema wichtige zusammenzufassen.

Barbarossa führt an, dass es zwangsläufig zu Gewalt gegenüber Außenstehenden kommt, weil jede soziale Gruppe sich ausbreiten und mehr Macht und Reichtum will.

Karlheinz, so ungefähr meinte ich die Anlage im Menschen als soziales Wesen mit Bezug zu einer bestimmten Gruppengröße und Region. Lokalpatriotismus ist leider ein völlig falsches Wort, ich habe noch kein besseres gefunden, ich nenne es vorläufig Basisgruppe und -region.
Es ging mir um den Unterschied zwischen Anlage und kulturell erworben durch eine Zivilisationsleistung.
Karlheinz hat geschrieben: Auch in einer späteren Zeit, wenn schon Staaten vorhanden sind und die Gemeinschaften wachsen, wird man sich mit Menschen näher verbunden fühlen, die aus dem gleichen Ort oder der gleichen Region stammen, weil sie ähnliche Normen, Wertvorstellungen und Sozialisationsprozesse durchlaufen haben, wie man selbst. Auch wenn sie nicht zu der face to face group gehören, stehen sie einem gefühlsmäßig meistens näher, als Menschen, die aus Gebieten stammen mit anderen Normen und Wertvorstellungen.
Deine Ausführungen zur späteren Zeit halte ich nämlich im Gegensatz zur Basisgruppe für eine typische Kulturleistung, wahrscheinlich die größte des sozialen Wesens Mensch. Sie erlaubte das einigermaßen friedliche Zusammenleben von immer größeren Gruppen. Auf welcher Basis sich diese bilden, halte ich deswegen nicht für naturgegeben, sondern für eine "positive Propagandaleistung".
In der Geschichte bildeten sich größere Einheiten aufgrund von Gefolgschaft oder Religion, die Nationalstaaten sind eine weitere Möglichkeit. All diese Varianten zur zivilisatorischen Großgruppenbildung sind veränderbar und können je nach den Anforderungen uminterpretiert werden.

Aneri, Paul und Dieter diskutieren die Basisgruppenbildung ausgehend von den biologischen Geschlechtern in der Frühzeit. Das kann ich nicht einschätzen, weil es alle Formen gegeben hat. In einigen Kulturen herrschte bis vor kurzem noch Matrilokalität, was heißt, dass die Töchter mit ihren Kindern im Haushalt der Mutter bleiben und der Onkel (Mutterbruder) mehr zu sagen hat als der biol. Vater. Die verschiedenen Modelle ändern aber nichts am Vorhandensein einer Basisgruppe und -region.
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dieter
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Renegat hat geschrieben:Aneri, Paul und Dieter diskutieren die Basisgruppenbildung ausgehend von den biologischen Geschlechtern in der Frühzeit. Das kann ich nicht einschätzen, weil es alle Formen gegeben hat. In einigen Kulturen herrschte bis vor kurzem noch Matrilokalität, was heißt, dass die Töchter mit ihren Kindern im Haushalt der Mutter bleiben und der Onkel (Mutterbruder) mehr zu sagen hat als der biol. Vater. Die verschiedenen Modelle ändern aber nichts am Vorhandensein einer Basisgruppe und -region.
Lieber Renegat,
wo und wann gab es die von Dir genannte Matrilokalität :?:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Renegat
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dieter hat geschrieben:
Renegat hat geschrieben:Aneri, Paul und Dieter diskutieren die Basisgruppenbildung ausgehend von den biologischen Geschlechtern in der Frühzeit. Das kann ich nicht einschätzen, weil es alle Formen gegeben hat. In einigen Kulturen herrschte bis vor kurzem noch Matrilokalität, was heißt, dass die Töchter mit ihren Kindern im Haushalt der Mutter bleiben und der Onkel (Mutterbruder) mehr zu sagen hat als der biol. Vater. Die verschiedenen Modelle ändern aber nichts am Vorhandensein einer Basisgruppe und -region.
Lieber Renegat,
wo und wann gab es die von Dir genannte Matrilokalität :?:
Hier ist eine Liste von Ethnien mit matrilinearen Verwandschaftssystemen , http://de.wikipedia.org/wiki/Matriarcha ... aftssystem
Bei einigen davon gilt/galt Matrilokalität, z.B. bei den Mosuo. http://de.wikipedia.org/wiki/Mosuo#Verw ... nd_Familie
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Lieber Renegat,
Danke für die Links. :)
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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