Demokratie in der Institution EU

Informationen, Diskussionen und Entscheidungen

Moderator: Barbarossa

Benutzeravatar
Balduin
Administrator
Beiträge: 4213
Registriert: 08.07.2008, 19:33
Kontaktdaten:

2013 möchte ich gerne einen Schwerpunkt auf Europapolitik legen.

Die Europäische Union wird in der deutschen Politik immer wichtiger - das wurde der breiten Bevölkerung vor allem durch die Staatsschuldenkrise deutlich.
Aber bereits seit vielen Jahren nimmt die EU eine wichtige Rolle in der deutschen Lebenswirklichkeit ein: Richtlinien geben die Rechtsentwicklung vor (Das verbraucherfreundliche Kaufrecht geht auf eine europäische Richtlinie zurück), die Wirtschaftsentwicklung ist eng an die Grundfreiheiten gebunden und der Euro hat die europäische Einigung beschleunigt.

Ich möchte hier diskutieren, wie demokratisch die Europäische Union ist: Ist die Unmittelbarkeit des Wählerauftrages gewahrt? Bestimmen die Bürger wirklich ihre Vertreter, die auch die Entscheidungen treffen? ...

Als Grundlage möge dieser Aufsatz dienen: http://www.schleyer-stiftung.de/pdf/pdf ... scholz.pdf
Herzlich Willkommen auf Geschichte-Wissen - Registrieren - Hilfe & Anleitungen - Mitgliedervorstellung

He has called on the best that was in us. There was no such thing as half-trying. Whether it was running a race or catching a football, competing in school—we were to try. And we were to try harder than anyone else. We might not be the best, and none of us were, but we were to make the effort to be the best. "After you have done the best you can", he used to say, "the hell with it". Robert F. Kennedy - Tribute to his father
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Lieber Ralph,
da ist zuerst die Kommission, die nicht von der europ. Bevölkerung gewählt wurde. Es ist ein Witz, dass jedes Land einen EU-Kommisar haben muß von Malta bis Deutschland. Die Kommisare sollten von Volk gewählt werden können, wobei mehrere Kommisare große Länder erhalten sollten und Zwergstaaten keinen. :wink:
Es wurde dochmal in den Verträgen von Lissabonn das Prinzip der "Doppelten Mehrheit" festgelegt, warum wurde dieses Prinzip bei Verhandlungen nicht einmal durchgesetzt :?: Die querulatorischen Briten würde ich sowieso zum Teufel schicken. :evil: :twisted:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
ehemaliger Autor K.

Dieter:
Es wurde dochmal in den Verträgen von Lissabonn das Prinzip der "Doppelten Mehrheit" festgelegt, warum wurde dieses Prinzip bei Verhandlungen nicht einmal durchgesetzt
In dem Vertrag von Lissabon wurde nicht das Prinzip der doppelten Mehrheit festgelegt, sondern der qualifizierten Mehrheit. Das bedeutet: 55 % der Mitgliedstaaten müssen einem Beschluss zustimmen, wobei jedes Land eine Stimme hat. Die zustimmenden Mitgliedstaaten müssen 65% der EU-Bevölkerung präsentieren. Das Prinzip wurde noch nicht angewendet, weil es erst 2014 in Kraft tritt.
Dieter:
da ist zuerst die Kommission, die nicht von der europ. Bevölkerung gewählt wurde. Es ist ein Witz, dass jedes Land einen EU-Kommisar haben muß von Malta bis Deutschland. Die Kommisare sollten von Volk gewählt werden können, wobei mehrere Kommisare große Länder erhalten sollten und Zwergstaaten keinen. :wink:
Die EU-Kommissare sollen nicht die Politik ihrer Länder vertreten, sondern lediglich die Beschlüsse des EU-Rates umsetzen. Ihre Wahl würd Sinn machen, wenn sie als Beauftragte ihre Länder auftreten, was so nicht der Fall ist. Ihrem Auftrag nach dienen die Kommissare allein der Union und dürfen von den einzelnen Ländern keine Weisungen entgegen nehmen. Jeder Kommissar leitet innerhalb der Union einen eigenen Politikbereich. Eine Wahl hätte nur Sinn, wenn sie im Auftrage ihrer Wähler handeln und ihnen gegenüber verantwortlich wären. Das ist hier aber nicht der Fall. Der Kommissar hat mit dem Land aus dem er stammt in seiner Funktion nichts zu tun und muss sich auch nicht um dessen Belange kümmern. Allerdings kann das EU-Parlament die Kommission ablehnen und zum Rücktritt zwingen (nur komplett, nicht einzelne Kommissare).
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Karlheinz hat geschrieben:
Dieter:
Es wurde dochmal in den Verträgen von Lissabonn das Prinzip der "Doppelten Mehrheit" festgelegt, warum wurde dieses Prinzip bei Verhandlungen nicht einmal durchgesetzt
1)In dem Vertrag von Lissabon wurde nicht das Prinzip der doppelten Mehrheit festgelegt, sondern der qualifizierten Mehrheit. Das bedeutet: 55 % der Mitgliedstaaten müssen einem Beschluss zustimmen, wobei jedes Land eine Stimme hat. Die zustimmenden Mitgliedstaaten müssen 65% der EU-Bevölkerung präsentieren. Das Prinzip wurde noch nicht angewendet, weil es erst 2014 in Kraft tritt.
Dieter:
da ist zuerst die Kommission, die nicht von der europ. Bevölkerung gewählt wurde. Es ist ein Witz, dass jedes Land einen EU-Kommisar haben muß von Malta bis Deutschland. Die Kommisare sollten von Volk gewählt werden können, wobei mehrere Kommisare große Länder erhalten sollten und Zwergstaaten keinen. :wink:
2)Die EU-Kommissare sollen nicht die Politik ihrer Länder vertreten, sondern lediglich die Beschlüsse des EU-Rates umsetzen. Ihre Wahl würd Sinn machen, wenn sie als Beauftragte ihre Länder auftreten, was so nicht der Fall ist. Ihrem Auftrag nach dienen die Kommissare allein der Union und dürfen von den einzelnen Ländern keine Weisungen entgegen nehmen. Jeder Kommissar leitet innerhalb der Union einen eigenen Politikbereich. Eine Wahl hätte nur Sinn, wenn sie im Auftrage ihrer Wähler handeln und ihnen gegenüber verantwortlich wären. Das ist hier aber nicht der Fall. Der Kommissar hat mit dem Land aus dem er stammt in seiner Funktion nichts zu tun und muss sich auch nicht um dessen Belange kümmern. Allerdings kann das EU-Parlament die Kommission ablehnen und zum Rücktritt zwingen (nur komplett, nicht einzelne Kommissare).
Lieber Karlheinz,
1)der Fortschritt ist eine Schnecke. :roll:
2)Du glaubst doch wohl im Ernst nicht, dass sie auf das Land, wo sie herkommen nicht hören müssen. Deshalb auch für jedes Land einen EU-Kommisar. :evil:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
ehemaliger Autor K.

In dem von Ralph vorgegebenen Aufsatz von Prof. Scholz über Demokratiedefizite wird unter anderem das alte Problem: Europa der Vaterländer“ (Intergouvernementalisten) oder Europa als Föderation wieder aufgegriffen und diskutiert.

Meines Erachtens ist derzeit ein großes Problem, das viele Bürger überhaupt nicht wissen, wie die Europäische Union überhaupt funktioniert. Man hört darüber oft die erstaunlichsten Auffassungen. Als Vergleich können sich die meisten nur die nationale Demokratie vorstellen. Die Bürger wählen dort ein Parlament, je nach Ausgang der Wahlen bekommen die verschiedenen Parteien unterschiedliche Stimmenanteile und können daraufhin eine Regierung bilden. Aber so funktioniert es derzeit in Europa nicht. Das Europäische Parlament hat bei den meisten Gesetzen der EU nur ein Mitspracherecht, das Parlament kann aus sich heraus keine Regierung bilden. Der EU-Rat ist gewissermaßen die Regierung. Der wird aber nicht gewählt, höchstens indirekt, da die jeweiligen Landesregierungen ihre Vertreter in den Rat senden. Der wählt dann wiederum die Kommissare aus, die die Beschlüsse dann europaweit durchsetzen sollen. Wenn die Bürger den EU-Rat wählen könnten, und zwar direkt und nicht indirekt wie bisher, könnte vielleicht eher ein europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen. Aber das würde vermutlich nur funktionieren, wenn Europa eine Föderation wäre und nicht wie jetzt ein Staatenverbund.

Letztlich würde das bedeuten: Aufhebung der bisherigen Staaten, stattdessen Bildung von Regionen, ein gesamteuropäisches Parlament, welches nach der Wahl eine Regierung bestimmen kann. Die einzelnen Regionen könnten ihre Interessen in einer Art Bundesrat wahrnehmen, in dem dann, wie bei uns, die verschiedenen Gebiete über eine unterschiedliche Anzahl von Abgeordneten vertreten wären, damit auch kleine Distrikte ihre Bedürfnisse artikulieren können. Zwischen den einzelnen Gebieten müsste eine Art Länderfinanzausgleich existieren. Vielleicht wäre dies gerechter als das gegenwärtige System, in dem ganze Länder Hilfe erhalten und nicht nach Regionen differenziert. Auch in den bedürftigen Staaten gibt es ärmere und reichere Gebiete. Soweit ich weiß, wird dies derzeit nicht berücksichtigt.
Aber bis dahin wird es ein weiter Weg sein und ob es überhaupt dazu kommt, glaube ich eigentlich nicht.
Benutzeravatar
Balduin
Administrator
Beiträge: 4213
Registriert: 08.07.2008, 19:33
Kontaktdaten:

Karlheinz hat geschrieben:In dem von Ralph vorgegebenen Aufsatz von Prof. Scholz über Demokratiedefizite wird unter anderem das alte Problem: Europa der Vaterländer“ (Intergouvernementalisten) oder Europa als Föderation wieder aufgegriffen und diskutiert.

Meines Erachtens ist derzeit ein großes Problem, das viele Bürger überhaupt nicht wissen, wie die Europäische Union überhaupt funktioniert. Man hört darüber oft die erstaunlichsten Auffassungen. Als Vergleich können sich die meisten nur die nationale Demokratie vorstellen. Die Bürger wählen dort ein Parlament, je nach Ausgang der Wahlen bekommen die verschiedenen Parteien unterschiedliche Stimmenanteile und können daraufhin eine Regierung bilden. Aber so funktioniert es derzeit in Europa nicht. Das Europäische Parlament hat bei den meisten Gesetzen der EU nur ein Mitspracherecht, das Parlament kann aus sich heraus keine Regierung bilden. Der EU-Rat ist gewissermaßen die Regierung. Der wird aber nicht gewählt, höchstens indirekt, da die jeweiligen Landesregierungen ihre Vertreter in den Rat senden. Der wählt dann wiederum die Kommissare aus, die die Beschlüsse dann europaweit durchsetzen sollen. Wenn die Bürger den EU-Rat wählen könnten, und zwar direkt und nicht indirekt wie bisher, könnte vielleicht eher ein europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen. Aber das würde vermutlich nur funktionieren, wenn Europa eine Föderation wäre und nicht wie jetzt ein Staatenverbund.
Mich verwirrt derzeit mehr, dass es anscheinend seitens der Regierung keine Vision gibt, wie die europäische Einigung sich entwickeln sollte. Es wird ja keine Antwort darauf gegeben, ob Europa sich hin zu einer Föderation entwickelt oder ob es weiter intergouvernemental regiert wird. Die Eurokrise hat ja wohl die Stärkung der Intergouvernementalisten bewirkt.
Das ist insoweit aber auch nicht verwunderlich, weil die Euro-Zone ein Konstrukt der Vaterländer ist.
Letztlich würde das bedeuten: Aufhebung der bisherigen Staaten, stattdessen Bildung von Regionen, ein gesamteuropäisches Parlament, welches nach der Wahl eine Regierung bestimmen kann. Die einzelnen Regionen könnten ihre Interessen in einer Art Bundesrat wahrnehmen, in dem dann, wie bei uns, die verschiedenen Gebiete über eine unterschiedliche Anzahl von Abgeordneten vertreten wären, damit auch kleine Distrikte ihre Bedürfnisse artikulieren können. Zwischen den einzelnen Gebieten müsste eine Art Länderfinanzausgleich existieren. Vielleicht wäre dies gerechter als das gegenwärtige System, in dem ganze Länder Hilfe erhalten und nicht nach Regionen differenziert. Auch in den bedürftigen Staaten gibt es ärmere und reichere Gebiete. Soweit ich weiß, wird dies derzeit nicht berücksichtigt.
Aber bis dahin wird es ein weiter Weg sein und ob es überhaupt dazu kommt, glaube ich eigentlich nicht.
Ich denke nicht, dass Staaten aufgehoben würden. Das würde doch wohl eher in kleineren Schritten ablaufen (die Dualität würde fortbestehen): Einführung eines EU-Haushaltes, Erhebung von Steuern, gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik, gemeinsame Außenpolitik... (über einen längeren Zeitraum)
Die Wirklichkeit ist doch bereits so, dass die EU die Rechtssetzung diktiert (EU-Richtlinien) und auch zu einer gewissen Vereinheitlichung geführt hat.

Hier ein kleiner Exkurs von meiner Seite, weil mich das im Studium sehr interessiert hat:

Historisch stehen sich das deutsche und das französische Recht näher als das deutsche oder das französische Recht zum englischen Recht (England hat ein Fallrecht (Präjudizien), wogegen Frankreich und Deutschland Kodifizierungen haben (Gesetzbücher)).
Recht hat immer auch eine sehr einigende Wirkung - man denke nur an den Code Civil (Napoleon) oder das römische Recht: Eventuell kann man auch bereits daraus die zukünftige Rolle Großbritanniens in der EU ableiten.

Großbritannien ist ein wichtiger Faktor in der EU - aber sollte auf wichtige Entwicklungen verzichtet werden, nur um GB in der EU zu halten?
Herzlich Willkommen auf Geschichte-Wissen - Registrieren - Hilfe & Anleitungen - Mitgliedervorstellung

He has called on the best that was in us. There was no such thing as half-trying. Whether it was running a race or catching a football, competing in school—we were to try. And we were to try harder than anyone else. We might not be the best, and none of us were, but we were to make the effort to be the best. "After you have done the best you can", he used to say, "the hell with it". Robert F. Kennedy - Tribute to his father
Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag

Zurück zu „Europäische Union“